Toni Morrison - Jazz

  • Toni Morrison - Jazz

    Übersetzerin Helga Pfetsch


    Inhalt:


    Harlem in den 1920er Jahren: Auf einer ausgelassenen Party erschießt der 50-jährige Joe Spur seine 18-jährige Geliebte Dorcas. Von der weißen Polizei erwartet man keine Hilfe und so benachrichtigt man sie gar nicht erst. Dorcas wird beerdigt und alle leben ihr Leben weiter. Doch das Ereignis hinterlässt seine Spuren: In Joe, der Dorcas immer noch verzweifelt liebt, in seiner Frau Violet, die nach einem Skandal bei Dorcas Beerdigung "Violent" genannt wird, in Dorcas Tante Alice. In den folgenden Kapiteln geht es darum, wie es zu Joes Tat kommen konnte, und wie man damit weiterleben kann.


    Meine Meinung:


    So schnell und einfach die Handlung erzählt werden kann (letztendlich dreht sich alles um ein Ereignis), so schwierig wird es jetzt, meinen Leseeindruck zu formulieren. Es war nicht leicht für mich, Zugang zu dieser Geschichte zu finden. Das lag zum Teil sicher an der sehr komplexen Erzählweise. Hier gibt es kein überflüssiges Wort, keine langen Beschreibungen, jedes Wort sitzt und hat Bedeutung. Diese Dichte ist für mich ungewöhnlich und ich musste öfters mal beim Lesen eine Pause einlegen, um das Gelesene zu verdauen.


    In dem Buch geht es viel um Erinnerungen, sowohl um persönliche als auch um gesellschaftliche. Wir lesen über Violets Mutter Rose Dear und ihre Großmutter True Belle. Wir lesen Geschichten von Verletzungen und von Gewalt, von Sklaverei und Diskriminierung, von Familien ohne Väter. Das alles bringt die Autorin in einer neutralen und einfachen Sprache aufs Papier, und umso schockierender kann die Wirkung ihrer Worte sein. Ich werde mich noch lang an die Beschreibung erinnern, wie Rose Dear im Beisein ihrer Kinderschar ihre Möbel hergeben sollte - warum wird gar nicht groß erwähnt, wozu auch - und als sie nicht von ihrem Stuhl aufstand, wurde sie einfach zusammen mit ihm umgekippt und der Stuhl mitgenommen.


    Beim Lesen hatte ich oft das Gefühl, dass die Autorin mir die Geschichte direkt erzählt, als würde sie sich damit direkt an mich wenden. Manchmal wird auch aus zweiter Hand erzählt, also "Ich habe von A gehört, dass B ihr erzählt hat, dass ... " und das verstärkt noch diesen Eindruck. Vielleicht wäre es sogar passender gewesen, das Buch als Hörbuch zu nehmen und sich die Geschichte wirklich erzählen zu lassen, als sie zu lesen.


    Gefallen hat mir, wie mir das Gefühl der Stadt nahe gebracht wurde. New York wird nie direkt erwähnt, da ein Großteil der Handlung aber in Harlem angesiedelt ist, muss das auch nicht extra thematisiert werden. Die Stadt bringt Joe und Violet die Hoffnung auf ein besseres Leben und die Szene, wie die beiden als junges Paar tanzend im Zug aus dem ländlichen Süden nach New York einfahren, gehört für mich zu den hoffnungsvollsten im Buch.


    Das Buch ist nicht einfach zu lesen, aber wenn man mal etwas abseits von den eigenen, ausgetretenen Lesepfaden erleben will, dann kann ich es empfehlen. Wie gesagt, vielleicht wird ein Hörbuch der Erzählweise noch gerechter.


    ASIN/ISBN: 349922853X