Beiträge von Bartlebooth

    Zitat

    Original von Elbereth


    :gruebel


    Nachtrag: Das versteh ich ja erst jetzt. Naja, was soll ich sagen? Wenn dieses Buch nicht amüsant an die Thematik rangeht, welches dann? Ich erinnere etwa an den Abschnitt über Fritz Bley, von dem irgendwie niemand so richtig weiß, warum er auf den Scheiterhaufen muss, da er in so lächerlicher Weise stram nationalistisch ist, dass einem davon übel werden kann. Oder an die wirklich launige Darstellung des Stalin-Interviewers Emil Ludwig. Die Liste könnte ich ziemlich verlängern.


    Herzlich: Bartlebooth.

    Zitat

    Original von Elbereth


    interessant, von wem?


    Zuerst Hubert Winkels, doch daraus entspann sich eine Debatte quer durch die deutschen Feuilletons. Schau mal zB [URL=http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,410432,00.html]hier[/URL].


    Zitat

    Original von Elbereth


    Dann verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht, warum du genau das hier als Kritikpunkt nennst :gruebel


    Ganz einfach, weil dieser Kritikpunkt nicht von der Hand zu weisen ist und wenig überraschend auch angeführt wird, zB im aktuellen Heft der Buchkultur.


    Ich hatte an das Buch eben nicht diese Erwartung, daher fälltmein Urteil ja auch positiv aus.
    Aber das hindert mich ja nicht daran andere Standpunkte und Kritikpunkte nachvollziehen zu können.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Volker Weidermann, Feuilletonchef der FAS, hat vor ein paar Jahren schon einmal so ein Buch wie dieses geschrieben, nur dass jenes sich eine bestimmte Zeitspanne vorgenommen hatte, nämlich das literarische Nachkriegsdeutschland. Ich habe die "Lichtjahre" nie gelesen, war aber wenig erstaunt, dass es genauso angefeindet wurde wie das "Buch der verbrannten Bücher".


    In seinem neuesten Buch geht es um die 131 Autoren umfassende Liste des Bibliothekars Wolfgang Herrmann, die als Vorlage für die großen Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 diente. Punkt um Punkt arbeitet Weidermann diese Liste ab, stellt die Autor/innen kurz vor, geht auf die verbrannten Werke - Autor/innen gerieten nur zu einem Teil mit ihrem Gesamtwerk auf die Liste der zu vernichtenden Bücher - und den weiteren Werdegang der so Verfemten.
    Ein interessanter und informativer Ansatz, wie ich finde, der außerdem im Idealfall von einem Feuilletonisten verfolgt werden muss. Vom Forschungsstandpunkt aus gesehen, dh als Fachbuch, taugt "Das Buch der verbrannten Bücher" nichts. Weidermann hat sicherlich die meisten der Bücher, die er behandelt, wenigstens angelesen, aber eine wissenschaftliche Leistung erbringt er hier nicht. Das will er meines Erachtens aber auch gar nicht. Vielmehr dient das Buch dazu, der interessierten Leserschaft diese vergessenen Schriftsteller/innen mit ihren guten und ihren schlechten Leistungen ins Gedächtnis zu rufen. Weidermann will neugierig machen und wählt hierfür den Weg des Feuilletons und der Anekdote, also einen Weg, den er gut kennt. Ein Feuilleton ist so gut wie sein Thema, dieses Thema ist breit angelegt und natürlich bietet nicht jeder einzelne der verbrannten Dichter genügend Stoff, um sich in amüsanter Weise mit ihm auseinanderzusetzen. Doch an den besten Stellen, dh bei den Kuriositäten dieser Sammlung, an denen es keinen Mangel gibt, ist das Buch genau das, was es sein will: unterhaltsam und feuilletonistisch informativ. Man kann sich auf die, wahrscheinlich aus Standardwerken zusammenkompilierten, Daten verlassen, der Mehrwert besteht in den Urteilen des Zeitungsmenschen, in den Empfehlungen und den Anekdoten, die er zum Besten gibt.


