'Die Jesuitin von Lissabon' - Seiten 102 - 216

  • Hier findet sich auch die Szene mit dem Kuss, die Du in Lindau gelesen hast, Titus :-)
    Die ist Dir sehr schön gelungen. Wenn man sie nun im Zusammenhang mit der Geschichte sieht, sieht man, dass Delila zu diesem Zeitpunkt diejenige ist, die wirklich liebt. Vorbehaltlos, während sowohl Antero als auch Leonor ganz andere Dinge im Kopf haben. Und Delila ist es, die am Ende verliert. Sie wird nie erfahren, dass ihr Kuss in Antero etwas ausgelöst hat. Ihr Tod unter den Trümmern hat bei mir hier die Tränen fließen lassen :-(
    Delila mochte ich, Leonore bislang noch nicht wirklich. Noch ist der Standesdünkel, die Eitelkeit und vor allem Ihre Hinwendung zu den Jesuiten noch nicht abgelegt.


    Das ganze Erdbeben ist so bildlich geschildert, dass es mich arg mitgenommen hat. Ich konnte mir gut vorstellen, wie hilflos und furchtbar sich die Menschen gefühlt haben und wie sie vom Feuer weg in Richtung Hafen direkt in ihr Verderben gerannt sind. All die Toten auf den Straßen, all das viele Leid...
    Hier taucht nun auch der Marquise de Pombal (Cavalho) erstmalig auf, dem Lissabon ja seinen Wiederaufbau verdankt.


    Einerseits eine Epoche, in der man so viel herausgefunden hat - Elektrizität, Maschinen, Physik - andererseits steht man vor diesem Naturphänomen ohne jegliche Idee, wie es zustande kommt. Eigentlich sind wir heute noch nicht viel Weiter. Wir wissen zwar, was im Inneren der Erde passiert, kennen die Vorzeichen eines Erdbebens, aber wann es wirklich eintrifft, lässt sich noch immer nicht genau vorhersagen.

  • Uiii gleich zu Beginn des Leseabschnitts die Verwechslung und der Kuss von Antero mit der "falschen Schwester". Ich befürchtete nun das die Rivalität unter den beiden zunehmen würde, was ja auch mit der erzwungen Verlobung von Delila mit Nicolau Fernandes geschah.


    Sehr aufschlussreich auf Seite 111 und 112 das Kennenlernen von Antero mit seiner verstorbenen Frau Julie und der Kurzfassung der Geschichte Portugals. Anschliessend gleich die ersten Versuche von Antero mit Vasco zu erklären wie Erdbeben entstehen.


    Dann folgt die Schilderung des Unvermeidbaren, das was unweigerlich folgen muss: das Erdbeben! Über etliche Seiten zieht sich die aufwühlende Beschreibung der Verwüstung und den Folgen, zuerst Brände und anschliessend die Flutwelle. Meiner Meinung nach behält Titus Müller hier seinen Stil bei und verzichtet auf billige und unnötige Effekthascherei. Will sagen das das sich abspielende Drama ist auf jeder Zeile fühlbar ist aber auf primitive, blutige Detailbeschreibungen der Verletzten und Toten verzichtet wird. Der Schrecken wird dann auch inhaltlich gesetzt mit dem überraschenden Tod von Delila! Mit dem habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet.


    Dann schafft es Antero zum Königshof und sogar zum König vorzudringen und ihn von sich und seinen Ansichten zu überzeugen. Er wird dann auch Fürsprecher für Sebastian de Carvalho. Ich vermute das die Verbindung Antero und Sebastian de Carvalho noch bedeutsam werden könnte. Siehe die letzten beiden Seiten dieses Leseabschnitts.

  • Im ersten Abschnitt wurde ja nur kurz erwähnt, dass Julie auf dem Scheiterhaufen starb. Nach Anteros Reaktion auf das neue Kindermädchen hatte ich mir gedacht, dass der Grund dafür im Glauben zu suchen ist und dass Juli vielleicht eine Marranin war. Ich hätte nur nicht vermutet, dass 200 Jahre nach der Vertreibung der Juden aus Portugal noch immer Juden auf dem Scheiterhaufen starben.

