Beiträge von Bartlebooth

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    Original von bartimaeus
    Was ich mich schon länger frage - warum erwartet man von Bücher immer Spannung und Action streng nach dem Spannungskurvenmodell? :gruebel


    Tja, berechtigte Frage. Dazu kommt bei diesem Buch noch, dass die Spannungskurve durchaus gehalten wird. Nur weil der Tod schon vorher erzählt, wen er so alles holt (und ich meine: wen holt er nicht?), heißt es ja noch nicht, dass wir erfahren, wie das alles geschieht. Und was da am Ende alles geschieht bzw. nicht geschieht, hat mich durchaus überrascht.


    Herzliche Grüße, Bartlebooth.

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    Original von magali
    Wie Du auf den deutsch-französischen Krieg gekommen bist, weiß ich auch nicht,.
    :lache


    Die Begriffe Siebenjähriger Krieg, Hubertusburger Friede, Prinz Xaver von Sachsen und derselbe Herr unter seinem französischen Namen, Comte de Lusace (= Lausitz), vielleicht hat er Dich abgelenkt? - werden in dem Roman ad nauseam (entschuldige, Wilhelm, aber es ist so!) wiederholt.


    Cesse le feu, chère magali, kein Grund, das Messer weiter in der Wunde herumzudrehen! :lache ;-)
    Ich bin, wie bereits bemerkt, historisch, vor allem, was die ganzen Könige und Fürsten und Kriege angeht, weit davon entfernt, der Beschlagenste zu sein.


    Herzlich, Bartlebooth


    EDIT Halber Satz hat gefehlt, o Mann...

    Liebe magali,


    danke für den ausführlichen Beitrag :-)


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    Original von magali
    Raabe war mir damals eher in negativer Erinnerung, hatte ich mich doch als Teenager durch 'Die schwarze Galeere' gekämpft, eine trotz Kriegssituation und wilden Fieberträumen lahme Story aus dem Kampf der Niederländer gegen Spanien, die nicht nur aufdringlich evangelisch ankommt, sondern bei der dem Autor für die weibliche Hauptfigur auch nichts anderes einfiel, als sie in Ohnmacht fallen zu lassen. Zweimal!
    Raabe war ein verstaubter Opa und für mich gestorben, aber sowas von!!


    Mir wurden von einer Raabe- Liebhaberin (ich selbst habe bisher außer "Stopfkuchen" nichts von ihm gelesen) vor allem die "Chroniken der Sperlingsgasse" in drögsten Farben geschildert. Raabe scheint einer von denen zu sein, die je älter desto toller schreiben.


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    Original von magali
    Der Einstieg ist eine Katastrophe. Gäbe es eine Liste der schlechtesten Romananfänge, dieser würde ganz sicher auf einem der vordersten Plätze landen.


    Ich hatte auch meine liebe Müh, hier herauszufinden, worum es eigentlich geht, wo wir uns gerade befinden und all diese Kleinigkeiten. Für die Masse der schnell konsumierenden heutigen Leserschaft stellt der Roman also hohe Hürden auf.


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    Original von magali
    Zu diesem Bild gehört auch, daß der Bauernhof eben eine ehemalige Schanze ist (aus dem Siebenjährigen Krieg, nicht aus dem deutsch-französischen), von der aus die Stadt beschossen wurde.


    Richtig, steht sogar mit Datumsangabe im Text. Wie komme ich auf den Deutsch-Französischen? Wird zum einen am verknoteten Anfang liegen, in dem ich noch damit beschäftigt war herauszufinden, wo sich die Hauptfigur warum befindet und wer sie überhaupt ist, zum anderen an meinen mangelhaften historischen Kenntnissen.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Ein großartiges Lesevergnügen, allein schon wegen der Sprache. Ich werde "sich aigrieren" in meinen aktiven Wortschatz übernehmen.
    Das Tolle an dem Roman ist ja dieses Ausgeliefertsein an die Konventionen und wieder doch nicht. Ein Meisterstück diplomatischer Unverschämtheit ist doch Jenny Treibels Brief an Hildegard, großes Kino.
    Und das Allergroßartigste ist doch, dass man überhaupt nicht weiß, warum die Protagonist/innen handeln, wie sie handeln. Sicher, man kann die zugrunde liegenden schlussendlichen Motivationen von außen analysieren, aber was treibt die Figuren wirklich an? Ist Jenny Treibel tatsächlich so verblendet zu glauben, sie wäre eine Romantikerin, der es nur auf die Liebe ankommt? Oder ist sie's am Ende auf eine ganz bestimmte Weise sogar? Fontane ist bei seinen Beschreibungen dessen, was seine Figuren zu einer Wahl bewegt so unglaublich weit seiner Zeit voraus, dass ich oft aus dem Staunen nicht mehr herauskomme. Ich weiß gar nicht, was mein nächster Fontane sein soll, jetzt da mein Vorrat ausgelesen ist, vielleicht folge ich Palomars Vorschlag "Unwiederbringlich". Denn dass es einen nächsten Fontane geben muss, ist klar.

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    Original von Eddie Poe
    Dass der Preis vom Verleger festgesetzt wird, bestärkt mich eher in meiner Meinung, die Buchpreisbindung abzuschaffen. Der vom Verlag festgesetzte Preis kann unmöglich auf die Fixkosten jedes einzelnen Buchhändlers zugeschnitten sein.


    Der Buchpreis wird ausgehend von den Produktions- und Lagerkosten der Verlage kalkuliert, und ich kann dich versichern, dass diese Kalkulationen sehr knapp aussehen, viele Bücher werden von vornherein negativ kalkuliert. Bücher rechnen sich eigentlich immer erst ab der zweiten Auflage und ob es zu der kommt, kann niemand voraussehen, wenn er ein Buch macht. Erfolgreiche Verleger sind im Allgemeinen bereits heute nicht sehr risikofreudig - und sie wären es beim Fall der Buchpreisbindung noch weniger.


