Schreibwettbewerb 01.09.2022 - 31.10.2022 Thema: "Es war einmal..."

  • Thema 01.09.2022 - 31.10.2022:


    "Es war einmal..."


    Vom 01.09.2022 bis 31.10.2022 23:59 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den aktuellen Schreibwettbewerb zum Thema „Es war einmal...“ per PN (Sprechblasensymbol, „Konversationen“) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 01.11.2022 eingestellt.


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    Regeln:

    - Die Grenze für die Beiträge ist bei 600 Wörtern.

    - Abgabeschluss ist um Mitternacht.

    - Mitschreiben darf, wer mindestens 50 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 6 Monaten Mitglied ist.

    - Abstimmen darf, wer mindestens 25 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 3 Monaten Mitglied ist.

    - Als Thema vorgegeben werden kann ein Wort, ein Satz oder ein (selbstgeknipstes/gezeichnetes) Bild (ihr müsst das Urheberrecht haben).


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 600 Wörter zu verwenden. Wir behalten uns vor, Beiträge mit mehr als 600 Wörtern nicht zum Wettbewerb zuzulassen!

  • Eisige Zeiten

    von Johanna


    Einst lag sie, majestätisch und erhaben,

    ganz England wollt sich an ihr erlaben.


    In Southhampton, groß im Hafen,

    bewundert von den Photographen.


    Die Größte ihrer Art, die Schönste und so prächtig.

    Ihr Anblick fast, wie übermächtig.


    Der Stolz auf sie war grenzenlos.

    Sie war die Einzige - und makellos.


    Kein Mensch war so gefeit vor ihrem Glanz.

    Vor allem nicht die Hochfinanz.


    Die Mahner wurden ignoriert,

    sogar als Spinner tituliert.


    Zuhauf die Menschen kamen jetzt in Scharen,

    zu Ihr, der Einzigen, der Wunderbaren.


    Ob reich, ob arm,

    sie alle - wollten mit ihr fahr´n.


    Was war man stolz, mit ihr zu reisen

    und ganz besonders in den bess´ren Kreisen.


    So viele folgten nun dem Ruf,

    dem Wunder, das der Andrews schuf.


    Nur Neunundzwanzig Menschen,

    sich später konnten glücklich schätzen.


    Verließen sie sie bereits nach kurzer Reise,

    entgingen so dem ew´gen Eise.


    Vier Tage lang ging alles gut.

    Doch dann, erfolgte der Tribut.


    Aufs Krähennest ist kein Verlaß,

    denn ausgerechnet heute fehlt das Glas.


    So kommt er viel zu spät in Sicht,

    dem Meer fehlt leider jede Gischt.


    Dort thront er, groß und ganz schön stark,

    für unser Schiff wird’s jetzt so richtig arg.


    Der Eisberg vorn voraus,

    sorgt letztlich dann für den Garaus.


    Ohje, wie groß ist jetzt die Pein,

    für alle auf dem Schiffelein.


    Zwei Stunden, vierzig nur,

    dann folgt die schreckliche Tortur.


    Nur etwa Siebenhundert Seelen,

    können später dann erzählen,


    wie´s kam und konnte nur passieren,

    die Unsinkbare zu verlieren.


    So bringt uns dann die Königin der Meere,

    zu einer doch sehr bitt´ren Lehre:


    Am größten ist die Not,

    wenn´s fehlt, das Rettungsboot.


    Verlaß Dich nicht auf puren Glanz

    Das wird auf dem Vulkan ein schlimmer Tanz.


    So fasziniert sie dann auch heute,

    noch immer furchtbar viele Leute.


    So ward das unsinkbarste Schiff der Welt,

    ganz schnell, vom schwimm´den Eisberg gar gefällt.

  • Es wird einmal gewesen sein

    von R. Bote


    „Ich mache mir Sorgen!“, sagte Margarethe zu ihrem Bruder. „Die Leute fangen an, zu vergessen, die Kinder gehen weit in den Wald und kehren erst zurück, wenn es schon lange dunkel ist.“ „Was sollen sie tun?“, gab Johannes zu bedenken. „Die Familien sind arm, die Kinder müssen helfen, sonst reicht es nicht zum Leben. Das weißt du doch selbst.“

    Natürlich wusste Margarethe das. Sie hatte es nie leicht gehabt im Leben, ihr Vater war Köhler gewesen, es hatte immer nur so gerade gereicht. Die Mutter war früh gestorben, und die neue Frau des Vaters hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als die Kinder loszuwerden. Margarethe und Johannes hatten aus bitterer Erfahrung lernen müssen, dass sie, wenn überhaupt, nur wenigen Menschen vertrauen konnten. Sie hatten sogar Glück, dass sie überhaupt noch die Gelegenheit bekommen hatten, aus ihren Erfahrungen zu lernen, denn was ihnen als Kindern widerfahren war, hätte nur zu leicht beider Ende sein können.

