Christopher Kloeble - Durch das Raue zu den Sternen

  • Per aspera ad astra

    Das Buch hat mich beeindruckt. Zuerst fühlte es sich wie ein Coming-Of-Age doch steckt viel mehr dahinter. Ein Mädchen, das einem Lehrer ins Gesicht schlägt, oder das Haushaltsgeld entwendet, um ihre Gesangsstudien zu bezahlen, stundenlang tagtäglich vor einem Gebäude steht in der Hoffnung im Chor mitsingen zu dürfen, bis sie tatsächlich ihr Ziel erreicht. Ihre Beharrlichkeit ist bewundernswert. Wenn sie von einem Jungen angegriffen wird,der zu “den Jungs mit geschwollenen Kehlköpfen” 8s. 151) gehört, sehen Mädchen aus Molls Klasse tatenlos zu, lassen sie allein, drehen sich weg. Doch Moll kann sich wehren und schlägt zurück. Moll weigert sich mitzusingen, als der Chorleiter einen Jungen wegen seiner Leibesfülle mobbt.

    Molls Weigerung den Verlust ihrer Mutter anzuerkennen ist konstant, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, bis wir erfahren, was eigentlich passiert war als “Mutter kurz weggegangen ist” (S. 168). Nun verstehen wir auch, wieso sie dem Lehrer eine blutige Nase verpasst hat

    Am schönsten fand ich die Idee, dass Ludvig van Beethoven eine Frau gewesen ist. Und nur die Nachwelt sich beharrlich weigert, diese Tatsache anzuerkennen.

    Kloeble versteht es meisterhaft, die Gestalten im Roman vor unseren Augen mit Leben zu füllen. Der Vater, der in seiner Trauer versinkt und seine Tochter vernachlässigt, findet erst allmählich und durch Moll zum Leben zurück, Molls Mutter, unangepasst, in der Dorfgemeinschaft immer aneckend, liebt ihre Tochter über alles. Bernhardina, die alte Frau, Molls einzige Freundin nach dem Weggang der Mutter, Lehrer und Bewohner aus der Schule. Die Jungen im Knabenchor, die drei Chorleiter, die in ihrer Art Moll fördern und unterstützen. Sie alle bewegen, handeln, reden in den Buchseiten, bilden dabei den Rahmen, in dem Arkadia Fink, genannt Moll, von ihrem Leben erzählt. Sie ist dreizehn Jahre alt, kennt den Schmerz, den kein Kind je erleben sollte, ist erfüllt von einer Musik, die nur sie hören kann, will unbedingt in einem berühmten Knabenchor mitsingen und schafft es auch. So wie sie sich die Welt zurecht deutet muss man ihr Recht geben. Moll akzeptiert kein Nein. Sie will im Knabenchor singen und setzt es durch. Wenn andere sie angreifen, setzt sie sich zur Wehr. Man sagt ihr, sie habe kaputte Ohren, nun, sie schafft dem direkt Abhilfe, auch wenn es nichts nützt. Noch kann sie mit ihren Gefühlen nicht umgehen, sie muss das erst lernen, ein langwieriger und schmerzhafter Prozess. Der Tiefgang, der dabei zu Tage tritt, ist berührend. Kein Kitsch, kein Pathos, einfach ein Mädchen mit der unstillbaren Sehnsucht nach der Mutter, allein gelassen, bekommt Hilfe von unerwarteter Seite. Wie es der Titel schon sagt, muss Moll sich durchkämpfen, allein durchkämpfen, bis sie endlich die Unterstützung erhält, die sie braucht, um nach den Sternen zu greifen.

    Die Sprache ist schlicht, doch voller Bilder, weckt unsere Neugier, der Leser will weiter und weiter lesen. Das Ende ist viel zu schnell da. Wir würden Arkadia, genannt Moll, zu gerne weiterhin begleiten, vielleicht nach Tokio, zu anderen Konzerten, hinaus ins weite Leben.


    ASIN/ISBN: 3608966579

  • Musik


    Musik ist sehr ausdrucksstark. Sei es Klassik wie Mozart oder Beethoven, Schlager wie Vicky Leandros oder Roberto Blanko oder gar Rap wie Bushido oder Usher. Wie viel Musik für das Leben eines jungen Mädchens bedeutet, zeigt „Durch das raue zu den Sternen“.