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    Original von Eddie Poe
    Aus diesem Grund glaube ich, dass ein Aufheben der Buchpreisbindung auch für Händler eher sinnvoll als schädlich wäre. Amazon, Thalia und Co würden die kleinen Buchhandlungen mit Sicherheit im Preis unterbieten, aber das tun sie sowieso schon; jedenfalls im Bereich "Englische Bücher". Und trotzdem werden in allen Buchhandlungen, die ich kenne, noch englischsprachige Bücher angeboten und die verkaufen sich nicht mal schlecht.


    Nun ja, die Regale sind in kleineren Buchhandlungen aber eher schmal, außer sie sind auf englischsprachige Literatur spezialisiert. Und hier kenne ich wiederum keine, die sich ohne eine nahe Universität (ich meine: gegenüber, nicht: in derselben Stadt) oder Internethandel über Wasser halten könnte. Ausgenommen natürlich die Hugendubels und Thalias dieser Welt.


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    Original von Eddie Poe
    Fakt ist, dass sich auch Waren verkaufen lassen, die es woanders billiger gibt. Süßigkeiten, Bürobedarf etc. laufen auch am Kiosk gut, obwohl sie im Supermarkt viel billiger sind.


    Das liegt daran, dass andere Vorteile (meist Standort oder Öffnungszeiten) den höheren Preis wettmachen. Es kommt schon vor, dass du nach der Disco noch Hunger auf Chips hast und die an der Tanke kaufst. Ob das mit einem guten Buch auch funktioniert? Mit Sicherheit nicht.


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    Original von Eddie Poe
    Wenn die Buchpreisbindung fallen würden, könnten die Buchhändler den Preis selbst bestimmen und nach den eigenen Fixkosten ausrichten. Momentan kann zwar der Verlag mit dem Einzelhändler über den Preis eines Buches verhandeln; nicht aber der Buchhändler mit dem Kunden. Bei den steigenden Rohstoffpreisen handeln die Verlage vermutlich immer härter, die Gewinnspanne wird kleiner, aber anstatt die Preiserhöhung, wie jeder andere Einzelhändler auch, an den Kunden weiterzugeben, muss der Buchhändler sie selbst abfangen.


    Der Buchhändler bekommt auf die eingekauften Bücher prozentuale Rabatte. Er kann selbst entscheiden, ob er glaubt, ein bestimmtes Buch zu einem bestimmten Preis verkaufen zu können. Wenn er es nicht schafft, kann er innerhalb einer bestimmten Zeitspanne die Bücher remittieren. Das Risiko ist also kalkulierbar. Viel schwerwiegender ist die Konzentration im Buchhandel, die dazu führt, dass große Filialisten Sonderrabatte bekommen, was wiederum den kleinen Buchhändler schwächt, weil man mit einer Palettenpräsentation eben mehr Aufsehen erzeugen kann als mit einem Stapel von 5 Büchern. Der Fall der Buchpreisbindung würde dieses Problem weiter verschärfen.


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    Original von Eddie Poe
    Ohne Buchpreisbindung hätte der Buchhändler die Möglichkeit, die Bücher ein paar Prozent teurer zu machen, wenn es erforderlich ist. Genauso könnte er Bücher, die sich nicht verkaufen und nur als totes Kapital im Regal stehen, runtersetzten.


    Das kann er auch jetzt schon, dafür gibt es Remissions- bzw. Rückgaberechte.


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    Original von Eddie Poe
    Ich glaube nicht, dass ihm deshalb alle Kunden weglaufen würden, denn wie schon von einigen gesagt: Es gibt genug Leute, die eine Buchhandlung mit guter Beratung und gemütlicher Atmosphäre mehr schätzen, als einen Konsumtempel.


    Die Realität zeigt doch etwas anderes. Hugendubel, Thalia, die Mayersche und ein paar andere teilen den Markt untereinander auf und werden sich irgendwann vielleicht gegenseitig fressen. Die kleinen und mittleren Buchhandlungen verschwinden. Es gibt Schließungen, die vorsorglich durchgeführt werden, wenn ein großer Filialist in der Stadt eröffnet. Schau mal in die Branchenblätter, wie oft solche Schließungen alteingesessener Buchhandlungen vorkommen. Dein Glaube in allen Ehren, aber mit der Realität hat er nichts zu tun.


    Zu den Auswirkungen auf Autor/innen und Inhalte hat sich iris ja bereits geäußert.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Lydia Nevil ist eine blasierte höhere Tochter der englischen Gesellschaft. Ihr Vater - Sir Thomas Nevil, Colonel im Ruhestand - bereist mit ihr Europa, doch nichts gefällt ihr recht, alles hat schon einmal jemand erlebt oder gesehen, wodurch es für Miss Nevil uninteressant wird. So ergreift sie ungewöhnlich fügsam ihre Chance, auf Vorschalg ihres Vaters mit nach Korsika zu fahren; von dieser im 19. Jahrhundert noch wenig bereisten Insel, verspricht sie sich urwüchsige Abenteuer und ungesehene Einblicke in eine archaische Kultur, die sie später stolz ihren englischen Freundinnen erzählen kann. Dennoch ist sie nicht ganz erfreut, als sie auf der Überfahrt den schneidigen Leutnant Orso della Rebbia kennenlernt; mit Leutnants möchte sie eigentlich nichts zu tun haben, das verbietet ihr Standesdünkel. Nach und nach erliegt sie aber den passablen Manieren und dem schmucken Aussehen des Leutnants, der aufgrund einer Familienangelegenheit nach Korsika reisen muss, über die er sich zunächst ausschweigt. In Ajaccio angekommen verweilt Orso allerdings auffällig lange bei den Nevils und scheint es gar nicht eilig zu haben, in sein Heimatdorf Pietranera zu gelangen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn er fürchtet in eine der berüchtigten Vendettas seiner Heimat verwickelt zu werden. Sein Vater ist vor kurzem unter mysteriösen Umständen erschossen worden und seine ganze Familie und deren Bundesgenossen erwarten nun die Rache an den zwar mangels Beweisen nicht rechtskräftig überführten, aber dennoch in deren Augen unzweifelhaft schudigen Erzfeinden der Familie Barricini. Der sanftmütige und zivilisierte Orso möchte eigentlich nicht zur Selbstjustiz greifen und Miss Lydia bestärkt ihn darin, auch weil sie sich durch die Zivilisierung eines wilden Korsen ein besonderes Renommee verspricht, wenn sie diese Geschichte später in der Heimat erzählen kann.
    Da Orso weiter säumt, erscheint eines Tages eine wunderschöne Frau mit kastanienbraunen Haaren und dunkelblauen Augen. Sie ist keine andere als Orsos Schwester Colomba, die ihren Bruder zur Raison, das heißt zur Aufnahme der Familienfehde bringen will. Miss Lydia will dies nicht glauben und verspricht Orso ihre Unterstützung. Bald schon reisen die della Rebbias nach Pietranera ab, wohin ihnen einige Zeit später auch die Nevils folgen wollen. Inzwischen aber nimmt das Familiendrama seinen Lauf - und Colomba erweist sich dabei als ebenso gerissen wie manipulativ...