    Damals hatte das ganze Dorf darüber gesprochen, doch je mehr Zeit verstrich, desto mehr schien die Sache in Vergessenheit zu geraten. Margarethe wusste nicht, was sie dagegen tun sollte, sie versuchte, zu warnen, doch es schien, als wären die Leute es überdrüssig geworden, davon zu hören. Natürlich hatte Johannes recht, die Kinder mussten helfen, die Felder zu bestellen und im Wald nach essbaren Pflanzen und Brennholz zu suchen. Da waren ihre eigenen Kinder keine Ausnahme, auch Amalie und Heinrich mussten ihr helfen, sonst hätte sie sie nicht durchbringen können. Die Zwillinge waren das Einzige, was der Mann ihr gelassen hatte, mit dem sie nur noch auf dem Papier des Pfarrbuchs verheiratet war; vielleicht war sie längst Witwe, sie wusste es nicht und war nicht traurig darum.

    „Mach es, wie Vater es getan hat“, schlug Johannes vor. „Erzähle den Kindern alles, was du weißt. Alles, was du selbst erlebt hast, und alles, was Vater uns erzählt hat.“ „Das tue ich“, versicherte Margarethe. „Aber reicht das? Wenn ich die Einzige bin, die es erzählt?“

    „Seid sicher, eure Geschichte wird nicht vergessen werden.“ Überrascht schauten die Geschwister auf. Sie hatten nicht bemerkt, dass ein Mann zu ihnen getreten war, ein Mann, den sie noch nie im Dorf gesehen hatten. War er ein fahrender Händler? Zumindest schien er etwas Geld zu haben, denn der Stoff seiner Kleidung war nicht abgenutzt. Aber Margarethe sah nirgends einen Wagen, weder Pferdegespann, noch Esel- oder Handkarren, und Händler pflegten sich lautstark anzukündigen, wenn sie ins Dorf kamen. Sie hatte aber nichts gehört, obwohl sie mit Johannes draußen saß, kaum ein paar Schritte vom Brunnen in der Mitte des Dorfes entfernt.

    „Woher wisst Ihr…?“, fragte Margarethe verdutzt. „Ich kenne eure Geschichte, seit ich ein Kind war“, antwortete der Fremde. „Ich habe durch viele, viele Jahre nach euch gesucht.“ „Das heißt, man kennt unsere Geschichte auch woanders?“, folgerte Johannes. „Und erzählt sie sich noch?“ Der Fremde nickte. „Man erzählt sie den Kindern, und zwei Brüder werden sie aufschreiben, damit sie nicht vergessen wird. Selbst noch in vielen, vielen Jahren werden Eltern ihren Kindern eure Geschichte vorlesen. Man wird nicht mehr wissen, wann und wo genau sie passiert ist, aber man wird immer noch wissen, was passiert ist.“ „Ihr scheint ein Seher zu sein“, sagte Margarethe vorsichtig. „Ihr sprecht, als wüsstet Ihr, was die ferne Zukunft bringt.“ „Ich kann nur in die Vergangenheit sehen“, widersprach der Fremde. „Eine Vergangenheit aber, die erst noch beginnt. Aber ich vergaß ganz, mich vorzustellen: Ich bin Max Grimm, und die beiden Brüder werden meine Ur-Ur-Ur-Ur-Großonkel gewesen sein.“

  • Grimm'iger Mädelsabend

    von Breumel


    Aschenputtel: "Könnt ihr euch das vorstellen? Er trifft sich fast jeden Tag mit seinen Rittern zum Jagen, Kartenspiel und Zechgelage, und wenn ich ihn einmal alle drei Monate bitte die Kinder ins Bett zu bringen, wird gemeckert! Aber das hat man davon, wenn man einen Mann heiratet, den man eigentlich gar nicht kennt. Der Mann ist sowas von oberflächlich! Ich meine, stellt euch mal vor, ich hätte Schuhgröße 39 gehabt – wie vielen Frauen der Schuh gepasst hätte!"

