Schreibwettbewerb 01.09.2019 - 01.11.2019 Thema: "Wache"

  • Thema 01.09.2019 - 01.11.2019:


    "Wache"


    Vom 01.09.2019 bis 01.11.2019 23:59 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den aktuellen Schreibwettbewerb zum Thema „Wache“ per PN (Sprechblasensymbol, „Konversationen“) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 02.11.2019 eingestellt.


    Wer mitschreiben möchte, sendet bitte eine PN an den Account SchreibwettbewerbOrg. Wir schicken euch dann die Zugangsdaten für den Account Schreibwettbewerb. Das Passwort bitte vertraulich behandeln! Ihr meldet euch als Schreibwettbewerb an und sendet euren Beitrag an SchreibwettbewerbOrg. Dadurch sind alle Beiträge anonym. Nach der Veröffentlichung (nach dem 01.11.2019) sendet bitte eine zweite PN mit dem Titel eures Beitrags und eurem Namen an SchreibwettbewerbOrg, damit wir die Beiträge zuordnen können. Das Orga-Team wird erst nach der eigenen Punktevergabe in diese Beiträge schauen.


    Neue Regeln:

    - Die Grenze für die Beiträge wird auf 600 Wörter erhöht.

    - Abgabeschluss ist um Mitternacht.

    - Mitschreiben darf, wer mindestens 50 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 6 Monaten Mitglied ist.

    - Abstimmen darf, wer mindestens 25 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 3 Monaten Mitglied ist.

    - Als Thema vorgegeben werden kann ein Wort, ein Satz oder ein (selbstgeknipstes/gezeichnetes) Bild (ihr müsst das Urheberrecht haben)


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 600 Wörter zu verwenden. Wir behalten uns vor, Beiträge mit mehr als 600 Wörtern nicht zum Wettbewerb zuzulassen!

  • Liebe Schreibereulen, denkt daran: In einer Woche ist Abgabe für den aktuellen Schreibwettbewerb!


    Falls jemand noch die Zugangsdaten für den Schreibwettbewerb Account (nötig für die Abgabe des Beitrags) benötigt, meldet euch per PN bei SchreibwettbewerbOrg oder auch bei mir (es schaut nicht unbedingt täglich jemand vom Orgateam in den Account).


    :wave


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    Super, es sind tatsächlich sieben Beiträge geworden!


    Bitte denkt daran, erst die Punkte zu vergeben und dann erst zu kommentieren.


    Hier geht's zur Punktevergabe.


    Und hier zu den Kommentaren.

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

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  • Totenwache - Wachentod

    R.Bote


    Pharao Therthes hatte die Priester rufen lassen. Padris, der Hohepriester, und zwei andere riefen nun gemeinsam alle bekannten Gottheiten um ihren Beistand an.

    Doch die Mühe würde vergebens sein. Tuthoxep, seit frühester Jugend Freund und engster Vertrauter des Pharaos und sein wichtigster Diener, hatte viele Menschen gesehen, die das Fieber befallen hatte, und keinem davon hatten sich die Gottheiten gnädig erwiesen. Vielleicht würde der Pharao noch einmal die Sonne aufgehen sehen, mehr durfte er sich nicht mehr erhoffen.

    Tuthoxep wusste, was von ihm erwartet wurde: an der Seite seines Freundes zu bleiben und anschließend die Totenwache zu halten. Das bedeutete nichts anderes, als dass er mitgehen würde in die andere Welt, denn natürlich würde man dem Pharao seine wichtigsten Vertrauten mitgeben.

    Seine Gedanken kreisten wie wild, während er sich mit schnellen Schritten dem Palast näherte. Unter einem Vorwand war er weggegangen, als er begriffen hatte, was den Pharao niedergeworfen hatte, um seine Frau mit den beiden Söhnen wegzuschicken. Sie sollten in den Süden reisen, wo niemand sie kannte, und er hoffte, sie dort wiederzutreffen.