    Prosper Mérimée ist ein bedeutender französischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Berühmt gemacht hat ihn vor allem seine Vorlage zu Georges Bizets Oper "Carmen", doch er hat auch viele weitere Novellen geschrieben, die sowohl realistische als auch phantastische Elemente beinhalten.


    Colomba ist aus einem Guss geschrieben. Die etwas zickige Lydia Nevil, der gutmütige und innerlich zerrissene Orso, sowie die geheimnisvolle Colomba sind differenziert angelegte Charaktere, die stets Lust auf den Fortgang der Geschichte machen. Diese ist sowohl unterhaltsam als auch voller Kenntnisse über korsische Bräuche und Lebensart, dabei nie platt, sondern stets ausgewogen das Für und Wider der Handlungsweisen der Protagonisten abwägend. Colomba, soviel sei verraten, bleibt bis zum Schluss eine sehr ambivalente Figur, die von der Rache auch dann nicht lassen kann, als sie eigentlich bereits vollzogen ist. Die "zivilisiereten" Orso und Lydia erscheinen ihr gegenüber fast schon übermäßig skrupulös und unfähig sich von Konventionen zu lösen. Die Kunst Mérimées liegt ganz eindeutig darin, diese Spannung zu halten und den Gegensatz der Lebensauffassungen in seinen Figuren ohne übertrieben Partei zu nehmen darzustellen.
    Ein wunderbares Lesevergnügen für alle, die gern Räuberpistolen auf hohem Niveau mögen.

    Heinrich von Kleist erzählt hier eine Episode aus dem Trojanischen Krieg auf seine ganz eigene Weise: Penthesilea, schöne Königin der Amazonen, wird nicht von Achill erschlagen, sondern umgekehrt. Allerdings geht dem ein ständiges Hin und Her voraus, das der Tatsache geschuldet ist, dass die Amazonen sich auf kriegerischem Wege ihren Bedarf an Männern verschaffen, diese also nicht einfach totschlagen können. Penthesileas Mutter Ortrere hat dieser nun auf ihrem Sterbebett gesagt, dass Achill der Mann für sie sei, und so kämpft Penthesilea bis zur Selbstaufgabe um ihn. Sie wird zunächst von Achill überwunden, der sich in sie verliebt und - auf das Bitten von Penthesileas engster Vertrauter Prothoe hin - vorspielt, er selbst sei der Besiegte. In diesem Glauben erläutert Penthesilea die Sitten der Amazonen und erklärt Achill, dass sie nie die Absicht hatte ihn zu erschlagen, sondern dass sie ihn nur besiegen musste, um ihn dann in einer feierlichen Zeremonie zu ihrem Auserwählten machen zu können.
    Während diese Erklärungen statthaben wendet sich allerdings das Blatt auf dem Schlachtfeld wieder und die Amazonen befreien ihre Königin. In der allgemeinen Verwirrung erfährt Penthesilea die Wahrheit und gerät daraufhin so sehr in Zorn, dass sie Achill, der sich ihr nur zum Schein auf dem Schlachtfeld geschlagen geben will, auf grausame Weise hinmetzelt. In einer abschließenden Szene stirbt Penthesilea am Schmerz um den verlorenen Liebsten.


    Heinrich von Kleist gehört zu meinen erklärten Lieblingen. "Penthesilea" ist eines seiner eher sperrigen Dramen, was vor allem an der Form liegt. Weite Teile der Handlung bestehen aus referierten Schlachtszenen und Mauerschauen. Außerdem ist die - nur als Mauerschau beschriebene - Zerfleischung Achills nichts für schwache Nerven. Die Inszenierung der "Penthesilea" gilt daher immer noch als besondere Herausforderung.


    Abgesehen davon ist die Umkehr des antiken Stoffes natürlich sehr interessant. Die Subversion, die darin steckt, ist eine zweischneidige. Sicherlich werden die Amazonen als gleichwertige Gegnerinnen beschrieben, die sich zwischen zwei verfeindete Heere stellen und diese zugleich bekämpfen - eine nicht geringe kriegerische Leistung. Jedoch ist das Drama bei den Erfolgen der Frauen nicht ganz eindeutig: Geben sie sich tatsächlich mit ein paar hübschen Jünglingen zufrieden, die sie gleich mit inihre Hauptstadt Themiscyra nehmen können, oder stellen sie sich der Herausforderung, die ein Sieg über die wirklich großen Helden, wie eben Achill, darstellt?
    Penthesileas Entscheidung für letzteres ist dabei als fixe Idee gekennzeichnet. Sie will nicht, wie dies wohl bei vergleichbaren männlichen Heldengestalten der Fall wäre, Ehre erlangen, indem sie Achill überwindet. Sie möchte vor allem den strahlenden Helden zum Gegenstand ihrer Leidenschaft machen. Penthesilea ist hier - und freilich auch in der Zerfleischungsszene - ganz als Instinktwesen gekennzeichnet, dass seine Emotionen nicht unter Kontrolle hat.