    Dornröschen: "Meinen Mann habe ich ja auch nicht wirklich kennengelernt vor der Hochzeit. Schlafende Frauen ungefragt zu küssen ist doch auch nicht ganz normal. Ich war zwar schon 116, aber sah ja immer noch aus wie ein Teenager. Und mehr erlebt als die ersten 16 Jahre hatte ich auch noch nicht. Wenigstens hat mein Vater darauf bestanden, dass wir mit dem Nachwuchs noch zwei Jahre warten. Direkt schwanger zu werden und gefühlt noch 16 zu sein, dass wäre mir doch zu viel geworden."

    Schneewittchen: "Wenn es um merkwürdige Männer geht, kann ich locker mithalten. Immerhin hielt meiner mich für tot und hat den Zwergen den Sarg mit mir drin abkaufen wollen. Als wäre ich ein Museumsstück!"

    Dornröschen: "Du hattest wenigstens schon Erfahrung im Führen eines Haushalts. Und dann noch mit sieben Bergarbeitern. Das müssen ja Unmengen an Wäsche gewesen sein. Und sieben hungrige Handwerker zu bekochen ist auch nicht ohne. Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte."

    Froschkönigin: "Ich ganz sicher nicht. Wäre ich nicht so behütet aufgewachsen, hätte ich nicht als junge Frau immer noch im Garten mit einem Ball gespielt. Dann wäre ich auch nicht in Schwierigkeiten geraten, weil ich mit einem Frosch geflirtet habe. Wenigstens ist er zu einem anständigen Ehemann geworden. Aber die Hochzeit fand auch statt, ohne dass wir uns vorher richtig kennengelernt haben. Und er durfte schon vor der Hochzeit in mein Bett…"

    Alle lachten schallend.

    Rapunzel: "Mein Mann hatte mich ja auch schon vor der Hochzeit im Turm besucht. Nur über Nacht bleiben war zu gefährlich."

    Aschenputtel: "Der hätte ein Seil und ein Regiment mitbringen sollen, und dich aus dem Turm holen!"

    Rapunzel: "Das hätte ihm einiges an Ärger erspart. Aber das kommt davon, wenn man lieber ein Abenteuer erlebt, als so wie eure Männer direkt zu heiraten. Ich war ja auch noch keine Prinzessin…"

    Dornröschen: "Mach dir nichts draus. Hast du gehört, wie die Frau vom Drosselbart zu ihrem Mann gekommen ist? Prinzessin zu sein hat ihr nichts genutzt, ihr Vater hat sie zwangsverheiratet. Und die Prinzessin aus dem nördlichen Nachbarreich hat sich von ihrer eigenen Zofe übertölpeln lassen. Hat sie ihr Lieblingspferd gekostet, und fast den Mann. Wie ihre Mutter sie nur mit der Zofe als Begleitung hat fahren lassen, ist mir ein Rätsel. Und ihrem Gatten sind weder die rauen Hände noch die fehlende Ähnlichkeit mit dem Portrait aufgefallen, welches er doch bestimmt bekommen hatte."

    Schneewittchen: "Und dabei dachte ich, Prinzen können besser gucken als denken. Aber manche nicht einmal das..."

    Rapunzel: "Darauf trinke ich! Prost!"

    Aschenputtel, Dornröschen, Schneewittchen und Froschkönigin : "Prost!"

  • Küssen erwünscht

    von Lese-rina


    „Die letzte Station unserer Führung – der Schlossteich“, unser Guide wies mit einer ausladenden Handbewegung auf einen unscheinbaren Tümpel vor uns. Vielleicht verriet mein Gesichtsausdruck die mangelnde Begeisterung, denn er fügte hinzu: „Nicht spektakulär, aber …“ Zugegeben, der Guide, der sich bei unserer Ankunft in der Jugendherberge Schloss Löwenstein als Tobias vorgestellt hatte, verstand es ausgezeichnet, Drittklässler bei Laune zu halten. Alle warteten gespannt, wie es weitergehen würde. „Hier wohnte Froschkönig. Ihr kennt doch den Froschkönig?“ Einige meiner Schülerinnen und Schüler nickten, andere schauten ratlos. „Frau Bauer erzählt euch das Märchen sicher vorm Zubettgehen, oder?“ Er blickte in meine Richtung und mir blieb nichts anderes übrig als zu nicken. Froschkönig? Irgendwas mit einer goldenen Kugel fiel mir ein, aber dann?


