Frühlingserwachen

  • Hallo Emi,


    Du schreibst eine schöne Skizze. Erzählung mag ich es nicht nennen, denn es ist wird kaum erzählt. Wenn ichs recht verstanden habe, beschreibst Du die Situation eines Mannes, der dabei ist sich umzubringen. Ein grausiges und schauriges Geschehen.
    Die gesamte Handlung der Skizze besteht darin, dass er steht, schaut, sich dreht, wieder schaut und sich schließlich fallen läßt. Das ist an sich nicht weiter bemerkenswert und - wie gesagt - ein eher grausames Geschehen.


    Deinen Text zeichnet aus, dass der Mann eine Menge sieht und beobachtet. Er schaut sich um. Er handelt in gewiser Weise. Er nimmt seine Situation in gewisser Weise wahr - jedenfalls deutet der Text entsprechendes an.


    Stilistisch betrachtet ist der Text glatt eine erzählende Skizze, in der ein einzelner Protagonist aus der Metaebene betrachtet wird. Was er tut, wird beschrieben - das ist guter Erzählstil.
    Beim LEsen haben mich die langen Sätze etwas gestört. Ich hatte den Eindruck, dass möglichst viel mit knappen Mitteln erzählt werden soll. Und ich habe mich gefragt, ob nicht kürzere und einfache Sätze verständlicher und schöner gewesen wären.


    Zur Geschichte muss ich allerdings auch noch einiges anmerken.
    Für mich stimmt sie leider in sich ganz und gar nicht. Sie funktioniert einfach ganz technisch nicht.
    Wenn ein Mensch so weit auf einer Dachkante steht, dass die Schuhspitzen über über die Kante hinaus ragen, steht er verammt labil. Wenn er dabei schwankt, kann er sich nicht halten. D.h. er hat gar nicht die Zeit, sich die Gegend anzuschauen. Völlig unmöglich erscheint mir die Drehung, die er vollzieht. Sie ist mir auch erzählerisch nicht klar. Warum dreht er sich eigentlich, und warum sieht er erst dann die Wolken??


    Schließlich frage ich mich, ob das wirklich das ist, was einem Springer so durch den Kopf geht? Ich frage mich, wo die Angst ist, die einen packt. Ich frage mich, wo der beschriebene Haß ist. Warum zittert er nicht vor Haß oder vor Kälte? Wo kommt der Haß eigentlich her? Was treibt ihn zu diesem Wahnsinnsentschluß?
    MIr ist das alles zu romantisch verklärt: spring und du bist frei. Es ist zu schön für die Ausweglosigkeit, in der einer steckt, der da steht und springt. Mir fehlt bei dem, was er so denkt und sieht und fühlt der Grund für den Selbstmord. So etwas ist ja kein Spaziergang auf einer blühenden Sommerwiese, bei dem ich träumend die Gegend (sei sie noch so verhaßt) und den Himmel anschaue. Es ist (wie frei ich am Ende auch sein mag) ein dramatisches Geschehen, das wenigstens eine genauso dramatische Vorgeschichte hat (von dem, was dann für die Angehörigen folgt, ganz zu schweigen)!
    Schließlich wehre ich mich vehement gegen die Vorstellung, dass ein solcher SChritt befreien würde. Nein, ein Selbstmord befreit nicht. Er kann nicht befreien. Der Tod kann nicht befreien. Bestenfalls kann jemand durch den Tod erlöst werden, das ist aber etwas anderes. Eine Befreiung ist etwas, was zum Leben gehört, etwas was mich von Fesseln, Lasten o.ä. befreit, damit ich anschließend ohne das leben kann, was mich vorher eingeschränkt hat.
    Der Tod raubt das Leben. Und alles, was danach kommt, ist etwas völlig neues, anderes. Unsere Kathegorieen stimmen da nicht mehr. Es ist aus mit dem, was wir hier an Leben kennen und genießen.
    Diese romantisierenden Selbstmordgeschichten, wie sie hier im Forum ja immer wieder zu lesen sind, sind für mich darum einfach nur widersinnig.

  • Hallo Emi :-)


    wie Du, und auch ich, bemerkt hast, von konstruktiv bis destruktiv ist´s nur ein kleiner Schritt...