    Das ist alles eine genial einfache Idee, die so sehr auch noch nicht beackert ist. Die kurzen Abschnitte, die man gern auch nicht chronologisch lesen kann, sind kleinen Appetithappen für zwischendurch, die im besten Fall Appetit auf mehr machen. Sicherlich wäre es zu diesem Zweck auch ganz gut gewesen, nicht nur eine Liste von primär-, sondern auch von Sekundärliteratur ans Ende des Buches zu stellen. Aber wahrscheinlich ging Weidermanns Forscherdrang nicht einmal dafür weit genug, um hier etwas einigermaßen Brauchbares zusammenstellen zu können.


    Was mir eigentlich am meisten fehlte, waren Erklärungsversuche für die so unglaublich heterogene Zusammenstellung der Liste, die vom völkischen Jagddichter bis zum Lieblingsfeind der Nazis Remarque, alles nur Denkbare umfasst; und in dieser Undifferenziertheit eine Trouvaille für sich ist. Hier hätte ich mir dann doch ein bisschen mehr Forschergeist von Herrn Weidermann gewünscht. Aber das kann nun ein anderer erledigen, der vielleicht durch dieses Büchlein überhaupt darauf aufmerksam geworden ist, wie kurios die Liste Wolfgang herrmanns war. Er oder sie können mir vielleicht auch irgendwann erklären, welchen Stellenwert diese Liste in der Kulturpolitik der Nazis hatte. War sie einfach schnell zur Hand, da man etwas brauchte oder folgt sie tatsächlich irgendwelchen undurchschaubaren Regeln?


    Alles in allem dennoch ein gelungenes Buch, über das man eigentlich nur schimpfen darf, wenn man in der Lage ist zu zeigen, dass es genügend fundiertere Bücher zur gleichen Thematik gibt. Mir fällt keines ein.

    Hallo holly,


    mich wundert, dass er es dir nach zwei Dritteln zurückgebracht hat und nicht schon nach den ersten hundert Seiten. Der Einstieg ist nämlich tatsächlich etwas spröde, denn die Geschichte beginnt nicht sofort, der Tod referiert sehr lang über seine Tätigkeit und die Zeit, in die die kleinen Liesel geraten ist. Außerdem bleibt er ein sehr präsenter Erzähler, so dass hier auch formal größere Ansprüche gestellt werden als bei einem herkömmlichen Jugendbuch.
    Für mein Empfinden hatte das Buch außerdemin der zweiten Hälfte ein paar kleinere Hänger. Wir haben die Konstellation begriffen und wünschen uns nun, dass die Handlung weitergeht. Markus Zusak beharrt jedoch darauf, den Alltag der Figuren noch ein wenig zu beobachten, ohne größere Knalleffekte. Im Nachhinein betrachtet ist das eine Stärke des Buches, das ja nicht zuletzt einen Alltag in unwirtlicher Umgebung beschreibt und die Möglichkeit, auch im Angesicht eines Juden im Keller so etwas wie unbeschwerte Kindheit zu erfahren. Bei Licht betrachtet braucht das Buch also diese etwas ruhigere Passage.
    Das Ende ist allerdings ein wirklilches Highlight, sehr emotional ohne rührselig zu sein. Ich weiß nicht, ob das Buch der Rührseligkeit so gut entgehen könnte, wenn die Alltagsschilderungen im Vorfeld nicht wären.


    Herzlich, Bartlebooth

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    Original von Sabine_D
    Vielleicht liegt es daran, dass der Stoff gut für einen Krimi herhalten könnte?
    Aber nichts für ungut, wer keinen Krimi erwartet ist sicherlich mit diesem Buch gut bedient.


    Diese Erklärung überzeugt mich aus dem einfachen Grund nicht, dass zwar viele Krimis aus diesem Stoff gestrickt sind, dass aber der Klappentext (für mich überflüssigerweise) genau diesen Stoff doch verschweigt. Das heißt wegen des Stoffes kann man dieses Buch eigentlich nicht mit der Thriller-Erwartung zu lesen beginnen,


    meint Bartlebooth.