  • Mir gefällt es, wie manchmal Erinnerungen in die Handlung eingeschoben sind, z.B. Anteros Gedanken an Julie, wie er sie kennen gelernt hat, wie er sie vermisst. Die Vergangenheit belastet ihn, er hat sogar noch Alpträume (Kap.12)
    Obwohl Julie nur eine kleine Rolle hat, funktioniert sie als Figur gut.


    Zwischendurch mal wieder eine Bento-Szene, die ich besonders mag. Hoffentlich ist er bald wieder bei der kleinen Herrin!


    Das Erdbeben war vom Leser erwartet, aber bei aller kürze dramatisch geschildert!


    Zitat

    Original von sapperlot
    Der Schrecken wird dann auch inhaltlich gesetzt mit dem überraschenden Tod von Delila! Mit dem habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet.


    Von Dalilas Tod bin ich auch sehr überrascht, da ich eher erwartet hätte, dass Leonore stirbt und Dalila ihren Platz (wie beim Rollentausch beim Kuss) einnimmt.


    Zitat

    Original von Bouquineur
    Delila mochte ich, Leonore bislang noch nicht wirklich. Noch ist der Standesdünkel, die Eitelkeit und vor allem Ihre Hinwendung zu den Jesuiten noch nicht abgelegt.


    Allerdings hat das Erdbeben, der damit verbundene Tod der Schwester und Anteros Verwechslung etwas in ihrem Inneren aufgebrochen und einen Wandel bewirkt. Als Leser findet man langsam etwas mehr Zugang zu ihr.


    Viel ist zerstört, unter anderen der Palacio Oldenberg, die Bibliothek und als weiterer harter Schlag Vascos Tod.


    Das Kapitel 15 mit Samira und den Prinzessinnen war anrührend. Ein kleiner dialogischer Zweikampf, bei dem Samira wegen ihrem Hund doch glatt gewinnt. Allerdings wird ihr auch klar, dass sie durch das Erdbeben ihr Zuhause verloren hat. Ihr Vater ist ja nur gelegentlich (selten) da, anders ist sie das nicht gewohnt.

  • Das ist für mich spannend zu lesen, dass ihr gerne erfahren habt, wie Antero und Julie sich kennengelernt haben! Ursprünglich wurde es nämlich im Roman gar nicht erzählt, weil ja Julie nicht mehr lebt und ich deshalb nicht zuviel über sie schreiben wollte. Mein Lektor sagte aber: Titus, du musst die Erinnerungen an Julie vertiefen. Schreib auch, wie Antero sie kennengelernt hat.


    Guter Lektor! :-)


    Als ich den Tod Dalilas geschrieben habe, habe ich auch geweint ... :-(

  • Damit hätte ich ja nun nicht gerechnet, dass Dalila stirbt. Ich warte noch immer darauf, dass sie doch nur scheintot ist und wieder zum Leben erwacht. Jedenfalls eine sehr schöne Szene, dass sie ihr Leben für die Tochter ihrer großen Liebe opfert.
    Das Erdbeben von Lissabon war wahrscheinlich so entsetzlich, dass es unser Vorstellungsvermögen bei weitem übertrifft. Ich stelle es mir jedenfalls sehr schwierig vor, solche Szenen in einem Roman zu beschreiben. Das hat Titus sehr gut und spannend dargestellt.
    Und wie Herr Palomar bereits geschrieben hat, wird auch Leonor dem Leser angesichts all der Schrecken jetzt sympathischer und zugänglicher. Ich freue mich schon auf die nächste Begegnung mit Gabriel Malagrida.

  • Von solchen Überraschungsmomenten kann ein Roman profitieren.


    Im Schach würde man das wohl ein Damenopfer nennen!


    Die Erwartungshaltung wird gebrochen und als Leser ergeben sich neue Handlungspotenziale, die es zu durchdenken gilt. Daher halte ich die Entscheidung für richtig für den Roman, auch wenn ich Dalila vermisse.
    Immerhin hat sie Samira gerettet und wird auch deshalb in Anteros und Leonors Erinnerungen bleiben!

