...perfect day...

  • Perfect Day


    Der Wecker bimmelt schon seit einigen Minuten, aber ich kann mich nicht aufraffen, auch nur einen Finger zu bewegen. Links neben mir grummelt jemand in sein Kissen, erst leise dann immer lauter und plötzlich werde ich aus der kuscheligen Armbeuge, in der ich bis grade noch wie ein Kleinkind selig schlummernd lag, heraus geschubst und lande unsanft neben dem Bett. Böse schiele ich über den Bettrand und sehe ein grinsendes Gesicht. „Morgenstund hat Gold im Mund. Du wolltest unbedingt in aller Herrgottsfrühe aufstehen, also beweg dich.“ Ich bewerfe ihn erst mit einem Strumpf, dann mit meinem Buch und ziehe ihm schließlich im Rausgehen die Bettdecke weg.


    Mit der Zahnbürste im Mund wandere ich Minuten später durch die Wohnung und werde von Teeduft in die Küche gelockt. Da steht er und brüht etwas unbeholfen und nur mit Shorts bekleidet meinen Lieblingstee. Schnell flitze ich wieder ins Bad, um den Zahnpastageschmack aus dem Mund zu bekommen. Tee mit Zahnpasta ist nämlich...wabäääh. Als ich wieder in Küchennähe auftauche, drückt er mir einen dampfenden Becher in die Hand und schubst mich aufs Sofa. Ich zappele ein bißchen herum, weil ich schon etwas spät dran bin. „Nix da, Zeit für Tee muß sein.“ Sagt er und zieht mich in seine Arme, um mich direkt darauf wieder los zu lassen. „IGITT, DU STINKST WIE DIE PEST!“ Kichernd hopse ich vor dem Sofa herum. "Das ist meine Reithose, hab sie extra mit Lederwaschmittel gewaschen, damit der Besatz schön geschmeidig ist." Angeekelt verzieht er das Gesicht. „Widerlich!“


    Ich angel aus meiner Tasche meine DocMartens und schlüpfe hinein. Dabei werde ich von ihm weiterhin kritisch beäugt. Schnell noch einen Fleecepulli übergezogen und ich stehe in meinem Reitdress vor ihm. Er lacht sich kringelig. „Du siehst aus wie 12!“ Ich dreh ihm eine lange Nase und verschwinde mit der Teetasse durch die Haustüre. „He, meine Tasse?!“ „Kannst du dir heute abend bei mir abholen“, rufe ich zurück und gehe Tee schlürfend zu meinem Rennsmart. Als ich lossmarte sehe ich ihn am Fenster stehen, wie er mir nachschaut. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.


    1 ½ Stunden und eine wunderschöne Fahrt durch die Hocheifel später, rolle ich auf dem Bauernhof meines Bruders durchs Tor. Bruderherzchen steht wie Pascha bereits im Torbogen und läßt sich von seiner vor ihm knienden Frau die Sporen an die Reitstiefel schnallen. Ich werde von Felix, einem weiß-braunen Dalmatiner, freudig begrüßt und drücke erstmal Brüderchen und Schwägerin Küßchen auf die Wangen. Die Kids sind bei Oma und Opa dieses Wochenende. Schade.
    „Na dann mal los!“ sagt mein Bruder und schiebt mich in Richtung Stall. Die Sonne strahlt durch die hohen Fenster und die Messingbeschläge der Boxentüren glitzern in der Sonne. Ein leises Schnauben kommt aus einer der Boxen und die schönste Stute der Welt schiebt ihren Kopf heraus. „Hallo Süße.“ Ich streiche über ihre Nüstern und lege ihr in einem das Halfter an. Brav trottet sie hinter mir her auf den Hof in die Sonne. Die Sonnenstrahlen lassen ihr fuchsrotes Fell leuchten und ihre Mähne flattert im ziemlich kühlen Wind. Ich atme tief ein, frische Landluft.


    „Ey, geh mal ausm Weg.“ Hinter mir kämpft mein Bruder mit seinem schwarzen Sack Flöhe, besser bekannt als Staatsprämienstute Rhapsody. Ich beobachte ihn grinsend und beginne das Fell meiner Süßen zu striegeln. Der Staub fliegt nur so durch die Gegend. Welunja steht gelassen da und blinzelt träge, als ich ihre Hufe auskratze. Langsam läßt der Wind nach und es wird immer wärmer. Schnell schlüpfe ich in meine Lederstiefel, hole Sattel und Trense und bin froh, daß ich das alles noch problemlos hinbekomme. Ist schließlich ein paar Jahre her, seit ich zum letzten Mal wirklich geritten bin und nicht nur Unterricht erteilt habe. Mein Bruder reicht mir seinen Flachmann, „Hier echter Monschauer Els...der macht wach.“ Ich nehme einen großen Schluck und schwinge mich auf Welunjas Rücken.


