OT: Frenchman’s Creek 1941
Schlichte Unterhaltungsliteratur, so heißt es gemeinhin, ist nicht von Dauer, weil sie eng an ihre Entstehungszeit geknüpft ist. Über den Witz vom Januar lacht schon im Februar keine/r mehr, spätestens im März kann man nur noch darüber weinen und ihn dann am besten noch vor dem ersten April vergessen. Wie so viele Behauptungen über Unterhaltungsliteratur ist auch diese richtig und falsch zugleich. Es gibt in diesem Genre Bücher, die sich halten, über Generationen und grundlegende gesellschaftliche Veränderungen hinweg. ‘Die Bucht des Franzosen’ von Daphne du Maurier ist ein solches Buch.
Es ist vornehmlich Unterhaltung, die Autorin ist die erste, die das harte Urteil bestätigt. ‘Just a romance’, sagte sie immer und dabei scheint das Wörtchen ‘silly’ - ‘albern’ jedesmal in der Luft zu schweben. Sie war nie zufrieden mit diesem Buch, das in Hektik und unter Streß innerhalb weniger Wochen Ende 1940 konzipiert und bis zum Sommer 1941 niedergeschrieben wurde. Im Spätherbst desselben Jahres war es bereits auf dem Markt.
Es gilt als historischer Roman, spielen soll es in der Regierungszeit des englischen Königs Charles II., also irgendwann zwischen 1660 und1685. Im Roman ist das nicht recht auszumachen. Die Handlung ist in eine Zeit versetzt, in der Männer gepuderte Perücken tragen und ihre Hemden mit Spitzenmanschetten geschmückt sind, während Damen in Seidenkleidern herumgehen. Man reitet oder fährt in Kutschen und in einer Pistole ist immer nur eine Kugel.
Weit präziser ist du Maurier in ihren Ortsangaben. Frenchman’s Creek, die Bucht des Franzosen gibt es tatsächlich, im Mündungsgebiet des Helford, einem Fluß ganz im Westen Cornwalls. Du Maurier kannte die Gegend genauestens, sie lebte viele Jahre dort.
Die Geschichte beginnt ungewöhnlich. Die Leserin wird nicht in eine andere Zeit versetzt, sondern befindet sich zunächst in der Rolle einer Besucherin der Jetztzeit in der Gegend. Es gibt Autostraßen, die Wiesen und Felder von früher sind weitgehend überbaut, 2010 sicher noch mehr als 1941. In diese Sicht der heutigen Gegend läßt die Autorin Hinweise einfließen, wie es früher einmal war. Dort stand ein Herrenhaus, dort drüben huschte eine Frauengestalt über den Rasen in den angrenzenden Wald, weit hinten, von den Bäumen fast verdeckt, ankerte ein fremdes Schiff. Die Andeutungen schaffen eine höchst attraktive geheimnisvolle Atmosphäre. Auf einmal hört man die Vergangenheit raunen, es ist, als ob die Autorin Schleier um Schleier zurückzieht, bis man unvermutet mitten in der Geschichte angekommen ist.
Es beginnt laut. Dona St. Columb, eine adlige Dame der besten Gesellschaft, Ehefrau, Mutter von zwei Kindern und kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag, ist auf dem Weg zum Landsitz der Familie in Cornwall. Genauer gesagt ist sie auf der Flucht. Vor dem lauten London, vor dem unerträglichen Ehemann, vor allem aber vor sich selbst. Sie ist verwöhnt, gelangweilt, ihrer selbst überdrüssig. In diesem Zustand hat sie in London eine Menge Unsinn angestellt, beinahe hätte sie sogar einen Mann zum Liebhaber genommen, den sie eigentlich nicht leiden kann, und das ist nur eine ihrer kleineren Sünden. Der halbvergessene Landsitz soll Linderung bringen. Ihr vor allem, denn ihre Umgebung ist ihr, abgesehen von ihren Kindern, herzlich gleichgültig. Sie ist anspruchsvoll und launenhaft und überhaupt rundum unausstehlich.
Was sie in Navron, dem Herrenhaus, vorfindet, versetzt ihr einen ziemlichen Dämpfer. Das Haus, um das sich Personal kümmern soll, ist fast leer, ein einziger Diener scheint dort zu herrschen. Er benimmt sich höchst ungebührlich. Am liebsten würde sie ihn vor die Tür setzen, aber ohne Diener geht’s nicht. Sie bleibt, und William auch. Die nächsten Tage vergehen friedlich, Dona verbringt sie zurückgezogen mit den Kindern. Dann hört sie von einem Nachbarn - er macht einen Anstandbesuch, sie findet ihn aufdringlich und lästig - daß ein Pirat die Küste unsicher macht. Ein Franzose, behauptet der werte ( und entsetzlich langweilige) Nachbar, der des Nachts die Herrenhäuser der Gegend plündert.