    Hallo Sabine,


    da bist du ja offenbar nicht die einzige. Ich frage mich einfach nur, wodurch diese Erwartung erzeugt wird? Durch den Klappentext? Ich bin zB nie auf die Idee gekommen, dass es sich hier um Spannungsliteratur handeln könnte und nach den ersten 50 Seiten wurde ich darin bestätigt.


    Vielleicht erzeugt ja dieses riesige Missverständnis um das "Geheimnis", das man nicht lüften darf, die vielen Enttäuschungen.


    Herzlich: Bartlebooth.

    Zitat

    Original von Sabine_D


    Diese Antwort ist mir entgangen.


    Das ist nicht zwangsläufig dem Text anzulasten;-).


    Zitat

    Original von Sabine_D
    Und mit Halbwissen meine ich, dass viele Dinge (z. B. welche Organe und warum die 4. SPende so übel ist) nicht ausgesprochen werden.


    Ich dachte, das sei ein Spoiler? Also versteck ich's mal:


    :gruebel


    Herzlich, Bartlebooth.

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    Original von Sabine_D
    Vielleicht bin ich auch mit falschen Voraussetzungen an das Buch heran gegangen. Mir fehlten evtl. die Krimi-Elemente hier.


    Ich wundere mich schon seit geraumer Zeit ziemlich, dass dieses Buch versucht wird als Spannungsliteratur zu lesen. Ich bin daher auch etwas befremdet über den Tadel an den amazon-Rezensenten, sie würden einem den Spaß vermiesen, weil sie verrieten, worum es in dem Buch geht. Ich habe nach 50 Seiten eine ziemlich konkrete Vorstellung davon gehabt, worum es sich hier dreht, und die wurde nach 100 Seiten durch die Hauptfigur bestätigt. Da sind aber noch 250 Seiten Buch übrig. Das lässt darauf schließen, dass es um das "große Geheimnis" nicht gehen kann.
    Ich verstehe auch nicht, inwieweit aus diesem Text ein Krimi hätte werden können. Das ist eine ziemlich bizarre Herangehensweise an das Buch und alle, die nur Krimis lesen wollen und in Literatur nur Spannung und Überraschung suchen, seien eindringlichst gewarnt: Finger weg!


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    Original von Sabine_D
    Selbst wenn ich das Buch von der Handlung her als solches nehme wie es war, vermisse ich doch etliche tiefer gehende Details. Hier stört mich das Halbwissen immens. Diese Andeutungen ohne in die Erklärung zu gehen.


    Was denn für ein Halbwissen? Geschildert wird aus der Innensicht einer Betroffenen und wenn die nicht in gewisser Weise eingefärbt wäre, dann würde der ganze Plot nicht mehr funktionieren. Es geht hier nämlich nicht um das "Geheimnis", sondern darum, wie sich Menschen in eine Situation fügen, die doch auf den ersten Blick geradezu zur Revolte einlädt. Warum kommt es dazu nicht? Das Buch gibt die Antwort.


    Herzlich Bartlebooth.

    Professor Katsumi hat eine Maschine erfunden, mit deren Hilfe er die Zukunft voraussagen kann. Wir befinden uns in der Zeit des Kalten Krieges und die Maschine Katsumis soll nun dem technologischen Vorsprung der Sowjets, die eine entsprechende Maschine bereits vorgelegt haben, Paroli bieten. Doch das ist gar nicht so einfach, denn die die Politik wünscht sich alles, nur keine politisierten Voraussagen. Daher verfallen Katsumi und sein Assistent Tanomogi mit Hilfe der Maschine auf die Idee, etwas ganz Privates vorauszusagen. Ein Objekt ist schließlich auch schnell gefunden: In einem Cafe treffen Katsumi und Tanomogi auf einen Mann, der vor einem zerschmolzenen Eisbecher sitzt. Er scheint Ihnen ein geeignetes Objekt für die Voraussage zu sein und so folgen sie ihm nach Hause. Der Schock ist groß, als sie am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren, dass genau dieser Mann ermordet wurde. Einige Augenzeugen sollen sogar zwei verdächtige Männer gesehen haben, die dem Mann gefolgt sind. Die Wissenschaftler bieten also der Polizei ihre Hilfe an und entlocken der noch warmen Leiche mit Hilfe der Maschine eine unglaubliche Geschichte. Musste der Mann sterben, weil er zu viel über ein Genlabor wusste, das abgetriebene Föten aufkauft, um aus ihnen die Menschen der Zukunft zu züchten? Und wie gefährdet sind sie selber bereits?


