'Wilde Schwäne' - Kapitel 15 - 20

  • Mit diesem Teil habe ich mich auch etwas schwerer getan, nicht wegen dem Stil o.ä., sondern um das Gelesene erst einmal zu verdauen.


    Die Kulturrevolution steht im Mittelpunkt - was für ein harmloses Wort für die Schrecken und Grausamkeiten, die sich dahinter verbergen... Mao hat es geschickt eingefädelt, die Massen auf ihn als Person einzuschwören - kommt mir irgendwie bekannt vor, allerdings aus der politisch entgegengesetzten Richtung - so laufen sie ihm blindlings nach bzw. führen für ihn die Drecksarbeit aus, indem sie unliebsame Kritiker oder auch nur persönliche Rivalen eiskalt ausschalten - nicht ohne sie vorher natürlich gründlich leiden zu lassen. Willkür, Unterdrückung, Terror und Folter sind an der Tagesordnung.


    Ich frage mich angesichts dieser Beschreibungen - wie ist so etwas möglich?? Wie können sich Menschen so manipulieren lassen? Dabei meine ich nicht nur die breite Masse, sondern auch die in den höheren Rängen: Haben die gar nicht gemerkt, was da passiert? Und als doch, war es schon zu spät und sie haben sich selbst unter Arrest gestellt oder Schlimmeres wiedergefunden. Obwohl man von hier aus ja leicht reden kann. Ich finde die Familie, insbesondere die Mutter der Autorin, enorm mutig. Mit ihrem Kampf für Gerechtigkeit für ihre Familie hat sie ihr Leben riskiert und es trotzdem gewagt :anbet. Auch der Vater scheint endlich aufzuwachen und zu erkennen, was um ihn herum passiert. Jetzt bezieht er Stellung und ist auch durch Folter nicht von seiner Meinung abzubringen, bewundernswert. Vielleicht ist diese Erkenntnis für ihn, der doch die Partei immer über alles, sogar über seine Familie gestellt hat, noch schlimmer, als für andere, die schon früher zu zweifeln begonnen haben.


    Doch die Angriffe haben ihre Narben hinterlassen und der Vater verändert sich. Gruselig zu lesen und doch hat sich in meinem Empfinden ihm gegenüber etwas geändert. Ich sehe ihn jetzt positiver als noch zu Beginn, wo er als fanatischer Vertreter dieses Regimes auftrat. Trotzdem darf man natürlich nicht vergessen, wie sehr seine Familie wohl jetzt unter seiner veränderten Persönlichkeit (z.B. Gewalttätigkeit) leidet.


    In jedem Kapitel drängen sich die Parallelen zur Nazi-Zeit förmlich auf. Wie seltsam, dass Diktatoren aller Coleur sich in ihren Methoden nicht unterscheiden, gleich was sie dem Volk weiszumachen versuchen.


    Am Ende dieses Teils hatte ich einen dicken Kloß im Hals, die Szene mit den rufenden Kindern vor dem Gefängnis hat mich tief berührt :-(

  • Zitat

    Original von milla
    In jedem Kapitel drängen sich die Parallelen zur Nazi-Zeit förmlich auf. Wie seltsam, dass Diktatoren aller Coleur sich in ihren Methoden nicht unterscheiden, gleich was sie dem Volk weiszumachen versuchen.


    Das habe ich auch die ganze Zeit gedacht.


    Mein bisheriges Wissen über die Kulturrevolution war eher wage. Ich wußte halt, daß sie vor so gut wie nichts halt gemacht haben, Tempel zerstörten und Bücher verbrannten und daß die sogenannte Viererbande grausame Verbrechen begangen hat. Was aber tatsächlich mit der Bevölkerung geschah, habe ich erst hier erfahren. Grausam, irrsinnig, menschenverachtend.


    Gewalt und Folter beherrschen das Land. Straßennamen werden geändert, Restaurants umbenannt. Der neue Name "Der Geruch nach Schießpulver" klingt ja nicht gerade einladend. Ganz absurd auch die Idee, bei roten Ampeln nicht mehr stehenzubleiben, das dies konterrevolutionär sei. Bei der kurzfristigen Abschaffung des Rechtsverkehrs brach der Verkehr natürlich vollkommen zusammen.