    „Da musste doch die Prinzessin den Frosch küssen,“ Anastasia gab stolz ihr Wissen weiter, was zu einem einhelligen „Iiieeeehhhh“ führte. „Aber darauf verwandelte sich der Frosch in einen schönen Prinzen“, griff Tobias den Faden auf und hatte die volle Aufmerksamkeit der Klasse. „Wer möchte es denn einmal probieren?“ 24 Augenpaare schauten völlig verdutzt auf seine ausgestreckte Hand, auf der sich plötzlich ein Frosch – nein genauer eine Kröte – befand. Eine echte! Die blies gerade in aller Ruhe ihre Backen auf. Wo hatte er nur plötzlich das Tier her? Plötzlich schoss mir eine Erinnerung durch den Kopf. „Wurde der Frosch nicht an die Wand geworfen?“ „Na ja“, Tobias war um keine Antwort verlegen „in einer Version des Märchens. Aber das ist doch Tierquälerei. Küssen ist doch viel besser, nicht wahr?“ Fragend wandte er sich wieder an seine jungen Zuhörer. „Wer traut sich?“ „Frau Bauer, Frau Bauer, Sie müssen das machen!“ waren sich die kleinen Racker schnell einig. „Nein, ich kann doch keinen Frosch küssen! Abgesehen davon ist es eine Kröte,“ wehrte ich ab, doch mein Protest wurde schnell im Keim erstickt. „SIE sagen doch, man muss alles einmal ausprobieren im Leben. Oder haben Sie schon einmal eine Kröte geküsst?“ Natürlich kam das von der vorwitzigen Amelie, die mich herausfordernd ansah. Auf der einen Seite hatte sie recht, ich versuchte schließlich ständig, meine Schülerinnen und Schülern zu ermutigen, auch Ungewohntes zu wagen. Aber eine Kröte küssen? Nun gut, einen Luftschmatzer in Krötennähe würde ich hinbekommen. Ich näherte mein Gesicht der Kröte und spitze schon die Lippen, als mich ausgerechnet Leon unterbrach. „Frau Bauer, Sie müssen doch die Augen zumachen“, flüsterte er schüchtern. Schicksalsergeben schloss ich die Augen und näherte mich dem Tier.


    Dann geschah alles auf einmal. Zum einen ertönte ein Gongschlag und eine Stimme rief „Abendessen“, gleichzeitig trafen meine Lippen auf … - ja auf was eigentlich? Dort wo ich Luft erwartete, war plötzlich ein weicher, warmer und trockener Widerstand. Nicht unangenehm, aber … entsetzt zuckte ich zurück und riss die Augen auf. Vor mir stand nur noch Tobias, der über das ganze Gesicht grinste. Meine Klasse war unter lautem Johlen auf dem Weg zurück ins Schloss. Völlig verdutzt blickte ich mich suchend um. Wo war die Kröte??? „Mutig – hätte ich nicht erwartet“, Tobias lächelte mich an. „Wie wäre es nach der Aufregung mit einem Gläschen Wein im Schlosshof, wenn die Kinder schlafen?“ „Aber, …“ ich verstand nicht. Wir waren doch die einzigen Gäste in der Jugendherberge. „Gestatten, dass ich mich vorstelle.“ Tobias deutete eine Verbeugung an. „Tobias Graf von Löwenstein, Besitzer und einziger Dauerbewohner dieses schönen Schlosses.“ Während ich noch völlig verdutzt nach Worten rang, hörte ich ein leises „Quack“ und es platschte im Teich.

  • Langlebig glücklich oder eine kleine Geschichte über die Zeit, den Allesmacher und uns!

    von Marlowe


    Eigentlich müsste die Geschichte der Menschheit neu geschrieben werden. Macht aber keiner. Mein kleiner Text wird auch nichts ändern. Aber egal und von vorne.

    Die Vertreibung aus dem Paradies hat nie stattgefunden. Damals wie heute haben alte weiße Männer die Fakten zu ihren Gunsten verdreht. Fake News sind so alt wie die Menschheit.

    Der Allesmacher war überaus experimentierfreudig. Er schuf viele andersartige Menschen, denn zu Beginn war er wie im Rausch. So entstanden außer mir und noch einigen anderen Langlebigen auch die Kleinwüchsigen, die Gedankenleser, die Magier mit ihren besonderen Fähigkeiten und viele andere.