    Er bezweifelte nicht, dass Hohepriester Padris die Tradition auch mit Gewalt durchsetzen würde, wenn es sein musste. Trotzdem wollte er Therthes nicht den letzten Gefallen verweigern, den er ihm tun konnte, und ihn so lange wie möglich begleiten am Ende seiner Zeit in dieser Welt. Es kam darauf an, den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen, wenn der Hohepriester nach dem Tod des Pharaos das festgelegte Zeremoniell begann, würde er keine Gelegenheit mehr bekommen, zu fliehen.

    Manchmal schalt er sich in Gedanken einen Feigling, dass er sich noch nicht bereit fühlte, in die andere Welt zu gehen. Doch würde Therthes überhaupt einen Diener brauchen in der anderen Welt? Tuthoxep hatte einmal im Auftrag des Pharaos einen Grabraub untersucht, bei dem die Räuber nicht einmal davor zurückgeschreckt waren, den inneren Sarkophag zu öffnen, und seitdem zweifelte er. Wenn der Verstorbene seinen Körper in der anderen Welt benötigte, wie konnte der Körper dann unversehrt im Sarkophag liegen? Wie konnte dann alles, was dem Toten mitgegeben worden und für die Räuber nicht von Wert gewesen war, in der Kammer geblieben sein? Vielleicht, sagte Tuthoxep sich, würde Therthes sich sogar freuen, wenn sie sich später in der anderen Welt wiedersahen und er berichten konnte, was nach seinem Übergang in dieser Welt geschehen war?

    Im Palast angekommen, stieß er in der Halle vor dem Schlafgemach des Pharaos mit einem Beamten zusammen. „Tuthoxep!“, seufzte der Mann. „Ich wurde gerade geschickt, dich zu suchen. Hohepriester Padris lässt dir ausrichten, dass...“ Er verstummte, offensichtlich wollte er Tuthoxep, um dessen enges Verhältnis zum Pharao er wusste, die Todesnachricht möglichst schonend überbringen und suchte vergeblich nach den richtigen Worten. Doch Tuthoxep verstand auch so. „Danke“, sagte er schlicht.

    Er tat so, als wollte er weitergehen zum Schlafgemach, wo die Priester auf ihn warteten, aber in Wirklichkeit wollte er nur genug Abstand zu dem Beamten gewinnen. Auf halber Strecke wandte er sich nach rechts und erreichte mit wenigen schnellen Schritten ein Fenster. Er wusste, dass es reichlich zwei Manneslängen waren bis zum gepflasterten Hof; wenn es unglücklich lief, würde er in wenigen Augenblicken in der anderen Welt mit dem Pharao vereint sein. Oder er verletzte sich so schwer, dass die Wachen ihn nur noch aufzulesen brauchten. Doch es war der einzige Weg, der vielleicht zurück in diese Welt führte. Begleitet vom erschrockenen Aufschrei des Beamten sprang er.

  • Das Ritual

    polli


    Unter der sengenden Sonne schloss Großvater die Augen und begann mit dem Gesang. Es war mehr ein heiseres Krächzen als ein Singen, und nur, wenn Mbo genau hinhörte, verstand er die Bedeutung der alten Worte. „Sch-sch-“, Großvater hatte unwirsch abgewunken, als Mbo ihm Fragen stellen wollte. „Siehst du den Adler am Himmel kreisen? Glaubst du, er hat seine Eltern gefragt, wie das Fliegen geht? Schweig und folge mir und Joey.“


    Das Gewand drückte schwer auf der Haut. Es roch nach Vergangenheit, nach Staub und ein wenig nach den Ausdünstungen wilder Tiere. Er unterdrückte den Impuls, nach seinem Handy zu tasten.


    Die drei Männer bildeten einen Kreis um das Bündel. Die Sonne brannte. Bis zu ihrem Untergang waren es noch drei Stunden. Großvater hatte die Zeit festgesetzt, obwohl er keine Uhr mehr besaß und er seine blinden Augen längst nicht mehr zum Himmel richten konnte. Er stützte sich auf den Stab und setzte erneut mit dem Gesang seiner Vorfahren ein. Mbo versuchte, die Laute nachzuahmen, die er zuletzt als Kind gehört hatte. Es gelang ihm nicht. Joey auch nicht.

