Der die Schuld vergibt von Francine Rivers

  • In einer kalten Januarnacht wird eine junge Studentin auf dem Weg zum Studentenwohnheim überfallen und vergewaltigt. Der Täter entkommt. Dynah wird schwanger.
    Eine Welt bricht für sie zusammen. Was tun mit diesem Kind, dem ungewollten Ergebnis eines Verbrechens? Wird ihr christliches Elternhaus sie durch diese Krise tragen? Oder ihr Verlobter? Die christliche Privatuniversität, an der sie studiert? Werden die Anti-Abtreibungsparolen, die sie lernte, halten? Haben nicht doch die anderen recht?
    Abrupt aus ihrem wohlbehüteten Dasein herausgerissen, erlebt und erleidet Dynah den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, zwischen raschen Beteuerungen und der Realität. Ist Gott auch in dieser Katastrophe da?


    Ein Buch, das auch mal zum Nachdenken anregt...

  • „Wenn man eingeredet bekommt, daß das Ding im Bauch nur ein Gewebehaufen ist, was soll man sich da das Leben mit einem unerwünschten Kind versauen?“ (Seite 266)



    316 Seiten, kartoniert
    Originaltitel: The Atonement Child
    Aus dem Amerikanischen von Friedemann Lux
    Verlag: Verlag der St. Johannes Druckerei, Lahr, 5. Auflage 2005
    ISBN-10: 3-501-01323-X
    ISBN-13: 978-3-501-01323-6



    Zumm Inhalt (Quelle: Buchrückentext, eigene Ergänzung)


    In einer kalten Januarnacht wird eine junge Studentin auf dem Weg zum Studentenwohnheim überfallen und vergewaltigt. Der Täter entkommt. Dynah wird schwanger.
    Eine Welt bricht für sie zusammen. Was tun mit diesem Kind, dem ungewollten Ergebnis eines Verbrechens? Wird ihr christliches Elternhaus sie durch diese Krise tragen? Oder ihr Verlobter? Die christliche Privatuniversität, an der sie studiert? Werden die Anti-Abtreibungsparolen, die sie lernte, halten? Haben nicht doch die anderen recht, zumal der Arzt ohne Nachzudenken Abtreibung als die einzig mögliche Handlungsweise hinstellt?
    Abrupt aus ihrem wohlbehüteten Dasein herausgerissen, erlebt und erleidet Dynah den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, zwischen raschen Beteuerungen und der Realität. Ist Gott auch in dieser Katastrophe da?
    Packend und einfühlsam schildert Francine Rivers in diesem Roman die Problematik um Abtreibung, Schuld, Vergebung und Ja zum Leben. Ein Buch, das Mut machen will.




    Über die Autorin (Quelle: engl. Wikipedia, Homepage der Autorin)


    Francine Rivers wurde 1947 geboren. Sie hat an der Universität von Reno studiert und danach als Journalistin gearbeitet. Schon als Kind wollte sie schreiben. In 1976 erschien ihr erstes Buch, dem etliche weitere im Romance-Sector folgten.


    1986 erfolgte ihre Hinwendung zum Christentum, in dessen Folge sie lange nach geeigneten Themen für künftige Bücher suchte. Im Jahre 1991 erschien „Redeeming Love“ (dt. „Die Liebe ist stark“), in dem sie ihre Hinwendung zum Christentum verarbeitete. Francine Rivers schrieb seither zahlreiche christlich inspirierte Bücher, die teilweise hohe Auflagen erreichten. („Mark of The Lion“ - Trilogie über 500.000 Exemplare). „The Last Sin Eater“ wurde von Michael Landon jr. verfilmt.


    Für Ihre Bücher wurde sie mehrfach mit Preisen, u. a. dem Christy-Award, ausgezeichnet. Die Autorin lebt mit ihrem Mann im Norden Californiens; das Paar hat drei erwachsene Kinder und mehrere Enkel.