    Langlebige sind nicht unsterblich, mit viel Glück allerdings leben sie ewig. Wenn sie nicht von einem Säbelzahntiger gefressen wurden. Oder einem Neider erschlagen, wie Abel. Oder auf einem Scheiterhaufen verbrannten, von einem Scharfschützen erschossen, einem Bus überfahren oder einem Terroristen ermordet wurden. Es gibt hunderte von Odermöglichkeiten. Ich habe sogar Lilith überlebt, die erste Feministin, die der Allesmacher erschuf.

    Das Paradies war ungelogen eine tolle Einrichtung, All Inclusive Urlaub sozusagen. Alles im Überfluss, keine Kosten, keine Trinkgelder, keine Sorgen oder Probleme. Doch soviel Glück kann niemand auf Dauer aushalten.

    Hier kommt der Baum der Erkenntnis ins Spiel. Auch so eine Fakeüberlieferung. Damals war der Kokastrauch ein Riesengewächs, sah also wie ein bis zu zwanzig Meter hoher Baum aus und ehrlich, von Äpfeln hatten wir damals schon die Nase voll. Lilith, die Einzelgängerin, hatte die Wirkung des Kokain entdeckt und nun brachte sie uns, den Bequemen und Satten, den Speed im Hintern, die Hyperaktivität und Rastlosigkeit. Sie erzählte von der Welt außerhalb des Paradieses und was es da alles zu entdecken gab.

    Zu allem im Überfluss vorhandenen Annehmlichkeiten kamen nun die Unzufriedenheit, der Überdruss und die Neugier dazu. Anfangs verließen nur ein paar Einzelgänger und kleinere Grüppchen das Paradies. Doch es kamen Gerüchte auf, die würden sich da Draußen alles unter dem Nagel reißen und es dauert nicht lange, da verließen außer Lilith und mir praktisch alle Menschen das Hotel Paradies. Der Allesmacher war stinksauer, doch nach ein paar Flüchen war er froh, diese undankbaren Geschöpfe los zu sein. Er nagelte ein Schild an den Eingang “Wegen Renovierung geschlossen“ und verschwand ebenfalls.

    Ich ließ mir Zeit. Als Langlebiger hatte ich außer dem Leben nichts zu verlieren. Sollten die anderen da Draußen mal machen, ich würde ihnen irgendwann folgen und mich in ein neues Paradies begeben.

    Nach einigen Jahrhunderten war es soweit, ich verließ Lilith und meine ewige Wanderung begann. Interessant wurde es aber erst richtig in Uruk, ich traf dort Gilgamesch, ebenfalls ein Langlebiger, der seine Chancen zu nutzen wusste. Ich war bei den Sumerern, den Ägyptern und den alten Griechen. Platon war ein neugieriger alter Mann, konnte gar nicht genug von fantastischen Geschichten hören. Also habe ich für ihn Atlantis erfunden. Witzig, dass heute noch einige glauben, es hätte Atlantis wirklich gegeben.

    Nicht so witzig ist die Tatsache, dass wir Langlebigen alle paar Dekaden unsere Identität ändern müssen. Wir müssen uns scheiden lassen, auch wenn es manchmal weh tut, umziehen oder spurlos verschwinden. (Ich geh mal Zigaretten holen, das waren oft Langlebige, die fürchteten, man würde ihre Langlebigkeit erkennen und deshalb nicht mehr wiederkamen.)

    Nun ja, ich habe so viel erlebt, gesehen und beeinflusst. Ich habe mich über andere lustig gemacht, sie veralbert und belogen. Lang, so lang ist vieles her, aber langweilig war mir nie. Der Allesmacher hat sich nicht mehr gemeldet. Dafür die vielen alten weißen Männer, seine angeblichen Stellvertreter und Propheten, die ihn für sich und ihre Lügen vereinnahmt haben.

    Aber auch von denen wird man sagen, es war einmal.

  • Lebenslange Verbundenheit

    von Booklooker


    Da war sie wieder, dieses seltsame Mädchen. Sie lief offensichtlich ziellos auf dem Schulhof herum und strahlte irgendwas aus, das ich bis heute nicht benennen kann. Sie ließ die Schultern hängen, sah beim Gehen auf den Boden und blickte rastlos um sich.


    Jetzt fragst du dich sicher, wer ich bin? Ich bin Odin, ein prächtiger Kater, der zu der Gattung der Maine Coone gehört. Die Menschen lieben mich, denn ich bin charmant, aber natürlich nur, wenn ich will. Ich wohne direkt neben der Schule und hatte heute das Gefühl, dass ich die Wohnung verlassen muss. Normalerweise bin ich eher jemand, der es sich auf dem Fensterbrett bequem macht und das Gewusel auf dem Schulhof beobachtet. Da gibt es nämlich immer einiges zu sehen.