    Doch das ist nur die eine Seite. In der Szene, als Penthesilea sich selbst siegreich wähnt, fällt sie keineswegs gleich über ihren Achill her, sondern verlangt - mit dem bemerkenswerten Satz "Hab ich, beim Styx, jetzt nichts zu tun, als plaudern?" - ihr Heer zu mustern. Und auch das Ende, in dem sie nicht durch eine Waffe, sondern durch eigenen Willen stirbt, ist dadurch Ausdruck einer außerordentlichen Fähigkeit zur Beherrschung der eigenen Gefühle.
    Insofern ist Penthesilea nicht einfach eine Frau ganz nach weiblichem Klischee, sondern immer auch ernstzunehmende Partnerin und Gegnerin, auf Augenhöhe mit den Männern - und das wohlgemerkt in einem Drama von 1807! Und sind wir ehrlich, auch die männlichen Soldaten kommen bei Kleist gewöhnlich alles andere als ungebrochen heroisch weg.


    "Penthesilea" ist eine Pflichtlektüre nicht nur für Kleist-Fans, sondern für alle Liebhaber ausgefeilter psychologischer Literatur.


    *

    1. Welches ist das längste und/oder langweiligste Buch, durch das Du Dich, aus welchen Gründen auch immer, erfolgreich hindurchgekämpft hast?
    Das längste ist schwierig zu sagen, komt ja auch auf die Ausgabe an. Sehr lang und sehr klein gedruckt mit sehr wenig Durchschuss war Albert Vigoleis Thelen, Die Insel des zweiten Gesichts. Langweilige Bücher habe ich auch massenhaft gelesen, aber die verschweige ich lieber. Durchgekämpft habe ich mich letztes Jahr durch James Joyce, Ulysses. Das war aber nicht langweilig.


    2. Von welchem Autor (natürlich auch Autorin) kannst Du behaupten: Von dem (oder der) habe ich wirklich _jedes_ Buch gelesen.
    Immer noch nur von solchen, die sehr wenig geschrieben haben. ich habe zwar ein paar gesamtausgaben, von denen ich aber keine vollständig gelesen habe. Nahe dran bin ich bei E.T.A. Hoffmann, Heimito von Doderer und Heinrich von Kleist.


    3. Welches ist Dein liebster Klassiker (vor mindestens 50 Jahren veröffentlicht)?
    E.T. A. Hoffmann, Heinrich von Kleist


    4. Welchen Titel hast Du in den letzten Jahren sicherlich am häufigsten verschenkt?
    Ich schenke in den letzten Jahren weniger missionarisch als früher und versuche mich nicht so sehr auf mich, als auf den mutmaßlichen Geschmack des Beschenkten zu konzentrieren.


    5. Von welchem Autoren würdest Du nie wieder freiwillig ein weiteres Buch in die Hand nehmen?
    François Lelord, John Boyne, Bernhard Schlink und ein paar wissenschaftliche Autor/innen


    6. Welches Buch hast Du mehr als 2 Mal gelesen?
    Boris Vian, L'écume des jours, Heinrich von Kleist, Die Marquise von O., einiges aus den Serapionsbrüdern, etwa Die Bergwerke von Falun, Villiers de l'Isle-Adam, L'Eve future und ein paar andere, viel weniger als es verdienen würden.


    7. Welchen Titel hast Du erst nach einigen Seiten beiseite gelegt und dann tatsächlich später nochmals in die Hand genommen und durchgelesen?
    Michel Foucault, Les mots et les choses


    8. Wenn man Dich 3 Wochen in eine Mönchszelle in Klausur stecken würde, und Du darfst nur 3 Bücher mitnehmen, welche drei Titel würdest Du wählen?
    Marcel Proust, A la recherche du temps perdu
    Adolf Muschg, Der rote Ritter
    Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften


    9. Bei welchem Titel sind dir schonmal ernsthaft die Tränen (nicht vor Lachen!) gekommen, obwohl es doch nur ein Buch war?
    Markus Zusak, The Book Thief, Armistead Maupin, Babycakes, Harry Potter and the Prisoner of Askaban


    10. Welches sonst recht erfolgreiche Buch ist Dir bis heute ein großes Rätsel geblieben, d. h. Du hast es einfach nicht verstanden?
    Ich habe bis heute nichts von Jacques Lacan richtig verstanden.

    Karnstedt wird mit einer physiologischen Besonderheit geboren: Er hat am gesamten Körper kein einziges Haar. Das macht ihn zu etwas Fremdem und damit zum Außenseiter und zum Ziel der Gemeinheiten des Klassenbullys Tummer. Der einzige, der zu Karnstedt hält, ist Simon Welde, ein schmächtiger Klassenstreber. Die beiden sind durch die gesamte Schulzeit hindurch beste Freunde, bis sich Simon in eine ältere Frau verliebt, die zu allem Überfluss etwas mit Tummer hat. Das darf natürlich keiner wissen, da beide noch minderjährig sind. Simons Sehnsucht wird von dem cleveren Karnstedt befriedigt, doch seine Motive sind nicht ganz uneigennützig. Auf der Abiturfahrt droht die Situation zu eskalieren und es kommt zum Bruch zwischen Karnstedt und Simon.
    Zwanzig Jahre später erhält Simon den Auftrag, den Nachlass Karnstedts abzuwickeln. Dieser ist unter mysteriösen Umständen ins Wasser gegangen und hat testamentarisch verfügt, dass Simon sich um sein Haus und seine Habseligkeiten kümmern soll. Simon rekonstruiert, während er sich diesem Wunsch fügt, die gemeinsame Vergangenheit mit Karnstedt und gelangt nach und nach zu einigen erschütternden Erkenntnissen.


    Ein kleiner Roman, keine 200 Seiten lang, Alexander Häusser beschränkt sich auf wenige Situationen im Leben seiner Figuren, die sie und ihr Handeln aber recht plastisch werden lassen. Was mir gefehlt hat, war der Grund, aus dem Simon sich tatsächlich 20 Jahre lang nicht mehr bei Karnstedt meldet, obwohl es, wie wir erfahren, in seiner Hand gelegen hätte. Vielleicht ist Simons Schwächlichkeit, die ihn buchstäblich in allem Mittelmaß bleiben lässt, der Grund dafür? Eine Reflexion dieses Handelns findet im Buch jedenfalls nicht statt.


    Das ist aber schon das einzig Schlechte, was man über dieses kleine Prosastückchen sagen kann, und ob man es wirklich sagen kann, ist ja auch dahingestellt, einem anderen Leser mag die Schilderung Simons als Motivation für sein Handeln ausreichen.


    Häusser schreibt eine nicht sehr charakteristische, aber gut lesbare Sprache, die Handlung ist spannend wie ein Krimi und endet auch mit einer Kriminalhandlung. Das Thema "Außenseitertum" ist zudem eines, über das ich immer wieder gern lese, gerade wie man sich in jungen Jahren darin einrichtet. Für Simon, so macht Häusser deutlich, ist die Freundschaft mit Karnstedt wohl nur ein Ersatz für die Freundschaften, die er nicht haben kann. Für Karnstedt ist es anders. Und damit komme ich wieder auf meine Kritik zurück, denn tatsächlich ist es nicht ganz ersichtlich, warum Simon Karnstedts Wunsch entspricht, als er ihn zum Nachlassverwalter macht. Ist Karnstedt für ihn doch ein "richtiger" Freund gewesen? So gibt er es zumindest dem dänischen Anwalt Karnstedts gegenüber zu Protokoll, aber überzeugt mich als Leser diese Begründung? Nicht vollständig.


    Es ist vielleicht doch eine Schwäche des Buches, dass es sich auf eine Figur fokussiert, die so wenig reflektiert ist, der aber auch so wenig widerfährt. Karnstedt und seine Beharrlichkeit, sein Festhalten an der Freundschaft zu Simon, werden nur aus der Perspektive Simons erzählt, und die Figur erscheint so als außerordentlich selbstsicher und manipulativ.
    Simon hingegen zieht sich in die Gewöhnlichkeit zurück und seine Reflexion setzt im Grunde erst auf den letzten Seiten des Buches ein. Ihre Auswirkungen können wir uns als Leser nur ausmalen.


    Was soll ich sagen? Sicher ein lesenswertes Buch, das mir aber einfach einen Tick zu sehr auf der sicheren Seite bleiben wollte.

    Eduard kehrt nach vielen Jahren im südafrikanischen Ausland auf einen Besuch nach Hause zurück und muss feststellen, dasss sein Jugendfreund, der Landbriefträger Störzer gestorben ist. Bewegt schwelgt er in Erinnerungen und gedenkt auch eines anderen Jugendfreundes, des langsamen, verfressenen und faulen, aber gutmütigen Heinrich Schaumanns, genannt "Stopfkuchen". Und er denkt an ihre Besuche auf der "Roten Schanze" einem vom Deutsch-Französischen Krieg her fortifizierten und fruchtbaren Stücks Land, das der finstere Bauer Quakatz mit seiner Tochter Valentine und einer Meute Hunde bewohnte. Quakatz, so ging in der Jugendzeit Eduards das Gerücht, habe den Viehhändler Kienbaum im Streit erschlagen, wenn er auch mangels beweisen niemals verurteilt wurde und die Tat Zeit seines Lebens bestritt.
    heinrich hat Valentine inzwischen geheiratet und haust auf der "Roten Schanze" in einem arkadischen Zustand. Eduard beschließt ihn dort zu besuchen. Von diesem Nachmittag berichtet der Roman in nicht chronologischer Form, stets in die Vergangenheit der Freunde und in die Zukunft Eduards springend, der die Gespräche dieses Nachmittags auf seiner Schiffsreise zurück nach Pretoria aufzeichnet. Zentrum des Nachmittags ist die Aufarbeitung der Lebensgeschichten und die Aufklärung des Mordes an Kienbaum. Es stellt sich nämlich heraus, dass Stopfkuchen seit lager Zeit die Wahrheit kennt.


    "Mein bestes Werk, denn hier habe ich die menschliche Kanaille am festesten gepackt." (Raabe)


    Das scheint es mir gut zu treffen und lässt sich vor allem an der Figur des Landbriefträgers Störzer zeigen. Im Grunde wird nämlich Störzer zur eigentlichen Hauptfigur, sein einsames Begräbnis am Ende fast zum tragischeren Ereignis als das einsame Leben des Andreas Quakatz. Störzer ist eine getretene, subalterne Figur, die in einem Moment der Unbeherrschtheit drei Leben zerstört. Der einzige Moment des Aufbegehrens nach einem Leben in stiller Duldsamkeit wird zur in ihrem Ausmaß unbegreiflichen Katastrophe. Eine wirklich bewegende Figur.


    Die sehr ausufernde, dem Volk aufs Maul schauende erzählweise des Romans machte mir die Lektüre im übrigen nicht ganz leicht. Die viele wörtliche Rede von Figuren, die gern nicht auf den Punkt kommen bzw. dem Punkt aus den verschiedensten Gründen ausweichen, war manchmal schon ein bisschen ermüdend zu lesen. Doch irgendwie besteht in dieser mäandrierenden Fülle des Textes auch ein gewisser Teil seines Reizes. Raabe scheint mir in diesem Text von 1890 schon auf einem sehr naturalistischen Pfad zu wandeln.


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    Felicitas Hoppe gehört seit einigen Jahren bereits zu den gefeierten jüngeren deutschsprachigen Autorinnen. Mit "Iwein Löwenritter" hat sie ihr erstes Jugendbuch vorgelegt.


