Das Ehrenwort/Nelson DeMille

  • Inhalt:
    Ben Tyson, ein Mann Anfang der 40er, lebt den amerikanischen Traum. Ein toller Job, ein Haus in der Vorstadt, eine liebende Frau und ein braver Sohn. Doch eines Tages holt ihn seine Vergangenheit ein, als er im Zug seinen Nachbarn ein neues Buch über den Vietnamkrieg lesen sieht und es ihm dieser kommentarlos reicht. Dort muss Tyson lesen, was er und seine Männer niemals zu erwähnen geschworen hatten. Während der sog. Tet Offensive 1968 haben die Männer seines Zuges ein Massaker an Zivilisten angerichtet.
    Aufgrund von juristischen Feinheiten ist Tyson, der ehemalige Offizier, der einzige der Beteiligten, auf den die Army zugreifen kann. Und das tut sie auch, er wird gegen seinen Willen erneut als Lieutenant eingezogen und nach Voruntersuchungen schließlich vors Kriegsgericht gestellt. Auch wenn es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine längere Haftstrafe im Militärgefängnis Leavenworth bedeutet, ist er geradezu erleichtert, dass die Geschichte an den Tag gekommen ist. Doch sein Leben wird nie wieder das gleiche sein.


    Autor:
    Im Vorwort schreibt DeMille, dass auch er, wie Ben Tyson, Infanterieoffizier in Vietnam war und an der Tet Offensive teilgenommen hat, jedoch ohne dass seine Männer dort irgendwelche Verbrechen begangen haben. Jedoch weiß er daher offensichtlich sehr genau, was er schreibt.
    Weiters erzählt er, dass dieses Buch in manchen Kursen über den Vietnamkrieg als Pflichtlektüre gilt und nachdem man es gelesen hat, kann man das verstehen.
    Vorbild für diese Geschichte war vermutlich das Massaker von My Lai 1968 und der darauffolgende Kriegsgerichtsprozess.


    Meinung:
    Man sollte sich nicht irreführen lassen vom Autor und der Art Romane, die er sonst schreibt. Dieses Buch ist unfassbar spannend, aber dennoch kein Thriller in der engeren Bedeutung des Wortes. Es ist ein Buch über Vietnam und die Männer, die dort gekämpft haben und was es aus ihnen gemacht hat, über einen Kriegsgerichtsprozess und über die etwas verquere Art, in der die USA zumindest Ende der 1980er Jahre mit Kriegsverbrechen in den eigenen Reihen umgegangen sind. Oder es hätten tun sollen?
    Hier jedenfalls ist Bens Pech, dass nur Armeeangehörige wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden können, nur Offiziere zwangsweise wiedereingezogen werden können und dass nur Mord als Anklage nicht verjährt ist. Eine juristische Zwickmühle, in der er zermahlen werden soll.
    (Wobei man sich zwangsläufig fragt, ob das tatsächlich immer noch so ist.)


    Das Buch wirft eine Menge moralischer Fragen auf. In der Mitte gibt es ein faszinierendes Kapitel, in dem zwei JAG-Offiziere Vergleiche ziehen zwischen den Nürnberger Prozessen und der Art, wie die USA mit Kriegsverbrechen in Vietnam umgehen. Ich glaube, alleine dieses Kapitel macht das Buch tatsächlich zu einer wichtigen Lektüre für einschlägig Interessierte.


    Weiters, ist es moralisch, dass nur Tyson zum Sündenbock gemacht wird? Aber wäre es richtig, die Sache ganz im Sand verlaufen zu lassen? Und wie entscheidend ist die Tatsache, dass unter den Opfern auch Europäer waren und die UN Interesse an dem Fall bekundet? Sollte niemand angeklagt werden oder vielleicht lieber die Menschen, die Männer wie Tyson und seinen Zug nach Vietnam geschickt haben?
    Auch als Nicht-Amerikaner späterer Generation kann man kaum anders, als zumindest darüber nachzudenken. Das macht dieses Buch zu einem wichtigen Buch über dieses Thema. (Mit leider trauriger Aktualität.)