    Während ich um die Spielgeräte strich um mir alles genau anzusehen, vernahm ich aus weiter Ferne ein leises Gemurmel: “Wie soll ich denn bloß ins Klassenzimmer kommen? Ich weiß einfach nicht, wie ich an denen vorbeikommen soll. Aber wieder zu spät kommen möchte ich nicht. Ich habe Angst.” Auf der Suche nach der Quelle dieser traurigen Sätze bemerkte ich, dass die Worte nur von diesem seltsamen Mädchen kommen konnten. Aber wie konnte es sein, dass ich sie verstehen konnte? Normalerweise konnte ich an Gesten und Mimik der Menschen ableiten, was sie aussagen wollten, aber richtige Worte, die ich verstehen konnte, hatte ich bis dahin noch nie gehört.


    “Kätzchen, kannst du mich hören? Ich brauche Hilfe! Kannst du mir helfen? Bitte?”


    Erstaunt sah ich, dass sie mich direkt ansah, aber die Lippen nicht bewegte. Irgendwas ging hier doch nicht mit rechten Dingen zu! Ich blinzelte, weniger um ihr meine Zuneigung zu zeigen, sondern um das Trugbild loszuwerden. Nichts! Sie guckte mich immer noch an und redete weiter.

    “Du fragst dich sicher, warum du mich verstehen kannst. Ich bin eine Prinzessin aus einer fernen Welt, in der Menschen noch mit Tieren per Telepathie kommunizieren können. Ich bin auch viel älter als ich aussehe. Ein Schutzzauber macht mich jünger, damit ich meinen Feinden aus dem Weg gehen kann. Leider merken die Kinder in dieser seltsamen Welt, dass ich anders bin und machen mir das Leben schwer. Hilfst du mir jetzt?”


    Ich war nun wirklich sprachlos. So einen Bullshit hatte ich noch nie gehört. Eine Prinzessin aus seinem fernen Land. Genau! “Beweise es!”


    Seufzend verdrehte sie die Augen. “Seid ihr Katzen immer so misstrauisch?”


    Bevor ich antworten konnte, sah ich, wie sie angestrengt die Augen zusammenkniff und ihre Körperhaltung sich veränderte. Zeitgleich sah ich durch ein soeben entstandenes milchiges Loch hinter ihr eine traumhafte Landschaft mit grün bewachsenen Klippen, die auf Wasser trafen. In weiter Ferne war ein Schloss zu sehen, von dem wohl jedes Mädchen aus allen Welten träumt. Das musste ihre Heimatwelt sein.


    Mit schief gelegtem Kopf sah sie mich an. “Glaubst du mir jetzt? Hilfst du mir? In meiner aktuellen körperlichen Verfassung bin ich schwach und meine Magie kann ich hier nur sehr begrenzt nutzen. Ich bin völlig hilflos und es gibt niemanden sonst, der mir helfen möchte. Kinder wären halt grausam, sagt man mir nur.”


    Wo ich anfangs noch Unsicherheit und Angst sah, schimmerte jetzt der befehlsgewohnte Ton einer zukünftigen Herrscherin durch. Wie konnte ich da widersprechen? Ich, der prächtige Kater und das namenlose seltsame Mädchen, wir konnten nur ein wunderbares Gespann werden.


    “Es wäre mir eine Ehre, Ihnen zu Diensten sein zu dürfen, Majestät!” sagte ich mit von stolz geschwellter Brust.


    Das war der Anfang einer lebenslangen Freundschaft, die bis zu meinem Lebensende bestand und die uns viele Abenteuer in meiner Welt bescherte. Leider weiß ich nicht, ob sie je in ihre Welt zurückkehren konnte.

  • Okapi

    von polli


    Es war einmal ein König. Er herrschte über ein sehr kleines Reich und über seine Söhne. Eines Tages rief der König die drei zu sich und sprach: „Ich fühle den Herbst nahen. Geht und schafft mir ein Okapi herbei!“

    „Endlich!“, flüsterte der Älteste. „Er will den Klügsten von uns zum Erben machen.“

    „Äh?“, murmelte der Jüngste.

    „Schweig, Dummkopf!“, herrschte ihn der König an.

    „Sehr wohl“, antwortete der Älteste.

