Kurzbeschreibung:
Henri Helder, Spross einer stolzen Eisenbahnerdynastie, macht eine seltsame Erbschaft: ein Paar handgefertigter Lederschuhe mit einer rätselhaften Botschaft des verschollenen Großvaters. Die Spur seines Vorfahren führt vom Orient über Australien und Indonesien bis in die Südsee. Fabelhafte Gestalten beflügeln bald schon Henris Phantasie: Ahmad, der Derwisch mit dem weisen Tiger, die schöne Seidenraupenzüchterin Siyakuu und David Kalakaua, der letzte König von Hawaii. Packende Geschichten über den Bau der Bagdadbahn, Sabotage im Zweiten Weltkrieg, Kolonialgeschichte und deutsche Teilung drängen in sein Leben. Reinhard Stöckel erzählt die weitverzweigte Geschichte einer deutschen Familie, die auf wundersame Weise in die Weltläufe des 20. Jahrhunderts verstrickt ist.
Über den Autor:
Reinhard Stöckel, geb. 1956, ist gelernter Bibliothekar, studierte am Leipziger Literaturinstitut, war u. a. als Gießereiarbeiter und Publizist tätig. In den achtziger und neunziger Jahren Arbeit in verschiedenen literarischen Zirkeln. Er schrieb für Zeitungen und Zeitschriften und veröffentlichte außerdem in Anthologien sowie den Erzählband "Unten am Fluss" (2002). Er lebt mit seiner Familie in Maust bei Cottbus.
Meine Rezension:
Ein Schelmenroman, das ist wohl die beste Bezeichnung für die unglaubliche Geschichte, die Reinhard Stöckel mit "Der Lavagänger" vorgelegt hat. Seine Hauptfigur Henri Helder, so korrekt, vorhersehbar und langweilig wie sein Beruf bei der Eisenbahn, begibt sich anlässlich einer merkwürdigen Erbschaft, einem Paar alter Lederschuhe, auf Spurensuche nach seinem von der Verwandtschaft am liebsten totgeschwiegenen Großvater Hans Kaspar Brügg. Der führte unzweifelhaft ein aufregenderes Leben als sein Enkel, das der Leser zusammen mit Henri mit jeder neuen Information mosaikartig zusammensetzt. Von Cottbus führt die Reise durch die letzten Jahrzehnte und die ganze Welt, kaleidoskopartig entsteht ein farbenfrohes, skurriles, abenteuerliches, tragikomisches Bild des Großvaters, des geheimnisvollen Lavagängers, und der ganzen Familie, die auf ihre Art an den Ereignissen der Weltgeschichte teilnahm.
"Der Lavagänger" ist keine Geschichte, der man nebenbei folgen kann, sie verlangt dem Leser Konzentration und die Offenheit für einen Erzählstil ab, der auf dem Klappentext als virtuos bezeichnet wird, und tatsächlich einiger Gewöhnung bedarf. Wer sich von Ausdrücken wie "tentakelnden Haarsträhnen" nicht abschrecken lässt, und wechselnde Erzählstränge mag, kann sich mit dem Lavagänger auf eine wahrhaft phantastische Reise begeben, die er mit Sicherheit nicht so schnell vergessen wird.
Für mich in mehrfacher Hinsicht ein Abenteuer, das mir 9 Punkte wert ist!