Beiträge von Lipperin

    Darf ich bitte Interesse anmelden für folgende Leserunden:


    Wilkie Collins: Der rote Schal
    Die LR zur "Frau in Weiß" fand ich wunderbar und das Buch hatte mir viel Freude bereitet.


    Jose Saramago: Die Stadt der Blinden
    Nachdem ich mit Saramagos "Kain" so zu kämpfen hatte, wäre ein neuer Versuch angebracht, vielleicht kommen wir einander wieder näher


    Ulla Hahn: Aufbruch
    Frau Hahn mag ich, mehr Gründe gibt es nicht
    :grin


    Philip Roth: Nemesis
    Im Grunde gilt für ihn, was ich zu Saramago sagte, ich muss mit ihm erst mal wieder gut Freund werden. Vielleicht ja mit diesem Buch

    Zitat

    Original von SiCollier


    :write Oder ob überhaupt eine allein (damals / heute) die richtige ist?


    Darüber kann man lange grübeln.


    Zitat

    Sorry, wenn ich hier bis auf Weiteres im Allgemeinen nur still mitlese. Aber momentan ist es bei mir sowohl mit dem Lesen von als auch dem Diskutieren über Bücher etwas schwierig. Und zum Thema dieser Geschichte gleich gar.


    :knuddel1

    Seite 68 sah eine Lipperin in Lachen ausbrechen: Ich finde die Formulierungen von Henry einfach herrlich, aber diese in Bezug auf das Christkind sind fast nicht mehr zu toppen. Natürlich ist das nicht nett von mir, das arme Christkind … äh Mara wird betrogen, da lacht man nicht. Entschuldigung, aber es war einfach zu köstlich – für mich zu lesen, den Vergleich meine ich.
    Aber der Ernst kommt ja auch gleich wieder, Henry spricht eine der großen Fragen und Rätsel an: Wohin geht die Liebe, wenn sie geht? Warum ist sie nicht „alltagstauglich“? Natürlich ahnt man einige Antworten, die Realität bietet ja genug Beispiele, aber trotzdem: Warum ist mensch eigentlich so gestrickt wie er es nun mal ist, dass er oft genug die Liebe nicht halten kann? Ach je.


    Die Geschichte kann ich mir so lebhaft vorstellen: Gerade dieses Kuddelmuddel ab Seite 76/77, und komisch – oder auch nicht -, ich hab zu jeder Figur ein passendes Gesicht. Jedenfalls, dass Essen die Gemüter besänftigt, kann man bei der Familie wohl nicht unbedingt behaupten.


    Immer wieder die Einsprengsel, die so nachdenklich daherkommen, mir gefallen sie, beispielsweise Seite 87, 88 Henrys Gedanken, ob er wohl vermisst worden war von seinen Vor“besitzern“.


    Felix Auftritt und dann noch mit Mama. Wow. Das muss man sich auch mal trauen. So ohne Ankündigung.


    Ich geb es ja zu. Ich hab was erwartet. Also, dass jemand auftaucht aus Henrys "unglaublicher Geschichte". Aber das war nun wirklich eine Überraschung. Eine ziemliche. Eine große. Geklingelt hat es bei mir spätestens, als Julie (Sängerin!) von einem Nachbarmädchen sprach, von dem kleinen Dorf, von dem einzigen Freund des Nachbarmädchens.


    „Ich verstehe es selbst nicht so ganz“ sagt Felix Seite 126, also ganz am Schluss. Nein, ich auch nicht. Warum mich diese Geschichte so und ganz verzaubert hat, meine ich. Es war ja vieles dabei, etwas zum Lachen, etwas zum Weinen, etwas zum Aufregen, etwas zum Nachsinnen, aber das war es ja nicht allein. Unsere Lesekreisleiterin würde sagen: „analysieren, bitte“. Aber ich glaube, dass würde den Zauber ein bisschen vertreiben. Und vielleicht ist es ja ganz einfach, vielleicht ist es ja dieser Schuss „Henry“ kombiniert mit dem Gefühl von Weihnachten?

    Entschuldigung, wenn ich erst heute darauf eingehe!:knuddel1


    Zitat

    Original von Cith
    Was den häuslichen Bereich angeht, empfinde ich jedoch Unverständnis. Iwan Iljitsch mochte seine Frau zwar und hat sie einerseits geheiratet, weil es von der Gesellschaft gebilligt wurde, aber doch auch, weil er ihr zugeneigt war und sich gut mit ihr verstand. Die Ehe selber ist jedoch von Streit und gegenseitigem Missverstehen geprägt, durchbrochen von seltenen kurzen Phasen des Einverständnisse und der Zuneigung. Ich habe das Gefühl, dass die Eheleute keine nahe Bindung zueinander haben, auch zu den Kindern besteht kein enges Band, auf deren Eigenarten und Charakter wurde (bisher) nicht näher eingegangen.


