Chimamanda Ngozi Adichie - Die Hälfte der Sonne

  • Chimamanda Ngozi Adichie – Die Hälfte der Sonne
    Btb, 637 S.
    Originaltitel „Half of a Yellow Sun“


    Kurzbeschreibung:
    Chimamanda Ngozi Adichie erzählt in ihrem preisgekrönten Roman von der hoffnungsvollen Gründung und der grausamen Zerschlagung des Staates Biafra in den Sechzigern. Sie erzählt von den Menschen dort, einem Dorfjungen, einer privilegierten jungen Frau und einem englischen Schriftsteller, deren Wege sich kreuzen und deren Leben vom Krieg unwiderruflich verändert wird. Sie erzählt, am Beispiel Biafras, von Afrika.


    Die Autorin:
    Chimamanda Ngozi Adichie wurde 1977 in Nigeria geboren und studierte dort Medizin, ging 1998 in die USA und machte ihren Abschluss in Kommunikationswissenschaften. Sie bekam mehrere Preise für ihre Kurzgeschichten. "Blauer Hibiskus" war auf der "Shortlist" für den "Orange Fiction Prize 2004", für „Die Hälfte der Sonne“ erhielt sie den Orange Prize for Fiction 2007.



    Meine Meinung:
    1967, der südöstliche Teil von Nigeria, dessen größter Volksstamm die Igbo sind, erklärt seine Unabhängigkeit von Nigeria. (Nigeria besteht aus unzähligen Volksgruppen, die größten sind im Norden die muslimischen Hausa-Fulani, im Südwesten die Yoruba, im Südosten die Ibo, auch Igbo geschrieben). Doch der Staat Biafra wird von kaum einem Land anerkannt und kurz darauf greifen die nigerianischen Truppen an, und es beginnt der Biafra-Krieg (1967-1970). Vor diesem Hintergrund spielt der Roman. Der Titel „Die Hälfte der Sonne“ bezieht sich auf die Flagge Biafras, auf der eine halbe Sonne abgebildet war.


    Der Roman beginnt in den frühen Sechziger Jahren, einige Jahre vor Beginn des Biafra-Krieges und wird aus der Sicht dreier Charaktere erzählt. Ugwu, ein Dorfjunge, kommt als Houseboy zu Odenigbo, einem linksintellektuellen Dozenten an der Universität von Nsukka. Ugwu merkt bald, dass sein Master anders ist als andere, denn Odenigbo schickt ihn zur Schule und lässt ihn Bücher lesen. Bald kommt dann Olanna ins Haus, die aus einer wohlhabenden Familie stammt, und ebenfalls an der Universität von Nsukka arbeitet und mit der Odenigbo eine Beziehung hat, aber nicht verheiratet ist.
    Dann ist da noch der Engländer Richard Churchill, ein Journalist und Schriftsteller, der nach Nigeria kam, um ein Buch zu schreiben und der sich in Kainene, Olannas Zwillingsschwester verliebt. Aus der Sicht dieser Charaktere wird der Roman erzählt.


    Nachdem wir die Charaktere und ihre Lebensumstände kennengelernt haben, macht der Roman einen Sprung in die späteren Sechziger Jahre. Ein erstes Massaker an den Igbo findet statt, Biafra erklärt sich für unabhängig, Nigeria kann das natürlich nicht zulassen, und bald rückt dann der Krieg näher, es gibt Luftangriffe, Bomben fallen. Die Leute fliehen, hungern, sterben, mittendrin die Charaktere, auch sie kämpfen um ihr Überleben, müssen fliehen, Nahrungsmittel auftreiben, sehen andere sterben, helfen im Flüchtlingslager aus, jeder auf seine Weise, bis schließlich alles vorbei und Biafra am Ende ist.


    Wie auch schon in „Blauer Hibiskus“ erzählt die Autorin auf eindringliche Weise von Charakteren, die einem nahe gehen und berühren. Als der Krieg richtig in Gang kam, hatte ich wirklich manchmal Sorge weiterzulesen, da ich Angst davor hatte, dass einer der Charaktere sterben könnte. Mich hat der Roman sehr bewegt und berührt, und auch ein Stück Geschichte nahe gebracht, von dem ich keine Ahnung hatte, da ich immer nur wusste, dass es irgendwo und irgendwann einen „Biafra-Krieg“ gegeben hatte, der schmutzig und leidvoll war, aber ansonsten überhaupt nichts davon wusste.


    Mein Fazit: sehr empfehlenswert.



    Edith wollte noch ein paar Satzzeichen verändert haben.

