Meine Meinung:
Stell dir vor, du würdest jedesmal, wenn du jemandem in die Augen blickst, das entsprechende Todesdatum sehen. Kannst du dir das vorstellen? Und ist allein die Vorstellung nicht schrecklich? Genau das ist Gabe und Fluch der 15-jährigen Ich-Erzählerin Jem.
Teilweise hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass Jem vor mir sitzt und mir ihre Geschichte erzählt, so authentisch ist das, was sie sagt. Jem, die nach dem frühen Tod ihrer drogensüchtigen Mutter von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gehen muss und anfangs wütend, verbittert und isoliert scheint. Jem, eine der durchgängig vielschichtigen und faszinierenden Figuren aus „Numbers“.
Der Leser wird oftmals direkt angesprochen und damit von der ersten Seiten an in die Geschichte hineingezogen. Und genau von da an konnte ich mich kaum mehr von den Seiten lösen, so fesselnd ist „Numbers“.
„Numbers“ ist eine wunderbare Mischung vieler Elemente, ohne je zu viel sein zu wollen.
Da ist die bittersüße Liebe zu Spinne, der es als Erster schafft, Jem’s Panzer zu durchdringen.
Da sind philosophische Ansätze wie die Frage, ob unser Leben vom ersten Moment an vorherbestimmt ist, ganz gleich, was wir tuen.
Und da ist natürlich die atemberaubende, spannende Flucht von Spinne und Jem durch England.
Der Inhalt ist schonungslos, ehrlich und unkonventionell. In „Numbers“ dominieren kurze, prägnante Sätze. Auch die Kapitel sind relativ kurz und enden immer mit einem kleinen Cliffhanger, was es nicht zuletzt unmöglich macht, das Buch auch nur kurz aus der Hand zu legen. Die Sprache ist eine schnörkellose, flapsig ironische Jugendsprache, die sich überwiegend durch das Verschlucken von Silben und Schimpfwörter auszeichnet. Dies passt zwar ohne Frage zur Geschichte, hat mich aber gegen Ende etwas angestrengt. Das bleibt, zusammen mit kleineren, nicht weiter erwähnenswerten Logikfehlern allerdings mein einziger Minuspunkt.
Denn Jem benennt das, was man selbst eigentlich gar nicht wahrhaben will. So wird vor allem die Endlichkeit des Lebens oft thematisiert. „Numbers“ hat mich genau aus diesem Grund zum Nachdenken über das Leben angeregt und bereichert.
Rachel Ward’s Stärke ist weniger das Beschreiben von Landschaften und Leuten als vielmehr die Beschreibung von Gefühlen und die Vermittlung von Stimmungen. Die Atmosphäre ist während des ganzen Buches so dicht und fast greifbar, dass ich meinte, das Geschehen direkt mitzuerleben. Ich habe dadurch alle möglichen Gefühle durchlebt – von schmerzlichen Phasen bis hin zu kurzen Momenten des Glücks und der Erkenntnis.
Und dann…das Ende. Ich habe mich lange gefragt, wie diese komplexe, fantastische Geschichte ein würdiges Ende finden soll. Ich wage zu behaupten , dass das Ende alle meine Erwartungen nochmals übertroffen hat. Es hat mich sehr tief getroffen und insbesondere der letzte, Gänsehaut hervorrufende Satz sorgt mit Sicherheit dafür, dass „Numbers“ noch lange nachwirken wird.
Fazit:
Eine fesselnde, interessante und berührend schöne Geschichte, die mich zum Nachdenken und Handeln angeregt und „beschenkt“ hat. Zusammen mit einer riesengroßen Leseempfehlung vergebe ich 9 von 10 Eulenpunkten.