Michel Bergmann - Die Teilacher

  • Michel Bergmann
    Die Teilacher
    Arche Verlag 2010
    gebunden 19,90 Euro


    Der Autor
    Michel Bergmann wird 1945 als Kind jüdischer Eltern in einem Internierungslager in der Schweiz geboren. Nach einigen Jahren in Paris ziehen die Eltern nach Frankfurt am Main. Nach seiner Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau wird er freieer Journalist. Er entdeckt seine Liebe zum Film und arbeitet u.a. als Autor, Regisseur und Produzent. Seit über 15 Jahren schreibt er Drehbücher für Film und TV. Die Teilacher ist sein erster Roman.


    Der Roman
    Der Begriff Teilacher stammt aus dem jiddischen und setzt sich zusammen aus dem Wort "Teil" und dem hebräischen "Laachod", Einzelhandel. Gemeint ist damit ein Vertreter, sozusagen das kleinste Teil des Einzelhandels. "Die Teilacher", das ist eine Gruppe jüdischer Männer aus ganz Europa, die es nach dem Krieg nach Frankfurt verschlägt. Bleiben wollen sie im Land der Deutschen nicht, eigentlich auch keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen. Aber irgendwie muss man ja leben und so beginnen sie Wäsche zu verkaufen. Und obwohl sie eigentlich immer noch weg wollen, in die USA oder nach Palästina, bleiben sie, nie richtig angekommen, immer ein wenig fremd. Fremd auch von den Deutschen, in ihrer Umgebung, die - von wenigen Außnahmen abgesehen - nicht bereit sind ihr Leid anzuerkennen.
    David Bermann ist einer dieser Teilacher und der Onkel von Alfred, dem Erzähler dieses wundervollen Romanes. Als David Bermann stirbt macht Alfred sich auf die Geschichte des alten Mannes zu erzählen, der so viel Leid erfahren hat, der 21 Angehörige in Auschwitz verloren und dafür ein paar tausend Mark Entschädigung erhalten hat. Der aber nie seinen Lebensmut, seine Freude am Verkaufen und an den Frauen verloren hat. Und desser Rettung der jüdische Humor ist. Davon lebt der Roman. Jüdische Witze und jiddisches Idiom sind sozusagen das Rückrad der Menschen von denen er handelt und auch das Rückrad der Geschichte. So ist es Michel Bergmann gelungen eine ungewöhnliche traurige, zuweilen bittere Geschichte zu schreiben, die trotzdem komisch ist und trotz allem eine gewisse Heiterkeit ausstrahlt. Ein ganz tolles Buch, dem ich viele Leser wünsche!
    Eine Leseprobe findet sich hier:
    http://arche-verlag.com/index.php?id=101

  • Die Teilacher, das sind die jüdischen Handlungsreisenden, die sich durch die Vorkriegs- Kriegs- und Nachkriegszeit kämpfen. Vor dem Krieg meist noch mit Familie, nach dem Krieg oftmals die einzig Überlebenden.


    Die Geschichte um David Bermann beginnt 1972 als sein Ziehneffe, Alfred, im Altersheimzimmer des Verstorbenen steht und dessen Habseligkeiten zusammen packen soll. Es fällt ihm schwer, er kann sich nicht konzentrieren - zu tief sitzt noch der Schock und die Trauer über den Toten in den Gliedern. Also beginnt er alte Erinnerungen wieder hervorzurufen: wie er mit seinem „Onkel David“ im Boot sitzt und dieser ihm von der Flucht vor den Pogromen in Galizien 1918 berichtet. Seine Geschwister und er fliehen nach Deutschland und eröffnen das Wäschekaufhaus „Gebrüder Bermann“. Das Geschäft läuft gut, aber David Bermann ist das alles zu konventionell. Während seine Brüder jüdische Töchter heirateten und laut David Bermann selbstverständlich hochbegabten Nachwuchs zeugten, entschied er sich gegen das seiner Meinung nach heuchlerisch burgeoise Leben und bezeichnete sich als “Flaneur”.


    Flaneur. Den Begriff kennt man heute ja nicht mehr. [...] Ein Flaneur ist ein Bohemien, nur dass er das Kaffeehaus wechselt. Die frische Luft muss man allerdings in Kauf nehmen, wie Anton Kuh sagt.[S. 42]


    Aber nicht nur das. In Folge entscheidet er sich sogar zum Entsetzen seiner Familie ein Teilacher – ein jüdischer Handlungsreisender – zu werden. Seine Brüder erklären ihn für verrückt einer so brotlosen Kunst zu verfallen und ärgern sich über seinen Eigensinn:


    Du bist doch eine Schande für die Familie, bist du!
    Da habe ich gesagt: Und du bist a nudnik! Du weißt, was das ist, a nudnik? Ein nudnik ist einer, den du fragst, na, wie geht’s... und er erzählt es dir!
    [S. 43]


    Onkel David erzählt Alfred noch von seiner ersten Liebe Maria, die er in einem Anfall jugendlichen Leichtsinns gleich heiraten wollte und sich großspurig brüstete die Sache mit ihren Eltern zu regeln, die als Deutsche sich womöglich wenig glücklich zeigen würden einen jüdischen Schwiegersohn aufzunehmen. Das Ende vom Lied war ein Veilchen und die Landung im Vorgarten der Eltern.