  • Die Ereignisse nach dem Erdbeben haben mich ganz in ihren Bann gezogen. Das Chaos, die Verwirrung der Menschen, die vor dem Nichts stehen und nur das nackte Leben retten konnten, stelle ich mir schrecklich vor. Dazu die aus dem Gefängnis Entwichenen, die vor nichts zurückschrecken und zwischen all dem Elend der König, der sich vor allem um die Wiederherstellung seines Gartens sorgt und die eben erst erfundene Stimmgabel bewundert.
    Diese vielen kleinen Details, die Titus da einfließen läßt, gefallen mir überhaupt sehr gut. So habe ich im 1. Abschnitt auch erfahren, dass das Klavier, die Berline und der Blitzableiter noch moderne Errungenschaften waren.
    Besonders sorgfältig lese ich alles über Malagrida. Dieser Orden mit seinem Kadavergehorsam und dem Motto "Allen alles sein" hat mich schon immer interessiert. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es etliche Frauen gab, die bedauerten, dass der weibliche Zweig nur kurz existierte. Deshalb kann ich Leonor verstehen, die ebenfalls in den Sog der Jesuiten gerät.
    Die Gedanken Bentos, der ahnt, dass das Böse aus der Erde kommen wird, gefallen mir in diesem Abschnitt besonders gut. Er kann nicht verstehen, dass seine Rudelführer so dumm sind, und das nicht auch schon bemerkt haben. Wie viele heute lebende seiner Artgenossen werden ebenfalls oft an der Dummheit ihrer Rudelführer verzweifeln!

  • Hier fand ich wieder die Sicht des Hundes toll. Klasse, wie du versucht hast, aus einem Hundeverhalten ganz viele Gedanken zu machen!


    Das Beben ist toll formuliert.
    Das Kopfkino wird voll ausgenutzt, es ist spannend, rasant und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.


    Dass Vasco stirbt, finde ich sehr traurig. Er war mir, auch ohne ihn als Charakter näher zu kennen, sehr symphatisch.


    Und auch Dalilas Tod ist sehr tragisch geschildert. Sie hat ihr Leben für ihre große Liebe gegeben....
    Aber auch gut, das Leonor dann bemerkt hat, dass sie ihre Schwester wohl doch geliebt hat. Und sie sich fragt, warum sie ihr das nicht öfter gezeigt oder gesagt hat.
    Ja, daran ist viel Wahres. Daran muss man sich ein Beispiel nehmen!


    Dann die Flutwelle: Finde ich excellent fomuliert. Durch die kraftvolle Sprache drückt diese ganze Katastrophe sehr viel Zerstörung und Stärke aus.


    Und gut, das Antero dann endlich die Wahrheit mjit seiner Tochter sagt.
    Und es ist traurig, irgendwo aber auch schön, dass er seiner verbotenen Liebe immernoch nachtrauert.
    Schön, dass man da auch so etwas über das Kennenlernen erfahren hat.
    Ich bin neugierig, ob nicht bald auch noch ihr Tod ein bisschen aufgedeckt wird. Die Umstände, warum, wieso, weshalb.


    Auch die Szenen beim König fand ich interessant. Dass der sich erstmal mit den Blumen beschäftigt und dann seine Stimmgabel rausholt.... :fetch


    Es bleibt weiter spannend!

  • schade, dass dalila sterben musste, aber dramaturgisch natürlich interessant für die entwicklung von leonor.
    nach den abrantes nun noch ein bekannter name: braganza/braganca. eine familie dieses namens war meiner meinung nach mit den habsburgern irgendwie verschwippschwägert.
    der könig scheint etwas absonderlich, aber das sind könige in historischen romanen häufig, vielleicht waren/sind sie es ja auch in der realität.
    die schilderung des hauptereignisses des zweiten teils, des erdbebens, hat mich in seiner eindringlichkeit schwer beeindruckt. schon anteros anstrengende bemühungen, sich freizuschaufeln, lassen erahnen, wie es beispielsweise auch den vielen verschütteten nach den bomben im zweiten weltkrieg gegangen sein muss.
    das versteckspiel leonors, die anfangs antero nicht widerspricht, als er sie für ihre verstorbene schwester dalila hält, ist vielleicht aus ihrer sicht großteils verständlich, gefiel mir aber weniger. auch habe ich meine zweifel, ob das beben mit seinen folgen sie wirklich und dauerhaft geläutert hat.
    auf jeden fall ist das buch bisher wieder einmal überaus spannend und ich freue mich auf das weiterlesen.
    und ja, der rat des lektors hinsichtlich julie war gut.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von maikaefer
    nach den abrantes nun noch ein bekannter name: braganza/braganca. eine familie dieses namens war meiner meinung nach mit den habsburgern irgendwie verschwippschwägert.


