Verantwortung des Krankenhauses bei Selbstmord?

  • guten Morgen,


    gerade ruft mich meine Mutter an und erzählt mir, dass der Sohn ihrer alten Schulfreundin Selbstmord begangen hat. Er wurde letzte Woche ins Krankenhaus eingeliefert, als man ihn zuerst gefunden hatte. Nachdem die Gefahr abgewendet wurde (Ich weiß nicht ob er Tabletten nahm oder sich verletzte) wurde er wieder entlassen.


    Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus verschwand er - und wurde gestern abend bzw. heute Nacht tot aufgefunden, er hat sich mit Tabletten das Leben genommen. Als Hintergrund dazu: er litt an MS, hatte wahnsinnige Schmerzen und konnte sich mit dieser Krankheit nie abfinden.


    In ihrem Schmerz macht die Mutter (und der Rest der Familie) nun das Krankenhaus verantwortlich. Meine Mutter stimmt dem zu - ich aber denke, er war alt genug (er war 40 Jahre alt), konnte absehen was mit dem MS noch auf ihn zugekommen wäre und schon zugekommen ist, war geistig auf der höhe. Selbst ein Krankenhausaufenthalt hätte ihn nicht von seiner Tat abhalten können (so ist meine Meinung)


    Wo liegt die Verantwortung des Krankenhauses? Darf jemand, der wirklich nicht mehr will, zum weiterleben gezwungen werden, nur damit Familie und Freunde nicht leiden müssen?


    Gruß


    Telefonhexe

  • Schwierige Sache das.... grundsätzlich verstehe ich nicht, wieso er nach dem Selbstmordversuch nicht in eine Landesklink (zwangs-)eingewiesen wurde. Das wäre die übliche Vorgehensweise.


    Andererseits weiß ich durch eine Bekannte, wie schrecklich MS sein kann und wie sehr sie oft leidet.


    Eine Kollegin von mir hat sich letztes Jahr aus diesem Grund erschossen und irgendwie wußte jeder, daß es besser für sie ist, als weiter so zu leiden. Auch wenn der Schock natürlich enorm groß war. (Obwohl ich sie nur entfernt kannte)


    Eigentlich neige ich allerdings dazu, an einem Selbstmord eines Erwachsenen immer nur demjenigen Selbst die Schuld zu geben. Denn wer das wirklich tun will, den hält auch ein Auffenthalt in der Klapse nicht davon ab.
    Möglichkeiten gibt es zu hauf.....


    Grausamer Spruch eines Kollegen bei meinem ersten vor unseren Augen vollendeten Brückenspringer:
    "Reisende soll man nicht aufhalten...."

  • Bei uns in Deutschland gilt nun einmal, dass man zu Hilfestellung verpflichtet ist. Das gilt erst recht für Ärzte und Krankenhäuser.


    Wenn jemand Suizid begehen will - aus welchen Gründen auch immer - und man weiß davon und versucht nicht, den Suizid zu verhindern, macht man sich strafbar.


    Das ist die reine Rechtslage, wie auch immer man das persönlich finden mag und wieviel Mitgefühl man auch immer für den Suizidwilligen haben mag.


    Gruß
    Ikarus

  • Guten Morgen,


    also wenn ich ehrlich bin, ist das dem Krankenhaus ziemlich schnuppe. Als ich 2000 einen Mix aus Tabletten und Alkohol genommen habe und von der Intensivstation runterkam, kam ich in ein Zimmer mit Balkon, wo ich superleicht hätte runterspringen können. Dann haben die mich nach zwei Tagen nahezu rausgeworfen, obwohl ich nicht wusste wohin, da es ziemlichen Ärger mit meinem Ex gab, wo ich nicht mehr hin wollte. Da das Krankenhaus sonst keinen erreicht hat, haben sie ihn angerufen, dass er mich abholt (trotzdem ein Arzt gesagt, da geht sie nicht mehr hin!!!) - allein hieran sieht man, dass es dem Krankenhaus mehr als egal ist.