    David Bermann wird durchweg als lebensfroher Mensch voller „chuzpe“ gezeichnet, der seine Freiheit und sein Junggesellendasein in vollen Zügen genießt. Bermanns Erzählungen sind stets erfrischend, übertrieben und zeugen von großer Fabulierkunst. Abschweifend, spannend und mit einer gehörigen Portion typisch jüdischem Humor erzählt er die Geschichten seines Lebens.


    Später, nach der Beerdigung, geht es weiter mit den Erzählungen. Alfred sitzt mit den verbleibenden Teilachern und Freunden David Bermanns im Café Unterleitner, dem Stammcafé der Teilachermannschaft, und lässt sich dort die Geschichten der Nachkriegszeit erzählen.


    Michel Bergmann hat ein Buch geschrieben, dass beim Lesen ein wohlig warmes Gefühl vermittelt. Es scheint, als wäre man mitten in der Runde, bei einem Kaffee in einem Frankfurter Kaffeehaus 1978. Und so erfährt man aus vielen einzelnen Anekdoten Stück für Stück die gesamte Geschichte der Teilacher. Natürlich sind auch hier die Schreckmomente des Krieges und die Demütigungen nicht ausgelassen. Aber Bergmann verzichtet darauf diese in den Mittelpunkt zu stellen. Seine Figuren sind gezeichnet durch ihre Erfahrungen aber nicht bereit aufzugeben, sondern sich auf zu neuen Ufern machen. Sie raufen sich zusammen, bauen sich ihre Leben neu auf und schauen sogar nach einiger Zeit hoffnungsvoll in die Zukunft. Viele verbringen die Kriegszeit im Ausland und überleben auf diese Weise. Sie alle kehren aber nach Frankfurt zurück und treffen sich dort. Es wird ein neues Wäschehaus eröffnet und so nehmen die Dinge ihren – guten – Lauf. Es ist ein Vergnügen den Teilachern bei ihren spektakulären und schelmischen „peckl“-Verkäufen über die Schultern zu schauen. Und immer wenn’s den Anschein macht, es könnte traurig werden, kommt von irgendwo ein Teilacher her und erhellt die Runde mit einem Witz.


    Sagt eine Frau zur anderen: „Mein Mann ist gestorben.“ „Woran denn?“, fragt die andere zurück. „An einer Erkältung.“ „Gott sei Dank nichts Ernstes!


    Fazit: Ein tolles, warmes Buch mit viel Humor, das ein stimmungsvolles Bild sowohl der Vorkriegszeit in Deutschland als auch über das Zusammenleben der Juden und Deutschen zur Nachkriegszeit vermittelt. Michel Bermann ist ein toller Erzähler, der ein wundervolles Buch geschrieben hat. Sehr empfehlenswert!

  • SueTown hat bereits eine tolle Rezension zu diesem Roman geschrieben, der ich mich vorbehaltlos anschließen kann.
    Anekdotisch erzählt Bergmann aus dem Leben David Bermanns und dessen Freunden, den Teilachern. Aberwitzig, wie diese ihre Wäschepakete an die unwillige Kundschaft zu bringen verstehen. Überhaupt ist Humor eine tragende Säule in diesem Buch, auch wenn es an Tragik ob der bekannten historischen Ereignisse ja auch nicht mangelt.
    Ich habe "Die Teilacher" gern gelesen, wenngleich ich mir einen etwas geordneteren Aufbau gewünscht hätte, mir war´s ein bißchen zuviel Kuddelmuddel, aber auf eine unterhaltsame, intelligente Art.

  • Ich habe das Buch von meiner Stiefmutter empfholen und geliehen bekommen, da sie mit dem Autor befreundet ist. Dazu erzählte sie mir ein wenig über die Zeit damals, als die Teilacher zu einem kamen um einem ihre Sachen zu verkaufen. Das klang recht interessant und so schlug ich abends im Bett das Buch auf und begann zu lesen. Tief in der Nacht schlug ich es wieder zu und war fertig. Ein einem Rutsch gelesen, mit einer Toilettenpause und einem schnellen Sprint in die Küche um mir etwas zum knabbern zu holen.

    Ein wunderbarer Roman mit köstlichem Humor, in einer wunderbaren Sprache und einfach schön zu lesen. Man erfährt von dem Geschäft der Teilacher und mit welchen Geschichten und Tricks sie den Leuten ihre Ware verkauften. Beim lesen fiel mir auf wieviel jiddische Worte ich eigentlich so in meinem Sprachgebrauch habe und wieviel mein Vater davon auch nutzt. Meine über 90 jährige Großtante in Israel sprach immer nur jiddisch, das liebte ich schon als Kind. In diesem Buch lebt diese Sprache weiter und auch sonst bringt Herr Bergmann es einfach fertig, dass man in dieser Zeit versinkt. Ein Buchdeckel gefüllt mit Lebensgeschichten die voll sind von Wärme, Humor und einen auch oft traurig seufzen lassen.


    Gestern war ich auf der Buchpräsentation seines Sohnes Emanuel Bergmann, der mit seinem Debüt Der Trick seinem Vater in nichts nachsteht. Ich sprach kurz mit beiden und bedankte mich für die wunderbaren Lesestunden. Der Trick wird heute abend begonnen. Bin schon voller Vorfreude.