    „Ein Okapi. Natürlich“, sagte der Zweite, dann verließen sie Vaters Gemach.

    „Ich —“, flüsterte der Jüngste.

    „Raus!“


    Die Brüder besprachen das weitere Vorgehen, dann packten sie ihre Sachen und zogen los.

    Trauer erfüllte das Herz des Jüngsten. Nie durfte er sich den anderen anschließen, nie durfte er ihnen seine Gedanken offenbaren. Er zog sich auf seinen Lieblingsplatz zurück, direkt neben der Kaminattrappe im Eingangsbereich der Residenz. Die Nische war mit einem Hirtenteppich ausgelegt. Gedankenverloren zupfte er an den weichen Fransen.


    Wie hieß noch gleich dieser Teppich? Kapi. Nein, anders. Floh? Genau. Flohkapi.

    Aber halt, war das nicht das Ding, das sich der Vater gewünscht hatte? Ein heißes Glücksgefühl durchströmte ihn. Eifrig rollte er den Kapi zusammen, warf ihn über die Schulter und eilte Vaters Gemach entgegen.

    „Ich hab eins!“, rief er. „Hier, für dich!“

    Der König schreckte hoch. „Was soll das Geschrei? Stör mich nicht! — Doch was hast du da auf deiner Schulter? Etwa ein —?“

    „Ja, Vater, ein Kapi. Jetzt, da der Herbst naht, soll er deine Füße wärmen.“

    Er bückte sich und rollte den Teppich aus. Der König brummte zufrieden, streifte seine Pantoffeln ab und stellte die Füße auf den Flohkapi. „Ah, herrlich, so kann der Herbst kommen.“

    „Und jetzt raus, ich habe zu tun.“

    Der Jüngste gehorchte.


    Vor Sonnenuntergang kehrten seine Brüder zurück. Einer trug eine große Papierrolle herein und der andere hatte einen Bildband über exotische Tiere unter dem Arm. Das Poster mit dem Okapi rollten sie vor Vaters Augen aus.

    „Unfug!“, schimpfte der König, zerriss das Bild, schnappte das Buch und warf damit nach ihnen.

    „Soll dieser Kram etwa meine Füße wärmen? Aus meinen Augen, ihr Nichtsnutze, ich will euch nie wieder sehen! Und schafft mir den Dummkopf herbei, aber flott!“

    Die beiden eilten hinaus. Ihr Bruder saß im Park der Residenz auf einer Bank und las einigen Herrschaften die Nachrichten des Tages vor.

    „Na, Lesen geübt? Komm, Vater will dich sehen. Aber verrate uns vorher: Wie hast du es geschafft, unseren alten Herrn mit dem Flohteppich zu beglücken?“

    „Ich, äh, der Kapi—“

    Die Brüder unterbrachen ihn ungeduldig. „Egal. Aber schwör uns, dass du uns die Hälfte der Erbschaft abgibst. Die andere Hälfte ist dein.“

    „So wenig?“

    „Na gut, dann eben für jeden ein Drittel.“

    Im Kopf des Jüngsten wuchsen Zweifel, doch er schwieg wie immer.


    Sie betraten gemeinsam Vaters Gemach. „Was ist los? Wer stört mich? Ach, ihr seid es, meine Untertanen.“

    „Deine Söhne, Vater. Wir müssen darüber reden, wer dein Vermögen erbt. Oder verwaltet. Das sollte am besten der älteste Sohn übernehmen“, sagte der Älteste. „Oder der Zweite“, ergänzte der Zweite.

    Die Tür ging auf und ein resoluter Mann ergriff das Wort. „Herr König, Abendessen für Sie und Zeit, sich von Ihrem Besuch zu verabschieden. Den Flokati bitte umgehend in die Eingangshalle zurückbringen, er ist Eigentum der Residenz.“

    Der Jüngste rollte den Flohkapi zusammen und trug ihn hinaus. Der Pfleger überreichte dem Ältesten ein Schreiben der Verwaltung: „… bitten wir Sie, die Heimkosten für Herrn König umgehend zu begleichen.“

  • Premiere

    von Inkslinger


    "Willst du das wirklich durchziehen?"

    Adrian wirft seinem Cousin einen genervten Blick entgegen, bevor er sich wieder dem Binden seiner Krawatte widmet. "Zum fünftausendsten Mal: Ja, ich will. Hör endlich auf, dir Sorgen zu machen. Du störst meinen Flow." Im Spiegel beobachtet er Dirk, wie dieser auf- und abtigert. "Stress dich nicht. Du musst ja nicht da raus."

