Fragen an Harald Braun

  • Hey Beatrix,
    sorry, dass ich erst jetzt antworte, aber ich war ein paar Tage unterwegs. Ich möchte natürlich nicht, dass du weiter vor sich hin kochst...
    Über die Klischees können wir reden: so ein Buch, dass ganz offensiv darauf ausgerichtet ist, "Stereotypen" der Beziehung zwischen Frauen und Männern aufzuzeigen, enthält zwangsläufig Klischees. Schließlich sind Menschen, auch wenn sie das ungern hören, viel weniger individuell als sie glauben und verhalten sich eben gern einmal uniform. Und wenn ich von all diesen Ausprägungen einen Mittelwert nehme und den szenisch darstelle, damit sich so viele Menschen wie möglich darin wieder erkennen, nun, dann landen wir eben bei den "Klischees". Ich würde es "Verdichtung" nennen... Aber ich verstehe den Vorwurf, ich habe ihn - bei diesem Thema - auch gar nicht anders erwartet. Wobei die positiven Rückmeldungen bei diesem Buch deutlich überwiegen, ich bin - bis auf den Einstieg und zwei, drei andere Kapitel - immer noch ganz glücklich damit.
    Zum zweiten Thema. Nun. Die Therapeuten. Paar-Therapie. Erst mal, in Sachen fahrlässig: Was daran ist noch ein Tabu? Es wird doch heute schon nach jeder zweiten Erektionsstörung oder einem heimlichen Blick auf die Nachbarin eine 12er-Sitzung incl. Familienaufstellung in Angriff genommen, das hat ja beinahe schon Entertainment-Charakter. Und apropos fahrlässig: Soll ich in MEINEM Buch Menschen von MEINER Beurteilung einer Sachlage verschonen, um zu vermeiden, dass sie die teilen könnten?
    Zugegeben - meine ersten Vorurteile in Sachen Therapie waren noch Woody Allen geschuldet, doch im weiteren Verlauf meiner sozialen und kulturellen Sozialisation lernte ich eine Menge kennen: Therapeuten, Paare und Anekdoten, in denen a und b eine Rolle spielten. Ich will nicht bestreiten, dass es möglich ist, dass dem ein oder anderen Paar von einer ausgebildeten Profikraft geholfen wird. In meinem Bezugssystem war das aber eine verschwindende, kaum mehr wahrnehmbare Minderheit. Und die meisten so genannten Therapeuten, die ich kennen gelernt habe, im privaten Rahmen, waren entweder lustige Zyniker oder bedauernswerte Spinner. Das ist das eine. Da ich aber auch persönlich nicht glaube, dass an Beziehungen "gearbeitet" werden sollte, und schon gar nicht von außen, sondern dass natürliche Schnittmengen zweier Menschen letzlich verantwortlich dafür sind, wie tragfähig eine Beziehung ist, halte ich schon deshalb Paar-Therapie für kein sonderlich viel versprechendes Konzept. Die meisten Menschen, die sich für eine Beziehung miteinander entschieden haben, hätten entweder besser hinschauen sollen oder verpassen einfach den Punkt, an dem der gemeinsame Weg besser zu Ende gegangen wäre. Ich glaube an die serielle Monogamie... (Oder die Perspektiven aus "Fünf Lügen die Liebe betreffend" von Michael Mary) Tja, so denke ich nun mal darüber und dementsprechend steht es auch so oder ähnlich in "Falsch verbunden". Ich hätte dieses Kapitel allerdings besser schreiben können, das ja.
    Beste Grüße, Harald Braun

  • In Sachen "Klischees" muss ich dir natuerlich insofern zustimmen, dass ein Buch wie dieses natuerlich davon lebt und gar nicht ohne diesen so witzig sein koennte. Fuer mich ist es eben nur ein wenig viel in dieser geballten Form. Da bleib ich dann doch lieber bei kurzen Kolummnen ;-)


    Zitat

    Original von Jordy
    Da ich aber auch persönlich nicht glaube, dass an Beziehungen "gearbeitet" werden sollte, und schon gar nicht von außen, sondern dass natürliche Schnittmengen zweier Menschen letzlich verantwortlich dafür sind, wie tragfähig eine Beziehung ist, halte ich schon deshalb Paar-Therapie für kein sonderlich viel versprechendes Konzept. Die meisten Menschen, die sich für eine Beziehung miteinander entschieden haben, hätten entweder besser hinschauen sollen oder verpassen einfach den Punkt, an dem der gemeinsame Weg besser zu Ende gegangen wäre. Ich glaube an die serielle Monogamie...


