The Master - Colm Toíbín

  • Klappentext
    (von meiner englischen Ausgabe abgetippt)


    In The Master Colm Tóibín captures the exquisite anguish of a man who circulated in the grand parlours and palazzos of Europe, who was astonishingly vibrant and alive in his art, and yet whose attempts at intimacy inevitably failed him and those he tried to love. It is a powerful account of the hazards of putting the life of the mind before affairs of the heart.


    Über den Autor
    (aus Angaben bei wiki zusammengebastelt)


    Colm Toíbín wurde 1955 in Irland geboren. Er studierte am University College Dublin, zog nach Barcelona, kehrte nach Irland zurück, wo er ein Master-Studium aufnahm und abbrach, um Journalist zu werden. Er lebt und arbeitet als Journalist, Autor und Literaturkritiker sowohl in Irland als auch im Ausland. Die Themen seiner Romane behandeln Irland, das Leben im ausland, den Prozess der Kreativität und persönliche Identität, wobei hier der SChwerpunkt auf homosexuellen Identitäten liegt.
    "The Master" wurde von der New York Times unter die zehn bedeutsamsten Bücher des Jahres 2004 gezählt.


    Meine Meinung


    Ich habe "The Master" direkt nach David Lodges "Author, Author" gelesen, ebenfalls ein biographischer Roman über Henry James.


    "The Master" spielt genau auf "halbem Weg" zwischen den beiden Erzählsträngen von Lodges' Buch, nämlich in den 1890ern. Ich habe es als recht düsteres Buch empfunden, sowohl von der Darstellung Henry James' her als auch sprachlich. Es ist inhaltlich und stilistisch auf sehr hohem Niveau und ganz gewiß keine leichte Kost. Ich musste es zwischendurch immer mal ein, zwei Tage beiseite Legen, damit ich die gelesenen Passagen "verdauen" und reflektieren konnte. Aber es lohnt sich, es zu lesen - wenn ich doch auch erst die Lektüre von Lodge empfehlen würde; m.E. bekommt man dadurch einen besseren Zugang zu Toíbíns komplexem, vielschichtigem Buch.


    P.S.: Trotz lautschriftlicher Angaben bei wiki kann ich mir nicht wirklich vorstellen, wie man diesen Namen ausspricht: "Couem Toobiin" oder so ähnlich... ;-)


    EDIT : die Beschreibung "aus der amazon-Redaktion" durch den abgetippten Klappentext der englischen Ausgabe ersetzt!

  • Hallo Nicole,


    meiner Meinung nach sollte man sehr vorsichtig sein, mit den biographisierenden Zwängen, die man diesem Buch auferlegt. Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um einen Roman handelt.


    Nicht nur in Bezug darauf empfinde ich die von dir gepostete Amazon-Rezension als bestürzend naiv und sicher nicht als Kompliment.


    Die fiktive Biographie beschreibt die mittleren Lebensjahre von Henry James, eigentlich in nicht-chronologischer Form; denn obwohl die Kapitelüberschriften (nach dem Muster: Monatsname, Jahreszahl) eine einfache Linearität suggerieren, Ist die Erzählung selbst durchsetzt von Rückblenden und eher thematisch gegliedert. "Thematisch" heißt in diesem Fall, dass stets eine bestimmte Person, die für Henry James in irgendeiner Weise bedeutsam war und deren Verhältnis zu Henry aus einer sehr reduzierten auf Henry fokussierten personalen Erzählhaltung heraus geschildert wird, im Zentrum eines jeden der elf Kapitel steht.


    Der Roman beginnt so mit einem close up auf Henry selbst. Der anerkannte Romancier versucht sich als Dramatiker und scheitert grandios; enggeführt wird hier noch die Geschichte Oscar Wildes, der zur gleichen Zeit große Erfolge auf den Bühnen Londons feiert. Später wird dem Prozess gegen ihn ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem die Opposition zwischen James und Wilde Profil gewinnt: Wilde, der Lebemann, der das Leben bis zur Selbstzerstörung und -erniedrigung auskostet, James, der distanzierte Beobachter, der sein Leben in ein umfangreiches Prosawerk sublimiert und eigentlich nur durch dieses lebt.