    Langsam reiten wir über Feldwege, große Wiesen und lassen die Pferde am lockeren Zügel laufen. Ich genieße die Sonne und lasse meine Hüften locker im Takt der Pferdeschritte mitschwingen. An einem Bach machen wir Pause. Die Pferde kühlen ihre Fesseln, während wir am Ufer sitzen und uns Rücken an Rücken Geschichten aus unserer Kindheit erzählen. Ein paar Wanderer kommen vorbei und winken uns zu. Eine ältere Dame sagt: „So ein hübsches Paar.“ Ich lache und greife noch mal nach dem Flachmann. Weiter geht's aus einer Laune heraus nehme ich die Hand meines Bruders in meine und wir reiten Hand in Hand und schweigend weiter. Manchmal muß man einfach nichts sagen, da reicht es schon, wenn man einfach die tolle Landschaft genießt.


    2 Stunden reiten wir durch Kalterherberg und die umliegenden Wälder. Kein Mensch, soweit das Auge reicht nur Wiesen und Wälder. An einer der Wiesen stoppt Bruderherz plötzlich. „Ok, was das Pferd kann weiß ich, jetzt zeig mir, was du noch drauf hast.“ Ich gucke ihn fragend an. „Los, mach auf der Wiese was du willst, ich setz mich hier hin und schone meine müden, alten Knochen. "
    Lachend trabe ich los. Fange mit ein paar kleinen einfachen Dressurübungen an. Ein paar kleine Volten, ein bißchen Schenkelweichen. Als ich merke, daß es noch klappt werde ich mutiger. Passage, Piaffe und ein paar Pirouetten. Ich spüre, wie Welunja unter mir arbeitet, wie sie konzentrierte ist, wie wir langsam unseren alten Takt finden, wie wir verschmelzen und zu einer Einheit werden. Aus dem Augenwinkel seh ich, daß die Wanderer von vorhin sich zu meinem Bruder gesellt haben und uns beobachten. Ich halte neben ihnen. Meine roten Wangen leuchten und meine Augen strahlen vor Freude. Eine der Frauen klatscht in die Hände und ich schäme mich ein bißchen. Warum weiß ich nicht.


    Ich lasse Welunja tänzeln, sie dreht sich unter mir herum, ihr Körper spannt sich und ich lasse sie rennen. 1 km freie Wiesenfläche liegt vor mir unterbrochen nur von zwei kleinen 1,2m-Sprüngen. Welunja wird unter mir immer flacher. Ich lasse die Zügel aus meinen Händen gleiten, lasse sie rennen und strecke kurz vor dem Sprung vor lauter Freude an diesem schönen Tag die Arme aus. Freihändig fliege ich über die beiden Hindernisse. Drehe in rasantem Galopp noch eine Runde und lasse sie dann langsam in Trab fallen. Mein Bruder steht wieder alleine am anderen Ende der Wiese. Schon von weitem, sehe ich daß er mir für diese kleine waghalsige Einlage nicht böse ist.


    Schwungvoll kommen wir vor ihm zum Stehen. „Ich sehe du kannst es noch. Laß uns Heimreiten. Wir werden bestimmt schon vermißt.“
    Ich nicke, bin zu keinen Worten mehr fähig, bin einfach nur glücklich, recke mein Gesicht der Sonne entgegen und lasse Welunja hinter ihm her heimwärts zockeln.
    Neben mir singt jemand...“It's just a perfect Day...“ Ich schaue mich um und stelle überrascht fest, daß Bruderherz genauso strahlt, wie ich und er es ist der vor sich hin singt. Als er meinen Blick sieht, singt er lauter und greift nach meiner Hand.
    Vorm Hof steht meine Schwägerin und zeigt uns einen Vogel.... was uns nur zu noch lauterem Singen animiert....
    „Its just a perfect day.....“

  • Eine wirklicher 'perfect day' und mal wieder super schön geschrieben... :anbet


    Ich war glatt ein bißchen neidisch, als ich Deinen Bericht vom Fliegen über das Feld gelesen habe... Das ist ein Gefühl von Freiheit, wie es kein zweites gibt... *seufzt sehnsüchtig*

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Warum lese ich diese wunderschöne Geschichte heute, Wochen nach ihrem Erscheinen und nur wenige Stunden, nachdem meine knapp 13jährige Tochter mich aus ihren manchmal unverschämt weichen braunen Augen anblickend bat: "Papa, ich will reiten...!" ? :gruebel


    Natürlich beeinflusst mich die Story in keinster Weise bei meiner verzweifelten Suche nach Gegenargumenten... 8)

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)