    Kobo Abe ist einer der wichtigsten Nachkriegsschriftsteller Japans, der beeinflusst von europäischen literarischen und philosophischen Strömungen wie dem Surrealismus und dem Existentialismus sowie ausgestattet mit einer interessanten Biographie, die ihn früh mit den politischen und gesellschaftlichen Problematiken des 20. Jahrhunderts konfrontierten (er wuchs in der von Japan besetzten Mandschurei auf), ein leider auf deutsch nur noch antiquarisch erhältliches Werk vorlegte.


    „Die vierte Zwischeneiszeit“ ist ein früher Roman Kobo Abes, in dem er auf trickreiche Weise den schon damals offenbar spürbaren Klimawandel und die aufkommende Gentechnik miteinander in Verbindung setzt. Herausgekommen ist ein Science Fiction-Verwirrspiel, in dem immer weniger klar ist, worum es eigentlich geht und wie die einzelnen Stränge – die Voraussage-Maschine, der Kriminalfall, das von einer Geheimgesellschaft unterhaltene Genlabor – miteinander zusammenhängen. Abe gelingt eine überzeugende Auflösung, seine Zukunftsvision gerät zu einer interessanten Utopie – dem Genre, dem sich gute SF-Romane meiner Meinung nach meistens annähern. Abe diskutiert vor dem Hintergrund seiner Zeit das Recht des Menschen, in die Schöpfung einzugreifen und über das Recht, technologische Entwicklungen auch im Geheimen voranzutreiben, wenn sie zum Wohle der Gesamtheit sind. Was das „Wohl der Gesamtheit“ aber ist, das wird bei Abe schnell klar, ist nicht leicht zu ermitteln. Die Gespräche zwischen Katsumi und den Mitgliedern der Geheimgesellschaft erlauben eine sehr differenzierte Betrachtung des Problems und die anfangs etwas überfrachtet wirkende Verschränkung der Themen, erweist sich für diese Betrachtungen am Ende als großer Glücksfall. Denn auf diese Weise legt Abe den Akzent seines Romans auf die Frage, welchen Stellenwert welche Beweggründe für das persönliche Handeln haben bzw. haben sollten. Rechtfertigt eine unausweichliche Zukunft die Ergreifung drastischer Maßnahmen, um die Menschheit zu retten, auch wenn diese Maßnahmen dem vorherrschenden Moralkodex diametral zuwiderlaufen? Fragen wie dieser weicht Abe an keiner Stelle aus und ihm gelingt so ein wirklich lesenswertes philosophisches Zukunftsszenario, das den Vergleich mit den Größen des Genres nicht scheuen muss.


    *

    Erst einmal das Positive, auch wenn es nicht viel ist: Thomas Glavinic ist ein wirklich geschmeidig schreibender Autor, die 400 Seiten lesen sich flüssig wie Weniges.


    Aber was soll das für ein Buch sein? Jonas wacht auf und ist allein, fährt durch die Welt und ist nach und nach mit sehr eigenartigen Vorkommnissen konfrontiert. Als er beginnt sich nachts zu filmen, stellt er fest, dass er nicht schläft, sondern in der Nacht rätselhafte Dinge vollbringt, an die er sich im Wachzustand nicht erinnern kann. Alles scheint auf etwas hinzuweisen und Jonas scheint die Hinweise zu sammeln, und vielleicht erfährt er ja so, warum er plötzlich ganz allein auf der Welt ist?



