Hier geht´s lang - Elke Heidenreich

  • Hier geht´s lang

    Elke Heidenreich

    Eisele Verlag

    ISBN: 3961611203

    192 Seiten, 26 Euro


    Über die Autorin: Elke Heidenreich, geboren 1943 im hessischen Korbach, lebt heute in Köln. Sie studierte Germanistik, Theatergeschichte und Religionswissenschaft in München, Hamburg und Berlin und arbeitete jahrelang bei Hörfunk und Fernsehen als Drehbuch- und Hörspielautorin, Literaturexpertin und Moderatorin. Zudem war sie früher Kabarettistin und wurde als Verkörperung der „Else Stratmann“ deutschlandweit bekannt. 1992 erschienen ihre ersten Erzählungen für Erwachsene, „Kolonien der Liebe“, gefolgt von einigen Kinderbüchern. Von 1983 bis 1999 schrieb Heidenreich die „Also ...“-Kolumnen für die Zeitschrift „Brigitte“, von 2003 bis 2008 moderierte sie die ZDF-Sendung „Lesen!“. Seit 2008 ist sie Herausgeberin einer eigenen Edition bei C. Bertelsmann.


    Elke Heidenreich blickt in diesem Buch zurück auf ihr Leben, ein Leben, in dem Bücher wichtige Landmarken darstellen. Jede Station, jedes Alter wurde und wird durch bestimmte Bücher beeinflusst. Anfangs sind es die üblichen Kinder- und Jugendbücher, die teilweise noch aus den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts stammten, bei denen ihr nachträglich erst klar wird, dass sie ein bestimmtes Rollenbild prägen wollten. Später lernt sie die große Literatur kennen und stellt fest, dass sie zu einem überwiegenden Teil von Männern verfasst wurde, dass das männliche Denken so auch (immer noch) an die lesenden Frauen vermittelt wird.


    Als Gegenentwurf stellt sie Bücher von Frauen vor, zitiert sie, zeigt auf, dass Frauen anders schreiben und macht bewusst, wie schwer es schreibende Frauen teilweise auch heute noch haben. Es sind Zitate, die das Leben und das Werk der Autorinnen gut treffen und auf den Punkt bringen.

    Ich habe dieses Buch in einem Atemzug gelesen, denn ich habe mich an vielen Stellen wiedererkannt. Einige Bücher über die Elke Heidenreich schreibt, habe ich gelesen, manche davon haben mich tief beeindruckt. Es tat mir gut, bestimmte Bücher aus einer anderen, aus ihrer Perspektive, zu betrachten, einen anderen Blick, eine andere Sicht auf sie zu erlangen und ich sehe das als Anstoß sie erneut zu lesen.


    Immer wieder spürt man ihre tiefe Liebe zur Literatur. Für jede Lebenslage, jede Stimmung und jeden Anlass weiß sie ein Buch, das, statt Blumen oder anderer „belangloser“ Mitbringsel demjenigen geschenkt wird, der es gerade besonders braucht. Auch hier habe ich mich wieder erkannt. Was kann man jemandem Persönlicheres schenken, als ein Buch, das gerade jetzt so unbedingt wichtig in sein Leben passt?


    Es ist eine Vielzahl an Büchern, die sie anspricht, viele Autorinnen, über die sie berichtet und sie alle waren und sind ihr so wichtig, dass sie sie uns als Leserinnen ans Herz legt. Es bedeutet ihr viel, dass sie nicht als „Buchkritikerin“, sondern als „Buchvermittlerin“ gesehen wird. Sie möchte Menschen mit Büchern zusammen bringen. Und das spürt man immer wieder in ihren Texten. So ist dieses Buch nicht nur ein Rückblick auf die Bücher ihres Lebens, es gibt auch eine sehr große Anzahl an Büchern und Autorinnen zu entdecken und Buchcover aus vergangenen Zeiten wiederzuentdecken.


    Mein Fazit: Ein wunderbares Buch über das Lesen, voller Liebe zur Literatur - für alle Menschen, die sich ein Leben ohne Bücher nicht vorstellen können und wollen. Absolut lesenswert.