    Der Platz war unverändert geblieben, wenn man von den zahlreichen Fußspuren absah. Im Hintergrund bot das Versammlungshaus Schutz vor den Blicken Fremder, im Osten bildete dichtes dorniges Gestrüpp ein natürliches Hindernis. Großvaters Gesang wurde eindringlicher. Er beschwor das Leben des Mannes in ihrer Mitte, malte mit krächzenden Worten das Bild eines mutigen Kriegers, der sein Leben für eine ferne Dorfgemeinschaft gegeben hatte.

    Mbo fiel es schwer, regungslos still zu stehen. Sein Kopf schmerzte, das Gewand lastete ungewohnt schwer auf seinen Schultern. Wie hält man das aus? Warten. Zuhören. Schweigen.


    Er beobachtete seinen Cousin Joey. Ob er ähnliche Schwierigkeiten hatte?

    Großvater schwankte und stützte sich fester auf seinen Stab. Allein ihm als dem Ältesten stand es zu, den Griff zu berühren. Das dunkle Holz war mit kantigen Mustern verziert. Was die Markierungen und Kerben bedeuteten, wusste niemand mehr, auch Großvater nicht. Mit den Vorfahren war ein Großteil ihres Wissens verschwunden, und wenn sich Mbo nicht mit der Dokumentation beeilte, dann starb mit Großvater der Letzte, der die Stammessprache und die alten Rituale beherrschte.

    Als die Sonne unterging, hielt Großvater inne. Er winkte Joey heran und flüsterte etwas. Dieser gehorchte und entzündete das Feuer, dann kehrte er auf seinen Platz zurück. Großvater begann einen neuen Gesang. Möge der Fremde einen Platz bei seinen Vorfahren finden. Mögen die Worte des Abschieds die Anwesenden lehren, ein respektvolles und demütiges Leben zu führen.

    Mbo verstand jeden Satz. Großvaters Worte brannten in seinem Inneren.


    Joe kehrte mit Großvater zurück, das war so abgesprochen. Mbo hatte ihm zusichern müssen, dass er den Begräbnisplatz bis zum Morgengrauen bewachen würde. Sie waren es dem unbekannten Toten schuldig.


    „Sorry, Großvater“, murmelte er. Er befreite sich von dem Gewand und zog das Handy aus seiner Hülle. Die Aufzeichnung war erfolgreich. Ob die Tonqualität für eine vollständige Transkription ausreichte, würde er morgen prüfen. Erst einmal Spuren beseitigen. Er kippte mehrere Eimer Sand auf das Feuer, nahm den Stab an sich und legte ihn an den seit Jahren angestammten Platz zurück. Er schloss die Vitrine neben der Kasse sorgfältig ab, dann verließ er das Freilichtmuseum.

  • Warte, werde...

    Marlowe


    Warum machen Sie das?


    Die Frage schwebte unausgesprochen im Raum. Wie ein blass blauer Nebel war sie aus den neugierigen Augen des Mannes im Sessel vor ihr herausgeglitten, Buchstaben formend, die sich flimmernd langsam wieder auflösten.


    Aber nur sie konnte sie sehen und lesen. Sie, die rätselhafte Person, die Nieschläferin, die den Mann im Sessel an die Grenzen seines Verstandes führte, weil er nicht wusste, was ihre Anwesenheit bedeutete. Der Sesselmann war ihr jetzt gleichgültig, inzwischen lästig sogar, nichts war für immer.


    Wieder erschien dieses zuerst sanfte Leuchten um ihren Kopf. In den glänzenden Augen vor ihr spiegelte es sich wie ein Fremdkörper. Diesmal jedoch wurde es intensiver. Das Sofa auf dem sie saß strahlte rötlich und dem Mann fiel der Satz ein „und ich sah eine Frau sitzen auf einem scharlachroten Tier“.


    Er schluckte ängstlich, aus Kapitel siebzehn der Offenbarung stammte dieser Satz, fiel ihm plötzlich ein. Etwas Unerhörtes passierte hier gerade. Zum ersten Mal, seit sie so plötzlich bei ihm aufgetaucht war überkam ihm eine unheilvolle Ahnung.