    Hallo Maikäfer,


    von den Adligen habe ich niemanden erfunden, die gab's alle wirklich.


    Dom Pedro de Bragança (1718-1761)
    Herzog von Lafões, Oberster Richter, verantwortlich für die zivile Regierung des Königreichs


    Dom Diogo de Noronha (1688-1761)
    Der dritte Marquês de Marialva, Großmeister der Pferde, verantwortlich für die militärische Regierung


    Fernão Telles da Silva
    Präsident des Senats und der Oberste königliche Jäger, verantwortlich für die ökonomische Verwaltung


    Marquês de Abrantes
    Oberkommandierender


    Der Herzog von Aveiro und die Marquesa de Tavora werden ja im Roman noch wichtig (so wie sie es auch im echten Leben waren), ich glaube, ich habe im Zusatzmaterial einiges zu ihnen geschrieben.


    Finde ich aber klasse, wenn sich jemand so bis ins Detail interessiert! :-)


    Herzlich,


    Titus

  • Das Erdbeben fand ich sehr eindrücklich geschildert - stellenweise fand ich es so realistisch/ schrecklich, dass ich mir ein Tränchen verkneifen musste.
    Komischerweiser ging mir Dalilas Tod nicht so nahe, obwohl sie quasi "heldenhaft " starb um Samira zu retten. Leider kommt Leonors Einsicht bezüglich ihrer Schwester etwas zu spät. Aber hier macht sich erstmals bemerkbar das auch sie einen guten Kern in sich trägt. Ich bin gespannt was da noch zu Tage kommt, denn Leonor erscheint mir sehr vielschichtig.
    Mir hat es gut gefallen zu lesen, wie Antero und Julie sich kennengelernt hatten. Die Erinnerungen an Julie zeigen mir eine Seite von Antero, welcher mir gut gefällt.
    Auch die Abschnitte aus Bento`s Sicht fand ich toll - was in so einem Hund doch alles vorgehen kann... tolle Idee!

  • ich babe jetzt mal gegooglet:
    zu zeiten napoleon I. trug sein marschall junot den titel des herzogs von abrantes
    und
    "Maria Theresia Braganza, Infantin v. Portugal (1855 - 1944)" war die dritte ehefrau eines der schwäger von kaiserin elisabeth (sisi).

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Hu, das war für meine frühmorgendliche Leserunde (ich bin seit 4 Uhr wach und konnte nicht mehr einschlafen) doch ein bisschen starker Tobak.
    Ich habe noch gar nicht realisiert, dass Dalila wirklich tot ist. Ich glaube fest daran, dass sie noch zurückkommt.
    Wirklich wunderbar finde ich die Szenen mit Julie. Das erste Annähern auf der Bank, die stundenlangen Gespräche - wünschen wir uns nicht alle, auf diese Weise der großen Liebe zu begegnen?
    Und auch bento ist wieder da, ich hoffe, er findet zu Samira zurück, sie kann einen Freund gebrauchen.
    Und was Leonor betrifft, nach diesem Abschnitt ist sie mir ans Herz gewachsen, auch wenn sie jetzt eine erstaunliche Naivität an den Tag legt und Malagrida zu Antero führt.
    Die Szenen des Erdbebens sind wirklich sehr eindringlich, ich hoffe, dass wir so etwas nie selbst erleben müssen.

    :lesendCharlotte Roth - Grandhotel Odessa


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Zitat

    Original von Nachtgedanken


    Die Szenen des Erdbebens sind wirklich sehr eindringlich, ich hoffe, dass wir so etwas nie selbst erleben müssen.


    ich stimme in beiden punkten zu!

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)