Natürlich macht sich Dona auf die Suche, natürlich trifft sie den Piraten. Und natürlich beginnt eine ganz wunderbare Liebesgeschichte. Natürlich kommt der Ehemann aus London angefahren und, nicht ganz so natürlich, aber logisch, da er ein Freund des Ehemanns ist, mit ihm der Beinahe-Liebhaber. Zudem haben die ehrenwerten Herren an der Küste es satt, von diesem französischen Piraten ausgeraubt zu werden. Und so setzen sie alles daran, ihn zu erwischen. Dona ist aufgerufen, alles daran zu setzen, daß sie ihn nicht erwischen. Der Schatten des Galgen verdüstert die Geschichte aufs Beste.
All das ergibt bereits einen wirklich unterhaltsamen Abenteuerroman, aber das ist nicht alles. Du Maurier konzentriert sich von Anfang an auf ihre beiden Hauptfiguren, Dona und Jean Aubéry, den Piraten. Sie spielt bekannte Themen durch, vor allem die Rollenzwänge. Dona wäre immer gern ein Junge gewesen, ihr Verhältnis mit Aubéry gibt ihr weidlich Gelegenheit, sich zu verkleiden. Es ist die Freiheit des Männerlebens, das sie anzieht.
Du Maurier beläßt es aber nicht bei diesem etwas abgedroschenen Thema. Sie stellt ihrer wunderbar lebendigen Heldin einen Mann an die Seite, dem seinerseits die Freiheiten des Männerlebens offenbar nicht genügen. Er gibt sich schließlich nicht damit zufrieden, irgendwo in Frankreich seinen Landbesitz zu verwalten, sondern segelt als Pirat, also als Räuber und Mörder, wenn es sein muß, die cornische Küste entlang. Ganz kurz streift die Autorin das Robin-Hood-Motiv, dann läßt sie es fallen und stellt das in den Vordergrund, was ihr eigentliches Thema ist: das Zusammenfinden nicht allein zweier Liebender, sondern zweier Menschen, einer Frau und eines Mannes, die auf Abenteuer aus sind. Die den Kick suchen, würde man heute sagen, zwei Adrenalin-Junkies.
Überaus anschauliche, geradezu berückende Beschreibungen der Flußlandschaft wie des Meeres werden immer zur tiefergehenden Charakterisierung ihrer Figuren herangezogen. Nie verkommt Du Mauriers Cornwall zum Touristenort. Sie läßt hinreißend schöne Stimmungen entstehen, beim Fischen auf dem Fluß, beim abendlichen Feuer am Strand, im sommerschwülen Garten von Navron. Die Leserin ist immer ganz nah, sie fühlt, sie riecht, sie schmeckt, was immer die Autorin ihr vorsetzt. Der Titel lautet nicht von ungefähr ‘Die Bucht des Franzosen’, die Landschaft spielt eine ebenso wichtige Rolle wie die Personen.
Anschaulich und anregend sind auch die Charakterisierungen. Die Dialoge sind knapp, vieles bleibt unausgesprochen, muß man eben aus den Schilderungen der Umgebung der beiden Hauptpersonen erschließen. Es gibt genug Konventionelles, mit Überraschungen an der rechten Stelle. Ehe man jedoch eingelullt wird von all der Romantik, fühlt man immer wieder einen kleinen Widerhaken. Donas Ehemann, Lord Harry St. Columb, bliebt nicht nur ein Tölpel und Narr, sondern hat in seiner Unfähigkeit, Dona zu verstehen, einiges von einem wahrhaft tragischen Helden. Rockingham, der entthrohnte Beinahe-Liebhaber, ist kein platter Bösewicht, sondern enthält auch ein Quentchen Othello, was innerhalb der gesamten Beziehungskonstellation gleichzeitig witzig und traurig ist.
‘Die Bucht des Franzosen’ ist ein Sofa-Buch, etwas zum Wegträumen und doch bliebt etwas, wenn man das Buch zuklappt. Ob es die durchaus moralische Diskussion des Themas Ehebruch ist oder das der Freiheit - wieviel Freiheit brauchen selbst Privilegierte? - oder das Problem der Geschlechterzwänge - Dona ist eine Mutter mit zwei Kindern - an solchen Stellen ist der Roman erstaunlich ernsthaft.
Es gibt zwei Showdowns, der eine rundum filmreif, der andere filmreif und wichtig für die Charakterentwicklung der Hauptfiguren bis zum Ende.
Über den Schluß kann man diskutieren. Ist er logisch? Ist er überhaupt eindeutig?
Siebzig Jahre alt, ein wenig still, gemessen an den knalligen Unterhaltungsromanen von heute, aber beim näheren Hinsehen alles andere als angestaubt. Feine Unterhaltung mit dem gewissen Etwas.