    Wenn ich solches in Romanen lese - und Tolstoi bildet da ja durchaus keine Ausnahme -, frage ich mich doch immer mal wieder, inwieweit die Vorstellungen von Ehe damals und heute noch und/oder überhaupt übereinstimmen. Damals: Ehe - auch - als gesellschaftliches "Ereignis", Kinder ab einer gewissen gesellschaftlichen Klasse waren zwar "da", aber wie viel wirkliche Erziehungsarbeit leisteten die Eltern? Sie gaben den Rahmen vor, aber sonst? Damals: Ehe hatte zu halten, lebenslang, Scheidung ein Skandal schlechthin.
    Heute sieht das alles nicht nur etwas anders aus. Und wer mag entscheiden, welche Sicht besser ist/war/sein könnte?

    Zitat

    Original von Enchantress
    Vielleicht mag mir ja noch jemand sagen, womit der erste Abschnitt genau endet, damit ich nicht so versehentlich spoiler.


    Wenn ich es richtig notiert habe, hier die letzten Sätze des Abschnitts: "Die Gläser klirrten feierlich und Flora sagte: "Na dann, frohe Weihnachten". Es klang, als meinte sie es ehrlich."


    Hilft Dir das weiter?



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    Flora Sommer liebt also Weihnachten. Ach ja, eine schöne Zeit. Da hat er schon recht, der Henry, nicht nur Plätzchenduft etc. liegt in der Luft. Ich finde immer, man erwartet etwas. Man ist gespannt, gewissermaßen. Damit niemand erschrecken muss: Ich meine das nicht nur in Bezug auf den christlichen Glauben, sondern in jeder Beziehung. Ein Lächeln im Vorübergehen, die Freundlichkeit einer ziemlich gestressten Verkäuferin, ein Sonnenstrahl durchs graueste Grau der Wolken, ein ziemlich „schiefes“ „Am Weihnachtsbaum die Lichter...“ von der Parkbank, ein Plätzchenduft aus einem geöffneten Fenster – Geschenke nebenbei, in der Weihnachtszeit noch ergiebiger als sonst scheinen sie mir zu sein, unerwartet erwartet. Ach ja, die Weihnachtszeit …


    Ach verflixt, ich wollte doch etwas zum Buch sagen: Ein bisschen musste ich ja doch in mich hineingrinsen, Henry, John und James, was für ein Trio (Seite 7). John übersetzt, was an James manchmal so unverständlich ist und Henry gibt allem den letzten Schliff – das wär doch mal ein Buch! Vielleicht könnte Frau Sommer … Nein, nein, bin ja schon still ... aber zu Weihnachten darf man doch etwas wünschen …


    Flora und Felix, passt irgendwie. Mir gefallen die Namen, die Henry so umgeben, sagte ich das eigentlich schon mal? Abgesehen davon: Was Henry so sagt, entbehrt leider nicht der Wahrheit, z. B. Seite 20 unten. Je mehr man lernt, je mehr man weiß, desto weniger kann man noch staunen, kann man sich freuen über die kleinen alltäglichen Wunder. Wie Henry das so sagt – und ich meine nicht nur an dieser Stelle -, bringt es für mich einen leisen, etwas wehmütigen Ton in die Geschichte, und dieser Ton, so meine ich, steht einer Weihnachtsgeschichte gut zu Gesicht.


    Alle Welt schwärmt für „Drei Nüsse für Aschenbrödel“. Hm. Ich kann da nicht mitreden, ich habe den Film noch nie gesehen. Und Henry sagt komischerweise gar nicht viel dazu. Nur ein bisschen zum Inhalt, nur ein bisschen über das, was bei den beiden Freundinnen der Film auslöst.


    Und Felix kommt nicht. Derweil lernt man Mara kennen, Salim und Papa, äh … Martin. Und Mama, äh ... Claudine. Und Anhang. Meine Güte, was für eine Familie. Und wieder so ein Ton: Henry merkt, dass er keine Familie hat. Im Gegensatz zu den Menschen (Seite 66). Ach je. Aber Henry mit seinem Überschuss an Liebe, für eine Familie allein wäre das doch viel zu viel gewesen.


