Wörtersee - Robert Gernhardt

  • Kurzbeschreibung


    Viele von Robert Gernhardts Gedichten sind berühmt geworden und zählen schon heute zu den Klassikern der Poesie. Sicher wandert Gernhardt auf dem schmalen Grat zwischen Sinn und Unsinn, Feinem und Derbem, ungenierter Komik und dezidiertem Ernst. Er umkreist die Unannehmlichkeiten des angenehmen Lebens und fügt schelmisch Vers an Vers. Genüsslich widmet er sich den großen Themen der Dichtung ebenso wie den privaten Sujets und durchstreift mal melancholisch, mal heiter die Gefilde des Allzumenschlichen. Zuweilen redet er auch kunstvoll in fremden Zungen und parodiert schlitzohrig die alten Meister und den hohen Ton der Poesie. Seine stets lichten Gedichte garantieren höchsten Lesegenuss.


    Und „Wörtersee“ mit 174 (einhundertvierundsiebzig!) legendären Gedichten und Bildgeschichten gehört zu seinen komischsten Büchern. „Bilden Sie mal einen Satz mit pervers - Ja, meine Reime sind recht teuer: per Vers bekomm ich tausend Eier.“


    Über den Autor


    Robert Gernhardt, 1937 in Reval/Estland geboren, 1946 kam die Familie nach Göttingen. Nach Abschluss seiner Schulausbildung 1956 studierte Gernhardt in Stuttgart und Berlin Malerei an den Akademien der Bildenden Künste, später auch Germanistik an der FU Berlin.
    Seit 1964 lebte er als freiberuflicher Maler, Zeichner, Karikaturist und Schriftsteller in Frankfurt am Main.
    1965 heiratete er die Malerin Almut Ullrich, die 1989 starb. 1990 ging Gernhardt eine zweite Ehe mit Almut Gehebe ein.
    Für drei bis vier Monate im Jahr lebten Gernhardt und seine Frau in der Toscana.


    Am 30. Juni 2006 erlag er in Frankfurt am Main einer langwierigen Erkrankung an Darmkrebs, von der er seit Juli 2002 Kenntnis hatte.
    Seine letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.



    Zur Einstimmung ein paar Beispiele, dann wisst Ihr gleich ob Gernhardt Euren Humor trifft:


    Ich leide an Versagensangst,
    Besonders wenn ich dichte.
    Die Angst, sie machte mir bereits
    Manch schönen Reim zuschanden.


    oder


    Ich sprach


    Ich sprach nachts: Es werde Licht!
    Aber heller wurd' es nicht.


    Ich sprach: Wasser werde Wein!
    Doch das Wasser ließ das sein.


    Ich sprach: Lahmer, Du kannst gehen!
    Doch er blieb auf Krücken stehen.


    Da ward auch dem Dümmsten klar,
    daß ich nicht der Heiland war.


    oder


    Deutung eines allegorischen Gemäldes


    Fünf Männer seh ich
    inhaltsschwer -
    wer sind die fünf?
    Wofür steht wer?
    Des ersten Wams strahlt
    blutigrot -
    das ist der Tod
    das ist der Tod


    Der zweite hält die
    Geißel fest -
    das ist die Pest
    das ist die Pest


    Der dritte sitzt in
    grauem Kleid -
    das ist das Leid
    das ist das Leid


    Des vierten Schild trieft
    giftignaß -
    das ist der Haß
    das ist der Haß


    Der fünfte bringt stumm
    Wein herein -
    das wird der
    Weinreinbringer sein.


    Gernhardts Umgang mit Sprache ist höchst kunstvoll und sein sein Humor zum Niederknien! Ich kann ihn in jeder Lebenslage lesen.
    Gernhardt schrieb Gedichte, aber auch Satiren, Humoresken, Fabeln, Märchen und Erzählungen und machte Bildgedichte, Bildergeschichten, Bilder und Zeichnungen.
    Was in welchem seiner Bücher enthalten ist, weiß ich nicht genau, deshalb habe ich das ausgewählt, das ich auch hier vor mir liegen habe.


    Seht ihn an, den Dichter.
    Trinkt er, wird er schlichter.
    Ach, schon fällt ihm gar kein Reim
    auf das Reimwort "Reim" mehr eim.

  • Hach ja... der Wörtersee! Ich liebe dieses Buch und habe das schon seit mehr als zwanzig Jahren in einer wunderschönen Leinenausgabe im Schrank stehen.


