'Der Glöckner von Notre-Dame' - 6. Buch

  • Das 6. Buch fängt bei mir "in tödlicher Unruhe" an, weil weder Gringoire noch sonst jemand aus dem Wunderhof etwas über den Verbleib Esmeraldas wissen.


    In diesem Kapitel werden wir Zeuge eines "typischen" Hexenprozesses: Alle Aussagen können die Zauberei vermeintlich bestätigen, das Gesehene und Gehörte wird so verdreht und interpretiert, dass es den vorgefertigten Meinungen entspricht und die Angeklagte hat nicht den Hauch einer Chance. Die ganze Perversion wird immer wieder durch einzelne Sätze der Beteiligten deutlich, z.B. wenn der Prokurator während der Folter (!) betont: "Aus Gründen der Menschlichkeit muss ich Euch sagen, dass Ihr, wenn Ihr geständig seid, den Tod zu erwarten habt."
    Davon zu lesen widert mich an und zu wissen, wie viele Tausende Menschenleben solche "Prozesse" gekostet haben, macht mich immer wieder aufs Neue sprachlos vor Entsetzen.
    Hugos Beschreibungen sind sehr eindringlich, man spürt, was er selbst von diesen Handlungen hält.


    Die arme Esmeralda! Wie hat sie sich verändert - kein Wunder bei den körperlichen und seelischen Schmerzen, die sie ertragen muss. Dass sie in ihrer Situation den Tod dem Priester vorzieht, kann ich nicht eindeutig bewerten. Auf der einen Seite zolle ich ihr Respekt, ihrem Herzen treu zu bleiben und ihrer Abscheu nicht nachzugeben. Auf der anderen Seite ist Frollo vielleicht ihre einzige Überlebenschance - muss man diese nicht nutzen? In der Hoffnung aus der Situation mit ihm später auch entkommen zu können? Aber mir scheint, sie kann nicht soweit (um die Ecke) denken, um auf diese Idee zu kommen. Was ja angesichts ihres Zustands auch nicht verwundert.


    Apropos Frollo: Auch in mir ruft er immer mehr Abscheu hervor - daran konnte auch seine lange Rede nichts ändern, mit der er sich zu erklären versucht. Doch statt reiner Liebe lese ich aus hier nur den Wunsch heraus, Esmeralda zu besitzen, ihm geht es nicht um sie, sondern nur um sich selbst. Er erkennt nicht einmal, dass er höchstpersönlich sie in diese Situation gebracht hat, vielmehr nennt er Phöbus als den Schuldigen. Wie verzerrt ist seine Wahrnehmung!!


    Dass Phöbus den Dolchangriff überlebt hat, gönne ich ihm nicht, wenn ich hier lese, wie es mit ihm weitergegangen ist und wie er reglos zusieht, wie Esmeralda zum Galgen geführt wird. Was für ein Waschlappen!! Und wie entsetzlich, als Esmeralda ihn auch noch sieht und erkennt - was für ein Gefühl muss das sein, gleichzeitig zu wissen, dass der, dessen Mordes sie angeklagt und verurteilt ist, lebt und ihr nicht hilft?? Unvorstellbar.


    Und dann eilt ihr doch noch jemand zu Hilfe - jemand, von dem man es nie erwartet hätte.... Puh, Zeit zum Atemholen, fürs Erste ist sie gerettet!!


    Das 6. Buch endet mit den begeisterten Zurufen des Volkes und dem starr auf den Galgen gerichteten Auge der Einsiedlerin.

  • Ich hatte ähnliche Gedanken beim Lesen wie du, milla.
    Auch ich habe an die vielen unschuldig verurteilten Menschen gedacht, die nach solch willkürlichen Prozessen zum Tode verurteilt wurden.