    Informationen im Internet


    Über die Autorin, In englischer Sprache:
    - < Klick > - die Homepage der Autorin
    - < Klick > - ein Interview mit der Autorin auf titletrakk.com, u. a. mit einer kurzen Stellungnahme zum Hintergrund dieses Buches
    - < Klick > - ein Interview mit der Autorin, in dem sie u. a. ihren persönlichen und den Anteil ihrer Familie an der Geschichte dieses Buches erzählt
    - < Klick > - der englische Wikipedia-Eintrag
    - < Klick > - die Seite bei fantasticfiction.co.uk
    - < Klick > - hier noch der Text eines Vortrags von Prof. Dr. Manfred Spieker vom 08. März 2010 mit dem Titel „Der verleugnete Rechtsstaat - Zur Kultur des Todes in Deutschland“
    - < Klick > - ein Kommentar von Radio Vatican zur „Kultur des Todes“ aus dem Jahre 2009
    - < Klick > - der Beitrag im Kathpedia zur Abtreibung




    Meine Meinung


    Aber manchmal kommt einem das Leben in den Weg, und dann muß man halt tun, was gerade nötig ist. (Seite 72)
    Was gerade nötig ist. Ohne Rücksicht. Ohne Nachzudenken. Vom Nachdenken an oder über die Folgen ganz zu schweigen. Aber was ist „gerade nötig“? Wer legt das fest, nach welchen Maßstäben richtet sich das? Und ist das Offensichtliche, das gerade Nötige, das doch vollkommen legale auch über den momentanen Zeitpunkt, über den Tag hinaus, auf lange Sicht gesehen, das Richtige?


    Dynah kommt aus einem perfekten Elternhaus, studiert an einer perfekten Universität, hat den perfekten Verlobten, hat das perfekte Leben vor sich.


    Denkt sie.


    Bis in einer kalten Januarnacht das Undenkbare, das Unentschuldbare passiert. Auf dem Heimweg von ihrer Arbeitsstelle in einem Altenheim zum Studentenwohnheim wird sie überfallen und vergewaltigt. Noch unter Schock lehnt sie die „Pille danach“, die der Arzt ihr im Krankenhaus routinemäßig und beiläufig geben will, obwohl die Chancen einer Schwangerschaft sehr niedrig sind, ab. Daynah kommt aus einem christlichen Elternhaus, wurde mit dem strikten „Nein“ zur Abtreibung erzogen. Ihr Verlobter, der bald Pastor sein wird, ist ein fanatischer Gegner der Abtreibung. Zumindest in seinen Reden und Predigten. Von der Universität ganz zu schweigen. Soweit die Theorie.


    Einige Wochen später muß sich Dynah eingestehen, daß sie doch schwanger geworden ist. Die Theorie muß sich in der Praxis bewähren. Und plötzlich liegt die schöne heile Welt in Trümmern, als ob ein Bombenteppich niedergegangen wäre und alle Fassaden für immer zerstört hätte. Zurück bleibt die Ruine einer Lebensplanung; ihre Welt liegt in Schutt und Asche. Auch wenn sich das erst nach und nach enthüllt.


    Ethan, ihr Verlobter, ein absoluter Gegner der Abtreibung, ist plötzlich dafür und drängt sie, „das“ zu machen, bevor jemand etwas von ihrer Schwangerschaft mitbekommt. Ihre Zimmerkollegin will sie zur Abtreibung überreden. Sie sucht Rat bei einem Pastor. Die Gemeinde hat jedoch gerade einen Prozeß am Hals, weil sich jemand umgebracht hat, und die Eltern nun Schadenersatz wollen. Also keine seelsorgliche Tätigkeit mehr, zu risikoreich. Und keinen Rat für Dynah außer dem Hinweis, daß eine Abtreibung legal sei. Schließlich erfährt der Dekan durch Ethan von der Situation - und stellt sie vor die Wahl: entweder Abtreibung („natürlich sind wir dagegen, aber in ihrem Fall...“; „es könnte ja eine Fehlgeburt geben ...“) oder Verlassen der Universität. Schwangere ledige Studentinnen werden nicht geduldet, das ist gegen die Moral.


