'Ulysses' - 08 Laistrygonen - Lunch

  • Bevor ich wegen der nächsten Leserunde wieder mit Ulysses pausiere, noch kurz eine Anmerkung zu diesem Kapitel:


    Hier ist es mir mehr als jemals zuvor aufgefallen, wie durchtränkt das Kapitel von dem Thema (in diesem Fall Lunch/Essen) ist. Unglaublich! Nahezu jeder Gedanke findet früher oder später zu diesem Thema zurück und beleuchtet es so unbemerkt von allen Seiten - hat mir gut gefallen! :-]
    (auch wenn die ein oder andere Szene etwas eklig war...)


    Doch wen hat Bloom am Ende gesehen, vor dem er sich versteckt hat? :help

  • Zitat

    Original von milla
    Doch wen hat Bloom am Ende gesehen, vor dem er sich versteckt hat? :help


    Internet-Zitat: Am Ende des Kapitels sieht Bloom zufällig Blazes Boylan, den Liebhaber seiner Frau.
    (Ich hätte es nicht gewusst)



    Nachdem das vorige Kapitel (Zeitung), ehrlich gesagt, etwas an mir vorbeiging, finde ich diesen Abschnitt wieder richtig gut und oft witzig.


    Was mir bei diesem Kapitel wieder auffiel, war, wie genau Bloom beobachtet und welche Gedanken und urkomischen Vergleiche er sich dabei stets macht, z.B. über die Möwen und „wieso sind Salzwasserfische nicht salzig“.
    Auch witzig, wie er über Mollys ordinäre Art reflektiert, z.B. Mollys Begriff der Bass-Baritonne für den Sänger. :lache
    Diese Gedankenfülle unterscheidet Joyce Charaktere von Durchschnittstypen. Oft ist keine Zeit bei der Eile etwas wirklich wahrzunehmen. Bloom macht es da besser.


    Blooms Small-Talk mit Mrs. Breen ist nicht ohne Ironie, da er sich innerlich über die Frau lustig macht..


    Auch auffällig. Die gedachten Sätze sind of abgekürzt: :wow
    - Als wäre ihnen ein Stein vom Herzen (gefallen)
    - Sagen, davon stirbt die Lie (be)


    Überraschung, dass Bloom angeblich Freimaurer sein soll. Ob das wirklich stimmt?

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Internet-Zitat: Am Ende des Kapitels sieht Bloom zufällig Blazes Boylan, den Liebhaber seiner Frau.
    (Ich hätte es nicht gewusst)


    ....


    Überraschung, dass Bloom angeblich Freimaurer sein soll. Ob das wirklich stimmt?


    Danke für die Info! :wave


    Über die Loge bin ich auch gestolpert, aber die Spekulationen stammen ja scheinbar daher, dass er sich seinen Lebenswandel (wobei ich nicht weiß, ob der Kauf von Sahne schon als Lebenswandel bezeichnen kann) als Annoncenmensch wohl nicht leisten kann. Hm.

  • Was soll der blinde Jüngling bedeuten, den Bloom über die Straße führt?
    In Kap.10 taucht er nochmals auf.


    Ich dachte zuerst, gemeint ist, dass Joyce in der Figur des Bloom den blinden Homer mit seiner Fassung der Odysse über die Straße hilft, also übertrifft. Aber das kann Joyce wohl kaum gemeint haben, oder?

  • Herr Palomar


    Die abgekürzten Sätze gabs so ziemlich in jedem Kapitel bisher. Gefällt mir gut, erstaunlich, wie einfach es ist, sich den Rest dazuzudenken. Wenn jeder so Bücher schriebe, bräuchten wir viel weniger Papier....


    @both


    Das mit den Freimaurern kam mir auch erst gegen Ende des Abschnitts, ich glaube eher nicht, dass Bloom dabei ist. Es passt nicht zu seinem eher einfachen, sanften Charakter. Es würde etwas Geheimnisvolles dazutun, was nicht dazugehört. Aber wer weiß, vielleicht gerade deswegen.


    Und ich finde nicht, dass man erraten kann, wen er am Ende sieht. Aber gut, so macht es schon Sinn. Seine Reaktion darauf zumindest. Er weiß also ganz genau, dass seine Frau ihn betrügt, oder?


    Mir hat dieser Abschnitt auch wieder besser gefallen als der vorige, da einfach leichter verständlich.
    Vielleicht eine dumme Frage, aber es gibt in dem Kapitel zwei Anspielungen darauf (die vielleicht auch irgendwie im übertragenen Sinn verstanden werden können): War Molly eine Nonne? (s.S. 210 und S. 240)


    Kann mir jemand sagen, was das U.P.: up bedeutet? Und warum es so beleidigend ist?