    "Aber ich sitze im Publikum. Die Leute haben uns zusammen kommen sehen. Wenn du Scheiße baust, krieg ich die faulen Tomaten ab."

    "Vielleicht solltest du doch auf die Bühne. Die Dramaqueen hast du voll gut drauf."

    Dirk schnaubt. "Nicht witzig, Mann. Du kannst mächtig Ärger dafür kriegen."

    Adrian dreht sich um und packt ihn bei den Schultern. "Es ist mein erster Auftritt. Falls es mein Letzter sein sollte, ist es eben so. Dann habe ich es wenigstens versucht. Man muss auch mal was wagen."

    "Aber der Text ist nicht von dir ..."

    Adrian lacht und führt Dirk zu einer Lücke im Vorhang, von der aus sie einen ungestörten Blick auf die Zuschauer der heutigen Veranstaltung haben. "Fällt dir irgendwas an denen auf?"

    Dirk zuckt mit den Schultern. "Sie waren auf dem Weg zum Hipster-Kongress und haben sich in der Tür geirrt?"

    "Bestimmt. Außerdem sieht keiner von denen älter aus als dreißig. Oder wie ein Komasäufer. Niemand wird checken, dass ich mir Passagen geborgt hab. Jetzt setzt dich auf deinen Platz und genieß die Show."

    Leichter gesagt als getan.


    Zwei Stunden voller Anti-Kriegs-Gedichte, Alltagsbewältigungs-Lyrik und Wachstumsschmerz-Oden tragen nicht zu Dirks Entspannung bei. Selbst die Whiskey-Colas, an denen er sich festkrallt wie ein Ertrinkender an einer Holztür, helfen nur bedingt.

    Natürlich ist sein Cousin als Letztes dran.

    Selbstbewusst wie ein junger, pummeliger James Bond betritt er die Bühne des Lokals in Anzug und Sneaker. Sein Griff ans Mikro ist zackig und effektvoll. Das Publikum wartet gespannt und stellt alle Gespräche ein.

    Dirk weiß als Einziger, was kommt und versucht, so gut wie möglich in seinem Stuhl zu versinken.

    Adrian schließt die Augen und intoniert:

    "Es war einmal

    ein Karnickel.

    Das hatte am Po

    einen Pickel."

    Er nickt, öffnet die Augen und ruft:

    "Doch wollt's dem Karnickel nicht glücken,

    den Pickel am Po auszudrücken."

    Wie ein Pfarrer auf seiner Kanzel reißt er den Arm hoch und unterstreicht jedes seiner Worte.

    "Ja, wenn im Dorf die Bratkartoffeln blüh'n,

    dann ist alles wieder gut.

    Dann ist alles wieder schön."

    Als Adrian das Mikro zurück an den Ständer klemmt und sich verbeugt, entsteht eine Pause.

    Die gefürchtete Stille, die über Untergang und Aufstieg eines Sterns entscheidet.

    Verstohlen guckt Dirk sich um.

    Was werden die Leute jetzt tun?

    Ihn ausbuhen? Lachen? Mit Messern und Gabeln werfen?

    Er jedenfalls fühlt sich wie in einem schlecht kopierten Hape-Kerkeling-Sketch.

    Plötzlich bricht tosender Applaus aus. Es wird anerkennend gepfiffen und gegrölt, mit Füßen getrampelt und gerufen.

    Dirk kann es nicht glauben. Sein blöder Cousin hat es tatsächlich geschafft!

    Auch die Jury ist begeistert und verleiht Adrian den ersten Platz des Rookie Poetry Slams.

    Auf dem Weg hinter die Bühne hört Dirk einige leidenschaftliche Kommentare.

    "Ein Euphemismus für die unerreichbaren Ziele der Generation Z."

    "Hoffnungsvoll und utopisch zugleich. Ein Meisterwerk!"

    "Ich kann mich voll in das Karnickel hineinversetzen. Das bin so ich!"

    Hinten angekommen findet er Adrian in einer Traube Fans.

    Als Dirk endlich zu ihm durchgedrungen ist, umarmt er ihn feste. "Du bist so dreist! Aber irgendwie bin ich auch stolz auf dich. Wars das jetzt mit deiner Poetry-Slam-Karriere?"

    Adrian grinst. "Natürlich nicht. Es gibt noch so viele Kinder- und Volkslieder zu plündern. Mich hält keiner auf."