    Plötzlich war sie auf seiner Terrasse gestanden. Wie aus dem Nichts. Sie war schön, ja vollkommen sogar, fand er und dabei so rätselhaft. Wie ein Wesen aus einer anderen Dimension und doch so real, wie sie da vor ihm stand. Er erinnerte sich, wie er den Stift fallen ließ, die Rede vor dem Ausschuss war plötzlich unwichtig. Alles andere war genauso unwichtig. Dieses danach war aber nur noch ein verschwommener Traum.


    Wie lange war das her? Er grübelte. Zwei Wochen? Konnte das sein? Ja, doch, seit vierzehn Tagen saß sie auf seinem Sofa. Die Augen immer offen, sie aß nichts, sie trank nichts, sie sprach nicht. Trotzdem konnte er sie hören und sie kannte seine Fragen schon bevor er sie aussprach. Es war, sie war magisch. Er erinnerte sich nicht daran, wann er geschlafen oder etwas gegessen oder getrunken hatte, aber er sah die Kanne und die Tasse neben sich. Er hörte sie denken, dass alles jetzt gut werde. Jetzt?


    Ja jetzt, in diesem Augenblick. Sie stand auf, nahm seine Hand und ging mit ihm in den Garten. Der Himmel war dunkelblau, ein gespenstisches Wetterleuchten ließ ihn immer wieder die Umrisse der Umgebung erkennen. Dann sah er sie.


    Weiß, rot, schwarz, fahl, die Pferde der Reiter schnaubten und stürmten über das Firmament. Der Boden bebte und er hörte die Frau denken. Warte, werde, wache auf!


    Wache auf? Jemand in der Nähe schrie etwas. Aufwachen, aufwachen, Professor, Professor! Verwirrt fuhr er hoch aus seinem Sessel, hörte das Hämmern an der Tür und die Stimme seines Assistenten. Er lachte laut auf. Der arme Kerl kam aus Deutschland, Erdbeben waren für ihn die Apokalypse schlechthin.

  • Kollateralschaden

    Breumel


    "Gute Nacht, Schnuffelchen, schlaf jetzt schön." Liebevoll streicht sie Can das Haar aus der Stirn und gibt ihm einen Kuss.

    "Mama? Ich habe Angst."

    "Ich auch", denkt sie, aber das darf sie ihm nicht sagen. Für einen Vierjährigen ist diese Welt beängstigend genug geworden.

    "Ich passe auf dich auf. Heute bin ich mit Nesrin auf dem Dach. Wenn wir etwas sehen, komme ich ganz schnell hierher und bringe dich in Sicherheit. Und Tante Alena ist im Wohnzimmer und bleibt bei dir, bis meine Wache vorüber ist."

    "Kannst du nicht noch etwas bei mir bleiben?" Mit großen Kinderaugen sieht er sie an.

    Verstohlen sieht sie zum Fenster. Die Dämmerung setzt gleich ein. Sie muss los, denn mit der Dämmerung kommen die Flugzeuge.

    "Zwei Minuten. Aber wenn ich zurückkomme, decke ich dich nochmal zu."

    Er nimmt ihre Hand und schmiegt sich in sein Kissen. Es ist immer noch fremdartig, ihren Sohn nicht in seinem Schlafanzug zu sehen, wenn er im Bett liegt. Aber wenn der Alarm ertönt, müssen sie schnell sein. Dann ist keine Zeit zum Umziehen. Die Schuhe stehen vor dem Bett und die Jacke hängt griffbereit über dem Stuhl. Die Tasche mit den Papieren, etwas Geld und ihrem Schmuck steht neben der Wohnungstür. Sie betet, dass dies nicht eines Tages alles ist, was von ihrem bisherigen Leben bleibt.


    Leise verlässt sie die Wohnung. Auf dem Dach trifft sie auf Dilara.

    "Wo ist Nesrin? Sie sollte doch heute mit mir die erste Wache halten."

    "Sie hat jemanden gefunden, der sie und die Kinder zu ihren Eltern fährt."