  • Eine enge gegenseitige Abhängigkeit verbindet „Master“ Odenigbo und seinen Hausboy Ugwu, der mit circa 10 Jahren in dessen Haushalt kommt. Ugwu scheut sich vor keiner Arbeit und verkündet stets optimistisch, Master, ich kümmere mich darum, ich kann das, selbst wenn er das Geforderte noch nie zuvor getan hat. Ugwu erlebt im Dienst bei Odenigbo seine prägenden Jugendjahre. Auch Odenigbos Lebensgefährtin Olanna nimmt Ugbu in sein Herz auf und verteidigt "seine Herrin" gegen jeden nur vorstellbaren Angriff.


    Olanna und ihre Zwillingsschwester Kainene begehren jede auf ihre Art gegen die Moralvorstellungen ihrer Eltern auf. Der Vater der Frauen ist ein traditioneller Stammes -„Chief“. Kainene lebt mit einem weißen britischen Autor zusammen, der ursprünglich ein Buch über Nigeria schreiben wollte und durch den Biafra-Konflikt unfreiwillig zum Kriegsberichterstatter wird. Unter den Schwestern herrscht die unausgesprochene Übereinkunft, hauptsächlich Olanna müsse den Eltern gefallen, traditionell heiraten und Enkelkinder in die Welt setzen. Odenigbo, obwohl Angehöriger der bürgerlichen Mittelschicht mit Studienabschluss in England, spielt die Rolle des leichtfertigen Liebhabers, der seine Partnerin betrügt, sowie sie nur das Haus verlässt. Die Generation der beiden Schwestern steht stellvertretend für eine moderne, gebildete Generation, die in einen hartnäckigen Machtkampf gegen den Aberglauben der Elterngeneration verwickelt ist. So reist Odenigbos Mutter frohgemut aus ihrem Heimatdorf an, um mit Hexenkräften ihren Einfluss auf die Lebensplanung ihre Sohnes geltend zu machen. Als der Biafra-Krieg ausbricht, verlieren Odenigbo, Olanna und die kleine Tochter „Baby“ ihre Heimat und müssen sich in die Flüchtlingsströme einreihen. Den Erwachsenen und Ugwu wird mit jedem Tag deutlicher, wie gefährdet jeder in dieser eingeschworenen Familiengemeinschaft durch die politischen Ereignisse ist.


    Die „Hälfte der Sonne“ tritt im Buch als Uniformabzeichen der Soldaten Biafras auf. Bemerkenswert, dass das Fehlen der Sonne als Symbol für komplette Anarchie steht, wenn Kämpfer auf der Seite Biafras, die keine Uniform tragen, rauben, vergewaltigen und Männer jeden Alters von der Straße weg zum Kriegsdienst zwingen. Adichies Roman ist nicht nur ein Buch über einen Krieg, der sich durch die Bilder der damit verbundenen Hungersnot besonders ins Gedächtnis Europas eingegraben hat, sondern auch ein Familienroman. Besonders eindrucksvoll fand ich die Figur des Ugwu, der sich von den Protagonisten am erstaunlichsten entwickelt. Aber auch Richard ist eine bemerkenswerte Figur, stellvertretend für die weißen Expatriats, die damals als Mitarbeiter von Mineralölgesellschaften in Nigeria lebten. Auch durch Richards Probleme, sich in die Clan- und Familienstrukturen Nigerias hineinzuversetzen, verdeutlich Adichie, wie Nigeria in den 60ern des vorigen Jahrhunderts funktionierte.


    8 von 10 Punkten

  • Hungernde Kinder in Biafra - was weiß ich schon davon? Eigentlich nichts, ich war doch selber nur ein Kind zu der Zeit, eins, das mit Hinweis auf diese hungernden Kinder in Afrika ermahnt wurde, seinen Teller aufzuessen ...


    Adichie macht sich auf, eine weitere Geschichte aus ihrer Heimat zu erzählen, um eine entscheidende Zeit in der afrikanischen Geschichte zu erleuchten. Und wie auch in ihren anderen Bücher kann dies nicht nur eine einzige Geschichte sein. Sie beschreibt Nigeria in den 1960er Jahren aus einer Vielzahl von Perspektiven, die verschiedene soziale Klassen und politische Meinungen vertreten.


    Aber das ist nicht nur ein weiterer trockener Geschichtsunterricht. Durch Adichies Worte werden Ugwu, Odinigbo, Olanna, Kainene und Richard lebendig und sind nicht nur Namen, die zu schwer für einen westlichen Leser auszusprechen sind. Sie leben, lieben und leiden


    Die Erzählung bringt den Kampf eines Volkes auf eine persönliche Ebene, auf die sich der Leser beziehen kann. Die Schrecken des Krieges sind da, aber sie überwältigen die Geschichte nicht. Ich konnte nicht aufhören zu lesen, um herauszufinden, was mit ´meinen´ Protagonisten und dem Land passieren würde.


    Am Ende gab es kein Zögern von mir, eine 5-Sterne-Bewertung zu geben und dieses Meisterwerk in die Liste meiner Lieblingsbücher aufzunehmen. Und ich bin schon gespannt auf das nächste Buch von Chimamanda Ngozi Adichie.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich