'Die Lichter des George Psalmanazar' - Seiten 001 - 064

  • Mein allererster Eindruck war: Gewöhnungsbedürftig, allerdings habe ich mich sehr schnell an den Schreibstil gewöhnt und finde ihn sehr schön.


    Im ersten Abschnitt tauchen einige seltsame Typen auf, allen voran natürlich George, der typ ist wirklich faszinierend. was der Bischof wohl wirklich mit ihm plant? Allerdings war George allein und frei, ohne den Bischof besser dran, er scheint ja immer gut zurecht gekommen zu sein.


    Auch Mr. Johnson und seine ganze Familie sind ja ziemlich schräg drauf, vor allem interessiert mich, was mit der kleinen Lucy los ist, sie wird von mr. Johnson ja ziemlich unsanft unter Druck gesetzt, das arme Ding. :-(

  • Ich habe genau dieselben Gefühle und Eindrücke wie damals als ich Charlotte Lynes "Die Glocken von Vineta" gelesen habe. Wie damals bin ich überrascht ab der erhabenen Sprachgewalt und ich brauchte tatsächlich ein paar Seiten bis ich mich eingelesen habe und mich auf die Geschichte konzentrieren konnte. Vom Erzähl- und Schreibstil her erinnert es mich übrigens frappant an Charlotte Lyne. Kein Wunder das Charlie dieses Buch innert kürzester Zeit gelesen hat. :zwinker Ich für meinen Teil werde dann doch etwas mehr Zeit benötigen um dieses Buch zu lesen...


    Daniela Dröscher Kann es sein das Du, ich erlaube mir mal dich zu duzen, eine ganz sprachvernarrte Person bist? Die Art wie Du schreibst bzw. die Geschichte erzählst und das aussergewöhnliche und umfangreiche Vokabular lassen mich zu diesem Schluss kommen.


    Inhaltlich kann ich mich nach diesen paar Seiten noch nicht gross äussern. Die Einführung des verschrobenen Georg ist gelungen und es macht Spass ihm beim erfinden und lernen des formosischen Alphabets und der Sprache über die Schulter zu schauen. Wie Zwergin schon erwähnt hat, ist Mr. Johnson und seine Familie etwas speziell und eigenartig, dies passt dann wiederum hervorragend zu Georg Psalmanazar. Ich freue mich jetzt schon wenn die beiden Parteien aufeinandertreffen, das dürfte eine hochinteressante Begegnung werden.

  • Hallo,


    ja," sprachvernarrt", das ist vielleicht ein noch treffender Ausdruck als "Sprachgewalt", damit hat der Verlag geworben. Vernarrt sein heißt auch, dass man die Sprache nicht im Griff hat, sich von ihr verführen lässt... Die Balance zwischen Sprache und Erzählen zu halten, das ist eigentlich die große Herausforderung für mich beim Schreiben, merke ich. Und in meinem Debüt hat die Sprache mitunter einen höheren Stellenwert als das Erzählen, und das ist vielleicht das, was vielen den Einstieg nicht leicht macht bzw. einen immer wieder abbrechen lässt. Was mir allerdings sehr wichtig ist, sind die Figuren. Die müssen 'echte' Figuren sein, das heißt, in ihnen muss sich Himmel & Hölle kreuzen, sie müssen ebenso zärtlich wie grausam sein können.


    Und zu der Familie Johnson, was deren Arbeit betrifft: Elizabeth, die Mutter, hat aus ihrer ersten Ehe ein Erbe. Von dem leben sie. Mr. Johnson bekommt für deine Bücher Geld, oder auch Auszeichnungen, wie sein Poem. Und außerdem ist er Ghostwriter (für einen Pfarrer in Lichfield, seinem Geburtsort).

  • Es ist interssant, was du zum Schriftbild sagst. Weil ich - Sprachopulenz hin oder her - auch meinen Stil als mager oder spartanisch bezeichnen würde. (und vielleicht schlägt sich das auch im Schriftbild nieder...)
    Es ist der Versuch, in so weniger Strichen wie möglich eine Figur, eine Szene zu zeichnen. Vorbild hierfür ist tatsächlich ein 'japanisches Erzähen'. Es gibt von der Hofdame Sei Shonagon das sog. "Kopfkissenbuch", das ist in Tagebuchartigem Stil geschrieben, es verzeichnet nur Stimmungen und Eindrücke, und erzählt 'nichts'; daher habe ich bswp. die Idee zu Lucys Liste aller schönen Dingen...
    Liebe Grüße!