    Bianca

  • Also ich wundere mich ehrlich gesagt auch.
    Ist es nicht üblich,das man nach einem Selbstmordversuch
    zwangseingewiesen wird in eine Psychatrischeabteilung?


    Aber meine Meinung ist,wer sich wirklich umbringen will schafft es auch
    und kann von nichts und niemanden daran gehindert werden.

  • Gwendolin
    Üblicherweise ist das so....
    Allerdings ist so eine Zwangseinweisung ja Arbeitsaufwand, den spart man sich offenbar manchmal. :wow


    @ Ikarus
    Welchen Straftatbestand siehst du denn erfüllt im hier diskutierten Fall?
    *wartet sehr gespannt, was jetzt kommt*

  • Soweit ich informiert bin, kann niemand gegen seinen Willen in einem Krankenhaus festgehalten werden. Es sei denn mit richterlichem Beschluss oder wenn der Patient entmündigt ist und sein Vormund auf Zwangseinweisung besteht.


    Deshalb gibt es solche tragischen Vorfälle.


    Aber Gwendolin hat Recht: wer Selbstmord begehen will, wirklich will, der schafft das auch. Leider. Aber für manche scheint eben der Tod leichter zu ertragen als das Leben.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Alice
    das ist so nicht richtig!


    Äußert jemand glaubhaft Selbstmordabsichten so wird er im Normalfall durch einen Beauftragten der Feuerwehr oder des Ordnungsamtes in die nächste Landesklinik zwangseingewiesen, von dort wird er erst dann entlassen, wenn die *Gefahr* gebannt ist. (Ob dies von einem Richter noch mal abgesegnet werden muß, weiß ich nicht. Aufgrund der bestehenden Gefahr, muß jedoch zunächst kein Richter hinzugezogen werden.)
    Um diese Reaktion auszulösen muß natürlich erstmal Polizei oder Ordnungsamt Kenntnis von dem Sachverhalt bekommen. Das wäre in diesem Fall dann wohl Aufgabe der Ärzte gewesen. Allerdings traue ich einem Arzt im Normalfall zu, abschätzen zu können, wie gefährdet der Patient tatsächlich ist.
    Und wenn derjenige sich im Krankenhaus einigermaßen nachvollziehbar verhalten hat und keinerlei Suizidabsichten mehr äußerte, so besteht dann keinerlei Grund, sich um eine weitere Zwangseinweisung zu bemühen.

  • Zitat

    Original von Babyjane


    @ Ikarus
    Welchen Straftatbestand siehst du denn erfüllt im hier diskutierten Fall?
    *wartet sehr gespannt, was jetzt kommt*


    @BJ, ich will Dir da nicht vorgreifen, weil Du Dich da sicher besser auskennen wirst?


    Aber soweit ich das von meinem Bruder und Bekannten weiß gibt es einen Paragraphen, der sich mit unterlassener Hilfeleistung beschäftigt?


    Die Frage ist allerdings hier, ob das Krankenhauspersonal tatsächlich von einem erneut drohenden Suizidversuch gewußt hat bzw. gewußt hätte haben müssen. Das entsprechende Stichwort kam ja schon, dass eventuell eine Therapie hätte angeschlossen werden sollen.


    Warum kam die nicht?

  • Zitat

    Original von Babyjane
    Alice
    das ist so nicht richtig!


    Äußert jemand glaubhaft Selbstmordabsichten so wird er im Normalfall durch einen Beauftragten der Feuerwehr oder des Ordnungsamtes in die nächste Landesklinik zwangseingewiesen, von dort wird er erst dann entlassen, wenn die *Gefahr* gebannt ist. (Ob dies von einem Richter noch mal abgesegnet werden muß, weiß ich nicht. Aufgrund der bestehenden Gefahr, muß jedoch zunächst kein Richter hinzugezogen werden.)
    Um diese Reaktion auszulösen muß natürlich erstmal Polizei oder Ordnungsamt Kenntnis von dem Sachverhalt bekommen. Das wäre in diesem Fall dann wohl Aufgabe der Ärzte gewesen. Allerdings traue ich einem Arzt im Normalfall zu, abschätzen zu können, wie gefährdet der Patient tatsächlich ist.
    Und wenn derjenige sich im Krankenhaus einigermaßen nachvollziehbar verhalten hat und keinerlei Suizidabsichten mehr äußerte, so besteht dann keinerlei Grund, sich um eine weitere Zwangseinweisung zu bemühen.