    Ich mag es, wie Gernhardt mit Worten jongliert und obwohl ich bei Gedichten sehr mäkelig bin: seine mag ich. Sie sind meist von leichter Hand formuliert, schräg und voller Humor, der nicht selten auch rabenschwarz ist.


    Von Zeit zu Zeit ziehe ich das Buch aus dem Regal, schmökere ein paar beliebige Gedichte und stelle es grinsend wieder hinein. :grin

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Da schau ich seit langer Zeit mal wieder bei euch Eulen vorbei und welches ist der erste Beitrag der mir unterkommt. Na klar, einer über Robert Gernhardt.
    Bei mir gernhardtets zwar auch nicht erst seit gestern - um genau zu sein seit 2001 - aber dieses Jahr, Gernhardt wohin ich sehe. Momentan sitze ich gerade an einer Seminararbeit über diesen, meiner Meinung nach, treffsichersten Dichter des 20.Jahrhunderts. Weswegen ich einige seiner Werke gerade (wieder) gelesen habe. Wörtersee ist auf jeden Fall ein nur zu empfehlendes Buch, Gernhardts Worte daraus sind ja oben schon gefallen.


    Wer sich einen Gefallen tun will, der greift neben Wörtersee entweder zu dem ebenfalls vorzüglichen Reclam-Sammelband "Reim und Zeit" (für Prosaisten und Cartoonisten eignet sich auch der erweiterte Band "Reim und Zeit und Co") oder noch besser zu den "Gesammelte[n] Gedichte[n]", die umfassen sein ganzes lyrisches Schaffen bis und mit 2004. Lediglich der posthum erschienen Band "Später Spagat" ist darin nicht enthalten.

    "Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, bleibt ein Mensch." (Erich Kästner)

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  • Tot? Das wusste ich noch gar nicht - schade.
    Hatte ihn das einzige Mal im Literarischen Quartett in der Sondersendung anlässlich Thomas Manns 50. Todestag gesehen; fand ihn sehr amüsant und sympathisch!
    Seine Gedichte haben etwas Besonderes. Später Spagat habe ich dabei sehr genossen, mehr noch als den Wörtersee, wobei dieser freilich mit schönen Texten brilliert!

    Aktuelles Buch


    "Berlin Alexanderplatz" von Alexander Döblin


    "Goethe - Dichtung und Leben" von Curt Hohoff

  • Oh ja, bin auch ein großer Gernhardt-Fan! (Wird wohl kaum jemanden hier überraschen ;-) )
    Ein bisschen schade, dass er erst sterben musste, bevor er so richtig literarisch gewürdigt wurde. Gedichte, Satiren, Zeichnungen, Erzählungen, Hörspiele, Essays, der Mann war ja auch unheimlich vielseitig. Aber wer was reimt und auch noch witzig ist, macht sich halt sehr schnell verdächtig...

  • Beim Stöbern in den Rezensionen hab ich mich eben sehr über den Wörtersee und vor allem über die Zitat-Auswahl gefreut. Und ich musste breit grinsen: In den 90ern, an der Uni Stuttgart, hab ich mir irgendwann klar gemacht, dass ich in der Germanistik praktisch ausschließlich das 18. und 19. Jahrhundert abgegrast hatte, weil mir das Dummgewäsch in den anderen Seminaren derart auf den Senkel ging. Dass ich auch nicht die leiseste Ahnung hatte, wenn es um Zeitgenössisches ging. Also hab ich in einer heldenhaften Geste den allerschlimmsten nur denkbaren Kurs belegt: Die Neue Frankfurter Schule. Das, dachte ich, ist Hardcore-Adorno. Noch mal einen draufgesetzt. Die Todgeweihten grüßen dich - mit welcher Leichenbittermiene bin ich da reingeschlappt! Gleich in den ersten Minuten hat der Dozent einen Nachmittag mit Robert Gernhardt angekündigt. Und ich weiß noch, dass ich ganz tief seufzte: Ausgerechnet. Der Depp heißt wie mein Wörtersee-Held.
    Um es kurz zu machen: Ich bin immer noch unbeleckt von jeglicher Kritischen Theorie. Und ein großer Fan von Gernhardt - wie traurig, dass er so früh sterben musste -, Henscheid und den anderen "Pardon"-Jungs.