Splitterfasernackt - Lilly Lindner

  • Über die Autorin


    Lilly Lindner wurde 1985 in Berlin geboren. Bereits mit fünfzehn Jahren begann sie autobiographische Texte und Romane zu schreiben.
    Viel Zeit verbringt sie heute mit der Arbeit mit Kindern.


    Inhalt


    Im Alter von sechs Jahren wird Lilly von einem Nachbarn vergewaltigt. Sie schweigt. Ihre Eltern ignorieren sie und sie verbringt einige Zeit in verschiedenen Kinderheimen. Mit 17 zieht sie in eine eigene Wohnung und beginnt kurze Zeit später in einem Berliner Edelbordell zu arbeiten.
    Mehrere Selbstmordversuche liegen zu diesem Zeitpunkt schon hinter ihr. Und sie hungert, bis auf unter 40 Kilogramm, um zu verschwinden.
    In ihrem Inneren ist sie nicht Lilly, sondern Ana (= Anorexia nervosa), oder Mia (Bulimie), oder Felia (die Prostituierte) oder auch das kleine unschuldige Mädchen von sechs Jahren, das sie vor ihrer Vergewaltigung noch war.


    Meine Meinung


    Bei diesem Buch handelt es sich um eine Autobiographie die im Präsens und in Romanform geschrieben wurde.
    Ich hab überlegt, ob es mir zusteht über dieses Buch eine Rezension zu schreiben. Schließlich handelt es sich hier nicht um ein fiktives Werk, sondern um das Leben eines Menschen. Doch ich kam schließlich zu dem Schluss, dass die Autorin will, dass man über sie und über ihr Leben spricht, sonst hätte sie vermutlich kein Buch darüber geschrieben.
    Das Buch ist hart zu lesen, zu begreifen. Es schmerzt und es macht dankbar. Dankbar für meine eigene Kindheit in der ich Kind sein durfte.
    Es gibt so viele Bücher über Menschen die etwas schreckliches erlebt haben, was also macht dieses Buch zu etwas Besonderem?
    Ich finde, dass die Autorin sehr viel Talent hat mit Worten umzugehen. Ihr Leid zu beschreiben, mir ein Stück weit verständlich zu machen, sofern man das (Innen)- Leben eines anderen Menschen verstehen kann.
    Sie sucht kein Mitleid. Ich war hin und her gerissen zwischen dem schlimmen Inhalt und den schönen Worten die dieses Leid beschreiben.
    Es ist kein einfaches Buch. Was mich am meisten erschreckt hat ist, dass Lilly Lindner "nur" ein Einzelschicksal ist. Es gibt viele Menschen denen ihr Leben schon in der Kindheit "gestohlen" wurde. Vielleicht mein Nachbar, vielleicht die Frau an der Supermarkt Kasse. Wer weiß? Dieses Buch hat bei mir noch mehr dazu beigetragen den Zahlen und Statistiken über sexuellen Missbrauch ein Gesicht zu geben.


    Zitat aus dem Buch Seite 243:


    Es gibt so vieles, was ich nie verstehen kann. Und es gibt so vieles, was ich niemals wissen werde, auch wenn man es mir noch so anschaulich erklärt.
    Aber eins weiß ich mit Sicherheit: dass wir das Leben führen, für was wir uns entscheiden. Dass wir so tief fallen, wie wir es zulassen, dass wir so weit sehen, wie wir es wagen, die Augen zu öffnen.
    Und dass die Worte, die wir sprechen, nur so lange weiterklingen, wie wir ihnen Nachdruck verleihen.

  • Meine Rezension
    Dieses Buch ist schon starker Tobak – denn das, was Lilly mitmachen muß, sollte keinem Mensch und schon gleich gar keinem Kind angetan werden. Die gebrochene Kinderseele kommt mit dem, was geschehen ist, nicht klar. Lilly hat schwere Essstörungen und schwankt zwischen Anorexie und Bulimie, die sie wie zwei Freundinnen Ana und Mia nennt. Zeitweise hat sie unter 40 kg und kann vor Schwäche kaum normal agieren.


    Mit 21 beginnt sie unter dem Namen Felia in einem Bordell zu arbeiten – sie hofft, sich dadurch ihren Körper, „der nicht mehr ihr gehört“, zurückzuholen. Ihre Arbeit im Bordell fand ich allerdings reichlich verklärend geschrieben: Nur nette und gute Kunden und auch mit den anderen Prostituierten kommt sie wie in einer liebevollen großen Familie klar.