  • es war nicht ganz einfach, sich auf die Figuren einzulassen, aber jetzt, am Ende dieses Abschnittes, bin ich drin.
    George, der Ärmste hat eine Sonnenallergie, oder? Da muss die Behandlung durch den Bischof ja die reinste Tortur für ihn gewesen sein. Seine Beschäftigung mit Formosa ist für mich interessant, ich war 2009 auf Taiwan und der ein oder andere Brocken der Geschichte taucht auch hier wieder auf.
    Lucy finde ich interessant, vor allem die Perspektive, in der über sie erzählt wird. Das ist wie die Welt mit den Augen eines Kindes sehen. Johnson kam mir wage bekannt vor und siehe da, es ist DER Johnson. Jetzt ist wohl die richtige Gelegenheit, mal sein Journey to the Western Isles of Scotland aus dem SUB zu ziehen.

    :lesendCharlotte Roth - Grandhotel Odessa


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Zitat

    Original von sapperlot
    Ich habe genau dieselben Gefühle und Eindrücke wie damals als ich Charlotte Lynes "Die Glocken von Vineta" gelesen habe. Wie damals bin ich überrascht ab der erhabenen Sprachgewalt und ich brauchte tatsächlich ein paar Seiten bis ich mich eingelesen habe und mich auf die Geschichte konzentrieren konnte.


    Fuer dieses Kompliment bedanke ich mich zwar und freu' mich zum Im-Dreieck-Huepfen -
    - aber von mir weisen muss ich es leider doch.


    Vielleicht muessen wir hier einmal definieren, was wir mit Sprachgewalt meinen?
    Mein Erstling ist zweifellos "sprachgewaltig", wenn man damit meint, dass der unerfahrene Autor wahre Panzer, bis obenhin bewaffnet mit den dicksten, furchteinfloessendsten Wortbrocken, die er finden konnte, auffaehrt, um den Leser zu beschwoeren: BITTE GLAUB MIR!
    Da ist ein Autor am Werk, der in seine eigene Sprache gar kein Vertrauen hat. Der sich manieristisch verdreht, bis er vor Nackenschmerzen halb blind wird, weil er einfach nicht glauben kann, dass das gerade Wort, das ihm als erstes einfiel, genuegen koennte.


    All das haben die "Lichter des George Psalmanazar" nicht noetig. Ja, ich finde, dieser Roman ist sprachgewaltig, aber nicht, weil diese Sprache verzweifelt versucht, Gewalt auf einen womoeglich unwilligen Leser (und eine womoeglich noch unwilligere Geschichte) auszuueben, sondern weil sie sowohl mich als auch ihren zu transportierenden Stoff - und dazu auch noch sich selbst - in der Gewalt hat.
    Es ist ja eine Sprache, die sich - Gewalt hin oder her - erlauben kann, ganz leicht daherzukommen und zu spielen. Mit uns, mit der Geschichte, mit sich.
    Es ist eine Sprache, die vor lauter Gewalt nicht unbeweglich wird, sondern zahllose Register ziehen kann.
    Ich denke: Es ist vor allem eine angemessene Sprache.
    Einer der seltenen Faelle, wo ich nach wenigen Seiten aufatme, weil mich das beruhigende Gefuehl packt, ich muesse die Sprache nicht laenger belauern, nicht auf der Hut sein vor ihr, weil sie mir versichert, nicht mehr aber schon gar nicht weniger zu sein als die bestmoegliche Sprache fuer das, was es zu erzaehlen gibt.


    Alles Liebe von Charlie


    P.S.: Ich habe gerade fuerchterlich wenig Zeit, freu mich aber so darauf und darueber, mit Euch diesen praechtigen Roman noch einmal zu lesen. Deshalb bitte nicht boese sein, wenn ich nur alle zwei oder drei Tage poste, ja?

  • sonnenallergie, genau, und eine richtig fiese. eine, die einen bis zu einem gewissen grad lebensunfähig / aussätzig macht. vielleicht hat es es sogar etwas von einer lichtallergie (wie hannelore kohl, auch so eine unglaubliche geschichte...)
    ich habe vor gefühlten jahrzehnten einmal einen bericht gesehen über ein 14jähriges mädchen, das so empfindlich auf die gifte in der luft, der umwelt reagiert, dass sie in einem schutzzelt leben muss, das im garten ihrer eltern aufgebaut ist. ich glaube, davon hat dieser erfindung ihren ausgang genommen


    und: fast alle zitate stammen aus boswell's johnson-biographie. aus der alten übersetzung (bei diogenes erschienen), die neue (acuh diogenes) kenne ich nur aus dem munde roger willemsesn, der das als hörbuch - und zwar absolut großartig! - liest