    Mir gefällt die Geschichte bisher gut. Und ich merke, dass ich sie ganz still genießen möchte. Nicht zerreden.

    Eine unbedingte Empfehlung von mir:
    Wenn du den Regen suchst, der kommt von oben von Yahia Belaskri, erschienen 2013 bei Kinzelbach.


    Ein Algerien wird geschildert, in dem die Hoffnung vieler nur ein winziges Flämmchen ist, das allzu leicht verlöscht.

    Über das Buch verrät die Rückseite des Buches:
    Das Buch zeichnet ein gallebitteres Porträt von Algerien, das in seinen Details in Europa so kaum bekannt ist. Korruption und Rückständigkeit scheinen allgegenwärtig und unausweichlich. Die Protagonisten trifft – trotz aller Bemühungen – alle ein tragisches Schicksal.
    Dieses Buch eröffnet einen Blick in ihre tristen Lebenswelten, gegen die sie tagtäglich ankämpfen. Wer Algerien verstehen will, kommt an diesem Buch einfach nicht vorbei.


    Über den Autor verrät nämliche Rückseite:
    Yahia Belaskri wurde in Algerien geboren (eine Jahresangabe ist nicht verzeichnet). Er studierte Soziologie, war verantwortlich für das Personalwesen in mehreren algerischen Unternehmen, wechselte dann zum Journalismus. In zahlreichen Artikeln, Essays und Kurzgeschichten thematisiert er die Geschichte von Algerien und Frankreich sowie die widersprüchliche Beziehung der beiden Länder zueinander.


    Die Übersetzung aus dem Französischen besorgte Ursula Günther.



    Meine Meinung:
    Gerade einmal 148 Seiten, der Druck ist großzügig und augenfreundlich. Ein Buch, das ich nicht gesucht habe, das mich dennoch fand und mich mit seiner angesichts der Dramatik der Handlung unprätentiös vorgetragenen Erzählweise mit einer Wucht traf, die mich nicht nur während des Lesens immer wieder tief Luft holen ließ und mehr als nachdenklich stimmte.


    Drei algerische Schicksale werden vor des Lesers Augen ausgebreitet: Déhia, Tochter aus gutem Haus, Universitätsprofessorin, Adel, ärmsten Verhältnissen entstammend, wiß- und lernbegierig arbeitet er sich aus seinen Verhältnissen heraus, Badil, sein Bruder, missbraucht, geschlagen und gedemütigt über Jahre, schreit nach dem Tod wie nach einer Mutter.
    Drei Schicksale, mit denen die der Angehörigen, der Geliebten und Freunde verwoben sind, tragisch auch ihr Geschick: Déhias Mutter und ihr Geliebter Salim werden brutal ermordet, Adels Verlobte stirbt bei einem Bombenattentat, bei dem auch er schwer verletzt wird, die Gruppe der Flüchtlinge, der Badil angehört, findet den Tod im eiskalten Wasser des Mittelmeers.


    Yahia Belaskris Erzählen hat mir besonders an zwei Stellen fast den Boden unter den Füßen weggezogen: Er stellt eine Liebesszene zwischen Déhia und Salim der grausamen Ermordung ihrer Mutter gegenüber, verwebt, verzahnt diese beiden Szenen, getrennt nur durch den kursiven Druck einer der Szenen. Diese Gegenüberstellung, die ja nur die Gleichzeitigkeit der Handlungen zeigt, habe ich dennoch als schwer erträglich empfunden: der Tötungsakt als pervertierter Liebesakt, aus Hingabe (das Wort Liebe möchte ich in diesem Zusammenhang nicht gebrauchen) an einen Fundamentalismus, der nichts anderes gelten lässt als die eigene Vorstellung von dem, was sein darf und nicht; daneben die Erotik des intimen Moments, den ich übrigens in seiner Schilderung nicht im Mindesten als pornografisch empfunden habe.
    Der zweite Moment, der mich sehr getroffen hat, betrifft Adels Überleben des Bombenattentats, das in seinem Fall (und nur in seinem Fall?) im Augenblick des Gewahrwerdens dessen, was er verlor, fragwürdige Glück des Davongekommenseins, die Schilderung dessen, was dieses Glück nun für ihn ist, der allein bleibt mit seinen „zerbrochenen … Träumen“, mit den „unauslöschlichen Wunden“ (Seite 91).