    Doch es bleiben viele Fragen offen: Was ist mit Lillys Eltern? Sie sind kaum präsent. Eigentlich macht es nicht den Eindruck, als würde Lilly aus einem verkorksten Elternhaus stammen, doch sie merken nichts von alledem und ihre Mutter wirft ihr vor, Lilly wäre wie sie. Was darf man darunter verstehen?


    Ich habe neulich per Zufall ein Interview mit der Autorin gelesen, darin nennt sie allerdings ein relativ normales Zuhause.


    Selbst als Lilly sich mit Selbstverletzungen und Tablettenschlucken erheblichen Schaden zufügt und sich selbst einweisen lässt und von Zuhause weg in Jugendamtseinrichtungen zieht, bleiben ihre Eltern scheinbar gelassen.


    Sie hat so viele (Therapie-)Möglichkeiten, warum vertraut sie sich niemandem an? Und warum hinterfragen ihre Eltern nicht, warum sie so ist?


    Ihr Ausstieg aus dem Sexgeschäft und ihre – mir fällt leider keine bessere Bezeichnung ein – „seelische Genesung“ kommen für mich sehr abrupt und ohne Erklärung. Das fand ich sehr schade, denn obwohl ich das Buch sehr interessant zu lesen fand, habe ich darin mehr Fragen als Erklärungen oder gar Antworten gefunden.


    Erschütternd finde ich auch den Gedanken, wie viele Mädchen Lillys ehemaligem Nachbarn wohl noch in die Hände gefallen sind und ich frage mich, ob er letztlich doch noch seine Strafe bekommen hat….

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • ich hab dieses buch heute durch zufall bei thalia rumfliegen sehen, wo ich ja sowieso grundsätzlich nur sichte und nicht kaufe. :lache
    klang interessant, aber deine rezi schreckt mich nun doch eher ab, batcat. autobiographische leidensgeschichten hab ich schon so viele gesehen, und da stellt sich mir immer die frage, ob ich mir das antun muss. noch dazu, wo ich ana oder mia oder psychatrieerfahrungen selbst beisteuern kann.
    was mich an deiner rezension, donna carlotta, angesprochen hat, ist die bescheinigung des schreibstils. daran mangelt es nämlich vielen von diesen "problemkind"-biographien.
    schaun mer mal. wunschliste 2. reihe vllt. ;-)

  • Meine Meinung:
    Das Cover sticht ins Auge. Ein frisches Türkis mit dem Abbild einer jungen Frau, die etwas schüchtern und trotz des leichten Lächelns auf den Lippen mit ernsten Augen in die Kamera blickt.
    Lilly Lindner gibt mit diesem Buch einen sehr intimen Einblick in 20 Jahre ihres Lebens, das komplett aus den Fugen geriet, als sie sechs Jahre alt war. Sie wurde wiederholt von einem Nachbarn vergewaltigt, ohne dass ihre Eltern etwas davon mitbekamen. Niemand stand Lilly zur Seite und sie musste sich ihre eigenen Verbündeten suchen im Kampf um ihr Überleben.


    Lilly Lindner erzählt ihre Geschichte im Präsens, wodurch für mich klar ist, dass diese Geschichte noch lange nicht verarbeitet ist.
    Das Buch fesselt vor allem durch seine Sprache, inhaltlich ist es ein harter Brocken. Was Lilly mit ihrem Körper anstellt, wie ihr eiserner Wille sie am Leben hält, wie sie sich zu schützen versucht, indem sie sich auf ihre eigene Art zur Wehr setzt, das alles ist nicht leicht zu lesen. Selbstmordgedanken gehören zu ihrem Leben dazu, seit sie 14 ist. Das Buch hat aber auch seine leichten Momente und heiteren Szenen. Lilly spricht eine deutliche Sprache, nennt die Dinge beim Namen, oftmals schockierend, aber nie vulgär oder pornographisch. Sie erscheint mir als Akrobatin, im Leben und auch im Umgang mit Wörtern.