    Um existenzphilosophisch zu sein, ist das Buch zu platt, die paar aufgeblasenen kleinen Überlegungen à la "Passiert etwas wirklich, wenn keiner es sieht?" sind so alte philosophische Hüte, dass man sie schon ein bisschen origineller anpacken muss, um mit seinem Text in die philosophische Ecke zu rutschen.


    Wie ein Mensch auf komplette Einsamkeit reagiert, zeigt dieses Buch sicherlich nicht. Die Situation ist außerordentlich speziell und die Handlung wird sehr schnell auf das Handeln des "Schläfers" ausgerichtet.


    Was für eine schönschreiberische Hochstapelei! Ich habe mich lang nicht mehr so über ein Buch geärgert. Bisher der größte Flop dieses Jahres.

    Hallo Anton,


    nein, ihr Stil ist gerade nicht ähnlich. Es ist vielmehr die Vorliebe für skurrile Familiengeschichten über mehrere Generationen hinweg, die mich an Irving erinnert hat. Mit dem beschriebenen Unterschied, dass Christensen literarisch deutlich anspruchsvoller und geschickter und weniger reißerisch vorgeht.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Am 8. Mai 1945 wird Vera Jepsen in Oslo Opfer einer Vergewaltigung und dabei schwanger. Weil sie nach dem Zwischenfall in eine 8-monatige Stummheit verfällt, merkt das zunächst niemand und als es Mutter und Großmutter bemerken ist es zu spät für eine Abtreibung. So wird Fred geboren. Einige Jahre später fährt ein kleiner dicker Mann mit einem Buick vor und macht Vera den Hof. Er bringt sie zum Lachen und so heiraten Vera Jepsen und Arnold Nilsen kurze Zeit später. Frucht dieser Verbindung ist Barnum Nilsen, der ähnlich klein ist wie sein Vater (über 1,51 kommt her nicht hinaus) und unter dieser Tatsache und seinem gleichzeitigen engelhaften Aussehen (er ist ein kleiner blondgelockter Knabe) leidet.
    Fred und Barnum sind ein ungleiches Brüderpaar. Während Barnum von den Frauen geliebt und von den Jungs in seiner Klasse gehänselt wird, ist Fred ein zugeknöpfter Mensch, der wegen seiner Legasthenie viele Probleme in der Schule hat, wegen seiner düsteren und morbiden Art allerdings von allen gefürchtet, selbst von den Schlägern geachtet wird.
    Erzählt wird die Lebensgeschichte des Brüderpaars, dessen einer anfängt zu schreiben und zu trinken, dessen anderer immer wieder verschwindet – auf der Suche nach seinem Vater, den er unbedingt ausfindig machen will, was ihm am Ende auch gelingt.


    Lars Saabye Christensen ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Norwegens. Für „Der Halbbruder“ wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.


    Tatsächlich ist das Buch ein Familienpanorama, wie ich es lange nicht gelesen habe. Die Zufälle sind ein bisschen unwahrscheinlich, die Figuren immer ein bisschen übertrieben, doch das tut dem Lesevergnügen kaum einen Abbruch. Denn die Figuren sind plastisch geschildert und der Text steckt voller Weisheiten über das Leben steckt, die er sehr gut illustriert, aber den Figuren auch immer wieder sentenzhaft in den Mund legt.


    Ich möchte sagen: So wie Lars Saabye Christensen sollte John Irving schreiben, wenn er als Schriftsteller ernst genommen werden wollte. Das Kunststück, das Christensen nämlich gelingt, Irving hingegen eher selten, ist das Einbauen unwahrscheinlichster Zufälle, die trotzdem kaum einmal reißerisch wirken. Das gelingt einerseits, weil Christensen ein sehr bedächtiger und überlegter Erzähler ist, der es schafft, Unwahrscheinlichkeiten nicht zu Kulminations- oder Wendepunkten eines Lebens zu stilisieren. Vielmehr gewinnt man bei ihm den Eindruck, dass auch sehr einschneidende Ereignisse häufig keinen oder nur eine kurzzeitigen Effekt auf das Leben haben.