    Hm, die genaue Beschreibung von den verschiedensten Fleisch-Gerichten und wie Bloom davon schlecht wird...und er dann ein Käse-Sandwich bestellt---so ich als Vegetarier fand das wieder ziemlich witzig ;-) Aber es hängt wohl damit zusammen, dass Bloom Jude ist.
    Von wegen "Das Essen schuf Gott, die Köche der Teufel." :grin


    Wie kann man sein Pferd Zinfandel nennen? Hat doch bestimmt auch eine tiefere Bedeutung.


    Sieht man von den kürzeren Abschnitten ab, die wieder ziemlich unverständlich waren, hat dieses Kapitel doch großen Spass gemacht :-)

  • Zitat

    Was soll der blinde Jüngling bedeuten, den Bloom über die Straße führt?


    Hm, ich glaube er macht sich einfach Gedanken darüber, was von Dublin übrig bleibt, wenn man nichts mehr sieht. Ich finde es fast hmmmmm :gruebel rührend (auch wenn das ein blödes Wort ist) wie sich Bloom nach der Begegnung darüber Gedanken macht, wie das ist, als Blinder durch die Welt zu gehen.

  • Zitat

    Original von Jeanne
    Kann mir jemand sagen, was das U.P.: up bedeutet? Und warum es so beleidigend ist?


    Der Kommentar dazu sagt:
    die Buchstabenform (sprich juh pih) kann für englisch you pee - du pinkelst - stehen.


    Weitere Deutung laut Kommentar:
    Mit diesem Kürzel wird einer alten Frau durch einen Apothekerlehrling in Charles Dickens Oliver Twist der nahe Tod prophezeit.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Weitere Deutung laut Kommentar:
    Mit diesem Kürzel wird einer alten Frau durch einen Apothekerlehrling in Charles Dickens Oliver Twist der nahe Tod prophezeit.


    :lache :lache Ich habe gerade in der Oliver Twist Leserunde nachgeschaut, weil ich wusste, dass ich dort auch danach gefragt hatte - dort kamen wir allerdings zu dem Schluss, dass es wirklich einfach up heißt - aber das hier ist natürlich auch eine Variante.


    EDIT: hier übrigens der Thread von damals


    :bruell buttercup!!!! Wir haben die Auflösung - bzw. eine mehr *g*

  • Zitat

    Original von Jeanne
    Wie kann man sein Pferd Zinfandel nennen? Hat doch bestimmt auch eine tiefere Bedeutung.


    Laut Kommentar: Zinfandel hat am 3.Juni 1904 tatsächlich den Coronation Cup in Epsoms downs gewonnen.


    Wenn Joyce das gesehen oder davon gelesen hat, muss es nicht notwendigerweise eine weitere Bedeutung haben ,ausser, das Bloom gerade Wein trinkt und Zinfandel ein Wein ist. In diesem Kapitel tauchen ja fast nur Lebensmittel auf.

  • Zitat

    Original von milla


    :lache :lache Ich habe gerade in der Oliver Twist Leserunde nachgeschaut, weil ich wusste, dass ich dort auch danach gefragt hatte - dort kamen wir allerdings zu dem Schluss, dass es wirklich einfach up heißt - aber das hier ist natürlich auch eine Variante.


    EDIT: hier übrigens der Thread von damals


    Witzig, wie wohl alles in der Welt irgendwie zusammenhängt. :-)

  • wegen der Freimaurer:


    das hat zu der Zeit nichts besonders Geheimnisvolles. Es waren einfach Männervereine, die sich vor allem philantropische Ziele gesetzt haben.
    Es gehörte einfach dazu für gutbürgerliche Männer, daß man in so einer Vereinigung Mitglied war, man traf sich, vollführte irgendwelche Clubrituale und besprach eine Spendensammlung fürs örtliche Waisenhaus, als Beispiel.
    Das brachte soziales Prestige, man mußt nicht besonders reich sein dazu.


    Für Bloom ist wieder der soziale Aspekt. Er ist hilfsbereit, freundlich, ein guter Mensch.
    Er hilft Blinden über die Straße, es ist seine Art, auf diese Weise die Welt ein bißchen besser zu machen. Seine Art, die Zweifel im Zaum zu halten.


