Mir war zwar, es würde noch einen anderen Thread zu diesem Thema geben, aber da ich ihn nicht wiederfinde, hier ein Hinweis:
Von Zeit zu Zeit les ich „die horen“ gern und hüte mich, sie abzutun. So manches kluge Wort ist da zu lesen. Und die Ausgabe 253 bietet für mich Aufregendes, heißt sie doch „Wiederentdeckungen“. Es geht um vergessene Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Die Beitragenden (je ein Kulturschaffender widmet sich einem Vergessenen) tragen wohlklingende Namen, es sind unter anderem dabei Kathrin Schmidt, Josef Haslinger, Lutz Graner, Wilhelm von Sternburg, Ruth Klüger und Clemens Meyer.
Da ja nun, wie wir alle wissen, alle Theorie grau ist, liste ich neben den besprochenen Vergessenen auch meine eigenen Erfahrungen bzw. gestehe meine Unwissenheit (und vielleicht, so meine Hoffnung, kann man neugierig machen, aufs Heft und auf die Vergessenen):
Immanuel Weißglas – aber der dürfte uns doch nicht unbekannt sein, da weiß man doch, wer das ist: Der, der das Wort prägte vom „deutschen Meister“, dem „Tod“. Doch, doch, das ist auch von Celan, aber Weißglas war früher diesem Mysterium auf der Spur, erheblich früher …
Hermann Ungar - „Die Klasse“ kenne ich, die eine oder andere in Anthologien verzeichnete Erzählung wohl auch. Hat er mich denn gar nicht gereizt, ihm treu zu bleiben? Zu viel anderes kam wohl in den Blick.
Leo Perutz – Er steht immer noch im Regal, aber ihn zu lesen verlangt von mir vor allen Dingen eines: Ruhe. Weil er uns zu genau kennt, und weil er zu genau beschreibt, was wir von uns selber gar nicht wissen wollen.
Ernst Weiß – Kenn ich, lieb ich (besonders den Band „Die Kunst des Erzählens“), geb ich nicht mehr her.
Peter Hille – Außer verstreuten Gedichten mir bedauerlicherweise unbekannt.
Hermann Harry Schmitz – Mir gänzlich unbekannt.
Franz Blei – Sein „Bestiarium literaricum“ ist ein Kabinettstück für sich, ein Band mit Essays findet sich im Regal. Er ist bemerkenswert klar im Ausdruck, er hat einen überaus scharfen Blick.
Ludwig Hohl – Ach je. Ach ja. Ihn habe ich gelesen, weil ich ihn verwechselt habe. Mit Hohler. Schlimm, Schande über mich. Offensichtlich hat es mich nicht so beeindruckt, dass mich nach mehr von ihm verlangte.
Oskar Loerke – Er hat Gedichte geschrieben, die mich nicht verlassen habe, seit ich sie gelesen habe. Wer weiß, was „jeder Baum“ ist, nämlich „Gott im Schlummer“, dem ist meine Zuneigung gewiss. Man hat gemeint, seine Gedichten in die Schublade „Naturlyrik“ schieben zu müssen, mir erscheint das eher fragwürdig.
Ina Seidel – Ach Ina, wie konntest du nur? Musstest du dich so andienern bei den Nazis, bei Hitler? Dabei hattest du doch Anderes, Besseres zu sagen. Dass du als Kind deiner Zeit andere Themen in den Fokus rücktest wie wir, ist ja klar. Aber erzählen konntest du.
Paul Zech – Tut mir leid, Fehlanzeige. Den Namen las man schon, allein, das wars. Aber Thomas Kunst hat dermaßen für ihn geworben, dass ich mir Kenntnis über ihn erwerben werde.
Bruno Frank – Für ihn gilt, was ich zu Ernst Weiß sagte. Was aber nicht bedeutet, dass man die beiden vergleichen und in eine Linie stellen könnte. Weit gefehlt! Frank ist ein eleganter Parlierer, ihn zu lesen tut nicht so weh wie manchmal Weiß, aber es geht über den bloßen Begriff „Unterhaltungsliteratur“ doch wohl hinaus. Wer kennt nicht „Sturm im Wasserglas“ - das ist nämlich auch von ihm.