    Strukturell ist «The Master» sehr clever komponiert. Vielleicht muss man sogar den leichten Durchhänger in den mittleren Kapiteln als strukturgebendes Element hinnehmen, in denen der durch die distanzierte und kontrollierte Lebensweise der Hauptfigur bedingte sehr ruhige Erzählton manchmal zu einem gewissen Überdruss führt. Gleichzeitig wird einem auf diese Weise klar vor Augen geführt, was Kontrolle eben auch bedeutet: Neben dem Gewinn eines sezierenden Blicks in den ersten Kapiteln und dem unausweichlichen Gefühl, etwas verpasst zu haben, das in den letzten Kapiteln sehr stark zum Tragen kommt, die sich vor allem um die großen emotionalen Bindungen im Leben von Henry James an seine Familie, Hendrik Andersen und Constance Fenimore Woolson drehen, ist der mittlere Teil wahrscheinlich die größte erzählerische Herausforderung gewesen: Hier muss Tóibín nämlich das Zögern beschreiben, dass zwischen den beiden Polen liegt - dem positiven der Hellsichtigkeit, dem negativen der verpassten Chancen und des damit einhergehenden Leids.


    Tóibín gelingt das insgesamt sehr gut, ohne dass man als Lesende/r zu einem Verständnis des Mechanismus käme. Hoch anzurechnen ist dem Buch, dass es auf allzu platte Psychologisierung verzichtet, ohne in die Unsitte des einfachen Abschilderns zu verfallen, das mir in den erzählenden Künsten der letzten 10, 15 Jahre so unglaublich en vogue zu sein scheint.


    Auf platte Psychologisierung verzichtet das Buch dankenswerterweise auch beim Thema Sexualität. Homo- und Bisexualität sind zwar allpräsentes Thema - nicht nur in Bezug auf Henry James -, Tóibín vermeidet aber gerade durch die sehr ausführlich geschilderte Beziehung James' zu Constance Fenimore Woolson, die sich mutmaßlich wegen nicht erwiderter Liebe seitens Henry in Venedig das Leben nimmt, eine allzu einfache Fokussierung hin auf die schematische sexuelle Einteilung, die wir so gut kennen. Das hat mich sehr für das Buch eingenommen.


    «The Master» war auf der Shortlist des Booker Prize 2004 und musste sich hier Alan Hollinghursts «The Line of Beauty» beugen - einem Buch, das ich auch sehr lesenswert finde; wenn man mich fragt, muss die Entscheidung zwischen diesen beiden Texten allerdings sehr knapp ausgefallen sein.


    Noch etwas zum deutschen Titel: «Portrait des Meisters in mittleren Jahren» - ganz offensichtlich ein Joyce-Zitat. Ich empfinde mich nun als alles andere denn einen Joyce-Experten, habe das «Portrait» auch nicht gelesen; nach dem, was ich darüber weiß, erschließt sich mir die Parallele allerdings nicht. Da ich weiß, wie Titel zustande kommen, vermute ich hinter dieser Betitelung einen eher plumpen, nur scheinbar intellektuellen Marketingtrick. Oder habe ich etwas übersehen?

  • Hallo Nicole,
    falls die Rezi aus amazon nicht zufällig von dir selbst ist, würde ich sie löschen. Dazu gab es einen Thread hier
    :wave

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • "Porträt des Meisters in mittleren Jahren" ist das erste Buch, das ich von Colm Tóibín gelesen habe, aber sicherlich nicht das letzte - es hat mir wirklich ausgesprochen gut gefallen.
    Ich stimme Nicole zu, dass sich das Buch in der Tat auf einem hohen Niveau bewegt und sicherlich keine leichte Kost ist. Ich habe es aber dennoch als sehr gut und flüssig lesbar empfunden. Und es war vor allen Dingen auch sehr spannend zu lesen. Tóibín schildert unterschiedliche - zumeist düstere - Episoden aus dem Leben von Henry James: sein mysteriöses Leiden, das verhindert, dass er in den Krieg zieht; die Tatsache, dass er keinen Partner in seinem Leben hat; den Selbstmord einer engen Freundin. All diese Episoden sind sehr eindringlich und sprachlich ansprechend geschildert und während des Lesens hatte ich das Gefühl "Henry James" als Künstler, aber auch als Menschen, näher zu kommen.


    Ich werde in Zukunft sicherlich noch das ein oder andere Buch von Tóibín lesen und mich vielleicht auch mal an einem Buch von Henry James versuchen.