    Der Vater wird verhaftet. Unglaublich mutig fand ich es von der Mutter, einen Brief beim Amt für Beschwerden vorzubringen. Ich frage mich, ob der Vater dasselbe für sie getan hätte.


    Erstaunlich, daß es zwischen all dem Wahnsinn immer noch Inseln des Glücks für Jung gibt wie die Reise zu Mao mit den fünf anderen Mädchen zusammen.


    Zwischendurch bin ich immer wieder erstaunt, wie jung die Autorin noch ist. Da ist so unglaublich viel passiert, das reicht schon für ein ganzes Leben und noch immer ist das Mädchen erst 11 oder 13 Jahre alt.

    Zu Beginn von Kapitel 19 hatte ich fast keine Lust mehr weiterzulesen. Ich war es leid, dieses ewige unsägliche Denunzieren und Drangsalieren. nach einer zweitägigen Pause wollte ich dann aber doch wissen wie es weitergeht.


    Dann werden auch noch die Eltern als Kapitalistenhelfer bezeichnet.
    Interessant, daß der Vater sich den Rebellen entgegenstellt und keine Furcht zeigt, auch vor Maos Bild nicht niederknien will. Ich nehme mein früheres Urteil. er sei ein schwacher Mensch zurück. In seinem Glauben an den wahren Kommunismus ist er stark, aber auch völlig gefangen. Und stellt wieder einmal sein Gewissen über alles, auch über seine Familie.


    Die Mutter ist für mich die stärkste Person im Roman. Zum zweiten Mal fährt sie nach Peking, um sich für ihren Mann einzusetzen. Und als der Vater als gebrochener und geistig verwirrter Mann aus dem Gefängnis zurückkommt, kann er von Glück sagen, daß er eine Familie hat, die sich so rührend um ihn kümmert.


    Jung beschreibt ja häufig, daß man die Vorgaben Maos so oder so handhaben und umsetzen kann. Der Satz "Es gibt nur menschliche und unmenschliche Chinesen" trifft auf jeder Seite dieses Buches zu.

  • Zitat

    Original von JaneDoe
    Ganz absurd auch die Idee, bei roten Ampeln nicht mehr stehenzubleiben, das dies konterrevolutionär sei. Bei der kurzfristigen Abschaffung des Rechtsverkehrs brach der Verkehr natürlich vollkommen zusammen.


    Wenn es nicht so wahnwitzig wäre, könnte man darüber lachen - es ist kaum zu glauben, dass das ernsthaft umgesetzt wurde. :pille


    Zitat

    Original von JaneDoe
    Zwischendurch bin ich immer wieder erstaunt, wie jung die Autorin noch ist. Da ist so unglaublich viel passiert, das reicht schon für ein ganzes Leben und noch immer ist das Mädchen erst 11 oder 13 Jahre alt.


    Ich habe beim Lesen immer wieder gedacht, was für ein Glück wir doch haben, nicht in dieser Zeit und an diesem Ort geboren worden zu sein, so dass uns diese Erfahrungen erspart geblieben sind... Wenn man das hier liest, wird einem erst einmal bewusst, wie behütet und frei man hierzulande aufwächst.

  • Ich bin noch nicht ganz mit dem Teil durch, aber bleibt auch oft die Luft weg. Diese unbeschreiblichen Grausamkeiten immer und immer wieder gehen mir den ganzen Tag dann nicht aus dem Kopf.


    Ich habe vorher auch schon über die Kulturrevolution gelesen, aber mich berührt dieses Buch, weil die Autorin ihr eigenes Erleben beschreibt und wie ich finde gelingt ihr das sehr gut.


    Dieser ganze Teil behandelt ja "nur" zwei Jahre, aber das Erlebte ist ungeheuerlich.


    Die Szene mit den roten Ampeln und Linksverkehr - wie beschrieben - man könnte fast darüber lachen.



    Ich komme auch nicht besonders schnell voran. Es liest sich zwar flüssig, aber vieles muß sich erst setzen, bevor ich weiterlesen kann.