    Erzählt wird der bekannte Stoff aus dem Artuskreis, der zunächst von Chrétien de Troyes, im deutschen Hochmittelater dann in der Version Hartmanns von Aue für die kontinentale Leserschaft schriftlilch fixiert wurde. Iwein ist der beste Ritter am Hofe Artus' langweilt sich aber trotz seines großen Ansehens sehr und zieht deshalb aus, um Abenteuer zu erleben. Im Land nebenan gewinnt er auf seiner ersten aventiure einen Zweikampf gegen den Hüter der Gewitterquelle, entkommt mithilfe der klugen Lunete seinen Verfolgern und gewinnt nach und nach das Herz der schönen Laudine, der Ehefrau des Hüters der Gewitterquelle. So wird er zum Herrscher über das "Land Nebenan" und lebt in Frieden, bis König Artus, dessen Haushofmeister Keie und Iweins bester Freund Gawein ausziehen, um Iwein zu suchen. Gawein vermisst Iwein sehr und appeliert an dessen Ehrgeiz und Freiheitsdrang, indem er ihn beschwört, mit ihm auf weitere Abenteuerfahrt zu gehen. Laudine willigt schweren Herzens ein, doch verlangt sie Iweins Rückkehr nach Ablauf eines Jahres, da ihre Liebe sonst schweren Schaden nehmen müsse. Es kommt, wie es kommen muss, Iwein und Gawein gehen als die tapferen und hochdekorierten "Blauen Zwillinge" in die Geschichte ein, doch Iwein vergisst sein Versprechen und kehrt zu spät ins "Land Nebenan" zurück - mit schwerwiegenden Folgen. Laudine will ihn nicht wiedersehen, Iwein wird vor Schmerz wahnsinnig und irrt gramgebeugt durch die Wildnis, um die Erinnerung an die glücklichen Tage zu verdrängen. Doch die Frau mit den weißen Händen holt ihn ins Leben zurück, da sie seine Hilfe benötigt und nach vollbrachter Tat verschreibt sich Iwein nur noch einem Ziel: Durch Tapferkeit und Verlässlichkeit die Verzeihung Laudines zu erlangen.


    Felicitas Hoppe erzählt in einem sehr geschmeidigen Märchenton die Erlebnisse Iweins. Als Fan mittelalterlicher Epik und ihrer phantastischen Stoffe, konnte mich dieses Buch sehr überzeugen, wie ich überhaupt finde, dass sich diese Stoffe ausgezeichnet für Kinder eignen. Die Erzählstrukturen sind wenig komplex, die Charaktere leicht zu durchschauen, falls sie überhaupt Tiefe gewinnen. Die verhandelten Themen sind von exemplarischer Bedeutung, im vorliegenden Fall können etwa die grenzen der persönlichen Freiheit bzw. Loyalitätsstrukturen wunderbar einfach diskutiert werden.
    Der Verlag hat das Buch allerdings zum Jugendbuch erklärt, zum Selbstlesen ab 12 Jahren. Das finde ich zu alt. Ich halte "Iwein Löwenritter" für ein ausgezeichnetes Vorlesebuch, mit kurzen Kapiteln und einer leicht verständlichen Sprache. Bei dieser Verwendung sehe ich kein Problem für Kinder ab dem Schulalter.


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    Hallo Babyjane,


    Elbereth hat mir eine Stelle genannt, nämlich die folgende


    Zitat

    Ein Feuilleton ist so gut wie sein Thema, dieses Thema ist breit angelegt und natürlich bietet nicht jeder einzelne der verbrannten Dichter genügend Stoff, um sich in amüsanter Weise mit ihm auseinanderzusetzen.


    Mein Duden-Fremdwörterlexikon sagt mir zum Begriff "Feuilleton" unter anderem (und auf diese Bedeutung habe ich mich hier bezogen): "populärwissenschaftlicher, im Plauderton geschriebener Aufsatz".
    Ich habe ihn hier gebraucht, um zu verdeutlichen, warum ich (und auch mancher Rezensent) überhaupt darauf komme, bei diesem Thema ein Fachbuch zu erwarten, das das vorliegende Buch ja nicht ist - und nicht sein will. Weidermann berichtet tatsächlich im Plauderton und sehr anekdotisch, sehr auf das Kuriose fokussiert. Bei vielen der bekannten "verbrannten Dichter" ist der Tenor dabei natürlich durchaus tragisch; bei anderen aber, bei den kuriosen, die das Buch für mein Empfinden eher bestimmt haben, ist das alles oft im neckischen Plauderton gehalten. Womit wir wieder auf eine Kritik zurückkommen, die bei Weidermanns Büchern gern geäußert wird, eine Kritik, die sich auf seine anekdotische, subjektive und leichte, eben feuilletonistische Art mit Themen umzugehen bezieht; eine Kritik, die ich, wie ich versucht habe zu schreiben, nicht teile. Ich finde sehr wohl, dass man auch eine lustige Anekdote über den Jagddichter Bley erzählen kann, ohne dabei die Ernsthaftigkeit des Themas aus den Augen zu verlieren.


    Wie ich nun sehe, teilen viele diese Meinung nicht. Das ist als Kritik selbstverständlich zu akzeptieren und aller Ehren wert. Ich wollte hier nicht den Eindruck erwecken, dass ich mich über die Schicksale von Joseph Roth oder Heinrich Mann amüsiert habe - das habe ich nicht. Und Weidermann stellt diese natürlich auch nicht so dar. Ich wollte eigentlich nur verdeutlichen, warum ein Buch im Plauderton durchaus dem schwierigen thema gerecht werden kann.
    Aber bei den - für mich erstaunlich zahlreichen - Fällen von Schriftstellern, die nicht emigrierten, zum Teil auch nicht mit Publikationsverbot belegt wurden, und deren Bücher trotzdem 1933 verbrannt wurden, ist Weidermann nicht eben das, was ich "ernsthaft" oder "getragen" nennen würde.
    Ich finde nach wie vor, dass man diese Darstellungen als "amüsant" im Sinne von "unterhaltsam" sehr treffend charakterisieren kann.


    Ich weiß nicht, ob nun etwas deutlicher ist, warum ich dieses Wort verwendet habe. Ich wollte, um das noch einmal zu sagen, damit nicht insinuieren, das Buch mache sich über Emigrantenschicksale lustig.


    Herzliche Grüße, Bartlebooth.

    Zitat

    Original von Voltaire
    Es ist schon bezeichnend wenn jemand dieses Buch als "amüsant" klassifiziert.


    Diese Einschätzung sei dir unbenommen.


    Zitat

    Original von Voltaire
    Dieser jemand sollte sich dann seinerseits nicht auf irgendwelche Empfindlichkeiten berufen, wenn er bezüglich seiner Wortwahl und seiner Einschätzungen eher in die Kategorie "sehr unsensibel" einzuordnen ist.


    Du konntest mir bisher weder darlegen, was dich warum an meiner Wortwahl stört, noch, inwieweit du meine Einschätzungen überhaupt verstanden hast. Das kann aber selbstverständlich auch an mir liegen.