    Wenn das stimmt, was Du schreibst, dann wurde er also als geheilt entlassen, was sich als fataler Irrtum herausgestellt hat.


    Who`s the one to blame then? :gruebel

  • Zitat

    Original von Gwendolin
    Was Babyjane da schreibt ist vollkommen richtig.
    Bei Gefahr in Verzug dürfen Behörden ohne richterlichen Beschluß jemanden
    zwangseinweisen.


    Na eben, das meine ich doch? Sonst machen die sich doch strafbar? Nur, den Paragraphen wüßte ich nun beim besten Willen nicht. Wird BJ besser wissen.


    Ich frag mich allerdings auch, warum die nächsten Angehörigen und Freunde nichts gemacht haben? Sowas merkt man doch irgendwie - dass ein Mensch depressiver wird, sich allgemein verändert usw.

  • @ Ikarus
    Einen Grund warum diese nachfolgende Einweisung eventuell nicht karm hab ich im vorausgegangenen Posting angegeben.
    Allerdings ist das hier schwer festzustellen, da wir nicht vor Ort waren und uns einige Informationen zur abschließenden Bewertung fehlen.


    Was die unterlassene Hilfeleistung angeht, liegst du schon in etwa richtig. (Das Ganze ist ein bißchen komplizierter, aber dieser Ausdruck umschreibt es ganz gut)
    Ich fragte auch nur, weil ich wissen wollte, wie fundiert dein Wissen ist und in wie weit sich eine interessante rechtliche Diskussion hier entspinnen könnte.
    Dies ist nämlich durchaus ein sehr heiß diskutiertes Thema. Aber natürlich drücke ich mich anders aus, wenn ich mit jemandem mit Rechtskenntnissen diskutiere, als wenn ich jemandem ohne Vorkenntnisse verdeutlichen will, worum es geht.


    Schade das Voltaire nicht hier ist, seine Meinung dazu würde mich sehr interessieren. :-]

  • @BJ, mein ältester Bruder ist Kriminalkommissar (A13) - Wirtschaftskriminalität, ein Bekannter von uns ist in der Rechtsabteilung einer Behörde in HH und mein Mann hat den sogenannten kleinen Juristenschein.


    Von daher kenne ich mich ein wenig aus - allerdings lücken-und laienhaft - und irre mich gewiß oft, was die Formulierungen betrifft. :-)


    Mich interessieren Rechtsfragen allerdings sehr.


    :wave
    Ikarus

  • Ich bitte um Entschuldigung wenn ich mich mal hier kurz einmische - ist ja sonst nicht so meine Art. :grin :grin :grin


    Aber hier geht etwas ein wenig durcheinander zu.


    Entmündigungen kennen wir nicht mehr im deutschen Recht. Wir haben jetzt das sogenannte "Betreuungsrecht". Betreuer (egal ob Privat- oder Berufsbetreuer) werden durch das Gericht eingesetzt. Die Betreuer haben ein Anrecht auf eine angemessene Alimentierung. Die betreute Person ist in der Ausübung eigener Rechtsgeschäfte lange nicht mehr so eingeschränkt, so wie sie es bei einer Entmündigung gewesen ist.


    Gegen seinen Willen kann ein Mensch nur durch Gerichtsbeschluß in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Die Maßnahmen der zuständigen Eingriffsverwaltung (Polizei, Ordnungsamt etc.) geschehen lediglich präventiv und bedürfen - bei notwendigen längeren Aufenthalt des Patienten - eines Gerichtsbeschlusses. Hintergrund ist dabei, dass durch den Zwangsaufenthalt des Patienten massiv in seine Grundrechte eingegriffen wird. Eingriffe in Grundrechte bedürfen eines richterlichen Beschlussen - gerade auch in Bezug auf eine fortdauernde Freiheitsentziehung. Die Ingewahrsamnahme (befristet) dagegen kann auch durch ordnungsbehördliche Verfügung vorgenommen werden. Polizei, Ordnungsämter und auch die Feuerwehr bzw. Rettungsdienste sind Teil der sogenannten Eingriffsverwaltung und in solchen Fällen ausschließlich ordnungsbehördlich tätig.