    Die Momente des Glücks sind rar gesät in dem Buch und für jeden, so erscheint es mir, gilt es zu bezahlen. Zwar scheinen Déhia und Salim dieses Glück in ihrer Ehe zu finden, aber die Möglichkeit des Vergessens haben sie letztlich nicht. Es findet sich immer wieder ein Riss im gedanklichen Mauerwerk, das sie um ihre Vergangenheit zu bauen versuchen, ein Riss, durch den das Unglück, das Leid sich in Erinnerung ruft.


    Yahia Belaskri erzählt von Algerien, der Gesellschaft, dem Kampf Einzelner gegen Korruption und Fundamentalismus, er erzählt von der Armut, von der Angst, vom Sterben der Hoffnung, vom Töten, vom Morden. Mir kam es vor, als wolle er mir klar machen, dass durch die Verhältnisse in seinem Land, wie er sie beschreibt, nicht nur die Zukunft keine Zukunft mehr habe, nicht nur Hoffnung auf Veränderungen zum Besseren, sondern auch Liebe, Respekt und Chancengleichheit kaum eine Chance haben.


    Ein Buch, ich wiederhole mich, das ich nicht gesucht habe. Es fand mich und das war Glück und es war Gewinn.


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    Der Inhalt:
    Sechs Gespräche einer Enkelin mit ihren Großeltern. Viel will sie wissen: über die Familie, über das Leben in zwei Diktaturen, über die Stellung der beiden bekannten resp. berühmten Schriftsteller zueinander und zu Freunden, ihr gesellschaftliches und politisches Engagement, über Erfolg und Anfeindungen, über Vertrauen und Verlorenes.


    Die Autorin:
    Jana Simon, geboren 1972, arbeitet als Journalistin und Autorin. Sie lebt in Berlin.


    Bezüglich der Gesprächspartner sei auf die Wikipedia-Links verwiesen:
    Christa Wolf Klick
    Gerhard Wolf Klick



    Meine Meinung:
    Gebundenes Buch mit Lesebändchen, insgesamt 281 Seiten, beinhaltend: Vorwort, sechs Gespräche aus August 1998, Juli 1999, März (zwei Gespräche) und Mai 2008 und Juli 2012, eine Familienübersicht, wichtige Daten und Veröffentlichungen von Christa und Gerhard Wolf, Anmerkungen und Danksagung.
    Um das Buch eine Banderole mit einem Foto der drei Gesprächspartner.


    Als 16-jährige, so berichtet Jana Simon in ihrem Vorwort, habe ihre Großmutter ihr ihre Bücher, immerhin elf Bücher, als Weihnachtsgabe geschenkt. Die Jugendliche hat dieses Geschenk nicht sonderlich zu schätzen gewusst, die Bücher verschwanden im Regal und, wie die Autorin sagt, dort blieben sie.
    Auf der Rückseite der oben erwähnten Banderole gibt es einen kleinen Gesprächsausschnitt; die Enkelin fragt die Großeltern, wie sie sich sehen würden. Als Antwort bekommt sie zu hören, sie könne es in einem Buch, hier „Er und ich“ nachlesen. Die Erwiderung der Enkelin ist vielsagend und sie beschreibt für mich, eine nach wie vor begeisterte Leserin von Christa Wolfs Büchern, das Problem dieses Buches: Immer müsse sie „alles nachlesen“. Sie wolle es „authentisch“. Was mir dazu in den Sinn kam, war, ganz grob gesprochen: hätte sie gelesen, hätte sie viele Fragen nicht stellen müssen. Authentisch, darauf weist Gerhard Wolf hin, „ist das, was wir schreiben“.


    Eine Enkelin befragt also ihre Großeltern, ein „Familienprojekt“ (Seite 11) ist geplant. Wie habt ihrs denn gehalten mit den Nazis, beispielsweise. Und wie mit den Kommunisten. Wie war denn das, als die Großeltern jung waren, als sie sich kennenlernten und ineinander verliebten, als das erste Kind sich ankündigte während des Studiums der beiden. Die Großeltern antworten, sich einander ergänzend, sich überaus selten ins Wort fallend oder sich berichtigend. Sie erzählen von Begeisterung und Anpassung (bei den Nazis), von Flucht, von Ernüchterung, von neuer Begeisterung (jetzt für den Sozialismus/Kommunismus), vom Wunsch, beim Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung mitzuwirken, von neuerlicher Ernüchterung, von Distanzierung, sie erzählen von Freunden und Kollegen, vom Lavieren in schwierigen politischen Gegebenheiten, vom Dableiben und nicht Fortwollen, vom Gebrauchtwerden und von Vereinnahmung, von Biermann und Günter de Bruyn, von Sarah Kirsch und Honecker, viele und vieles bekommen einen Raum, mal klein, mal ausführlich. Alles lässt sich nicht aufzählen. Einer fragt, einer antwortet, einer ergänzt vielleicht, weil es noch etwas zu sagen gibt. Gespräche eben. Über das Leben zweier, die alt geworden sind, über ihr Leben im geteilten und wiedervereinigten Deutschland.


