Thomas Hettche-Autorenlesung am 31.Januar 2007 in Kiel

  • Autorenlesung von Thomas Hettche im Literaturhaus Schleswig-Holstein in Kiel am 31.Januar 2007 um 20 Uhr


    Das Literaturhaus Schleswig-Holstein hatte den Autoren Thomas Hettche eingeladen, um seinen aktuellen Roman "Woraus wir gemacht sind" vorzustellen.
    Hettche, der für seinen Roman im Jahre 2006 eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis erhielt, kam nicht zum ersten Mal ins Literaturhaus und vorstellbar ist, dass die wunderbare Atmosphäre des Gastgebershauses dazu beigetragen hat, der Einladung gerne zu folgen.
    Das Literaturhaus, wobei es sich eher um ein Häuschen denn um ein Haus handelt, liegt im Alten Botanischen Garten der Stadt Kiel und nahe der Förde.
    Die Gäste wurden vom Hausherrn und seinen Mitarbeitern freundlich empfangen, die Buchhandlung Dawartz hatte einen Büchertisch aufgebaut und an der kleinen Bar konnten sich die Zuhörer mit Wein und Orangensaft eindecken.
    Für den Autor war in einer Zimmerecke ein Podest aufgebaut,
    um dass links und rechts Stühle für die ungefähr 60 Besucher aufgestellt waren. An den Wänden hingen Bilder von Schriftstellern, die in der Vergangenheit an gleicher Stelle eine Lesung gehalten hatten und für eine heimelige Stimmung sorgten Windlichter auf den Fensterbänken, um der Dunkelheit, die durch die großen Fenster drang, zu trotzen.
    Herr Dr. Sandfuchs, Leiter des Hauses, begrüßte die Anwesenden zur ersten Lesung des Jahres etwas ausführlicher mit einem Zitat des kürzlich verstorbenen Literaturwissenschaftlers Wolfgang Iser, dessen Anfang ich sinngemäß zitieren möchte:"Der Autor bringt seine Bücher mit, der Leser bringt die Bedeutung mit..."
    Mein erster Gedanke war, dieses Zitat umzukehren, denn warum sollte nicht ein Autor seinem Buch eine Bedeutung mitgeben?
    Ähnlich erging es Thomas Hettche, der ebenfalls diesen Gedanken aufgriff und damit eine dankbare Einleitung für seine Lesung erhielt.
    Thomas Hettche, Jahrgang 1964, leicht übergewichtig und kahlgeschoren, kam leger gekleidet in grauem Pullover und brauner Cordhose
    auf das Podest. Und wer bis zu diesem Zeitpunkt dachte, dass das Äußere des Autors auf dessen Lesart schließen lassen würde, der musste sich eines Besseren belehren lassen.
    In schnellem, fast hastigem Tempo erzählte der Autor etwas über seine Liebe zu Amerika, wie es zur Namensgebung der Romanfigur Daphne Abdela gekommen sei und zu den Ursprüngen des Romans.
    Interessant fand ich auch die eher beiläufige Bemerkung des Autors, dass wir an Amerika nicht ohne weiteres vorbeikämen und Amerika für uns wichtig sei. Zu meinem Bedauern lieferte Hettche für seine These weder Argumente noch Begründungen. In der Diskussion später zeigte Hettche mögliche Ansätze für die Wichtigkeit Amerikas auf, in dem er auf einen Aspekt einging, der eine wichtige Rolle für sein Buch gespielt hätte. Jeder Europäer hätte eine Vorstellung von Amerika aus dem Fernsehen und diese Vorstellung vermische sich mit der Wirklichkeit, wenn man Amerika zum ersten Mal besuchen würde.
    Es folgten ein paar Worte zum Inhalt des Buches. Hauptakteur ist Niklas Kalf, ein deutscher Journalist, der den Auftrag erhält, über ein jüdisches
    Immigrantenschicksal eine Biografie zu schreiben. Zu Recherchezwecken reist Kalf mit seiner schwangeren Frau in die Staaten.
    Nach kurzer Zeit ist Kalfs Frau verschwunden und alles deutet auf eine Entführung hin. Parallel zu dieser Entführung wird im Roman
    das Schicksal eines neureichen 15-jährigen Mädchens geschildert, das zur Mörderin wird.
    Hettche las aus dem Prolog, dem ersten und achten Kapitel seines Romans vor. Danach durfte er sich den Fragen des Publikums stellen.
    Um den Zuhörern die Scheu vor Fragen zu nehmen, begann Dr. Sandfuchs sich nach dem Titel des Buches zu erkundigen.
    Hettche erzählte, dass es ihm wichtig gewesen wäre, dass dem Romantitel etwas Amerikanisches innegwohnt hätte.
    Der Titel ließe sich gut in die amerikanische Sprache übersetzen und der herausgebende Verlag Kiepenheuer&Witsch hätte auf die Titelgebung keinen Einfluss gehabt habt.
    Einzelne Zuhörer zogen zu dem Buch Filme als Parallelen heran, vielleicht auch deshalb, weil der Autor sich als Fan von Hollywoodstreifen am Anfang der Lesung geoutet hatte. Was mich verwunderte war der Umstand, dass Antworten des Autors oft als Fragen ans Auditorium zurückgegeben wurden, so unter anderem auch auf die Frage, wie es zu dem ungewöhnlichen Namen des Protagonisten gekommen sei.
    Wie bei Lesungen üblich, stand der Autor am Ende für Autogramme zur Verfügung. Meine Freundin ließ sich ihr Exemplar signieren und ich
    erkundigte mich danach, an welchem Ort das Foto für das Umschlagsbild entstanden war.
    Insgesamt ein Abend mit einem ungewöhnlichen Autor, der sich nicht so leicht in eine Schublade stecken lässt und Lust darauf gemacht hat, öfter eine Lesung zu besuchen.

  • Hört sich nach einer sehr guten Lesung an. Ich selber habe seine Lesereise verpasst.


    Ich denke, Amerika ist deshalb für uns hier wichtig, da es uns kulturell durch das Fernsehen und andere Medien geprägt hat. Das trifft bestimmt nicht weniger auf andere europäische Länder zu (man denke an die kleineren europäischen Länder wie die Niederlande), sondern ist wohl eher ein globaleres "Problem" einer amerikanischen Leitkultur. So sind z.B. viele meiner Lieblingsautoren Amerikaner, meine Lieblings-Musikrichtung ist uramerikanisch, mein liebstes Literatur-Genre sind "Short Stories"... alles amerikanische Erfindungen. Ich schätze, Hettche hat eine ähnliche Medienkonsumenten-Biographie und ähnliche Vorlieben und hat das sehr schön in eine Romanhandlung einfliessen lassen.