    Arkadia passt nicht zu ihren Altersgenossen. Sie ist musisch talentiert und möchte im Knabenchor singen. Unterstützung hat sie keine zu erwarten, ehe eine Musikerin ihr Talent erkennt und sie im Knabenchor unterbringt…

    Ich fand das Buch sehr berührend. Arkadias Situation am Rand der Gemeinschaft wird bildhaft dargestellt (ziehen an Haaren, Spott, Skepsis). Auch ihre Freundschaft zu einer alten Frau und das Zusammenleben mit ihrem Vater werden tiefgründig beschrieben. Der Schreibstil ist dabei ruhig und unaufgeregt, was zum Thema passt. Allerdings stockt die Story und es wird zwischendurch langatmig, zum Beispiel durch lange Sätze. Dadurch geht der Lesefluss teils verloren. Es erinnert mich quasi an ein Lied mit zu vielen Akkorden. Da die Thematik jedoch so wichtig ist, gebe ich vier Sterne.

  • Oberbayern im Jahr 1992: Arkadia Fink (13), genannt Moll, ist nicht wie die anderen Mädchen in ihrem Alter. Sie liebt klassische Musik. Das verbindet sie mit ihrer Mutter Iris, die seit mehr als acht Monaten weg ist. Ihr Vater, ein Schreiner, ist mit der Situation überfordert. Ihre beste und einzige Freundin, Bernhardina, ist eine ehemalige Musiklehrerin, bereits 84 Jahre alt und lebt im Altenheim. Als Arkadia vom Probesingen für einen Knabenchor erfährt, reift in ihr ein Plan heran: Wenn sie es in den Chor schafft, wird ihre Mutter bestimmt zurückkehren…


    „Durch das Raue zu den Sternen“ ist ein Roman von Christopher Kloeble.


    Der Aufbau des Romans orientiert sich an einer Sinfonie: Er besteht allerdings aus fünf statt vier Sätzen beziehungsweise Teilen. Die ersten vier beinhalten mehrere Kapitel. Erzählt wird ausschließlich in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Arkadia.


    Der Text ist sehr atmosphärisch und von ungewöhnlichen Metaphern durchzogen. Besonders gut haben mir Wortkreationen wie Pentatoniker und Tondichterin gefallen. Zudem ist es gelungen, sprachlich den Ton einer 13-Jährigen zu treffen, ohne in unglaubwürdigen Jugendslang zu verfallen.


    Arkadia ist eine unkonventionelle Protagonistin: Außenseiterin und musikalisch begabt, aber impulsiv, durchsetzungsstark, egozentrisch, mehr als nur selbstbewusst, gewaltbereit und eigensinnig. Sie hat Ecken und Kanten, sie macht Fehler und gesteht sich diese ein. Ihre ausufernden, wiederholten Fantasievorstellungen wie die, dass Beethoven weiblich war, sind mit der Vernunft oft nicht zu greifen. Dennoch wirkt ihr Innenleben authentisch und in sich stimmig.


    Auf der inhaltlichen Ebene vereint der Roman zwei thematische Bereiche. Das sind einerseits die Leidenschaft für klassische Musik und das Singen in professionellen Chören. Die Geschichte zelebriert musikalische Kunst, kritisiert zugleich aber den äußerst strengen, harschen und übertrieben disziplinierten Umgang der Chorleiter mit jungen Sängern. Letzteres hat der Autor selbst erlebt, wie er in Interviews hat durchblicken lassen.


    Da ist andererseits das Thema mentale Gesundheit. Die offenbar manisch-depressiven Verhaltensweisen der Mutter nehmen ebenso viel Platz ein wie die offenkundige Traumatisierung der Tochter, die vor allem mit Gewalt, Aggressivität und überbordender Fantasie auf eine Verlusterfahrung reagiert.


    Darüber hinaus hat der Autor weitere Aspekte eingearbeitet. So lässt er beispielsweise immer wieder Kritik an patriarchalischen Strukturen einfließen. Dies verleiht dem Roman eine weitere Facette.


    Die Geschichte ist anrührend, aber nicht kitschig. Und obwohl für mich die Hintergründe des Verschwindens bereits nach wenigen Kapiteln offensichtlich waren, habe ich mich auf keiner der knapp 240 Seiten gelangweilt. Dass zwar alle wesentlichen Fragen geklärt und dennoch Interpretationsspielräume gelassen werden, ist eine weitere Stärke des Romans.


    Ein Manko ist für mich hingegen das sehr hübsche, aber wenig passende Covermotiv. Die Darstellung des Mädchens und die Harmonie des Bildes werden dem Inhalt nicht gerecht. Unglücklich ist auch, dass fast zeitgleich ein anderer Roman mit diesem Motiv erschienen ist. Umso besser ist dagegen die Wahl des Titels, der eine lateinische Redewendung aufgreift und mit der Beschreibung der Werke Beethovens verbunden ist.


    Mein Fazit:

    Mit „Durch das Raue zu den Sternen“ ist Christopher Kloeble ein bewegender und besonderer Roman gelungen, den ich wärmstens empfehlen kann.


    Ich vergebe 5 von 5 Sternen.