Alan Drew - Die Wasser des Bosporus

  • INHALT


    Sinan ist Vater zweier Kinder, des neunjährigen Ismail und der fünfzehnjährigen Irem. Gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Kindern lebt er in einer bescheidenen Wohnung in einem der billigen Betonhochhäuser in einer Stadt südlich von Istanbul. Ein kleiner Lebensmittelladen, den er gemeinsam mit dem Schwager betreibt, sichert mehr schlecht als recht das Auskommen der Familie, und dies bereitet Sinan Sorgen. Er ist ein aufrechter Mann, der seine Familie liebt und beschützen will, doch er weiß nicht wie. Als Kurde hat er es schwer in der türkischen Gesellschaft, die er hasst: Sein Vater wurde von türkischem Militär umgebracht, ebenso viele andere Männer aus seinem Dorf – Sinan und seine Frau stammen aus dem Osten der Türkei; sie sind dort weggegangen, als die Lage immer gefährlicher wurde.
    Das Leben geht seinen Gang, mehr oder weniger reibungslos: Die Mutter kommt ihren Pflichten nach, der Sohn wächst zum ganzen Stolz der Familie heran, nur die Tochter wird immer aufsässiger und lehnt sich – leise nur – gegen die Zwänge auf, die ihre traditionell orientierten Eltern ihr auferlegen. Sinan, der seine Tochter von Herzen liebt, weiß nicht recht, wie er mit ihr umgehen soll, findet ihr Verhalten aber (noch) nicht alarmierend.
    Und dann rüttelt das schwere Erdbeben, das 1999 die Türkei heimsucht, Hunderttausende obdachlos macht und tausende Tote hinterlässt, sein Leben völlig durcheinander. Wie durch ein Wunder überleben alle Familienmitglieder, doch sie verlieren ihre Wohnung und sind fortan auf die Mildtätigkeit amerikanischer Freiwilliger angewiesen, die in Sinans Stadt (oder was von ihr übrig geblieben ist) eine provisorische Zeltstadt für die Heimatlosen unterhält.
    Sinan kommt mit der Situation nicht zurecht. Ist es nicht oberste Pflicht eines Familienvaters, die Seinen zu ernähren und zu schützen? Was ist er noch wert, nun wo ihm die Möglichkeit genommen ist, für seine Familie zu sorgen? Als dann sein Sohn mit seltsamen Fragen nach dem Gott der Christen vom Spielen zurück ins Zelt kommt und seine Tochter sich in den 17-jährigen Sohn eines amerikanischen Lehrers verliebt, schlittert Sinan allmählich in die Katastrophe – und reißt die mit sich, die er liebt ...



    MEINE MEINUNG


    Zum Beruf eines Schriftstellers gehört es, sofern er nicht Biographien schreibt, Personen zu erfinden. Die Personen sollen möglichst lebendig, und – in bestimmten Genres – authentisch sein. Eine nicht allzu schwierige Aufgabe, solange es sich um Personen des eigenen Kulturkreises handelt, die jedoch zum Wagnis wird, sobald der Schriftsteller sich in andere Kulturkreise, Religionen und Lebensentwürfe hineinbegibt. Insbesondere dann, wenn relevante Themen aufgegriffen werden, wird die Gestaltung der handelnden Personen zu einer Gratwanderung, denn wem ist es wirklich gegeben, die Kultur anderer zu erfassen?
    Alan Drew hat sich eines relevanten Themas angenommen. Er, ein Amerikaner, hat sich einem äußerst sensiblen Problem der heutigen Türkei angenähert – und das Ganze aus der Sicht eines relativ ungebildeten Kurden aus den unruhigen Gebieten am Fuße des Ararat. Das hätte schief gehen können.
    Ist es aber nicht. Im Gegenteil.
    Auch ohne die Danksagung oder den hinteren Klappentext zu lesen wird schnell klar, dass Mr. Drew weiß, worüber er schreibt; tatsächlich hat er mehrere Jahre in der Türkei gelebt und gearbeitet und scheint auch sonst viel unterwegs gewesen zu sein. Es ist ihm meiner Meinung nach mit Bravour gelungen, sich dem so schwierigen Thema Traditionalismus in islamischen Ländern zu nähern. Trotz meines Misstrauens hatte ich nicht ein einziges Mal das Gefühl, hier will mir einer moralinsauer erklären, warum Christen eben doch die besseren Menschen sind – in diesem Falle hätte ich das Buch in die Ecke gepfeffert. Alan Drew hat ein politisch korrektes Buch geschrieben, wie es korrekter nicht sein kann, und diese Haltung ist dem Thema angemessen. Ein Thema, dass einen zu leichtfertigen Umgang einfach nicht vertragen hätte. Es gibt in diesem Buch nur Verlierer. Menschen, die versuchen, gut zu sein, und denen es auf schreckliche Weise misslingt. Alan Drew hat mit „Die Wasser des Bosporus“ ein menschliches, ach so menschliches Buch geschrieben, das aufwühlt, traurig macht und lange nachhallt – und das ich allen ans Herz legen möchte.
    Von mir gibt es 10 von 10 Punkten.

  • :-) Danke für deine schöne Rezi Steffi. Ich habe gestern endlich meine Zeitschrift "Bücher" durchgelesen, deren großes Thema in dieser Ausgabe türkische Literatur ist und einige Bücher, die sich mit dem Thema Türkei beschäftigen auf meine WL gepackt. Dieses hier kommt auch dazu, denn es klingt nach interessanter Lektüre.