    Die UP-Sache gehört trotz Dutzender Erklärungsversuche zu den Rätseln. Keine und keiner konnte bislang eine überzeugende Erklärung dafür finden, es bleibt einem also selbst überlassen, wofür man sich entscheidet.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Zitat

    Original von milla


    :bruell buttercup!!!! Wir haben die Auflösung - bzw. eine mehr *g*


    Hihi, ich musste auch gleich an Oliver Twist denken. In meiner englischen Ausgabe mit Erörterungen steht nichts zu u.p., aber "You Pee" ist in diesem Fall eine witzige Erklärung.


    Es hat zwar etwas gedauert, cih bin ja auch noch in einer anderen Leserunde, aber ich habe diesen Teil nun auch durch. Er war wieder recht gut zu lesen.
    Interessant fand ich die Überlegungen, wie die Menschen darauf gekommen sind bestimmte Lebensmittel zu essen, oder herzustellen.
    Ich weiß ncht wieso, aber ich hatte mir gedacht, dass es um Blaze ging am Ende des Kapitels, obwohl ich zunächst die Idee hatte, es handele sich um die Geliebte, aber dann war eindeutig von einem "ihm" die Rede.
    Es waren auch wieder einige schöne und witzige Formulierungen dabei.
    "Hab Wein im Gesicht"
    "Doof wie drei Nächte zusammen, aber fünfzigtausend Pfund schwer." ( da fallen mir ja einige heutige Zeitgenoss-inn-en zu ein, die aber um einiges schwerer sein dürften :lache )


    Ich habe schon ein wenig in den nächsten Teil reingelesen, das scheint wieder ein Brocken zu werden.

  • Mir gefielen besonders die Beschreibungen wie Bloom Essen und Trinken geniesst, wo andere nur schlingen:


    Wein. Er schnüffelsüffelte den herzstärkenden Saft


    Bloom verzehrte seine Sandwich-Streifen, das frische saubere Brot, mit einem wohligen Anflug von Ekel: der beissende scharfe Senf, der fußelige Geruch von grünem Käse. Nippelschlückchen Wein streichelten seinen Gaumen.

  • Ein Kapitel, das mit Buttertoffee beginnt. Wunderbar.


    Joyces Ideenreichtum und seine Beobachtungsgabe (vertreten durch Blooms Gedanken) erstaunen mich immer wieder. In jedem Abschnitt ein interessanter Gedanke, eine neue Betrachtungsweise, die einem zum Nachdenken, und manchmal sogar zum Nachahmen bringt (stiere in die Luft und warte, wer mittut). Das nennt man wohl anregende Lektüre. :grin


    Was mir noch gefallen hat:
    Der Witz der Worte, das eine ordinäre Frau mit Sachen herausplatzt, die er sich höchstens denkt. Amüsant, wenn man weiß, was er sich so alles denkt.
    Blooms Beitrag zu den Qualen der Wehen finde ich allein schon deshalb bemerkenswert, weil er sich darüber Gedanken macht. Männliche Stärke, weiblich gerechtes Leiden versus Blooms Erfindungsanregung. Ich pflichte ihm bei. Und ich glaube, er liebt seine Frau, trotz aller Affären. Ob sie ihn auch liebt? Ich habe den Eindruck, sie schaut ein wenig auf ihn herunter.
    Ansonsten gibt es philosophisch hochinteressante Stellen: 300 Tode, 300 Neue (S. 223), Niemand ist etwas (S. 224) ...
    "Augenlose Füße" ist auch nett. Seine Mitleid dem Blinden gegenüber und seine mitfühlende Art, die gleichzeitig kompetent anpackt, wenn Hilfe nötig ist, haben mich angerührt.
    Niedlich (ich finde gerade kein angemesseneres Wort) finde ich die Versuche Blooms, ob er die Farbe seines Bauches auch im Dunkeln erkennen kann, allein durch fühlen. Erinnert mich in seiner Versunkenheit an einen kleinen Jungen, der seinen Körper entdeckt. Ebenfalls nachahmenswert.


    Blooms Charakter wird durch seine Gedanken und Handlungsweisen immer deutlicher. Er ist nicht täppisch, wie im Kapitel zuvor behauptet. Er ist nachdenklich, humorvoll und nimmt sich sehr zurück. Er ist vorsichtig und taktvoll Anderen gegenüber. Wenn ich nicht irre, wird er sogar als guter Kerl bezeichnet. Joyce bildet seinen Charakter von vielen Seiten durch diverse Handlungsweisen Blooms und verschiedene Beobachtungen anderer Protagonisten aus. Wie im richtigen Leben.


    Die Art der unvollendeten Sätze finde ich richtig gut. Man muss, so scheint es, nicht alles aussprechen, um zu verstehen. Manchmal kommt es mir vor wie ein Zwiegespräch unter sich sehr gut kennenden Leuten, die den Gedanken des jeweils Anderen weiterdenken. Wortlos.