    Ich finde, Du hast mit wenigen Worten ein schönes Bild gemalt.
    Man kann es betrachten, sich vorstellen, nachempfinden, außeinandernehmen, Wortklaubern, Fehler entdecken, in der Luft zerfetzen.
    Und trotzdem bleibt es ein Bild. Mir gefällt es. :-) :wave

    Zum Denken sind wenige Menschen geneigt, obwohl alle zum Rechthaben
    A. Schopenhauer :grin

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  • Zitat

    Original von cimini
    (...) wie Du, und auch ich, bemerkt hast, von konstruktiv bis destruktiv ist´s nur ein kleiner Schritt... (...)


    Hallo, da melde ich mich doch gleich noch einmal zu Wort


    Ein bisschen kommt es bei einem Text natürlich auch immer darauf an, was dieser soll und was einE AutorIn mit ihm (oder überhaupt) will.


    Ich persönlich kann mit "einfach mal so aufgeschrieben"-Texten nicht viel anfangen. Das mag ein Vorurteil sein, aber ganz abgesehen davon, dass ich so etwas für eine reine Schutzbehauptung halte, glaube ich, dass ein Text, der nicht mit der Absicht, ihn bestmöglich zu machen, gar nicht erst geschrieben werden sollte.


    Wenn ich aber schon so gut wie möglich meine Idee "verschriftlichen" will, dann ist es natürlich hübsch, wenn ich Applaus der Marke "alles supi, toll, ich fang doch nicht an, Erbsen zu zählen, das Beste seit geschnittenem Brot" erfahre. Es tut allerdings in der Regel eher mir gut als meinem Text.


    Es hilft weder mir noch meinem Text, wenn sich (und mich) die Meinungsäußerungen im Verteilen von Allgemeinplätzchen erschöpfen. Warum ist etwas gut, warum funktioniert etwas oder eben auch nicht, wo sitzt ein Bild nicht gerade an der Wand - das sind Dinge, für die es eine gewisse Perspektive braucht.


    Und die Perspektive ändert sich mit dem Abstand vom Text. Manches KANN einE AutorIn wegen der Nähe zum eigenen Text gar nicht sehen.


    Grüssli, blaustrumpf


    (edit ON) Zitat repariert (edit OFF)

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

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  • @ blaustrumpf: Ist sicher alles gut gemeint, aber beim Text eines Neulings, der hier mit einer Selbstmordphantasie einsteigt und im Schutzbereich"für Jungeulen und Anfängerautoren, die sich noch nicht der Kritik aussetzen möchten" schießt das einfach gewaltig übers Ziel hinaus.

  • Da guckt man mal drei Tage nicht nach und schon ist hier die Hölle los ;-)


    Erstmal danke an alle, die sich mit meinem Text auseinandergesetzt und mir Rückmeldung gegeben haben! Mit fast allen Kritikpunkten kann ich viel anfangen und werde mir die größte Mühe geben, sie bei meinem nächsten Versuch in die Tat umzusetzen. Diesen Text werde ich wohl auch noch einmal umschreiben und mir dabei eure Tipps zu Herzen nehmen.


    Natürlich hat mich vor allem die positive Kritik gefreut und mich dazu motiviert, weiterzuschreiben. Aber auch denen, die meinen Text in Einzelteile zerlegt und kommentiert haben, bin ich sehr dankbar, denn wie soll man lernen wenn nicht aus den eigenen Fehlern.


    Den Titel "Frühlingserwachen" hatte ich nicht im Zusammenhang mit dem Stück von Wedekind gewählt und natürlich will ich mir nicht anmaßen, etwas vergleichbares geschrieben zu haben!!! Angesichts der Tatsache, dass die Inhalte durchaus Parallelen aufweisen, kann ich aber jetzt nachvollziehen, dass da Assoziationen entstehen. Ich werde den Titel also ändern. (Schade eigentlich, ich fand, er passte gut... :gruebel)


    Und übrigens: nein, ich bin nicht tot und werde es hoffentlich auch so bald nicht sein! :P


    Grüße, Emi

  • Hallo, Emi


    Auf die Neufassung bin ich gespannt!
    Und wenn Du den Titel immer noch gut findest, dann lass ihn halt, wie er ist. Es ist und bleibt schließlich Dein Text, den er in den "großen" Zusammenhang stellt. So eine literarische Anspielung, ob von Anfang an gewollt oder nicht, kann ja durchaus ihren Reiz haben.
    Viel Spaß und Durchhaltevermögen beim Weiterschreiben!


    Grüssli, blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Zitat

    Original von flashfrog
    @ blaustrumpf: Ist sicher alles gut gemeint, aber beim Text eines Neulings, der hier mit einer Selbstmordphantasie einsteigt und im Schutzbereich"für Jungeulen und Anfängerautoren, die sich noch nicht der Kritik aussetzen möchten" schießt das einfach gewaltig übers Ziel hinaus.