    ASIN/ISBN: 3961611203

  • Elke Heidenreich nimmt uns mit durch ihr Leseleben. Beginnend mit den Mädchenbüchern der Nachkriegszeit, die im Nachhinein gesehen ein ganz fürchterliches Frauenbild vermitteln, über die Bücher, die sie bei den Pflegeeltern gelesen hat und denen, die sie im Studium lesen musste. Aber auch immer die, die ihr Leben bereichert haben, in denen sie sich wiedererkannt hat.


    Sie zeigt die Unterschiede zwischen Büchern, die von Frauen geschrieben wurden und denen, die von Männern stammen, auf. Bücher von Männern dominieren die Literatur, in ihrem Studium kommen kaum Bücher von Autorinnen vor. So wendet sie sich auch ganz bewusst in ihrem privaten und später auch beruflichem Lesen genau diesen Büchern zu.


    Man spürt die Liebe Heidenreichs zur Literatur. Sie versucht Bücher nicht zu bewerten, sondern Leser für sie zu finden. Sie sieht sich nicht als Literaturkritikerin, sondern als Literaturvermittlerin. Sie verschenkt Bücher, nicht Blumen, wenn sie etwas mitbringt. Sucht Bücher aus, die zum Lesenden passen.

    Man merkt dem Buch an, dass Elke Heidenreich schon immer gelesen hat. Sie stellt eine unglaubliche Bandbreite an Büchern vor, die sie beeinflusst und beeindruckt haben. Viele mit Zitaten, die das nachvollziehbar machen.


    Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen und hatte die ganze Zeit das Gefühl mich mit Elke Heidenreich zu unterhalten. Man hat nie das Gefühl, dass sie versucht einen Kanon zu erstellen, den man gelesen haben muss. Eher weckt sie die Neugierde auf Autorinnen und deren Bücher.


    Von mir daher eine Leseempfehlung für alle, die Bücher und das Lesen lieben!


    9 von 10 Punkte

  • Eigentlich wollte ich dieses Buch ja nur mal kurz anlesen. Eigentlich. Aber schon nach ein paar Seiten hatte mich Elke Heidenreich mit ihren Lebensbüchern so in den Bann gezogen, dass ich einfach nicht mehr aufhören konnte. Ich musste Seite um Seite weiterlesen, bis mir die Augen zufielen.


    Elke Heidenreich nimmt ihre Leser mit auf eine Reise zu verschiedenen Stationen ihres Lebens – und den sie auf diesen Stationen prägenden Büchern und Autorinnen. Angefangen bei den rollenzuweisenden Mädchenbüchern ihrer Kindheit (Mädchen müssen artig sein!) über die Suche nach dem eigenen Selbst und der eigenen Authentizität in der Teenagerzeit über die Studienjahre und das Fehlen der Frauenliteratur im universitären Kosmos bis hin zum Berufsleben und heutigen Dasein, das immer noch geprägt wird von Literatur – insbesondere von Literatur von Frauen.


    Es ist bemerkenswert, wie Literatur die eigenen Lebensumstände prägen oder ergänzen kann, wie sie einem helfen kann, Situationen im Leben zu meistern. Von all dem erzählt Elke Heidenreich in einem munteren, niemals belehrenden Tonfall. Der Erzählstil ist angenehm, die Bücher und die dazugehörigen Autorinnen sind meist bebildert und so entsteht nicht nur eine Lektüre, sondern ein regelrechtes Album an höchst unterschiedlichen literarischen Machwerken, die so vielfältig sind wie das Leben selbst.


    Mir hat es Spaß gemacht, ein wenig über die Bücher und die Autorinnen zu erfahren, die Elke Heidenreich in ihrem Leben begleitet haben. Oft habe ich mich gefragt, welches wohl meine „Lebensbücher“ wären – so umfassend könnte ich das gar nicht beschreiben.


    Dieses Buch ist eine Hommage an das Lesen – speziell weiblicher Literatur – und es macht einfach nur Spaß, darin zu versinken. 9 Eulenpunkte.

  • Die junge Elke Heidenreich kenne ich nur aus TV-Ausschnitten. Ich habe sie kennengelernt mit ihrer Sendung Lesen! beim ZDF. Und war unheimlich sauer, wie sie von dem geschasst wurde.