    Dynah ist in einem schweren Gewissenskonflikt. Sie will das Kind nicht, aber sie will auch nicht abtreiben. Niemand versteht ihre Situation, niemand hilft ihr, alle denken nur an sich. Wäre da nicht Joe, der beste Freund Ethans, der Dynah zuhört, sie tröstet, für sie da ist - sie sucht, als sie plötzlich verschwindet und es nur noch einen Ausweg zu geben scheint.


    Sein Auftritt im Büro des Dekans war filmreif und zählte für mich zu den Glanzpunkten im Buch. Denn hier wird die ganze verlogene Moral (anders weiß ich es nicht zu bezeichnen) auf den Punkt gebracht, so daß sogar der Dekan sein Scheitern an seinen eigenen Maßstäben erkennen muß. Denn Dynah hat alle Brücken abgebrochen und ist nach Hause zu ihren Eltern gefahren. Doch dort kommt sie vom Regen in die Traufe.


    „Abtreibung“ ist das einzige, was den Eltern einfällt, obwohl ihre ganze Erziehung hindurch Abtreibung undenkbar war. Als die Großmutter zu Besuch eintrifft, kommt es zur Explosion. Langsam kommen die ganzen tragischen Verwicklungen der letzten Jahrzehnte zum Vorschein, und auch hier fallen die Fassaden gnadenlos in sich zusammen. Dynah flieht wieder, alleine muß sie zu einer Entscheidung kommen.


    Hatte ich zunächst etwas Probleme mit dem Buch, weil mir die Übersetzung nicht so sehr zusagte, war ich das Buch zu diesem Zeitpunkt dermaßen in den Bann gezogen, daß ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte. Ein Vergleich mit der Leseprobe bei Amazon.com erbrachte auch, daß ich manches anders übersetzt hätte; der Text „klebt“ teilweise für mich zu sehr am amerikanischen Original bzw. benutzt im Deutschen Ausdrücke, die für mich nicht so wirkmächtig sind wie der Originaltext. Weitere Bücher der Autorin, und es werden mit Sicherheit solche kommen, lese ich auf jeden Fall im amerikanischen Original. (Zumal mir die Preise des Johannis-Verlages zu hoch sind.)


    Ich will jetzt nicht näher auf den weiteren Inhalt eingehen, weil das zu viel spoilern würde. Es entwirrt sich ein Geflecht von Schuld und gegenseitigen Verletzungen, das bisweilen beängstigend real wirkt. Vor allem, wenn man die Zahlen im Interview von Prof. Spieker im Hinterkopf hat. Der Originaltitel „The Atonement Child“ heißt wörtlich übersetzt „Das Sühnekind“, „The Atonement“ bedeutet „das Sühneopfer Christi“. Der Titel ist, wie sich im Laufe des Buches herausstellt, überaus passend, wenngleich auch der deutsche in gewisser Weise treffend ist.


    Nur eine Stelle von der Seite 292 möchte ich kurz zitieren, weil da eine Antwort auf die Frage „Warum“ steht, die möglicherweise die einzig mögliche ist. Zwar wird nichts zu Wesentliches verraten, ich spoilere dennoch:


    Dynah wurde zu einer lebendigen Person für mich; der Konflikt, in den sie gestürzt wurde, war für mich greif- und nachvollziehbar. Letztlich geht es auch um die Frage, ob man ein Verbrechen mit einem anderen „gutmachen“ bzw. ungeschehen kann. Das Buch packt ein schwieriges Thema engagiert an. Ich fürchte, die fehlenden Hilfen wären hier in Deutschland genauso wie es für die USA beschrieben ist. Von der gesellschaftlichen Seite und dem Druck von dort her mal ganz abgesehen.


    Beendet habe ich das Buch übrigens vor dem Epilog. Diesen hatte ich zum einen schon vorher gelesen, zum anderen wollte ich mir vor dem Schlafengehen diesen Faustschlag in den Magen ersparen.