    Hallo, flashfrog


    Wie schön, dass es Gutmenschen wie Dich gibt.


    Grüssli, blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag



  • Jaa! :-) Das finde ich auch. Sonst wärn ja nur noch Schlechtmenschen unterwegs. Besser ist das. Oder etwa nicht? :chen

    Zum Denken sind wenige Menschen geneigt, obwohl alle zum Rechthaben
    A. Schopenhauer :grin

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  • Wie schade, dass du persönlich beleidigend werden musst, statt sachlich zu argumentieren.
    Und interessant, in welche politische Ecke du dich dabei selber stellst. (Die Nazi-Vergangenheit des Begriffs ist dir sicher bekannt.)
    Aber das nur nebenbei.




    @ Emi: Einen Vorgeschmack, wie es bei den Eulen zugeht, hast du ja jetzt bekommen. :grin
    Lass dich bitte nicht zu sehr beeinflussen von unseren Einzelmeinungen hier. Wichtig ist, dass dein Text für dich stimmig ist.

  • Zitat

    Original von flashfrog
    Wie schade, dass du persönlich beleidigend werden musst, statt sachlich zu argumentieren.
    Und interessant, in welche politische Ecke du dich dabei selber stellst. (Die Nazi-Vergangenheit des Begriffs ist dir sicher bekannt.)
    Aber das nur nebenbei.


    An dieser Stelle eines gut umgesetzten performativen Widerspruchs, möchte ich auf Godwins Gesetz hinweisen.


    Womit wir frei sind, wieder zum Text überzugehen. Aber das auch nur nebenbei.

  • Hallo, flashfrog


    Ich würde Dir ja gerne eine Friedenspfeife reichen, aber ich glaube nicht, dass Dir das Rauchen bekommt.


    Grüssli, blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Zitat

    Original von blaustrumpf
    Hallo, flashfrog


    Ich würde Dir ja gerne eine Friedenspfeife reichen, aber ich glaube nicht, dass Dir das Rauchen bekommt.


    Grüssli, blaustrumpf


    Ich würde das Angebot ja gerne annehmen, wenn ich nicht annehmen müsstse, dass die Pfeife mit weiteren Gehässigkeiten gestopft ist.

  • :-)


    Emi  
    Das geht hier immer so. Es war schon verdächtig lange ruhig, ist also eher Pech, dass es deinen Thread erwischt hat.


    Zu deiner Geschichte... mit dem Stil habe ich keine Probleme. Aber mit Selbstmordgeschichten. Ich könnte keine unvoreingenommene Kritik zum Plot schreiben, deshalb verzeih mir, dass ich es lasse.


    Liebe Grüsse aus Frankreich


    Eny



    P.S... heisst das jetzt, dass wir sämtliche Diskussionen so lange weiterführen sollten, bis einer Nazivergleiche ins Spiel bringt und damit verloren hat? Ich halte das ja für eine diskussionswürdige Idee.

  • Zitat

    Original von Eny


    P.S... heisst das jetzt, dass wir sämtliche Diskussionen so lange weiterführen sollten, bis einer Nazivergleiche ins Spiel bringt und damit verloren hat? Ich halte das ja für eine diskussionswürdige Idee.



    Eine interessante Frage. Ich wurde hier auch schon die Nazi-Ecke gestellt. Wird man wohl mit leben müssen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Eny
    P.S... heisst das jetzt, dass wir sämtliche Diskussionen so lange weiterführen sollten, bis einer Nazivergleiche ins Spiel bringt und damit verloren hat? Ich halte das ja für eine diskussionswürdige Idee.


    Nein, es heißt, dass in emotional aufgeladenen Diskussionen in Internetgemeinden (gerade wenn es um moralische Themen geht) irgendwann ein Nazi-Vergleich gezogen wird. Dies ist erstmal eine bloße Feststellung, die in ein Gesetz gegossen wird (wie bspw. auch beim bekannteren Fall von Murphys Gesetz). Ob dies automatisch disqualifiziert, wird in der Tat diskutiert. Es spricht allerdings selten etwas für diesen Vergleich.


    Voltaire
    Es gibt inzwischen, angelehnt an Warhol, die These, dass jeder in Zunkunft für 15 Minuten Hitler ist.


    Doc
    Gern geschehen. :zwinker