  • halle liebe charlie,


    ich freu mich sehr über das, was du schreibst. und ich muss unbedingt "die glocken von vineta" lesen!


    ja, die gewalt, ich habe mich auch gescheut, das in der verlagswerbung so benannt zu sehen, dachte dann aber, ja, vielleicht stimmt es. weil die sprache ja etwas will. zumindest nicht 'durchsichtig' sein will.
    keine sprache, die überlesen werden will oder durch die man hindurchliest (was ja sowieso nicht geht, ich kann das jedenfalls nicht...)


    vielleicht aber ist sprache immer gewalt, trägt immer eine spur davon. wie war das gleich? - die frühesten zeichen sind schließlich in den körper geritzt...
    für lucy z.B. ist es sicherlich so. auch george quält sich ja mit seinem buch. auch mr. johnson, nur dass er es nicht zugeben kann / darf, denn er ist ein gelehrter.


    liebe charlie, ich freue mich sehr, dass du dabei bist! ich überlege mal, mit welchem bild ich meine sprache umreißen würde (mit dem meer, denke ich spontan). ich schaue heute abend später noch einmal rein!
    liebste grüße
    d

  • Eingefallen ist mir noch: Komplexe Sprache.
    Das klingt zwar nicht ganz so chic, aber ich kann damit in Bezug auf Deinen Roman mehr anfangen.
    Die Sprache faechert sich beim Lesen auf.


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Camdenesque


    vielleicht aber ist sprache immer gewalt, trägt immer eine spur davon. wie war das gleich? - die frühesten zeichen sind schließlich in den körper geritzt...
    für lucy z.B. ist es sicherlich so. auch george quält sich ja mit seinem buch. auch mr. johnson, nur dass er es nicht zugeben kann / darf, denn er ist ein gelehrter.


    Ich habe das Gefühl, dass gerade Mr. Johnson sich am meisten von allen mit Sprache in allen Erscheinungsformen rumquält, vielleicht gerade weil er es sich absolut nicht eingestehen will.

  • @ beowulf: Das mit dem Schriftbild ist mir auch aufgefallen. Die Buchstaben sind weniger "fett". Der Durchschuss ist wie bei anderen Büchern, daran kann es nicht liegen.


    Ich verliere mich in der Sprache des Buches - im positiven Sinn :-) Teils so fest, dass ich mich zusammenreissen muss, die Geschichte dabei nicht zu "überlesen" ;-)


    George tut mir richtig leid, wie er vom Bischof gequält wird.
    Mister Johnson ist sehr speziell. Er möchte ein Mann der Worte sein, ist aber irgendwie sprachlos und dem Papier gegenüber hilflos. Seine Art, wie er Lucy das Lesen beibringen und sie an die "richtige" Literatur hinführen möchte, ist auf eine Art schräg.


    Mir gefallen die geschichtlichen Bezüge, die Mischung zwischen Fiktion und Realität. Bis jetzt gefällt mir die Umsetzung sehr gut.


    Eventuell werde ich diese Woche etwas hinterher hinken, werde aber mein möglichstes versuchen, den Anschluss nicht zu verlieren.

  • Hallo,


    mich würde interessieren: ist dieses 'sich-zusammenreißen-müssen' etwas, das einen ärgert? weil es einen aus der Geschichte 'hinauswirft'? oder erzeugt es einen rhythmus, dem man sich aussetzen will? das war auf eine weise der versuch. so zu schreiben, dass man beim lesen den rhythmus des schreibens 'nachfühlt'. denn auch das schreiben ist ja ein absetzen, ein tasten, ein verwerfen. (liebe lisa, liebe charlie - wie ist das bei euch? könnt ihr das nachvollziehen?) ganz selten schreibt man 'in einem guss'. meist oder oft will ein text aber so aussehen, und das ist auch das gute recht eines textes. ich hatte das gefühl, dass dieser roman roh bleiben muss. nicht gefeilt in den übergängen, sondern brüchiger.
    grüße von
    dani

  • das stimmt!
    und welcher passionierte leser oder gar schreiben würde das aber auch zugeben wollen? für mich hat das auch was mit mr. johnsons männlichkeitskonzept zu tun. so weinerlich, launisch und leicht zu verstimmen er ist und so wenig er das bei anderen duldet, so wenig will er sich das selbst eingestehen.


    sein größtes problem ist ja zu diesem zeitpunkt des buches das lexikon. und das ist wirklich keine kleinigkeit.
    (sich dieses kunstwerk einmal anzusehen lohnt sich! unvorstellbar, dass ein einziger mensch (und ein paar gehilfen, gut...) das allein bewältigt hat. vollkommen verrückt! ungefähr so, als müsste man 3 dissertationen (in 3 unterschiedlichen fächern) schreiben. oder 50 rezensionen an einem tag oder so.

