Rowohlt 2003, 317 Seiten
Klappentext
Der Laienspielverein des Dörfchens Papavík in Island fasst einen grandiosen Entschluss: Zu Anton Chevovs hundertvierzigstem Geburtstag soll "Der Kirschgarten" aufgeführt werden. Gedanklicher Vater des Projektes ist der geldschwere Unternehmer Vatnar Jökull, der keine halben Sachen mag. Drei Jahre dauern die Vorbereitungen: Eigens wird ein Thater an den Rand eines Gletschers gebaut, ein Dramaturg aus dem fernen Berlin geholt, das Stück neu übersetzt. Bald steht das ganze Dorf Kopf. Je größenwahnsinniger der Einsatz, desto verrückter die Leute. Irrungen und Wirrungen im Chevov'schen Stil sorgen für Liebesaffären, Alkohol- und Ehekrisen - alles im Dienste der Sache, versteht sich.
Die Autorin:
Steinunn, 1950 in Reykjavik geboren, arbeitete nach ihrem Studium als Journalistin. Zunächst veröffentlichte sie Gedichte und Kurzgeschichten, 1995 erschien ihr erster Roman "Herzort". Neben "Gletschertheater" sind zwei weitere Romane, "Die Liebe der Fische" und "Der Zeitdieb" auf deutsch erschienen.
Meine Meinung
Die Geschichte wird aus der Sicht von Beatrís erzählt, die, weniger Akteurin als Beobachterin, das Werden dieses wundersamen Projektes begleitet. Das ist zunächst von Größenwahn geprägt:
Natürlich kann ein solches Stück nicht in der örtlichen Mehrzweckhalle aufgeführt werden, ein eigenes Theater muss her, mit dem schönsten Blick auf Gletscher und Meer. Der örtliche Bauingenieur avanciert zum Architekten dieses Meisterwerkes und der ständige besoffene Buchhändler von Papavik muss das Original neu übersetzen, da auch die vorliegende Übersetzung dieses großartigen Ereignisses nicht angemessen ist.
Da aber alle Rollen mit Männern besetzt werden sollen, muss aus Personalmangel auch auf auf ersten Blick ungeeignete Dorfbewohner zurüchgegriffen werden, und da es sich dabei durch die Bank um isländische Dickschädel handelt, sind so manche Katstrophen vorprogrammiert, von alkoholbedingten Ausfällen bei der Premiere, hoffnungsloser Liebe bis hin zum Tod. Und dennoch, Steinunn erzählt diese seltsame Geschichte ungeheuer komisch; man verfolgt erstaunt, wie sich das Dorf und seine Bewohner durch dieses weitreichende Ereignis verändern, wie aus tumben isländischen Bauern russische Adelstöchter werden und der Buchhändler notgedrungen zeitweise das Saufen aufgibt, weil er permanent an der Übersetzung arbeiten muss.
Und nebenbei wird, gar nicht lustig aber dennoch urkomisch, die Geschichte von Beatrís selbst erzählt, das große Trauma ihrer Kindheit mit einer alkoholabhängigen, desinteressierten Mutter, die es auch jetzt noch schafft, ihr das Leben zur Hölle zu machen.
Hier treffen schräger Humor, seltsame Isländer, eine originelle Geschichte und die tragischen Elemente eines jeden Alltags aufeinander, herauskommt ein amüsantes aber keineswegs oberflächliches Buch.