  • Zitat

    Original von Richie
    Ich habe vorher auch schon über die Kulturrevolution gelesen, aber mich berührt dieses Buch, weil die Autorin ihr eigenes Erleben beschreibt und wie ich finde gelingt ihr das sehr gut.


    :write Vor allem finde ich es bewundernswert sachlich. Sie beschreibt nur ihre eigenen Gefühle und Gedanken, hält sich aber mit pauschalen Urteilen weitgehend zurück, respekt!

  • Habe heute das Kapitel beendet.


    Der Schluß handelte ja vor allem von den Gefängnisaufenthalten des Vaters und der Mutter.


    Einfach nur grausam diese Schilderungen. Ja, die Szene als die Kinder vor dem Gefängnis der Mutter waren und sie drinnen die Stimmen gehört hat, sich aber nicht zeigen konnte oder später als sie ihre Kinder und den Mann auf der Straße gesehen hat, aber zu Boden schauen mußte - unmenschlich!



    off topic
    .. und gestern Beginn der Olympischen Spiele in diesem Land. Ich finde es gut, daß ich noch mitten in diesem Buch bin und in der Geschichte Chinas. Daher muß ich jetzt doch immer wieder Parallelen ziehen - geht es euch ähnlich? Ich kann die Geschichte des Landes und der Umgang mit den Bewohnern einfach nicht vergessen.

  • Zitat

    Original von Richie
    off topic
    .. und gestern Beginn der Olympischen Spiele in diesem Land. Ich finde es gut, daß ich noch mitten in diesem Buch bin und in der Geschichte Chinas. Daher muß ich jetzt doch immer wieder Parallelen ziehen - geht es euch ähnlich? Ich kann die Geschichte des Landes und der Umgang mit den Bewohnern einfach nicht vergessen.


    Ich auch nicht. Besonders, wenn man jetzt diese tranierten und gedrillten Massen bei der Eröffnungsveranstaltung sieht. Da saß jeder Griff, jeder Schritt, wahrscheinlich jedes Haar an seinem zugewiesenen, einstudierten Platz. Ich hab nicht alles gesehen, aber für mich das war keine echte Fröhlichkeit bei der Feier.

  • Ja, auf jeden Fall! Ich habe die Eröffnungsfeier nicht ganz gesehen (in der Mitte fehlte mir ein gutes Stück), aber als die Moderatoren von der Darstellung der Geschichte Chinas erzählten, wo 100 Jahre einfach ausgeblendet wurden (unter anderem die 30 Jahre Mao, obwohl dieser noch immer auf jedem Geldschein und jeder Münze abgebildet ist), musste ich sofort an dieses Buch denken und eine Gänsehaut lief mir über den Rücken.


    Andererseits: Wenn die Olympischen Spiele in Deutschland stattfinden würden und bei der Eröffnungsfeier auch ein Querschnitt durch die deutsche Geschichte dargestellt werden würde - würde man da auch Hitler zeigen? Fände ich sehr komisch. Auch wenn der Nationalsozialismus natürlich eine Zeit war, die Deutschland und die ganze Welt verändert hat. Aber zumindest ist er hier nicht mehr Bestandteil des Alltags. Zumindest bei dem Großteil der Bevölkerung nicht.


    Echte Fröhlichkeit habe ich bei der Feier aber schon erlebt, der Einzug der Athleten hat mir richtig Spaß gemacht! :-]

  • Mir fällt dazu gerade noch folgendes ein:
    Mr. Richie hat gestern die Herren beim Straßenradfahren geguckt. Es waren einfach keine Zuschauer am Straßenrand wie man das sonst gewohnt ist, keine Anfeuerung nichts, als einziges waren von Zeit zu Zeit Uniformierte zu sehen - also irgendwie phantommäßig

  • Bei uns standen heute Meinungen anderer großer Tageszeitungen zur Eröffnungsfeier.


    So z. B. die Synchronbewegungen solcher Menschenmassen (ich habe es nicht gesehen, deshalb kann ich nur den Text so wiederholen) hätte man letztmalig bei Leni Riefenstahl Filmen gesehen - für mich Kommentar überflüssig