    Ein Buch, zu dem ich so gut wie nur applaudieren kann.


    *

    Hallo Nicole,


    deiner Meinung war seiner Zeit auch Annette Zerpner in der FAZ. Ich mag das Buch auch ziemlich gern, vor allem, weil es ja nur dem Anschein nach Fantasy ist. Ich mag tatsächlich am liebsten Fantasy, in der der Akzent nicht so auf dem Zaubern oder den Fabelwesen liegt. Hardinge schafft wirklich eine eigene Welt, die auch ohne magischen Klimbim fasziniert. Schade, dass sich solche Bücher beim Lesepublikum meist nicht durchsetzen.


    Herzlich: Bartlebooth.

    Es ist wirklich interessant, dass ich die Titel, die die Boyle-Fangemeinde im Allgemeinen nicht mag, für seine besten halte und umgekehrt. Ich bin ein ganz großer Fan von "Drop City", finde Boyle hat hier ganz großartig das Scheitern einer undurchdachten Utopie beschrieben, die nur als Geste geliebt wird. Das etwas bieder-selbstgenügsame Gegenmodell des einsam in Alaska lebenden Einsiedlers ist mir dabei etwas zu ungebrochen, weshalb ich "Drop City" auch nur für Boyles zweitbestes Buch nach "Riven Rock" halte. Ich glaube, ich mag es, wie Boyle mit den bürgerlichen Mythen aufräumt, ohne sie einfach nur zu attackieren bzw. zu diskreditieren. Er hat stets eine Art, die auch den "Gegner" ernst nimmt, ein Zug, der mir immens sympathisch ist.


    Herzlich, Bartlebooth.

    bartimaeus & bookmark


    danke für die Tipps, an Steinhöfel habe ich nicht gedacht und die anderen beiden kenne ich noch nicht. Bei Gerstenberg erscheint übrigens im Herbst ein Titel zum Thema, was Historisches, ich hab den Titel vergessen und die Vorschau gerade nicht parat. Ich poste es morgen mal, vielleicht kennt es ja jemand, ist auch eine Übersetzung aus dem Niederländischen.


    Herzlich, Bartlebooth.


    EDIT, es handelt sich um "Ich, Adrian Mayfield" von Floortje Zwigtman. Kennt ihr die?


    *

    Zitat

    Original von MaryRead
    Es gibt mittlerweile viele Bücher, in denen Homosexualität nicht mehr als "Problem" dargestellt wird und die den tendenziell voyeuristischen Beweggrund, den ich hinter der Anfrage vermute, wohl auch nicht bedienen. Und das ist auch gut so. ;-)


    Hallo MaryRead,


    inhaltlich bin ich ganz auf deiner Seite, aber gibt es im Bereich der Jugendliteratur wirklich so viele Bücher, die Homosexualität nicht unter dem Problemaspekt behandeln? Hier würden mich tatsächlich Beispiele interessieren.


    Herzliche Grüße, Bartlebooth

    Naja, das fällt halt klassischerweise alles in den Bereich der "Themen- oder Problemliteratur", im Jugendbereich noch immer sehr beliebt. Und verstehen kann ich die Subsumierung unter diesem Gesichtspunkt ja irgendwie schon, wenn Drogenprobleme und Probleme, die durch die eigene Homosexualität entstehen auch vollkommen anderer Art sind.

    Das Buch ist sowohl als Erwachsenen- als auch als Jugendbuch erschienen. Von der Struktur und vom Umfang her ist es sicher ein Text, der eine gewisse Routine im Lesen voraussetzt, aber einem/r Jugendlichen ab 14, der/die auch sonst gern liest, würde ich das Buch bedenkenlos empfehlen.


    Herzlich, Bartlebooth.