    Zitat

    Original von Voltaire
    Zudem solltest du vielleicht aber so deutlich schreiben bzw. dich so unmissverständlich ausdrücken, dass kein Platz für andere Interpretationen deiner Äußerungen bleibt.


    Ach Voltaire, nach "Unmissverständlichkeit" im Ausdruck suche ich mein ganzes Leben lang bereits vergebens. Das zeigt sich mal wieder an dem vorliegenden Wortwechsel. Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt, aber bevor du mir nicht klar sagst, an welcher Stelle, kann ich das leider nicht einmal prüfen, geschweige denn etwas einsehen und um Verzeihung bitten.


    Herzliche Grüße, Bartlebooth.

    Zitat

    Original von Voltaire


    Wer aber "nationalistisch" und "nationalsozialistisch" offensichtlich gleichsetzt, wenigstens verstehe ich deine Äußerung so, scheint vieles ganz einfach nicht begriffen zu haben.


    Hallo Voltaire,


    ich würde dich bitten, keine haltlosen Unterstellungen in diesem Zusammenhang zu posten, da reagiere ich empfindlich. Nirgends habe ich "nationalistisch" und "nationalsozialistisch" gleichgesetzt.


    Es ging mir einfach darum an diesem Beispiel zu verdeutlichen, warum ich ein Buch mit dieser Thematik als "amüsant" bezeichnen kann. Ich referierte ganz einfach zwei Darstellungen Weidermanns, um das begreiflich zu machen. Nirgends behaupte ich auch nur ein Jota von dem, was du mir in deinem Posting vorwirfst.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Es herrscht Krieg in der Galaxis. Die religiös-fanatischen Idiraner (eine drei Meter große, dreibeinige Spezies mit partiellem Exoskelett) kämpfen gegen die hedonistische, technologisch hoch entwickelte und "heterokratisch" organisierte Kultur, einem Zusammenschluss verschiedenster humanoider Spezies. In diesem Konflikt geschieht es nun, dass ein "Mind" - ein elektronischer Geist - von bisher unbekannter Komplexität versucht, sich aus der Galaxis zurückzuziehen, dabei wird er von einem idiranischen Schiff angegriffen und weiß sich nur zu helfen, indem er sich selbst auf den nahe gelegenen Planeten Schar's World transferiert. Von dort kann er allerdings nicht so leicht wieder zurückgeholt werden, denn Schar's World ist einer der "Planets of the Death", unbevölkerte Planeten mit kriegerischer Vergangenheit, die von der rein energetischen Superspezies der Dra'Azon vor allen anderen Lebewesen abgeschirmt werden, die sich mit gewaltsamen Absichten dem Planeten nähern. Nur einzelne Angehörige politisch unbedeutender und neutraler Spezies werden dort geduldet. Eine solche Spezies sind die "Changer". Daher verfällt der idiranische Kriegsrat auf die naheliegende Idee, den in ihren Diensten stehenden "Changer" Bora Horza Gobuchul nach Schar's World zu schicken, um das "Mind" von dort zu holen und es den Idiranern auszuliefern.
    Natürlich geht alles schief, Gora Horza Gobuchul gerät in die Hände skrupelloser Söldner und muss mit ihnen erst auf eine Reihe erfolgloser Raubzüge gehen, bevor er eine Gelegenheit hat, seine formwandlerischen Fähigkeiten einzusetzen und den Kapitän des Söldnerschiffes zu ersetzen. Mit der verbliebenen Crew und einer gefangenen Geheimagentin der Kultur macht sich Horza auf nach Schar's World. Doch leider hat der Dra'Azon (aus welchen Gründen auch immer) den Planeten nicht gut genug abgeschirmt. "THERE IS DEATH HERE," warnt er Horza und tatsächlich ist das versprengte Häuflein uneiniger Söldner nicht der erste ungebetene Besuch auf Schar's Wolrd.


    Das hört sich jetzt bescheuerter an als es im Grunde ist. Ganz klar: Iain M. Banks, der ohne sein Mittelinitial auch Nicht-SF-Romane schreibt, entwirft hier einen Space-Opera-Plot erster Kajüte - mit allen dazugehörigen Nachteilen. Es gibt unendlich viele spektakuläre Baller- und Katastrophenszenen, nicht immer wird deutlich, wofür Banks sie alle braucht - auf das Kapitel "Temple of Light" hätte man etwa meiner bescheidenen Meinung nach vollständig verzichten können. Auch treten eine Menge interessanter Spezies auf, deren Handeln und Motivation aber nicht immer sehr gut beleuchtet wird (bestes Beispiel hierfür sind die Dra'Azon, die sich doch nicht als so grundsätzliche Gewaltverhinderer erweisen, als die sie für die Kohärenz des Plots eigentlich gebraucht würden).


    Aber ein bisschen mehr ist schon dran an "Consider Phlebas", denn in der vorderhand etwas sinnlos episch breiten Auswalzung dieser Kriegshandlungen en miniature schafft Banks es zum einen eine klare Zuordnung von Gut und Böse zu unterlaufen. Als Leser fragt man sich eigentlich bis zum Schluss, auf wessen Seite man stehen sollte. Banks bringt einen mit seiner unmittelbaren und personalisierten Art der Erzählung in eine sehr ambivalente Situation: Irgendwie kann man alle beteiligten Seiten verstehen. Der auktoriale Erzähler ist stark zurückgenommen und wird manchmal fast personal, sehr nahe an den Figuren, die natürlich für alles, was sie tun, gute Gründe haben oder zu haben glauben.
    Außerdem sind die ganzen gewaltsamen Handlungen nicht auf ein wirkliches Ziel hin geschürzt. Die Figuren wursteln sich eher so mit mehr oder weniger erschütterlichen Überzeugungen durch die Gefahrensituationen, sind aber meistens damit beschäftigt, sich - wenig strahlend - aus überhaupt nicht oder völlig fehlgeplanten Szenarien mit heiler Haut zu befreien, was erwartbar einem guten Teil des Personals nicht gelingt. Natürlich steht am Ende der Wunsch, das "Mind" in seine gewalt zu bringen, doch die Geschehnisse auf Schar's World lassen dieses Ziel dann doch wieder ganz weit in den Hintergrund geraten.