    Zuerst dachte ich, es wäre mir etwas entscheidenes beim Lesen entgangen, als Esmeralda des Mordes angeklagt wird und einige Seiten später Phoebus doch nicht tot ist.
    Es hat mich dann ziemlich erstaunt, dass einfach über die "lebende Leiche" hinweggesehen wurde und Esmerald nicht nur wegen versuchten Mordes angeklagt wurde.


    Dass sie die Hilfe Frollos ausschlägt, konnte ich auch nicht ganz verstehen. Und auch nicht ihre weiter bestehende Liebe zu Phöbus.
    Wahrscheinlich kann man sich das alles wirklich nur so erklären, dass sie völlig überfordert in dieser Situation war und keinen klaren Gedanken fassen konnte.


    Die Folterszene, obwohl sehr kurz, fand ich dann erschreckend gut beschrieben. Natürlich mußte ich erstmal nachschauen, was genau Der spanische Stiefel ist.


    Ich war am Schluß auch richtig erleichtert, als Esmeralda von Quasimodo gerettet wurde.
    Dieser Klassiker bietet wirklich alles, was ich mir von einem guten Buch verspreche.

  • Zitat

    Original von Charlotte
    Zuerst dachte ich, es wäre mir etwas entscheidenes beim Lesen entgangen, als Esmeralda des Mordes angeklagt wird und einige Seiten später Phoebus doch nicht tot ist.
    Es hat mich dann ziemlich erstaunt, dass einfach über die "lebende Leiche" hinweggesehen wurde und Esmerald nicht nur wegen versuchten Mordes angeklagt wurde.


    Also ich weiß nicht, ob damals überhaupt schon zwischen solchen juristischen "Feinheiten" ( :grin) wie Mord und versuchtem Mord unterschieden wurde, aber ich bin mir auch nicht sicher, ob die werte Jurisprudenz das überhaupt kapiert hat, dass Phoebus nicht tot ist. Vielleicht habe ich es auch überlesen, aber ich meine, dass außer Esmeralda selbst keiner Phoebus gesehen und ihn mit dem vermeintlichen Mordopfer in Verbindung gebracht hat. :gruebel

  • Mein Teil beginnt auch damit Gringoire und der gesamte Hof der Wunder befanden sich in größter Sorge.


    Esmeralda und die Ziege sind seit einem Monat verschwunden. Vor dem Gefängnis ist ein großer Menschenauflauf, denn eine Frau, die einen Offizier umgebracht hat, soll verurteilt werden.

    Zitat

    Die Folterszene, obwohl sehr kurz, fand ich dann erschreckend gut beschrieben.


    kann ich absolut unterschreiben :write


    Als dann Claude Esmeralda seine Liebe gesteht, einfach nur schauerlich.


    Phoebus ist nun doch nicht tot - aber Esmeralda soll dafür büßen, da wollte ich schon in das Geschehen eingreifen, diese Ungerechtigkeit - und begibt sich wieder zu seiner Verlobten. Dort erfährt er, daß Esmeralda gehängt werden soll und hilft er in keinster Weise. :fetch


    Schlußendlich rettet Quasimodo Esmeralda das Leben, sie muß aber innerhalb von Note Dame bleiben, da die Kirche ein sog. sicherer Zufluchtsort war.


    Quasimodo brüllt ständig Freistatt und das Volk Festtag


    Das Kapitel endet
    ... und die Klausnerin wartet immer noch, die Augen starr auf den Galgen gerichtet.

  • Zitat

    Original von Richie



    Quasimodo brüllt ständig Freistatt und das Volk Festtag


    Interessant! Ich habe gerade in meinem Buch noch einmal nachgeschaut, weil ich dachte, dies im Eifer überlesen zu haben. Aber bei mir steht nichts von "Festtag". Bei mir steht nur immer, dass das Volk Beifall jubelte.
    Obwohl ich die Variante mit dem "Festtag" passender finde.


    Wäre jetzt mal interessant, wenn wir bartimaeus fragen könnten, wie das im Original beschrieben wird.