    Das dürfte sie einiges gekostet haben, aber wenn Dana Verwandtschaft auf dem Land hätte wäre sie auch längst fort. Leider kommt sie, ebenso wie ihr Mann, aus der Stadt. Ins Ungewisse will sie nicht fliehen, und vielleicht kommt Malik ja bald zurück und dann findet er sie hier, wo sie mit den anderen Frauen die Stellung hält. Im Haus leben nur noch Frauen, Kinder und alte Leute. Die Männer sind an der Front. Ab und an gibt es Nachrichten übers Handy, und jede der Frauen hofft, dass es nur ein technisches Problem ist, wenn die Nachrichten ausbleiben.

    Die Frauen stellen sich Rücken an Rücken, um den Horizont zu beobachten. Neben ihnen ist eine primitive "Alarmanlage", gebastelt aus Eimern, Konservendosen und Stöcken. Sollten die Flugzeuge auftauchen, veranstalten sie genug Lärm, um alle Hausbewohner aufzuwecken, bevor sie zu ihren Familien rennen und sich in Sicherheit bringen. Es gibt auch offizielle Sirenen, aber darauf wollen sie sich nicht verlassen.

    Es wird eine lange, kalte Nacht werden. Ihre Wache geht bis Mitternacht, dann werden sie von zwei andere Frauen abgelöst werden. Sie unterhalten sich leise, doch schließlich versinkt jede in Gedanken und beobachtet schweigend den Horizont. Sie eint der Wunsch, ihre Familien zu beschützen, die Angst vor den Angreifern und die Wut auf die Verbündeten, welche sie im Stich gelassen haben. Sie stehen auf diesem nächtlichen Dach, um ihre Familien zu beschützen, weil niemand sonst es tut. Wenn sie sterben sind sie nur eine Zahl in einer Statistik. Doch jede dieser Zahlen trug einst einen Namen.

  • Ein ganz normaler Freitag

    Inkslinger


    Heute ist der härteste Tag des Jahres. Na ja, eigentlich hatte ich dieses Jahr schon ein paar davon, aber wie die meisten Menschen neige ich dazu, unangenehme Wahrheiten zu verdrängen. Andernfalls könnte ich meinen Job nicht so ausgezeichnet erfüllen, wie ich es tue.

    Mein heutiger Auftrag ist besonders wichtig. Bianca Voss, 34 Jahre alt, Mutter von drei Kindern. Keiner meiner Kollegen wollte den Auftrag übernehmen. Also eine Möglichkeit für mich zu glänzen wie ein Swarovski-Handtäschen im Sommer. Vielleicht bleibt dann der blöden Gina ihr Kreissägenlachen im Hals stecken, wenn sie das nächste Mal mit ihren Tussis über mich lästert.



    Als mein Zielobjekt um sechs Uhr aus den Federn hüpft, habe ich sie gleich im Blick. Sie scheint unkompliziert zu sein. Einfach gestrickt und beeinflussbar, so hab ich sie am Liebsten.

    Zum Glück muss ich mich nicht um ihre Blagen kümmern. Die haben einen ziemlichen Hau. Die Große schmiert sich literweise Schminke ins Gesicht und sticht sich mit ihrem Kajalstift fast ein Auge aus. Die Mittlere geht mit geschlossenen Augen durch ein fieses Minenfeld aus Matchbox-Autos und Legosteinen. Der Kleine spuckt wie eine defekte Ballmaschine ununterbrochen Nichtigkeiten aus und verschluckt sich dabei regelmäßig an seiner eigenen Spucke.


    Vielleicht wird es doch ein ganz locker Tag für mich.

    Wieso wollte keiner meiner Kollegen den Einsatz übernehmen? Sind die alle blöd oder sitze ich in einer cleveren Falle, die sich die unausstehliche Gina für mich ausgedacht hat? Ich gehe einfach von Ersterem aus und bleibe entspannt auf meinem Posten.


    Nach langweiligem Alltags-Blabla verlassen die Kinder das Haus, um sich ihrer geistigen Entwicklung zu widmen (viel Erfolg dabei!). Bianca erledigt ihre Hausarbeit, die bis auf einen Beinahe-Griff in ein hochkant stehendes Messer im trüben Abwaschwasser unspannend bleibt, und macht sich dann auf dem Weg zur Arbeit.