    Glücklicherweise hat sie nicht aufgegeben und sich im WWW immer wieder einen Platz gesucht, um uns Bücher nahezubringen.


    Und nun ihr ganz persönliches "Lese"buch. Die Lust, aufzuschreiben, was Bücher von Frauen mit mir und meinem Leben gemacht haben.


    Als Kind las sie "Nesthäkchen" und "Trotzkopf". Das dort vermittelte Frauenbild hatte nun gar nichts mit ihrer Wirklichkeit zu tun. Später, als Studentin, musste sie unter lauter Männerliteratur wirklich suchen, um zu finden, was Frauen gedacht und geschrieben haben.


    Frauen konnten erst seit dem 19. Jahrhundert um öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung kämpfen. Männer konnten das Jahrhunderte zuvor. Endlich erfuhren Leserinnen, was bisher noch nicht gesagt und geschrieben wurde. Literatur von Frauen sind nicht nur Geschichten, sie ist auch politische Literatur.


    Bücher von Frauen werden immer noch als Frauenliteratur betitelt. Sie schreiben ja nur über Frauen für Frauen. Männer schreiben Literatur. Für mich persönlich ist das Diskriminierung. Schreibende Frauen werden ausgegrenzt, mit zweierlei Maß behandelt. Schon in der Schule kaum sichtbar gemacht. Es wird immer noch gelehrt, was Männer für richtig erachten, wie sie die Welt sehen.


    Für mich seit einiger Zeit ein Grund, vorrangig Frauen zu lesen. Auch, wenn man mir vorwirft, von vornherein die Hälfte der Literatur auszuschließen. Was ich in meinem bisherigen Leseleben ja wahrlich nicht getan habe. Aber solche Antworten bekommt frau halt, wenn ihre Texte nicht ordentlich gelesen werden. Und wenn Leserinnen sich nur das rauspicken, was in ihr Weltbild passt.


    Elke Heidenreich zitiert die mexikanische Dichterin Angeles Mastretta:


    Wir Frauen verfügen über Schätze, Einsichten, die nirgends niedergeschrieben

    sind und die an andere Frauen weiterzugeben unsere Pflicht ist.


    Glücklicherweise hat da ja ein Wandel eingesetzt.


    Elke Heidenreich beginnt mit Kinderbüchern. In ihrer Gemeindebücherei gab es streng geteilte Regale für Mädchen und Jungen. Getaugt haben die Bücher alle nicht. Doch dann gab es ja noch "Die Schatzinsel" und "Robinson Crusoe" - das haben sie alle gelesen. Über Enid Blyton schwärmt sie, sie soll gesagt haben, Kritik von Leuten über zwölf interessiere sie nicht.


    Für Elke Heidenreich waren die Geschichten in den Büchern alle wahr, nur ihr eigenes Leben war langweilig. Bis sie eines Tages begriff: Die Phantasie ist das, was uns in den Büchern am Leben hält. Man kann sich Geschichten einfach ausdenken! Bis sie dann mit zehn, elf Jahren eigene Geschichten schrieb.


    Und Elke, Nesthäkchen oder Heidi konnten ihr keinen Weg weisen. Da erging es dann anderen Kindern besser, die später mit Astrid Lindgren aufwachsen durften. Doch für die war Elke Heidenreich mittlerweile zu alt. Aber sie hat Lindgren noch als Autorin des Buches "Das entschwundene Land" kennengelernt, in dem es vorrangig um die wundervolle Liebesgeschichte ihrer Eltern geht. Ich empfehle das Buch wärmstens.


    Von den Klein- und Jungmädchen-Büchern findet Elke Heidenreich dann den Weg zu den Märchen der Gebrüder Grimm, Christian Andersen, um dann in die brutale Welt der Sagen zu geraten: Bis in den Traum haben mich nach all den Nesthäkchen diese Geschichten verfolgt, auf die ich durch nichts vorbereitet war! Und hier deckte sich so langsam das, was sie las, mit ihrer Lebenswirklichkeit.


    Es ist ein Vergnügen, Elke Heidenreichs Lesen in den verschiedenen Lebensbereichen zu lauschen. Ja, lauschen, denn ich habe beim Lesen das Gefühl, als höre ich sie erzählen. Sie schreibt liebevoll, ironisch, auch kritisch über die Literatur, die ihr damals in jungen Jahren zur Verfügung stand und die, die sie sich später selbst aussuchen konnte.