    Dies ist etwas anderes und vielleicht im Kern auch der Grund, weshalb ich mit dem Buch letztlich nichts anfangen kann. Wir haben da grundsaetzlich unterschiedliche Glaubensauffassungen.


    Ich glaube jede Beziehung, in der nicht an dieser "gearbeitet" wird, ist zum Scheitern verurteilt. Alltag, Schicksalsschlaege, Veraendungen des Umfeldes, Veraenderungen im Partner, Kinder - all das sind Dinge, die jeden aus der Bahn werfen koennten. Wer nicht immer mal wieder ganz bewusst in die Beziehung investiert, dran "arbeitet", der wird leicht von solchen Ereignissen ueberrollt.


    Vielleicht bin ich zu romantisch, um mich mit "serieller Monogamie" zufrieden zu geben. Meine Kinder faenden es sicherlich auch nicht so toll, alle paar Jahre Vater und Mutter zu wechseln. Damit will ich jetzt nicht alle Patchworkfamilien schlecht machen. Im Gegenteil, gerade da muss ja sehr viel an den Beziehungen gearbeitet werden, damit es zumindest einigermassen laeuft. Nur sich diese Situation als Ziel zu setzen, also eine Patchworkfamilie haben zu wollen und diese oefter mal komplett umkrempelen zu wollen, das ist einfach ausserhalb meiner Welt.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Falsch verbunden-
    keine Fragen an Harald Braun, vielleicht eine spontane Antwort:



    Ich bin auf Seite 200. Und habe mich bis jetzt vergnügt spätabends und auch manchmal nachts, bis hierher durchgelesen. Die zügige flotte Sprache brauche ich nicht mehr betonen. Ich finde das Buch so wahr- natürlich sind die Kapitel zugespitzt, ironisch und haben Konfliktpotential. Aber wenn Frau, auch Mann, nur die Hälfte davon pragmatisch nimmt und danach handelt, gäbe es weniger Beziehungscrashs, weniger Patchwork. Vielleicht ist es das, was es mir vermittelt: Nimms gelassener. Nicht jeden Tag so aufgeregt, nicht jede Regung derart hinterfragen, wie hat er/sie denn das nun gemeint? Hat er es so gemeint uoder meine ich nur, dass er meint? Wenn er vorm Bistro mit dir sitzt und einer anderen nachschaut, kannst du a) gekränkt sein b) laut schimpfen oder c) selbst einem anderen hinterhergucken.
    Jeden Tag romantische Gefühle hegen- geht einfach nicht. Es geht nicht. Haltet Liebe durch Gelassenheit.
    Jedenfalls, Harald, werde ich "Falsch verbunden" gerne zu Ende lesen.


    monde :wave

  • Da kann ich nur zustimmen. Gelassenheit. Fokussierung auf die wichtigen Dinge, Souveranität im Umgang mit den Unwägbarkeiten und den vermeintlichen Defiziten in der Beziehung.
    Wenn man bloß da draußen merken würde, dass die "Beziehung" nicht das zentrale Element des eigenen Lebens ist, und sie nicht auf- und überlädt mit allen Erwartungen und Bedürfnissen, die man hat, dann wäre schon viel gewonnen für viele unzufriedene Paare. Wer es in einer Partnerschaft schafft, bei sich zu bleiben und auch den Partner nicht mit Haut und Haaren in den eigenen Film schreibt, der wird unter dem Strich zufriedener sein. Man macht das ja schließlich alles freiwillig. Daran muss man manche Paare erinnern... Und das hat gar nichts mit fehlender Verbindlichkeit zu tun,viel mehr mit Respekt und auch Mut, etwas Abstand zu wahren und damit auch eine Restunsicherheit zuzulassen. Insofern finde ich deine Einstellung absolut zutreffend.