    Krass! Sie biegt auf das Gelände eines Fernsehstudios ein. Beschatte ich hier etwa einen Fernsehstar? Nimm das, Gina!

    Meine Euphorie legt sich ein wenig, als sie nach einem kurzen Geplänkel mit dem Pförtner in der Umkleide ankommt. Nur ein Spind von vielen. Kein Star mit eigener Garderobe. Aber ich will mal nicht so sein. Es gibt keinen unwichtigen Job, nur unwichtige Menschen – oder wie ging der Spruch doch gleich?


    Ich folge ihr ins Studio 7. Eine riesige Halle, vollgestopft mit Kulissen, Requisiten und Krach. Die Scheinwerfer brutzeln, die Assistenten schwirren umher, Kostümleute zupfen, Schauspieler plappern.

    Bianca wird freundlich begrüßt und in ein Kostüm gesteckt. Jetzt sieht sie aus wie ein adipöses Krümelmonster in Trauer. Mich stört es nicht. Ich beurteile Menschen nicht nach ihrem BMI oder ihren Vorlieben. Wenn jemand voll kostümiert ein 10-Meter-Gerüst raufklettern will…


    Moment mal! Was macht sie denn da oben? Hangelt sich elegant wie King Kong hoch, stellt sich an den Abgrund und guckt den Megafon-Typen drei Stockwerke tiefer befehlshörig an. Was ist in ihrem Leben bloß schief gelaufen?!

    Der Angehimmelte hebt sein Sprechrohr und schreit: „Action!“

    Kaum ist sein Befehl verhallt, tritt ein schwarzgekleideter Kerl hinter Bianca, verpasst ihr ein paar Schläge und schubst sie in die Tiefe. Als sie windzerzaust aber freudestrahlend aus dem Riesenluftkissen gekrabbelt kommt, erkenne ich die entsetzliche Wahrheit: Sie haben mir eine Stuntfrau zum Beschützen gegeben! Diese miesen kleinen…



    Nach sieben Stunden nervenaufreibender Schicht kehrt Bianca in die Umkleide zurück. Dank mir hat sie bis auf ein paar blaue Flecken nichts abbekommen.

    Eine ihrer Kollegen kommt in den Raum. „Hey, super reagiert vorhin! Hast den verdrehten Gurt beim Autocrash gut abgefangen. Scheiß Freitag der Dreizehnte, was?“

    Bianca nickt und grinst. „Mein Schutzengel braucht heute bestimmt einen Schnaps zur Beruhigung.“

    Nicht nur einen, Mädel, nicht nur einen.

  • Der Baum

    Johanna


    Einst war er noch sehr klein

    Und stand auch nicht allein

    Wenn auch nur aus Holz

    So war er trotzdem stolz

    Er wuchs und wuchs, in die Höhe hinein


    Die Jahre, sie gingen ins Land

    Unser Freund entwickelte sich rasant

    Um ihn herum wurds immer lichter

    Bald fehlte ihm der Nachbarn Geflüster

    Er aber blieb stehen und wirkte markant


    Wo stand einst ein schöner Wald

    Verdrängten ihn die Häuser bald

    Es lärmte und es stank

    Beinahe wurde er ganz krank

    Noch stand er und trotzte dem Asphalt


    Es kam der Tag, da sollte er weichen

    Als eine der letzten verbliebenen Eichen

    Urplötzlich wurde den Menschen bewußt

    Was wäre das für ein großer Verlust

    Sie mußten setzen ein deutliches Zeichen


    Erbittert kämpften sie um ihre Welt

    Auf dass diese sich noch lange erhält.

    Heute wacht der Baum ganz stark und groß

    Die Kämpfer waren grandios

    Denn der Baum ward nicht gefällt

  • Der Strand

    Sinela


    Mit kräftigen Flossenschlägen schwamm die Meeresschildkröte durch das Wasser. Ihr Instinkt ließ ihr keine Wahl, als genau an dem Strand an Land zu gehen, an dem sie vor vielen Jahren geboren worden war. Im Licht des Vollmondes verließ sie das nasse Element, das ihre eigentliche Heimat war, und lief über den Strand um eine geeignete Stelle für ihr Vorhaben zu finden. Dort begann sie ein Loch zu graben und als es tief genug war, begann sie mit der Eiablage. Nach getaner Arbeit begann sie den vorher weg geschaufelten Sand wieder in die Grube zu werfen. Immer höher wurde der Berg, bis die Schildkröte zufrieden war und sie sich wieder auf den Weg zurück zum Meer machte.