    So, *Klugscheissmodus* dann mal wieder aus. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke Voltaire....
    ich kenn mich ja immer nur bis da aus, wo meine Befugnisse enden.... :lache


    Allerdings würde mich noch interessieren, wie du das mit der Straftat siehst. Bzw. welche du in einem solchen Falle sehen würdest. Ich muß nämlich gestehen, daß ich ein wenig unschlüssig bin. :-(


    @ Ikarus
    Ich wollte dich gar nicht anzweifeln, ich wollte nur abschätzen können, ob es sich lohnt, eine Diskussion zu starten. :-]

  • Zitat

    Original von Babyjane


    @ Ikarus
    Ich wollte dich gar nicht anzweifeln, ich wollte nur abschätzen können, ob es sich lohnt, eine Diskussion zu starten. :-]


    Hab ich auch gar nicht so aufgefaßt, BJ ... mich kann man auch gar nicht anzweifeln, das tu ich schon selbst genug ;-) :knuddel1


    Naja, ich würd lieber erst lernen, bevor ich diskutiere?!


    Voltaire , heißt das jetzt, das KH könnte sehr wohl eine Therapie empfohlen haben, aber kann nichts tun, wenn der Betroffene sie nicht in Anspruch nimmt?


    So fasse ich das jedenfalls auf, was Du schriebst.

  • @ Ikarus
    Nun ja, die Frage ist wie akkut erschien den Ärzten die Gefahr eines weiteren Selbstmordversuchs.
    Eine Therapie wird in solchen Fällen wohl immer empfohlen. Die zwangsweise Durchsetzung mittels Ordnungsamt/Polizei/Richter etc. kann aber nur bei Gefahr im Verzuge stattfinden.
    Sprich bestehen keinerlei Anhaltspunkte mehr dafür, daß er sich das Leben nehmen will, dann kann er auch nicht zwangsweise eingewiesen werden.
    Aber das auf den hier vorliegenden Fall anzuwenden, wäre reine Spekulation.

  • Zitat

    Original von Babyjane
    Danke Voltaire....
    ich kenn mich ja immer nur bis da aus, wo meine Befugnisse enden.... :lache


    Allerdings würde mich noch interessieren, wie du das mit der Straftat siehst. Bzw. welche du in einem solchen Falle sehen würdest. Ich muß nämlich gestehen, daß ich ein wenig unschlüssig bin. :-(


    Da geht es mir genauso wie dir. Ist das jetzt unterlassene Hilfeleistung? Wenn es so wäre, dann würden die Krankenhäuser bzw. deren Personal ja nur so von Strafanzeigen überschwemmt werden. Ich würde es hier vielmehr als eine Verletzung der Sorgfaltspflicht ansehen - wenn überhaupt. Daraus könnten dann unter Umständen zivilrechtliche Ansprüche erwachsen.
    Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt bräuchten eigentlich nur sagen, sie hätte keine Suizidgefährdung mehr gesehen und wären damit an sich aus dem Schneider.
    Jetzt würde man in einem Verfahren vor Gericht Gutachter bemühen - das Gericht würde dann vielleicht auch noch ein Obergutachten anordnen - die Kosten steigen in den Himmel - aber letztendlich kann man auch dann nicht abschließend klären ob hier der Straftatbestand der "Unterlassenen Hilfeleistung" vorgelegen hat.
    Die Frage ist wirklich schwer zu beantworten!


    BTW: Ich denke, man kann in diesem Lande sehr mit dem Ausbildungsstand unserer Polizei zufrieden sein. Die Mädels und Jungs dort wissen unheimlich viel und in der Regel wenden sie dieses Wissen auch richtig an. Leider geht die Schere zwischen Leistung und Bezahlung sehr weit auseinander. :-(

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.