    Gleichwohl würde ich die ersten beiden Gespräche (von 1998 und 1999) eher als Interviews bezeichnen. Mir erschienen sie fast distanziert, einige Antworten gerade von Christa Wolf sind bis ins Wörtliche hinein von mir schon gelesen worden, zumal in den Tagebuchbänden. Fairerweise muss man sagen, dass der erste Band „Ein Tag im Jahr“ erstmals 2003 erschien, dennoch erschien mir dieser Teil fast als Manko, irritierte mich.


    Die drei Gespräche von 2008 habe ich als „freier“ empfunden, eben als Gespräche. Ob es nun daran liegt, dass die Gesprächspartner zehn Jahre älter geworden sind, ob daran, dass Jana Simon deutlicher und mehr von sich und ihrem Leben in die Gespräche einbringt, sei dahingestellt, sie erschienen mir in jedem Fall lebendiger, nicht mehr so „buchbezogen“ resp. „textbezogen“ von Seiten Christa Wolfs, es ist nicht nur ein Frage- und Antwort-Spiel, sondern ein Geben und Nehmen. Beispielsweise wenn es um die politische oder eher unpolitische Haltung der jüngeren Generation, repräsentiert durch Jana Simon, geht. Die „Kritik“, die Fragen diesbezüglich der Großeltern erscheinen mir sanft, aber dennoch wird deutlich, wie groß für sie der Unterschied der Generationen ist, wie sehr sie sich um Verständnis bemühen müssen.


    Das letzte Gespräch von 2012 findet zwischen Großvater und Enkelin statt; mir erschien es fast als das persönlichste, vielleicht, weil es die verstorbene Großmutter zum großen Teil zum Gegenstand hat. Es weht Trauer durch diesen letzten Teil, Abschiedsstimmung.


    „Sei dennoch unverzagt“ habe ich, trotz der Bedenken die ersten beide Gespräche betreffend, nicht ungern gelesen. Es war für mich zum großen Teil wie ein „Wiedersehen“, ein interessierter abermaliger Blick auf das Leben zweier Menschen, die ich, trotz zum Teil gegenteiliger politischer Ansichten nicht nur als Autoren schätze. En detail war auch das eine oder andere Neue zu erfahren. Das Berührendste an dem Buch ist für mich die aus den Worten des Ehepaars Wolf sprechende Nähe der beiden, der große Respekt und die Wertschätzung, die sie füreinander empfinden resp. empfanden. Und trotzdem meinte ich auch immer eine gewisse Distanz wahrzunehmen, nicht zueinander, sondern zu dem jeweils Dritten, eine Distanz, die vielleicht das Leben mit seinen Enttäuschungen, seinen Verletzungen und der Frage, auf wen und was Verlass ist, gefördert, geprägt hat.


    Eine Empfehlung sei das Buch: Wenn man die Tagebuchbände nicht gelesen hat, „Kindheitsmuster“ auch nicht oder anderen die Romane, die Essay-Bände, die Reden, schon gar nicht die bewundernswerte Biografie von Jörg Magenau über Christa Wolf, oder sie auch nicht lesen will, dann wird man dieses Interview-Buch mit Gewinn lesen, man erfährt viel über Christa und Gerd Wolf, ihr Leben in der DDR, ihre Ansichten, seien sie politischer, gesellschaftlicher oder kultureller Art.


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    Edit möchte noch anfügen, dass ich ein Namensregister als Bereicherung empfunden hätte.