    Das ist eigentlich nicht schlecht gedacht von Mr Banks, gerät aber doch an vielen Stellen etwas beliebig und unnötig langatmig. Auch wirkt der angefügte Anhang, in dem Details über die kriegführenden Gesellschaften und den Verlauf des Krieges referiert werden, reichlich unelegant und wie Stückwerk, das nicht in die Diegese hat eingewoben werden können - aus welchen Gründen, sei dahingestellt.
    Ich habe trotz des interessanten Erzählstils nicht so schnell vor ein weiteres Buch aus der losen Folge des "Kultur"-Zyklus, dessen Auftakt "Consider Phlebas" bildet, zur Hand zu nehmen, wenn Banks auch sicher nicht für alle Zeit von meiner Leseliste gestrichen ist.


    Es fehlt bei diesem Buch für mein Empfinden ganz klar am Handwerk. Die Idee ist da und gut, die Umsetzung schlottert aber auch an Stellen, an denen sie es aus sich selbst heraus nicht sollte und lässt in der reinen Konstruktion, nicht im Handlungsverlauf zu viele Fragen offen.


    *

    Die Kritik am schweren Hineinkommen in den Lesefluss kann ich ja ein Stück weit nachvollziehen, aber die am "Saumensch"? Das ist ein Schimpfwort, das Markus Zusak von seiner Mutter hat, die aus der Nähe von München stammt. Mag sein, dass es heute nicht mehr gebräuchlich ist, aber die Geschichte spielt in den 40ern. Man muss das Wort ja nicht schön finden, aber ihm die Verwendung eines authentischen bayerischen Ausdrucks vorzuwerfen, weil man ihn selbst nicht kennt, finde ich ziemlich eigenartig.


    Herzlich, Bartlebooth.

    Zitat

    Original von peter.s
    Der Terror wird aber ebenfalls stark thematisiert. Alles was mit Max zu tun hat, ist davon geprägt. Und Herr Hubermann steht auch unter strenger Beobachtung des Regimes. Selbstverständlich war mir klar, dass dieses Thema eine Rolle spielen wird. Ich hatte gehofft, die damaligen Ereignisse würden nicht in diesem Umfang die Handlung des Buches bestimmen. Positiv ist auf jeden Fall, dass nicht ständig der moralisierende Zeigefinger gehoben wurde.


    Ich finde eben, dass dies wesentlich weniger stark der Fall ist als in vergleichbaren Büchern. Natürlich wird gesagt, warum Max im Keller steckt und nicht rausdarf. Es ist aber für die Geschichte sehr bezeichnend, dass die Situation, in der er schließlich durch die Nazis aufgegriffen wird, gar nicht im Buch vorkommt. Und gibt es wirklich eine kritische Situation für Hans Hubermann? Ein Verhör, Schikanen von offizieller Seite? Es gibt eine Situation, in der Hans Hubermann Angst hat, man könnte ihn wegen Aufwiegelei ins Gefängnis stecken, was sich aber im Nachhinein als unbegründete Furcht erweist. Nicht einmal die strammen Nazianhänger, wie die Besitzerin des Kramladens, auch die Frau des Bürgermeisters werden nicht als Denunziantinnen vorgeführt. Man traut es ihnen zu, das schon, aber konkrete Situationen werden im Buch nicht geschildert.


    Die Angst ist schon ein Thema, aber von Terror ist eigentlich im ganzen Buch außer während des Marsches der Juden nach Dachau, direkt nichts zu sehen. Man weiß, dass er da ist (natürlich wissen wir das allemal), aber im Buch kommt er nicht vor. Das nenne ich nicht "im Vordergrund stehen".


    Herzlich, Bartlebooth.

    Zitat

    Original von peter.s
    Es hatte mich gleich etwas abgeschreckt, dass die Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus spielt und leider steht dieses Thema dann auch ziemlich im Vordergrund.


    Das finde ich nun ausgerechnet nicht. ich mein, ja, das Buch spielt mitten im Krieg, insofern sind bestimmte bekannte inhaltliche Elemente kaum zu vermeiden, aber "die Nazis" sind doch eigentlich erstaunlich wenig präsent. Es gibt Nachbarn, Parteimitglieder, Mitläufer, aber es ist doch höchst bemerkenswert, dass die Pointe des Buches in der Kriegs- und nicht in der Terrorthematik liegt.


    Zitat

    Original von peter.s
    Der Geschichte fehlt es meiner Meinung nach an Besonderem, alles kam mir irgendwie schon aus anderen Büchern bekannt vor. Dadurch fand ich das Buch weniger spannend und musste mich über einen ziemlich langen Zeitraum Kapitel für Kapitel "durchquälen".


    Insofern kam mir das alles aus anderen Büchern gerade nicht bekannt vor. Der Mangel an "Besonderem", naja, das kann man so oder so sehen. Sicherlich ist es, wie bereits erwähnt, ein Buch über den Alltag, und insofern naturgemäß wenig "besonders". Literarisch ist dieser Fokus aber sehr wohl besonders, da für gewöhnlich in Büchern, die in einem Terroregime spielen, der Terror viel stärker im Vordergrund steht als es hier der Fall ist. Da hat Markus Zusak etwas neues geschafft, ohne zugleich verharmlosend oder schönfärberisch zu werden.


    Zitat

    Original von peter.s
    Eigentlich wollte ich auch Zusaks Buch "Der Joker" lesen, aber sicherlich ist das vom Stil her ähnlich und gefiele mir dann wohl auch nicht. :(


    Das kann ich nicht finden. Zusaks Sprache ist immer ähnlich, das schon, aber "Der Joker" ist ein völlig anderes Buch, viel mehr Jugendbuch und durch die episodenhafte Struktur sehr viel weniger kompliziert zu lesen.


    Zitat

    Original von n8eulchen
    weiß jemand wann das buch als taschenbuch erhältlich ist?


    Sicherlich noch nicht so bald, ich würde tippen frühestens 2010, das HC ist ja noch kein halbes Jahr auf dem Markt und läuft ausgezeichnet.
    Auf Englisch ist es im Taschenbuch allerdnigs schon da.


    Herzlich, Bartlebooth.