Das Neue Leben

  • Hallo Leute,
    das hier ist mein erster Eintrag im Forum also entschuldige ich mich gleich falls ich etwas falsch mache. also mein Problem ist folgendes: ich muss für die Schule den roman "Das neue Leben" von orhan pamuk zusammenfassen und meine zusatz-/interpretationsaufgabe ist "die rolle des buches im roman". jetzt hab ich den roman gelesen, kann aber nicht wirklich eine rolle rauslesen. vll hat ja einer von euch das buch auch gelesen und kann mir seine meinung dazu sagen.


    MFG

  • hallo, Huckleberry,


    kann es sein, daß Du die Aufgabenstellung nicht recht verstanden hast?
    Du sagst, Du hast den Roman gelesen.
    Frage eins: Wie lautet der allererste Satz?
    Frage zwei: Wer spricht ihn/denkt ihn? Wie kommt der Sprecher auf diesen Satz, der ja eine bestimmte Erkenntnis enthält?



    Deine Aufgabe ist es, Deinen MitschülerInnen klarzumachen, wie genau der, der den Satz spricht/denkt, eben darauf gekommen ist.
    Ist gar nicht so schwer.
    Wenn man den Roman gelesen hat.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • naja osman sagt ja das sich, nachdem er das buch gelesen hat sich sein ganzes leben verändert hat. aber ich kann irgendwie nicht feststellen was das buch darstellt und auf welche weiße das buch das leben eines jeden der es liest verändert.
    PS: fall du mir nicht glaubst das ich das buch gelesen hab dann stell mir doch ne detailierte frage :-] weil ich bin eig. ein begeisterter leser obwohl ich sagen muss das ich das buch nicht weiterempfehlen würde

  • Daß Du an dem Buch knabberst, ist klar. De facto ist es ein harter Brocken, literarisch wie politisch.
    Du bist Schüler, ja? Begeisterter Leser hin oder her, Du muß das ganz langsam angehen und Du kannst auch nur an der Oberfläche kratzen.


    Genau, Osman sagt den Eingangssatz. Im weiteren erfahren wir, wer Osman ist, er studiert, nun mußt Du weiterwissen, es ist echt lange her, daß ich das gelesen habe, irgendetwas Technisches. :gruebel
    Maschinenbau? Ingenieurwesen?
    Da hättest Du einen ersten Ansatzpunkt zum Nachdenken. Menschen, die eher technisch geprägt sind, lesen oft nicht so sehr viel. Also könnte man z.B. fragen, ob Osman durch das Buch so beeindruckt wird, weil er wenig Lese-Erfahrung hat.


    Dann könnte man ein bißchen herumspekulieren, das ist völlig legitim. Was für ein Buch ist ihm denn da unter die Finger geraten? Ein Liebesroman? Hat er auf einmal das Gefühl, seine große Liebe suchen zu müssen? Oder ein Abenteuerbuch. Ist ihm sein Leben plötzlich langweilig und er will auch etwas erleben?
    Oder ein Buch über die Schöheiten der Landschaft? Er lebt ja in der Stadt. Will er raus? Ins Freie? Und was ist dieses 'Freie'?


    Oder ein philosophisches Werk. Will er sehen, wie die Philosophie, welche immer es ist, in der Realität ausieht? Oder will er aufgrund dieser Erkentnisse die Welt und die Menschen in ihr entdecken?
    Solche Ideen köntest Du entwickeln und daran abprüfen, inwieweit die Handlung des Buchs darauf zutrifft.


    Bitte beachte, daß er auch von dem Licht spricht, das ihm plötzlich aufgeht. Was leuchtet da, könnte man fragen. Eine Erkenntnis? Die Wahrheit? Und welche ist das? Bringt er das 'Licht' des Buchs zu anderen? Brauchen sie es? Haben sie eigene 'Lichter', Erkenntnisse?


    Und was für Erkenntnisse, Lichter haben Leserin/Leser? z.B. über die Türkei? Denn um sie geht es. Alt-neu. Tradition-Moderne. Fremd-Vertraut.


    Das sind alles mögliche Wege in diesen Roman und in diesem Roman.


    Dann ist beachten, wohin Osman fährt. Er macht eine Entdeckungsreise. Ins Innere seines Landes und in das Innere seiner selbst. Er berührt auch das Innere anderer Menschen.