    „Wahnsinn“, flüsterte Sarah, die zusammen mit ihrem Begleiter am Waldrand zwischen einigen Bäumen lag. „Das ist jetzt schon die vierte Schildkröte heute Nacht, die ihre Eier hier abgelegt hat, und es ist erst 23 Uhr.“

    „Es ist wirklich faszinierend, was die Natur hier geschaffen hat. Die Sonne brütet die Eier aus; während bei Temperaturen über 29,9 C° nur Männchen schlüpfen, schlüpfen bei höheren Temperaturen ausschließlich Weibchen.“flüsterte Nick zurück. „Und das wundert mich nicht, wo Frauen doch so schnell frieren.“

    Sarah versetzte dem jungen Mann einen Stoß mit dem Ellenbogen, musste dann aber doch grinsen.

    „Oh, schau mal, da kommen gleich mehrere Schildkröten auf einmal an Land. Sie sind einfach nur wunderschön.“

    Als keine Antwort kam, sah sie ihren Begleiter an und bei dem Blick, den er ihr zuwarf, begann sie schneller zu atmen.

    „Du bist wunderschön, Sarah. Ich möchte dich gerne küssen, darf ich?“

    Diese Frage kam nicht völlig überraschend für die junge Frau, denn schon die ganze Zeit, in denen sie mit Nick Wache am Strand schob, war da diese Spannung zwischen ihnen gewesen. Deshalb nickte sie nur und der junge Mann eroberte mit einem tiefen Seufzen ihre Lippen. Der Kuss ging in einen weiteren über, wurde leidenschaftlicher.

    „Komm, lass uns ein Stück in den Wald hineingehen, damit uns niemand sieht. Ich möchte dich dort so sehen wie Mutter Natur dich schuf.“

    Sarah erzitterte vor Verlangen, ihr Herz raste, aber ihr Verstand ließ sie nicht so einfach gehen.

    „Aber wir können hier doch nicht weg. Was, wenn ausgerechnet dann jemand kommt, um die Schildkröteneier zu stehlen, wenn wir nicht hier sind?“

    „Ach komm, es ist jetzt die ganzen Nächte ruhig geblieben, die Eiablagezeit ist bald vorüber, da wird nicht ausgerechnet jetzt etwas passieren.“

    „Na gut“, antwortete Sarah zögernd. Nachdem sie sich ein letztes Mal umgesehen hatte, folgte sie Nick in den Wald hinein.


    Es dämmerte bereits, als die Beiden zurück zum Stand gingen. Immer wieder blieben sie dabei stehen, um sich zu küssen. Als sie aus dem Wald traten, blieben sie wie erstarrt stehen.

    „Nein, das kann nicht! Nein! Nein! Nein!“

    Sarah riss sich von Nicks Hand los und rannte über den Sand. Über den gesamten Strand verteilt waren Löcher gegraben worden, kein einziges der in dieser Nacht gelegten Eier befand sich mehr darin. Sarah drehte sich zu Nick um, der ihr gefolgt war.

    „Wir hätten nie hier weg gehen dürfen! Wir hatten doch die Verantwortung für all diese kleinen Schildkröten, die jetzt nie geboren werden! Wir sind schuld, dass die Eier für immer verloren sind!“

    Sarah schlug in ihrer Verzweiflung auf Nick ein, während die Tränen unaufhaltsam über ihre Wangen rannen.

    „Es tut mir leid, ich hätte nie gedacht ...“

    „Hör auf!“, schrie Sarah ihn an. „Hör einfach auf!“

    Sie drehte sich um und rannte über den Strand, der nun wegen ihnen doch keine Kinderstube für Meeresschildkröten werden würde.