Theodor Kramer – Trost muss her: Man kann nicht alles kennen.
Adrienne Thomas – Da reicht ein Titel „Die Katrin wird Soldat“ - man lese das Buch nur einmal im Kontext zu Remarques „Im Westen nichts Neues“. „Reisen Sie ab, Mademoiselle“ ist ein weiterer ihrer Romane, ich kenne nur diese beiden, beide haben mit Krieg, mit Leid, mit Gewalt, mit Grausamkeit und Grauen zu tun. Wer „Der Rauch über Birkenau“ von Liana Millu schätzt, sollte „Reisen Sie ab, Mademoiselle“ sich nicht entgehen lassen.
Louis Fürnberg – Ja … ach ja … „die Partei“ … Sein Fehler war, dass die Zeilen sich allzu genau auf eine Partei festlegen ließen. Die man nicht überall mochte, der man das beanspruchte Recht, Recht zu haben, nicht überall zubilligen mochte. Weitere Ausführungen verbieten sich an dieser Stelle. Jedenfalls: Von ihm habe ich nicht viel, nur zwei Bände Briefe und ein Buch über ihn, von Gerhard Wolf, das zählt vielleicht auch, weil er ihn zitiert, mehr als hin und wieder.
Günther Weisenborn – Ja, ich meine: Nein. Will ich ihn kennenlernen? Ich weiß doch nicht.
Manfred Streubel – Kenn ich nicht. Was natürlich nicht stimmt. Den Namen verband ich nicht mit dem „Fragment Bonhoeffer“ und auch nicht mit der „Stagnation“. Wo hab ich ihn gelesen? Ich weiß nicht mehr. Aber ich weiß, dass ich mehr von ihm lesen will. Unbedingt.
Karl Mickel – Jemand erzählte mir von ihm, vor Jahren muss das gewesen sein. Aber sonst? Der Name tauchte irgendwo auf, wo mag das gewesen sein? In einer Biografie? Erinnerungen? Briefwechsel?
Harald Gerlach – Einer, so sagt Wulf Kirsten, der Thüringen brauchte, Thüringen dichtete, Thüringen erwanderte usw. Einer, der Vorbilder hatte namens Bobrowski und Babel. Einer, den ich noch entdecken muss.
Ralf-Günter Krolkiewicz – Ein Unterdrückter in der DDR, hab ich ihn denn jemals wahrgenommen, als er abgeschoben wurde? Bei der Büchergilde Gutenberg ist ein Band von ihm erschienen, sagt der Beitrag von Joachim Walther. Hab ich es bemerkt? Würd ich fragen, wenn ich hätte?
Matthias BAADER Holst – Der Name steht da wirklich so. Mehr als der Beitrag von Peter Wawerzinek berichtet, weiß ich nicht.
Reinhard Lettau - „Schwierigkeiten beim Häuserbauen“ steht im Fach, sein lakonisches, aber nicht unwitziges (oder muss man sagen: nicht unkomisches?) Erzählen hatte mir gefallen.
Hubert Fichte – Ein Leseversuch in der letzten Schulklasse. Wir passten nicht zusammen und was Clemens Meyer erzählt, lässt mich vermuten, dass wir auch heute nicht zusammen passen.
Thomas Valentin – Ist mir unbekannt.
Ein schöner Band ist das, die Beiträge sind allesamt lesenswert, manchmal von Humor, manchmal von einem Hauch Bitterkeit umwoben, immer aber, das spürt und liest man, spricht da jemand, der weiß, wovon er spricht.
Beim Betrachten der Regalwände fielen mir einige Namen auf, die vielleicht auch hätten vertreten sein können: Albrecht Goes zum Beispiel, und gibt es noch Leser für Ernst Barlach oder Sigrid Undset?