    Das Furnier der Zivilisation war dünn. (Seite 77) Die kürzliche Eulendiskussion hat mich überhaupt erst veranlaßt, mich nach langer Zeit wieder mit der Thematik zu beschäftigen und dazu gebracht, daß ich dieses Buch gelesen habe. Wie dünn dieses Furnier ist, wurde mir während der Lektüre mehr und mehr bewußt; ich denke inzwischen, daß es ein zusammenhaltendes Furnier nicht (mehr?) gibt. Ich für meinen Teil ziehe jedenfalls, auch nachdem ich das oben verlinkte Interview mit Prof. Spieker gelesen habe, für mich Konsequenzen daraus. Unrecht wird nicht zu Recht, nur weil es legal ist.


    Leider wird jedoch auch dieses Buch nicht die Augen für das himmelschreiende Unrecht öffnen, das legal jeden Tag aufs Neue geschieht. Aber in einer Gesellschaft, die der Kultur des Todes verhaftet ist, ist anderes eigentlich auch nicht zu erwarten.



    Kurzfassung


    Was passiert, wenn man in eine existentielle Krise gerät? Was sind die anscheinend feststehenden Grundüberzeugungen dann noch wert - die eigenen, wie die der Umwelt? Dynah, überzeugte Gegnerin der Abtreibung, wird nach einer Vergewaltigung schwanger. Sie selbst, ihr Verlobter, die christliche Universität, ihre Eltern müssen plötzlich die Theorie in die Praxis umsetzen.
    Oder noch kürzer: vom Scheitern der Theorie in der Praxis. Ein beeindruckendes Buch.




    Noch eine Anmerkung


    Wer nun meint, das alles als fiktionalen Roman abtun zu können, der sei auf das oben verlinkte Interview der Autorin sowie deren Homepage (FAQ-Bereich) verwiesen. In dem Buch hat die die Folgen ihrer eigenen Abtreibung thematisiert (lt. FAQ entspricht ihre Rolle der von Hannah, der Mutter Dynahs, im Buch). Francine Rivers weiß also aus Erfahrung, worüber sie schreibt.


    (Ich habe die amerikanische Originalausgabe verlinkt, die deutsche findet sich im Eingangspost.)
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Bitte, wobei ich eben - je nach Stimmungslage - empfehle, den Epilog, der nicht die bisheringen Charaktere des Buches zum Inhalt hat, irgendwann zwischendrin zu lesen. Zumindest für mich das dies das einzig richtige.


    Zu Deinem Spoiler:

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Bitte, wobei ich eben - je nach Stimmungslage - empfehle, den Epilog, der nicht die bisheringen Charaktere des Buches zum Inhalt hat, irgendwann zwischendrin zu lesen. Zumindest für mich das dies das einzig richtige.


    Danke, das habe ich inzwischen gemacht - keine schlechte Idee übrigens. Ich bin etwa in der Mitte des Buches und habe den einen oder anderen Wutanfall hinter mir. Das Entsetzliche und das Schöne - oder sollte es besser andersherum lauten - ist ja eigentlich, dass die Geschichte so unendlich real ist. Und selbst wenn man alles, was mit Glauben zu tun hat, durch andere, "weltlichere" Dinge ersetzt, ist es mindestens genau so schlimm. Ethan jedenfalls hat gute Chancen, in die Liste meiner Lieblingsantifiguren (bäh, was für ein Wort) aufgenommen zu werden.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Das Entsetzliche und das Schöne - oder sollte es besser andersherum lauten - ist ja eigentlich, dass die Geschichte so unendlich real ist. Und selbst wenn man alles, was mit Glauben zu tun hat, durch andere, "weltlichere" Dinge ersetzt, ist es mindestens genau so schlimm.


    Ja, u. a. das hat das Ganze für mich auch so nachvollziehbar und bisweilen durchaus * sucht nach passendem Ausdruck * schrecklich/angsteinflößend (irgend etwas in die Richtung) gemacht.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Ethan jedenfalls hat gute Chancen, in die Liste meiner Lieblingsantifiguren (bäh, was für ein Wort) aufgenommen zu werden.


    Wenn ich mal so eine Liste anlege, hat er da auch die berechtigte Aussicht auf einen der vorderen Listenplätze.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")