    Aber auch erzählerisch kann es sich sehen lassen. Es ist nicht die Geschichte, die man anhand des Klappentextes erwartet. Tyson ist nicht unschuldig, das wissen wir von Anfang an, was für einen Helden so einer Geschichte schon mal ungewöhnlich ist. Aber im Lauf der Zeit fügt sich das Puzzle langsam zusammen und wir erfahren, was nun wirklich passiert ist und worin seine Schuld besteht. Darin und wie er damit umgeht besteht die Spannung dieses Buches. Außer einem zwielichtigen Gesellen haben wir hier keine Regierungsverschwörung, keine Verfolgungsjagden und keine Schießereien. Und doch ist dies erst das zweite Buch von DeMille, bei dem er und ich uns nicht uneins darüber waren, ob wirklich alle Seiten notwendig waren. Ich war von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt.


    Ben Tyson ist ein klassischer DeMille-Held, zynisch und bissig. Vincent Corva, sein Anwalt, gehört in die gleiche Kategorie. Die beiden sind ein wunderbares Gespann, was darin kulminiert, dass Corva und Tyson fast eine Schlägerei im Gerichtssaal anfangen, als der Anwalt so gar nicht einverstanden ist mit der fatalistischen Einstellung seines Klienten, der nicht bereit ist, sich zu verteidigen. Eine extrem starke Szene, die vielleicht mehr über Schuld oder Unschuld Tysons aussagt, als alles anderes. Oder über die Corvas, der auch Zugführer in Vietnam war und auch erschreckende Geschichten erzählen könnte.
    Die weiblichen Charaktere sind DeMille ebenfalls sehr schön gelungen. Tysons Frau Marcy passt so überhaupt nicht zu ihm, dass ihre Ehe einfach nur echt sein kann, da sie so gar nicht zusammen passen wollen. Major Karen Harper, die Offizierin, die Tysons Fall zuerst untersucht, wiederum wäre in jeder anderen Geschichte, ohne Marcy, das love interest. Hier verbleibt es ihr und Tyson, sich über die merkwürdige Chemie zwischen ihnen beiden zu wundern. Sehr gut gelungen.



    Dieses Buch löst „Das Spiel des Löwen“ als den für mich bislang besten DeMille ab. Vielleicht ist es sogar wirklich sein bestes Buch. Ich werde es herausfinden, denn den Namen DeMille merke ich mir schon lange aus gutem Grund. Eines seiner wichtigsten Bücher scheint es mir auf jeden Fall zu sein.

  • Ich habe das Buch auf Englisch gelesen. Und diese Rezension wurde notwendig, weil mir Amazon mal wieder nicht ganz den Raum geboten hat, intensiver schriftlich darüber nachzudenken.


    Ich habe gesehen, daß es auch eine TV-Verfilmung gibt, die ich aber wohl auslassen werde. Mit affenartiger Sicherheit werden für DeMille-Helden stets Schauspieler ausgewählt, die ich überhaupt nicht leiden kann. War es bei "Die Tochter des Generals" John Travolta als Brenner, ist es diesmal ausgerechnet Don Johnson als Tyson. Doch auch sonst scheint es mir nicht sehenswert, denn ich habe den Eindruck, daß Vince Corva in der Verfilmung ausgelassen wurde und das ist unverzeihlich.

  • Hallo Grisel,
    hattest Du "Word of Honor" bisher noch gar nicht gelesen? Irgendwann hatten wir uns doch darüber schon mal unterhalten. :gruebel Wahrscheinlich dann darüber, dass Du vorhattest, es zu lesen.


    "Das Ehrenwort/Word of Honor" habe ich einmal vor vielen Jahren auf Deutsch und später noch mal auf Englisch gelesen, ich kenne inzwischen viele Bücher von Nelson DeMille. Auch meiner Meinung nach ist "Word of Honor" sein Bestes. Die zweite Lektüre des Buches ist zwar auch schon zu lange her, um mich an viele Details zu erinnern, aber das Grundgerüst und der Eindruck sind mir noch präsent und ich schließe mich so Deiner Einschätzung an. Die Puzzleteile fügen sich im Laufe der Handlung erst allmählich zu dem Bild zusammen, was 20 Jahre früher in und durch Ben Tysons Einheit in Vietnam tatsächlich geschehen ist. Der Autor erzählt spannend aber nicht reißerisch, mit Blick auf moralische Fragen und Verantwortung im Krieg und daher immer noch und immer wieder aktuell.