  • Bei mir bleibt der Lesefluss erhalten, es gibt also nichts zu ärgern ;-)


    Was im Moment eher anstrengend ist, dass ich nach zwei, drei Seiten teilweise das Buch weglegen muss, weil diese Woche eine sehr verzettelte ist. Aber es ist ein Buch, das mich gefangen hält, das mich neugierig auf den weiteren Verlauf macht und ich es schade finde, nicht so schnell voranzukommen und die Ereignisse schneller erleben zu können ;-)
    Aber Vorfreude ist auch eine Freude :-)

  • Zitat

    Original von Charlie
    Eingefallen ist mir noch: Komplexe Sprache.
    Das klingt zwar nicht ganz so chic, aber ich kann damit in Bezug auf Deinen Roman mehr anfangen.
    Die Sprache faechert sich beim Lesen auf.


    Alles Liebe von Charlie


    Mir fällt kein passender Vergleich ein, denn für die Sprache in diesem Buch habe ich keine Worte. Sprachgewalt passt für mich, weil sie mich mitreißt, mich umwirft, durch die Luft wirbelt beim Lesen.


    Also eigentlich all das, was George auf Seite 18 unten widerfährt. Wenn ich genau das beim Lesen empfinde, was Georg dort mit dem Buch erlebt, dann weiß ich, dass der Autor zum Magier geworden ist, der mich mitnimmt INS Buch hinein.


    Und gleichzeitig bin ich traurig, weil ich all die schönen Sätze nicht festhalten kann. Am liebsten würde ich mir Stift und Zettel daneben legen und sie alle aufschreiben, aber dann würde ich für dieses Buch wahrscheinlich Wochen brauchen :-)


    Ich habe das große Plus, dass ich nicht nur die Worte lesen kann, sondern dabei auch Danis Stimme im Ohr habe, die eine ganz wunderbare Vorleserin ist. Das macht das ganze für mich zu einem multimedialen Erlebnis.

  • Zitat

    Original von fabuleuse
    George tut mir richtig leid, wie er vom Bischof gequält wird.
    Mister Johnson ist sehr speziell. Er möchte ein Mann der Worte sein, ist aber irgendwie sprachlos und dem Papier gegenüber hilflos. Seine Art, wie er Lucy das Lesen beibringen und sie an die "richtige" Literatur hinführen möchte, ist auf eine Art schräg.


    Mir gefallen die geschichtlichen Bezüge, die Mischung zwischen Fiktion und Realität. Bis jetzt gefällt mir die Umsetzung sehr gut.


    George wird eigentlich von allen benutzt wie ein Objekt. Der eine sperrt ihn nackt in den Schrank, verbrennt all seine Sachen und interessiert sich nicht die Bohne, ob George vielleicht an diesen Dingen hängt.
    Ich will nicht sagen, dass er George damit die Identität nimmt, denn er hat ja bislang nicht wirklich eine eigene, aber er nimmt ihm das einige bisschen echten George und produziert mit seinen Vorstellungen von Formosa seine eigene Kunstfigur.


    Der Nicht-Literarische George Psalmanazar war ja nicht weniger geheimnisvoll.


    http://de.wikipedia.org/wiki/George_Psalmanazar


    Wie bist Du auf die Idee gekommen, ihn zu Deinem Protagonisten zu machen, Dani?

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Ich will nicht sagen, dass er George damit die Identität nimmt, denn er hat ja bislang nicht wirklich eine eigene, aber er nimmt ihm das einige bisschen echten George und produziert mit seinen Vorstellungen von Formosa seine eigene Kunstfigur.


    Die Formulierung gefaellt mir - aber ist die Formosa-Figur nicht auch ein Aspekt vom echten George, sozusagen eine in George angelegte Moeglichkeit?


    Alles Liebe von Charlie

  • Dr. Johnson, der mich mein Leben lang interessiert (weil mich eben diese Sprache SO interessiert), ist hier grossartig angelegt, finde ich. Wenn ich in diesem Buch von ihm lese, habe ich dauernd so komische Aha-Effekte a la: "Ach so, jetzt verstehe ich das." Ich habe das Gefuehl, ihn wiederzuerkennen.