Taschenbuch: 144 Seiten, 15,00 €
Verlag: Das Neue Berlin, Juni 2020
ISBN: 978-3360013620
Tief beunruhigend
Er ist jung und eifrig. Er ist stolz auf sich und auf die große Zeitung, bei der er arbeiten darf. Er genießt es, die Dinge kühl und gegebenenfalls scharf niederschreiben zu dürfen, er genießt es umso mehr, da es in seinem vorherigen journalistischen Leben nicht möglich war; er ist der erste Ostler in der Redaktion. Zunächst arbeitet er im Sportressort, dann als Reporter. Über Jahre geschieht und gelingt alles wie selbstverständlich, weit ist diese Welt hier und offen – bis das Vorherige, das Bedrängende von Neuem aufscheint, in eleganterer Form, mit dramatischen Folgen … (Klappentext)
Birk Meinhardt, geboren 1959 in Berlin-Pankow, studierte Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig und war Sportjournalist bei der »Wochenpost«, der »Jungen Welt«, dem »Tagesspiegel« und von 1992 bis 1996 bei der »Süddeutschen Zeitung«. Für Letztere arbeitete er von 1996 bis 2012 als Reporter. Seitdem lebt er als Schriftsteller am Rande Berlins. Er erhielt den Kisch-Preis 1999 und 2001 sowie den Stahl-Literaturpreis 2013. Im selben Jahr war er für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Zuletzt erschienen von ihm die Romane »Brüder und Schwestern. Die Jahre 1973 bis 1989« sowie »Brüder und Schwestern. Die Jahre 1989 bis 2001«. (Autorenportrait Eulenspiegel-Verlagsgruppe)
Gerade eben erschienen, ist "Wie ich meine Zeitung verlor" nicht nur das tief beunruhigende Dokument der Verzweiflung eines Spitzenreporters am wuchernden Gesinnungsaktivismus seines einst als intellektuell vielseitig und journalistisch grundsolide geltenden Blattes, sondern vielmehr, wie Knut Cordsen vom Bayerischen Rundfunk es ausdrückt, "ein Buch über das, was falsch läuft im Journalismus". Meinhardt zeigt eindringlich, wie sich langsam, zunächst nur als kleinere Verstörungen in seiner Arbeit wahrgenommen, ein Paradigmenwechsel in einer der führenden Tageszeitungen Deutschlands vollzieht - durch einen Journalismus des "ständigen Weglassens und Hervorhebens", wie Meinhardt sagt. Er erfährt das am eigenen Leibe, als schließlich sogar Reportagen von ihm nicht in die Zeitung genommen werden - von den Zeitungschefs abgelehnt, weil sie angeblich "die falschen Signale aussenden". Das erträgt er nicht, denn: "Die Realität, wenn es denn eine harte ist, muss geschildert werden, und diese Schilderung soll nicht weichgespült und schon wieder halb zurückgezogen werden durch allseits opportune Relativierungen. Wenn es denn weh tut, die Stücke zu lesen, liegt es nicht an den Stücken, sondern daran, was darin abgebildet wird“.
Meinhardt sieht, dass die - beileibe nicht nur in der Süddeutschen - sich manifestierende Form eines durchgängigen Haltungsjournalismus stark zur Polarisierung in unserer Gesellschaft beiträgt. Und so kehrt er der einstmals von ihm so verehrten, ja geradezu als journalistische Verheißung für einen jungen, aus dem Osten kommenden Reporter erstrahlenden Zeitung den Rücken. Zweifellos ist er verbittert, das merkt man gegen Ende des Buches seinen oftmals arg eifernden Formulierungen an. Und doch hat er natürlich recht mit seiner Erkenntnis: “Der Journalismus trägt meines Erachtens eine Riesenschuld an der Verhärtung der Fronten, die er selber beklagt. Er bringt sie maßgeblich mit hervor und er beklagt sich danach.“
Lesenswert.
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ASIN/ISBN: 336001362X |