Peter der Erste/Alexej Tolstoi

  • Peter der Erste – unvollendeter Roman in drei Büchern


    Originaltitel:
    Band 1: Petr perwyj – Kniga perwaja (Buch 1)
    Band 2: Petr perwyj – Kniga wtoraja i tret'ja (Buch 2 und 3)


    Inhalt:
    Der Roman erzählt die Geschichte von Peter I dem Großen (1672 bis 1725) von seiner Kindheit bis zur Eroberung von Narwa 1704. Doch der Fokus liegt nicht allein auf Peter und den Seinen, im Lauf der Zeit lernen wir vor allem die Familie Browkin recht gut kennen, die ihren Aufstieg der Tatsache verdankt, dass ihr Sohn Alexej Peters engsten Vertrauen Alexander Menschikow kennt. Anfangs des zweiten Buches wiederum verbringen wir einige Zeit bei einem brand(!)gefährlichen Anführer einer religiösen Gemeinschaft und es tauchen immer wieder die verschiedensten Leute auf und tauchen auch wieder unter.


    Autor:
    Alexej Nikolajewitsch Tolstoi, 1882/1883 bis 1945, entstammte der Grafenfamilie Tolstoi, wobei es mir bislang nicht gelungen ist, zu ergründen, ob und wie er mit dem bekannteren Tolstoi, Lew Nikolajewitsch, verwandt war. Die unvollendete Romanreihe „Peter der Erste“ gilt als sein Hauptwerk und soll von Maxim Gorki als "erster echter historischer Roman der russischen Literatur“ bezeichnet worden sein.
    Mir sind die Bücher 1 und 2 auch schon unter dem Titel „Peter der Große“ begegnet. Unmöglich heute zu sagen, ob diese Ausgabe gekürzt war, allerdings fehlte dort der Hinweis auf Buch 3.


    Komplett out of print, aber gebraucht in den verschiedensten Ausgaben zu bekommen. Ich besitze die zweibändige Ausgabe vom Verlag Progress, Moskau. Es scheint mir sogar in Moskau gedruckt worden zu sein, da im Impressum auf Russisch „in deutscher Sprache“ steht. Kurios.


    Meinung:
    Ich habe die Version „Peter der Große“ vor vielen, vielen Jahren als junger Teenager gelesen und obwohl ich dem Buch geistig kaum folgen konnte und vor allem immer enttäuscht und leicht gelangweilt war, wenn sich der Fokus von Peter entfernt hat, habe ich es doch gerne gelesen und in liebevoller Erinnerung behalten. Somit war ich zutiefst entzückt, als ich vor etwas weniger vielen Jahren die mir heute vorliegende Fassung der drei Bücher in zwei Bänden (Band 1 enthält Buch 1 und Band 2 Buch 2 & 3) in einem Second Hand Buchgeschäft entdeckt habe. Aber über das nochmal lesen habe ich mich nie getraut. Bis ich Reiselektüre für einen Aufenthalt in St. Petersburg brauchte. Aber ob das eine gute Idee ist, zwei alte, schwere HCs auf eine Reise mit zu schleppen? Oh ja, eine glänzende Idee war das! Perfekte Reiselektüre in Peters Stadt und danach eine wunderbare Art, noch eine Zeitlang geistig dort zu bleiben.


    Tolstoi lässt sich bei seinem Roman sehr viel Zeit, was man sehr schön daran sieht, dass wir gerade mal ein bisschen mehr als die erste Hälfte von Peters Leben miterlebt haben, als es abbricht, und das auf über 900 Seiten. Und trotzdem habe ich mich diesmal kaum je gelangweilt, ja, diesmal fand ich sogar die Exkurse zu den „normalen“ Russen höchst interessant. So bekommt man auch einen Geschmack davon, was diese zu Peters Zwangsreformen gesagt haben. Ein reizender Mensch war er nicht, aber ein (mich) zutiefst faszinierender, der hier zum Leben erwacht.


    Ebenfalls sehr interessant ist das Porträt seines Gefährten Alexander Menschikow, der für mich quasi Hand in Hand geht mit Peter, da ich mich mit dem einen nicht ohne den anderen beschäftigen kann, woran wohl Tolstoi gleichermaßen wie der TV-Vierteiler „Peter der Große“ schuld ist. Oder sagen wir, Tolstoi hat das noch vertieft, obwohl sein Menschikow ein reichlich durchtriebener Mensch ist, wie wohl das Original. Das Verhältnis der beiden Männer hier ist ausgesprochen interessant. Peter scheut sich zwar nie, seinen Freund auch mal gewalttätig zur Ordnung zu rufen, doch ist Menschikow hier derjenige, der sich mehr herausnehmen kann, als jeder andere und auch stets treu (wenn auch mit langen Fingern) an seiner Seite steht und ihn „Myn Herz“ nennt. Und der ihm das Mädchen Katharina zuführt ...


