Wilhelm Genazino - Die Liebesblödigkeit

  • Titel: Die Liebesblödigkeit
    Autor: Wilhelm Genazino
    Seitenzahl: 208
    Verlag: Hanser
    Erschienen: Februar 2005
    ISBN: 3446205950
    Preis: 17.90 EUR


    Inhalt:
    Eine Liebesblödigkeit überfällt den alternden Ich-Erzähler in Wilhelm Genazinos neuestem Roman -- angesichts seiner Unfähigkeit, sich zwischen zwei Frauen zu entscheiden. Dabei hatte sich das Arrangement seit Jahren bewährt: Sandra und Judith, die er beide liebt und die nichts voneinander ahnen. Und doch fühlt er sich zunehmend überfordert von dieser „Polygamie in drei Wohnungen“. Die geplante Entscheidung überfordert dann aber noch viel mehr. Auch in diesem typischen Genazino-Roman geht es um die „Gesamtmerkwürdigkeit des Lebens“. Das Besondere daran ist -- wie immer bei diesem lange unterschätzten Autor -- sein ironischer Blick auf die Welt und wie wunderbar er den Alltag beschreibt: als heiter-melancholischen Balanceakt am Rande des Scheiterns.


    Autor:
    Wilhelm Genazino wurde 1943 in Mannheim geboren und lebt jetzt in Frankfurt. 2004 erhielt er den Georg-Büchner-Preis.


    Meine Meinung:
    Ein Mensch auf der Suche nach sich selbst. Der Ich-Erzähler im Zwiespalt zwischen zwei Frauen. Er kann sich ganz einfach nicht entscheiden. Genazino versteht es gut, die Unentschlossenheit seiner Hauptperson eindrucksvoll darzustellen. Das Buch fasziniert. Genazino schildert distanziert aber nicht unbeteiligt das Dilemma in dem sich sein Hauptdarsteller befindet. Es ist aber keines dieser Bücher, die dem Leser auf Dauer in Erinnerung bleiben werden, dazu ist eigentlich alles viel zu banal. Es ist ganz nette Unterhaltung – mehr nicht. Die beiden Frauen Sandra und Judith bleiben leider etwas „leblos“. Sie wirken oftmals nur wie notwendige Kulisse, eine tragende Rolle scheint ihnen der Autor allerdings nicht zuzutrauen. Sie sind nicht mehr als die Namen, mit denen der Autor sie bezeichnet hat. Das Buch geht zudem nicht richtig in die Tiefe, vieles bleibt in der Schwebe hängen.
    Trotzdem ist das Buch lesenswert – Genazino ist schließlich nicht irgendwer. Selbst ein etwas schwächeres Buch von ihm ist immer noch besser, als so manches Meisterstück eines anderen Autors oder einer anderen Autorin.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ein paar Auszüge aus dem Buch:


    ...Judith lacht. Am Klang ihrer Stimme höre ich, dass sie sich wieder gefangen hat. Weich und samtig verabschiedet sie sich am Telefon.
    Ich gehe mit einem leeren Kissenbezug in der Wohnung umher und sammle schmutzige Unterhosen, Unterhemden, Strümpfe, Handtücher, Geschirrtücher und Bettwäsche ein. Sandra hat mir vor langer Zeit erlaubt (sie hat mich sogar dazu aufgefordert! ), ihr meine schmutzige Wäsche zu bringen...


    ...Der Mann muss den Samen verlieren, andernfalls wird er traurig. Wir debattieren eine Weile über die Bedeutung des verlorenen Samens, dann sagt Judith plötzlich: merkst du, wie uns das Sprechen vereinsamt? Auch diese Bemerkung beeindruckte mich. So etwas hatte ich noch nie gehört. Die Leute, die ich kannte, behaupteten das genaue Gegenteil, dass man über alles reden müsse, weil Schweigen ungesund sei und....


    ...Meine Rührung wird stärker, es ist mir unangenehm. Ich verlasse den Friedensplatz und stelle mich in den Eingangsbereich eines Kaufhauses, wo eine Gruppe mongolischer Nomaden singt. Eine Art Wehmut packt mich. Es ist ein bisschen wie damals, als ich mich entschlossen hatte, Bettina zu verlassen. Gleich weise ich mich zurecht: Du kannst Bettina nicht mit einem Koffer voller älterlicher Kleidung vergleichen. Oder vielleicht doch?...



    Meine Meinung:
    Nettes Buch, aber auch nicht mehr.

  • Zitat

    Original von fuwoklki
    Meine Meinung:
    Nettes Buch, aber auch nicht mehr.


    Genazino passt bei mir prima um Einschlafprobleme zu bewältigen... :grin Nein, dieser Aneinanderreihung von (vermeintlich?) sinnerfüllten Sätzen kann ich auch nichts abgewinnen. Aber wahrscheinlich reicht mein literarischer Geist einfach nicht aus, um der untergründigen Thematik dieses Autoren auf die Schliche zu kommen.