    Auch hier mußt Du einfach abprüfen, wie sich die Leute, denen er begegnet, verhalten, wenn er sie zum erstenmal sieht, und wie sie sich verhalten, wenn er weiterfährt.
    Er kommt, was die türkischen Verhältnisse der späten 90er Jahre betrifft, an Orte 'where no man dared before.' :grin
    Er ist ein Entdeckungsreisender. Den Gedanken kann man auch weiterspinnen.


    Vielleicht gab es mal ein Buch, nach dessen Lektüre Du die Welt anders gesehen hast. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob es Lukas der Lokomotivführer, Wilhelm Tell, Kant oder der Friedhof der Kuscheltiere war. Eventuell hilft es Dir beim Verständnis, wenn Du versuchst, Dich zu erinnern, wie Du Dich in jenem Moment gefühlt hast. Osman ist ja erst 22, also noch ganz jung. Er hat noch nicht viel Lebenserfahrung. Da ist eine direkte Identifikation doch ganz gut möglich.


    Du könntest auch noch die Frage stellen, ob und inwieweit Bücher das Leben oder die Welt verändern können. Oder ob die Welt die gleiche bleibt und sich nur der Blick verändert?
    Oder ob das Leben ein Buch ist, das wir lernen müssen zu lesen. Lernen können. Oder auch nicht.


    Das sind die Wege, die für SchülerInnen am ehesten gangbar sind. Versuch, in die Figur zu schlüpfen. Versuch, Parallelen zu finden. Herauszufinden, was Dich angeht von diesem Monument von Buch.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Huckleberry


    :schaem


    Beim Engel hast Du mich erwischt. Diese Figur habe ich nicht kapiert.
    Es ist Canan, ja? Oder auch nicht. :gruebel
    Tut mir leid.
    Das Blöde ist, daß das Buch einen mystischen Aspekt hat, und das ist ein Punkt, an dem es bei mir aussetzt.


    Du könntest vielleicht noch etwas daraus machen, daß im Bus Fernsehen läuft, also Bilder gegen Worte setzen?
    Und diese merkwürdige Tagung auf dem Land bei diesem Dr. Narin (?), der daran glaubt, daß Gegenstände ein Gedächtnis haben. Dabei gibt es auch so schräge technische Erfindungen, die auf eine seltsame Weise den Fortschritt auf die Schippe nehmen. Gerade der zweite Teil ist recht verrätselt, fand ich.


    Das Buch hat viel von den 1990ern. Damals war alles 'Zeichen', die es zu entschlüsseln galt. Die Zeichen aneinandergereiht, waren 'Text'. Den sollte man lesen.


    Ich fand die Lektüre sehr hart (Pamuk ist nicht mein Autor) und habe mich dann so mit mir selbst geeinigt, das Osman 'sein' Land lesen lernt.
    Für mich enthält das Buch eine gewisse Abkehr von der westliche Zivilisation. Eine Rückbesinnung auf die Wurzeln. Ich möchte aber hier nicht darüber theoretisieren, ob das Buch, das Osman las, der Koran war. Dazu ist der Roman zu komplex.
    Selbst wenn man anführen könnte, daß der Name 'Osman' eine religiöse Konnotation hat, und der Schluß schon heftig ist. Ich meine diese Scheinwerfer des westlichen Lastwagens, die da auf den Bus zukommen. Das ist nun echt schwierig. Gibt es einen Zusammenstoß? Überleben sie?


    Schwierig sind auch die Bezüge von Pamuk auf Rilke. Kommt nicht auch Dante vor? :gruebel
    Mit Jules Verne dagegen könntest Du glücklicher werden, hier hättest Du wieder diese Verknüpfung mit der Technik, der Maschinenwelt und dem 'Fortschritt'.


    Sag, daß der Roman hochkomplex ist und nicht leicht zugänglich. Der Satz klingt immer gut.
    :lache


    Hier stimmt er auch, hundertzehnpro.


    Noch was: laß den Wikipedia-Artikel zum Roman weg, er ist sehr literaturwissenschaftlich-spezialisiert. Das führt viel zu weit für Deine Zwecke.



    :wave


    magali



    PS.: Daß 'Canan' Geliebte heißt, weißt Du, ja? Ein Hinweis darauf, daß Pamuk sprechende Namen benutzt in diesem Buch. Es ist nicht nur eine junge Frau, sondern sozusagen die personifizierte Liebe.