    Liesbett (die Späte)

  • Zitat

    Original von Liesbett
    Blooms Charakter wird durch seine Gedanken und Handlungsweisen immer deutlicher. Er ist nicht täppisch, wie im Kapitel zuvor behauptet. Er ist nachdenklich, humorvoll und nimmt sich sehr zurück. Er ist vorsichtig und taktvoll Anderen gegenüber.


    Genau das nimmt mich für Bloom so ein und weniger für Stephen, der nur in den ersten 3 Kapiteln eine gute Identifikationsfigur war. Danach hat Joyce eine spürbare Distanz des Lesers zu Stephen geschaffen. Ich nehme an, das liegt daran, das Stephen mehr sein Alter Ego ist als Bloom, der immerhin auch eine ganz schön große Bandbreite an Charaktereigenschaften besitzt.


    Der Wortwitz und die Ideen- und Themenvielfalt von Joyce vermisse ich seitdem bei anderen Romanen manchmal ein wenig. Verdirbt das Lesen von Ulysses einen als Leser herkömmlicher Literatur? :grin

  • Stephen ist mir vom Alter her näher, Bloom aber von den Gedanken her, weil er viel breitere und skurilere Gedankengänge hegt, weniger vergangengeitsbezogen. Er hatte bisher aber auch mehr Platz, sich auszubreiten.


    Zitat

    Der Wortwitz und die Ideen- und Themenvielfalt von Joyce vermisse ich seitdem bei anderen Romanen manchmal ein wenig. Verdirbt das Lesen von Ulysses einen als Leser herkömmlicher Literatur?


    Verderben vielleicht nicht, aber es macht höchst wählerisch. Ein paar neue Punkte, die in zukünftigen Rezensionen bedacht werden wollen. :grin
    Ausserdem merke ich, wie es anfängt, sich auf die geschriebene Sprache meinerseits auszubreiten. Bedenklich, bedenklich. Ich würde sagen, Ulysses fördert möglicherweise die Entwicklung des Lesenden etwas schneller, als andere Bücher es tun.


    Liesbett


    PS.: Erstaunlich, wie gerne ich ihn jetzt lese, wo ich anfangs einige Schwierigkeiten hatte. Aber hat man sich erstmal darauf eingelassen ... Und die Anregungen drumherum. Ich achte jetzt schon vermehrt auf Dinge, die ich vorher nie nie bedacht hätte. So eine Leserunde bringt wirklich was. Sehr Schön. :wave

  • Zitat

    Stephen ist mir vom Alter her näher, Bloom aber von den Gedanken her, weil er viel breitere und skurilere Gedankengänge hegt, weniger vergangengeitsbezogen. Er hatte bisher aber auch mehr Platz, sich auszubreiten.


    Sehe ich ähnlich, aber wo zum Geier hast du das Alter der beiden gefunden? Ich würde Bloom so anfang 40 einordnen und Stephen mitte zwanzig... hab ich da was überlesen?



    Ich muß gestehen, ich hab beim Lunch ein wenig den Faden verloren...werde das Kapitel wohl noch ein zweites Mal lesen müssen... :grin

  • @Babyjane
    Herausgelesen.
    Bloom hat eine Tochter und eine Frau, die aus den Nähten geht, also habe ich ihn automatisch in die mittlere Generation verfrachtet. Auch sein Umgang und die Meinung anderer, auch älterer, Männer um ihn herum haben mich zu dieser Lesart verleitet. Er spricht manchmal von früher, bzw. denkt daran. Das machen Jugendliche ja eher selten. Und einer seine Freunde hat sich zu Tode gesoffen, dazu braucht man unter Umständen vermutlich auch ein paar Jahre Vorübung.
    Stephen wohnt mit zwei Männern zusammen, von denen einer studiert, und alle sind nicht verheiratet. Dann wird er von den "Älteren" nicht immer für voll genommen und hat, meiner Meinung nach, noch genügend jugendlichen Verve, Weltschmerz und nicht ganz so abgeklärte und ausgelichene Gedankengänge, er rebelliert ja vielleicht noch ein wenig, wirft jedenfalls munter Thesen in die Welt um anderen eventuell eine gereizte Reaktion abzuringen. Dann dachte er ja auch verächtlich von dem Leiter der Lehranstalt, der ihm sein Geld ausgezahlt hat, wobei ich den Eindruck hatte, dass er ihn als alten Sack bezeichnet haben würde.


    Ich teile deine Alternseinschätzung. :write


    Liesbett