    Ich lese ja auch, seit ich denken kann, eines allerdings hat mir Elke Heidenreich voraus, um was ich sie beneide: Es ist qualvoll, wenn niemand einem weiterhilft, aber ich hatte wenigstens meine Mutter, die früh erkannte, was ich brauchte, und die mich bei aller sonstigen Härte immer darin bestärkte, zu lesen.


    Und als sie davon schreibt, dass sie, nachdem sie alles gelesen hatte, was die heimische Bibliothek hergab - so wenig es auch war - Buchhandlungen besuchte. Das erste Buch, das sie sich vom Taschengeld kaufte, war "Kleiner Mann, was nun?" von Hans Fallada. Eine billige rororo-Ausgabe. Da stelle ich mal wieder fest, was für ein Spätzünder in punkto guter Literatur ich bin.


    Interessant auch, wie sie darüber schreibt (anhand von "Vom Winde verweht" von Margaret Mitchell), wie man ein Buch lesen kann. Den Film (er kam erst 1953 in die deutschen Kinos) kannte sie damals noch nicht. Heute wird über die Geschichte hauptsächlich als Liebesgeschichte erzählt, Elke Heidenreich hat das Buch damals als Geschichte über den amerikanischen Bürgerkrieg mit einer Liebesgeschichte dabei gelesen.


    Dann kam die Studienzeit: Germanistikstudium. Es gab einige Werke aus der Sturm-und-Drang-Epoche, die man gut lesen konnte. Was es verleidete, war die Sekundärliteratur.


    Und Autorinnen? Bis zur Romantik eigentlich kaum. Nur ein paar ganz wenige, die aber unter demütigenden Umständen veröffentlichten. Sie durften als Frauen gar nicht zu erkennen sein.


    Als Agatha Christie vier Jahre alt war, sagte das Kindermädchen zu ihrer Mutter: Ich fürchte, Madam, Agatha kann lesen.


    Die Zitate von damaligen Männern über schreibende Frauen machen mich heute noch wütend. Was müssen sie für eine Angst vor Frauen haben. Für eine Angst vor Machtverlust, dass sie sie dermaßen unterdrückten und in ihrer Bildung und Entwicklung beschnitten.

    Kein Wunder, dass sich schreibende Frauen bis in die Gegenwart auch das Leben nahmen. Ja ja, ich höre schon den Aufschrei: Männer haben sich auch umgebracht. Ja, aber sicherlich nicht, weil die Gesellschaft sie nicht schreiben lassen hat.


    Durch den DDR-Bücher-Blog beschäftige ich mich ja viel mit DDR-Büchern. Es gab viele tolle Reihen, auch zu Klassikern. Doch auch hier, wo die Gleichberechtigung doch so hoch gehalten wird, sind die Frauen kaum vorhanden. Auch bei Biografien-Reihen kommen äußerst selten Frauen vor - und wenn, dann immer dieselben. Diese Erfahrung hat Elke Heidenreich auch gemacht, als sie sich in den 1960er Jahren bei ihrer Rückkehr von Berlin nach München mit DDR-Klassikern eindeckte. Einzige Frauen: die Droste und die Ebner-Eschenbach!


    Elke Heidenreich wurde oft belächelt für das, was sie tut. Doch sie sagt von sich, sie sei keine Literaturkritikerin: Ich möchte bis zuletzt die Leidenschaft für das Lesen wecken und vermitteln.


    Ja, Elke Heidenreich hat auch Autoren gelesen, konnte sich auch für den ein oder anderen begeistern, doch wichtig für ihr Leben waren dann doch eher Autorinnen.


    Mit einem letzten Zitat von Elke Heidenreich schließe ich jetzt und wünsche, dass dieses wunderbare Buch viele Leserinnen findet:


    Mehr als zwanzig dicke Leitzordner mit Buchbesprechungen stehen auf meinem Speicher, und wenn ich mir das heute anschaue, frage ich mich, ob ich eigentlich immer nur gelesen oder auch gelebt habe.