    Menschikow ist auch ein sehr schönes Bsp. für die Namensgebung der Charaktere hier, da er abwechselnd als Alexaschka, Alexander, Alexander Danilowitsch, Alexander Menschikow, Danylitsch, etc. bezeichnet wird. Das kann schon ein wenig irritieren, aber es hat das Vergnügen nie gestört. Ich mag das Russische ja nicht zuletzt wegen den Namensspielereien und vor allem den Vatersnamen.


    Der Stil der deutschen Übersetzung ist auch höchst ansprechend. Ich kann das gar nicht in Worte fassen, aber es kamen immer wieder Beschreibungen, die mich zum Schmunzeln gebracht haben, wegen der ungewöhnlichen Formulierung.


    Wobei der Inhalt des Buches nicht unbedingt amüsant ist. Ganz im Gegenteil ist es recht gewalttätig, wobei man gar nicht mal zu einer der übelsten Stellen greifen muss, der Massenhinrichtung der Strelitzen nach deren zweiten Aufstand, da hier ständig Leute geschlagen werden und es ihnen teilweise auch sonst nicht unbedingt gut geht.


    Und doch ist Tolstoi gestorben, lange bevor sein Peter die vielleicht kritischste Phase seines Lebens erreicht hat, den Konflikt mit seinem Sohn Alexej. Einerseits bin ich froh, es hier nicht mehr lesen zu müssen, aber gleichzeitig finde ich es auch sehr schade, nun niemals zu erfahren, wie Tolstoi das oder andere spätere Ereignisse behandelt hätte.


    Schön fand ich die Erwähnung, dass Graf Peter Tolstoi, einer der Vertrauten des Zaren, die ursprüngliche Beteiligung an einem der ersten Aufstände später bedauert und ihm ab da treu gedient hat. Ich schätze, er war ein Vorfahr des Autors. Wobei es mich umso mehr verwundert, dass er Menschikow so relativ positiv präsentiert, denn der war nicht nett zu seinem Vorfahren nach Peters Tod.


    Es ist zu lange her, dass ich mich theoretisch mit Peters I Leben beschäftigt habe (was ich bei Gelegenheit gern nachholen möchte), von daher kann ich nicht sagen, ob und inwieweit Tolstoi bei der Geschichte bleibt. Es liest sich authentisch, aber das muss nichts heißen.


    Immer wieder schön finde ich es, wenn die Sprache auf das Buch kommt. „Von Alexej Tolstoi.“ „Sie meinen, Lew.“ „Nein, Alexej.“ „Wer?!“
    Und ich habe bis heute keinen Lew Tolstoi gelesen, was sich vielleicht irgendwann ändern wird. Aber meinen Alexej Tolstoi werde ich immer schätzen, nie vergessen und vielleicht eines Tages noch mal lesen.
    .

  • Schön, dass Du das Buch hier vorgestellt hast, danke! "Peter der Erste" hab ich vor ca. 20 Jahren zum ersten Mal gelesen, damals von einer Freundin geliehen. Vor einiger Zeit hab ich es mir dann anitquarisch gekauft und ein zweites Mal gelesen, wieder mit Begeisterung.

  • Ah Grisel, danke für diese schöne Rezi zu einem Buch, das ich auch in Teenagertagen gelesen habe und in sehr guter Erinnerung habe (weshalb es auch bei meinen Schätzen stehen darf). :knuddel1


    Ich glaube, das sollte ich auch mal wieder lesen.

  • Zitat

    Original von Pelican
    Ah Grisel, danke für diese schöne Rezi zu einem Buch, das ich auch in Teenagertagen gelesen habe und in sehr guter Erinnerung habe (weshalb es auch bei meinen Schätzen stehen darf). :knuddel1


    Schau an, ist der olle Alexej T. doch bekannter! Meine Russischlehrerin zB kannte ihn nicht. Mit der habe ich den schönen "Sie meinen Lew!"-Dialog zum ersten Mal geführt. :lache

  • Zitat

    Original von Pelican
    :grin Auf meiner Ausgabe ist sogar ein Aufkleber "Bestseller" drauf (ich hasse Aufkleber, vor allem wenn sie nicht gescheit weggehen...)


    Was hast Du denn für eine Ausgabe? Ich habe diese schöne, zweibändige (wenn auch etwas schwere). Besonders nett sind da die alten Stiche. Ganz entzückt war ich über einen von St. Petersburg mit Blick auf die Peter und Paul Festung, weil man das tatsächlich wiedererkennen konnte.
    Ja, definitiv ein Schatz.

  • Das war damals aus einer Rowohlt Jubiläumsreihe, die recht günstig war. Und sie haben wirklich hochwertiges Papier benutzt, das Buch ist auch heute noch in einem guten Zustand, was man von manchen Büchern, die ich erst vor ein paar Jahren gekauft habe nicht behaupten kann.