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    Die Stimmungslage nach dem 2. Weltkrieg in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, der Wiederaufbau, aber auch die Sprachlosigkeit innerhalb der Familien und der Gesellschaft über das, was geschah in der Zeit des Nationalsozialismus und der Flucht, habe ich als gut eingefangen empfunden. Ein Monolog von einem, der von sich sagt, sagen muss: „Ich war nur das, was sie nicht hatte“ (Seite 140), der, so kam es mir vor, mit sich selbst reden muss, weil es andere nicht oder kaum tun, der sich vergewissern muss mit seiner über 174 Seiten andauernden Wortflut, dass er ist, wer er ist mit all seinen Verletzungen, seinem Zurückgestoßensein, er, der weder Objekt noch Subjekt irgendeiner Sehnsucht ist. „... es gab keinen Frieden“ heißt es an einer Stelle (Seite 45 der Taschenbuchausgabe) in Bezug auf den Vater, es gilt für die ganze Familie. Die Suche nach etwas Verlorenem, der letztlich mangelnde Halt an- und untereinander, das Festhalten der Elterngeneration an einigen beschriebenen fragwürdigen Werten und Vorstellungen wirken einerseits bedrückend, andererseits durch durchschimmernde Naivität und auch Distanziertheit des – jugendlichen – Erzählenden hin und wieder fast tragikomisch.
    „Der Verlorene“ war mein erstes Buch von Hans-Ulrich Treichel. Mir hat es gut gefallen.

    Danke für eure Meinungen, ich bin mir trotzdem unsicher. In den Tiefen des Internets fand ich eine Sendung, in der Martin Walser mit Thea Dorn sprach (bzw. umgekehrt); das Gespräch war nicht allerdings nicht sehr geeignet, meine Neugier auf das Buch zu wecken.
    Gesagt wurde auch, Martin Walser sei der wichtigste deutsche Schriftsteller ohne Nobelpreis - sinngemäß -; würdet ihr dem zustimmen?

    Zitat

    Original von Salonlöwin
    Hierzu wünsche ich mir eine Rezension, auch wenn die Meinungen beim Buchhandelsriesen nicht überragend ausfallen.


    Das Buch lese ich gerade. Zwei Interviewtermine habe ich beendet und bin ziemlich irritiert. Wenn man sich ein solches Buch zulegt, wünscht man sich doch eigentlich Neues zu erfahren, gerade bei einer Schriftstellerin, die man schätzt und von der man alles liest, was man in die Finger bekommt, auch wenn man ihre politische Haltung nicht immer nachvollziehen kann. Bis jetzt bin ich auf nicht viel gestoßen, was mir neu war, genauer gesagt, auf nichts neues ... aber ich gebe die Hoffnung nicht auf und suche weiter, bis zur letzten Seite. :-)

    Boris Pasternak; Doktor Schiwago; 1; Leserunde
    Valentin Katajew; Meine Diamantenkrone; 3
    Bernd Schroeder; Mutter & Sohn; 2
    Christa Wolf; Störfall; 2,3
    Lydia Tschukowskaja; Ein leeres Haus; 1; Monatshighlight
    Serge Schmemann; Ein Dorf in Rußland; 2
    Leo Tolstoi; Erzählungen; 1; darin: Der Tod des Iwan Iljitsch; Mini-Leserunde
    Cecilia von Studnitz; Mit Tränen löscht du das Feuer nicht – Maxim Gorki und sein Leben; 2

    Zitat

    Original von Voltaire
    Irgendwie kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass heutzutage Romane mit einer derartigen Intensität nicht mehr geschrieben werden – aber ich kann mich natürlich auch irren.


    Natürlich kann man nicht alles lesen, aber ich befürchte fast, Du täuscht Dich nicht.


    Zitat


    Thomas Hardy hat das was sehr vielen unserer zeitgenössischen Autorinnen und Autoren fehlt: Er kann erzählen.


    :write
    Manchmal kommt es mir so vor, als hätten die Damen und Herren Schriftsteller damals sich schlicht mehr Zeit genommen, sie hatten - mangels Ablenkung durch unsere modernen Medien - auch einen anderen, vielleicht in manchem genaueren Blick auf die Dinge.

    Entschuldigung, ich komme erst heute dazu, eine Antwort zu geben; war ein paar Tage sozusagen verhindert.



    Zitat

    Original von Clare
    Wie hat euch eigentlich Schiwagos (also Pasternaks) Lyrik am Ende des Buches gefallen?


    Gut bis sehr gut. Mein "Liebling" ist nach wie vor "Hamlet".


    Zitat

    Ich muss zugeben, dass ich mit den Gedichten nicht allzu viel anfangen konnte, wobei ich nicht weiß, ob es an der Übersetzung liegt oder an seinem Stil oder einfach daran, dass Revolutionsgedichte nicht meins sind.


    Aber sind es denn "nur" Revolutionsgedichte? Ich habe sie mehr als Lebensgedichte des Jurij Schiwago gelesen.