  • Ich muss ehrlich gestehen, anfangs war ich wenig angetan von den Beschreibungen des Autors. Seinen Schreibstil würde ich als anfänglich wenig fesselnd beschreiben; er beschreibt das Leben und dessen Banalitäten in Folge allerdings so ironisch, dass ich nicht umhin kam an der einen oder anderen Stelle zu lachen. Und doch... Die gesamte Handlung wirkt etwas konstruiert, die Figuren beinahe austauschbar. Er kann sich nicht zwischen den beiden Damen entscheiden, rühmt gleichzeitig Vor- und Nachteile einer Dreiecksbeziehung, merkt aber dennoch, dass in seinem Alter (51 Jahre) es vielleicht besser wäre monogam zu leben.
    Die beiden Damen erlebt man dabei mit ihren Unterschieden allerdings sehr blass, beinahe alles wird um den gemeinsamen Geschlechtsakt mit den Protagonisten aufgebaut. Vielleicht mag dies eine reale Beschreibung für fortwärende Beziehungen sein, aber ich denke, die Gefühlskomponente spielt im Leben des Protagonisten keine tragende Rolle und das, wo er von Emotionen geradezu durcheinander gebracht wird.
    Ich muss sagen, es ist nicht die erste Geschichte dieser Art, allerdings wurde hier, für meinen Geschmack zu konstruiert versucht, eine Liebesgeschichte zwischen drei Menschen zu gestalten, nebenher noch die Sicht des Protagonisten auf die Welt mit ihren Banalitäten und ihren "normalen" Tagesabläufen in einer Stadt.
    Doch dennoch gibt es Stellen zum Schmunzeln, wenn er z.B. sagt, er würde gerne frei sein wie ein Vogel und auch auf seinen Balkon scheißen, während er graziös sein Gefieder aufplustert.
    Sicherlich, ein großartiger Bestseller ist dies meiner Meinung nach nicht, dazu ist die Handlung einfach nicht innovativ genug. Für einen Nachmittag bestimmt sehr interessant, auf Dauer aber wird man erschlagen von Normalitäten und Banalitäten und dem Konstruktwahn des Autors.

  • Meine Meinung:


    Das Leben auf seine detaillierte Art


    Während ich diese Rezension schreibe, surrt der Rechner unter meinem Schreibtisch. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir, dass es ein regnerischer Tag werden wird. Also wieder nichts mit dem goldenen Herbst, auf den ich mich so freuen würde. Ein Mann geht gerade mit seinem Hund spazieren. Der Hund reißt an der Leine und würde sich wohl lieber losreißen und einen Marathon hinlegen, aber der Mann hält die Leine fest. Er trägt einen Schal beziehungsweise eine Mütze beziehungsweise beides.


    Ihr wundert Euch über den eigenartigen Wortlaut dieser Rezension? Kein Wunder, ist sie doch vom Klang her völlig anders als alles bisher von mir Dagewesene. Ich habe lediglich versucht, den Schreibstil des Autors in diesem Buch nachzuahmen. Was mir natürlich nicht gelingen wird, denn Genazino schreibt mit Sicherheit einzigartig.


    Ganz anders als alles, was ich bisher gelesen habe, ist dieser kleine Roman, der zwar lediglich 208 Seiten beinhaltet, jedoch mit soviel Handlung verführt, dass es mir leicht fiel, die Seiten zu lesen. Eigentlich mag ich Bücher nicht gerne, die mit wenig Absätzen auskommen und in denen die Seiten so arg voll geschrieben sind. Das ist auch in diesem Buch der Fall, aber dennoch schreibt Genazino so faszinierend, dass es dem Auge gar nicht auffällt.


    Sehr detailliert beschreibt er das Leben eines Apokalyptikers, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, Reden über genau dieses Thema zu halten. Zudem liebt dieser Mann zwei Frauen und ist auch mit beiden von ihnen zusammen. Natürlich wissen die Frauen aber nicht, dass es jeweils noch eine Nebenbuhlerin gibt. Das schlechte Gewissen plagt ihn und er will sich von einer der beiden Frauen trennen. Nur, von welcher? Der hypochondrisch veranlagte Mann überlegt sich die positiven und negativen Seiten dieser Menage à trois und lernt dabei vor allem eines kennen: Sich selber.


    Sehr amüsant, mit genau der richtigen Portion Humor und Ironie beschreibt Genazino nun den "Leidens"-Weg des Mannes, der, zumindest mir, nie langweilig wurde. Auch wenn eben, wie oben beschrieben, sein Leben sehr detailliert aufgeführt wird. Dinge, die wir selber tagtäglich erleben, die aber immer unerwähnenswert bleiben, werden hier auf einmal interessant. Und für mich einer der besten Sätze in diesem Roman ist folgender, welchen Ihr auf Seite 121 finden könnt: "Dabei habe ich mir immer gewünscht, dass es meinem Vater einmal besser gehen sollte als mir." Ehrlich gesagt mußte ich den Satz zweimal lesen, weil ich kaum glauben konnte, wie herrlich Genazino diesen Satz umgestrickt hat.


    Chapeau für diese Art der Erzählweise, die mir bislang verborgen blieb. Es war mein erstes Genazino-Werk, aber ich schiele schon nach weiteren. Die Ausflüge in diese außergewöhnliche Art der Literatur möchte ich mir nun öfter gönnen!