    Hat eigentlich niemand sonst hier den Roman gelesen?
    Die Sache mit dem Engel würde mich auch interessieren.
    :grin

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Hat eigentlich niemand sonst hier den Roman gelesen?
    Die Sache mit dem Engel würde mich auch interessieren.
    :grin


    Ich habs noch nicht gelesen... Aber diese ganze Diskussion macht mich recht neugierig... :-)


    Zitat

    Für mich enthält das Buch eine gewisse Abkehr von der westliche Zivilisation. Eine Rückbesinnung auf die Wurzeln


    Diese Rückbesinnung, die du als einen Punkt erwähnst, macht mich jedoch ein wenig misstrauisch, da ich das Beweihräuchern von Tradition in den meisten Fällen problematisch finde - Wie weit geht Pamuk denn da?

  • Kein Weihrauch, in keine Richtung.


    Eines der großen grundsätzlichen Probleme der Türkei, die äußerst diskussionsbedürftigen Reformen unter Atatürk und die gleichfalls höchst diskussionsbedürftige Verklärung traditionalistisch-islamischer bis islamistischer Werte ist ja auch immer das Thema Pamuks. Darum kreist er. Man muß ihn als türkischen Autor begreifen, der sich in einem bestimmten literarisch-ästhetischen und politischen Kosmos bewegt. Daran scheitert die Lektüre hierzulande nicht selten, er wird als 'Aufklärer' propagiert, wobei automatisch vorausgesetzt wird, daß das, was wir unter Aufklärung verstehen, für seine Welt auch rundum Gültigkeit hat.
    Als Denkfalle erweist sich dabei seine umfassende Bildung, die eben auch die westliche Kulturtradition miteinschließt, er arbeitet mit Motiven aus der gesamten europäischen Kunst und Literatur.
    Zugleich ist er kein postmoderner Autor, sondern durchaus der europäischen Moderne und ihren Fragen verpflichtet. Bei ihm herrscht keine Beliebigkeit, auch wenn Engel auftreten.
    Daraus ergeben sich beim Verständnis seiner Bücher enorme Schwierigkeiten.


    Das ist meine Einschätzung dazu. 'Das neue Leben' hat mich streckenweise vor allem verwirrt, auch wenn ich es als toll geschrieben, sehr informtaiv und durchaus emotional berührend empfand. Aber es ist ein Roman, den ich mehr mit dem Kopf gelesen habe, um das mal so auszudrücken, nicht mit dem Herzen. Er ist mir fremd gebleiben, trotz all der Bonbons, die es gibt :lache. Kann man wörtlich nehmen, es geht tatsächlich um Bonbons.


    Daß ich das Ganze nicht vollständig verstanden habe, liegt sicher vor allem daran, daß ich mich eben mit der Türkei nicht besonders gut auskenne. 'Schnee' führt auch unverändert sein stilles Leben in meinem Regal, ich bin inzwischen zum drittenmal daran gescheitert.
    Andererseits führt Pamuk stets bewußt und gezielt die Türkei als fremdes Land vor. Osman lernt sein Land ja auch erst kennen. Nur kann er an bestimmte Erinnerungen anknüpfen, das konnte ich beim Lesen nicht. Keine Bonbons mit Engel-gescmücktem Einwickelpapier in meiner Kindheit, leider.


    Das Gefühl der Fremdheit hat sich bei mir wohl potenziert. Aber ich gebe noch nicht auf.
    Alles hat seine Zeit. Vielleicht komme ich ja auch noch mit Pamuk ins Gespräch. :grin



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Danke für die klarstellende Ausführung, magali, bei "Rückkehr zu den Wurzeln" in islamisch geprägten Ländern schrillen bei nur die Alarmglocken, auch wenn ich von dem, was ich bisher über Pamuk gehört und gelesen habe, ihn nicht damit in Verbindung gebracht hätte.
    Ich denke schon, dass generell Konfliktpotenzial zwischen Tradition und (westlich geprägter) Moderne da ist - nur von meinem unweigerlich von unserem Kulturkreis geprägten Standpunkt ist meine (erste) Reaktion, vor allem da ich weder auführliche Türkeikenntnisse noch das Buch gelesen habe, erstmal eine verwirrte, kritische. Es ist die Außenwahrnehmung - es führt wohl nichts drumrum, ich muss das Buch lesen :rolleyes