    Mit dem Hinweis auf die außerordentliche Sprachgewalt wurde mir das Buch empfohlen.
    Sprachgewaltig, ja. Ich würde der Autorin wünschen, dass sie diese Brillanz in einem weiteren Buch zeigen kann, das einen positiveren Einblick in ihr weiteres Leben ermöglicht als dieses hier. Leider lässt mich dieses Buch ebenso wie Batcat mit einigen unbeantworteten Fragen zurück.


    Es gibt von der Autorin bereits einen Fantasy-Roman "Shattered", der 2008 erschienen ist. Hier gibt es ein Gedicht von ihr, „Deine Worte“.


    Ach ja: Ein Problem, das ich mit diesem Buch habe ist mir vorzustellen, dass es Männer gibt, die den ausgemergelten Körper einer magersüchtigen Frau, die weniger als 40 Kilo wiegt, anziehend finden.

  • Ich habe das Buch vor ein paar Tagen ausgelesen und ich fande es sehr gelungen. Vorallem das Ende hat mich noch mehr schockiert als der Anfang, der so schon sehr schlimm war. Stutzig macht es mich, wenn Leute das Buch beginnen nach 30 Seiten weg legen und behaupt, sie könnten Lilly nicht verstehen und machen das Buch manchmal sogar richtig schlecht. Ich möchte nict die Mitleidstrude spielen, aber da ihr das alles wirklich passiert ist, gibt es eigentlich kein Recht, ihr Leben zu bewerten. Trotzdem würde ich es jedem, der nicht all zu schwache Nerben hat, weiterempfehlen...

  • Mir hat das Buch nur mittelmäßig bis mäßig zugesagt. Ich konnte mit Lilly nicht viel anfangen, ich kam ihr nicht nahe. Ich denke, dass liegt daran, dass sie auch unnahbar sein will..... weiß nur nicht, was dieses Buch dann bezweckt.


    Ok, sie hat ihre Geschichte erzählt - obwohl am Ende heißt es, dass die Story nur an der Wahrheit angelehnt ist und einiges sich wohl doch nicht so ereignet hat.... was soll mir das sagen / geben??


    Es ist schlimm, was die Autorin da erleben musste, es ist aber genauso schlimm, dass sie sich nicht helfen lassen will, dass sie es vorzieht "langsam zu verschwinden".... Na dann herzlichen "Glühstrumpf"...


    Eine ernsthafte Teraphie würde ich ihr empfehlen.


    Ich kann mit dieser Lektüre leider nicht viel anfangen - außer zu hoffen, dass andere Betroffene besser mit der Situation klar kommen und sich früh genug Hilfe suchen, damit sie nicht so traurig enden wie Lilly.


    Lilly tut mir leid, mehr auch nicht.... sie ging mir phasenweise gehörig auf den Nerv mit ihren gebtetsmühlenartigen Vorträgen "dass sie ein gebrochenes Wesen ist aus diesen schrecklichen Gründen".... einfach trostlos... ohne Hoffnung....


    sehr schade, ich wünsche ihr viel Stärke für die Zukunft. Stark ist sie m. E. nicht, eher eine arme kleine Maus.....


    Meine harte Meinung tut mir fast schon wieder leid... aber eben nur fast...

  • x Autorin: Lilly Lindner
    x Originaltitel: Splitterfasernackt
    x Genre: Biographie
    x Erscheinungsdatum: 12. September 2011
    x bei Droemer Knaur
    x 400 Seiten
    x ISBN: 3426226065
    x Erste Sätze: Prolog. Vielleicht arbeite ich ja nur deshalb in einem Bordell, weil Männer an einem Ort wie diesen für ihre Triebe bezahlen müssen und weil sie auf diesem Weg nicht einmal annähernd zu meinem Herz durchdringen können. Sie sind nur ein flüchtiger Schwarm zirpender Wanderheuschrecken. ein Rudel schwanzwedelnder Hunde.


    Klappentext:


    “Wenn ich Sex auf dem goldenen Himmelbett in Zimmer vier habe, starre ich verloren den orange-gelben Leuchtschlauch an. Ich fühle einen Körper auf mir – gut, wenn er nicht verschwitzt und klebrig ist. Schlecht, wenn er es doch ist. Ich schlinge meine verzweifelten Arme um einen Kunden, wenn ich ihn mag. Ich lasse meine Arme schlaff auf dem Bettlaken verweilen, wenn ich ihn nicht mag. Ein unbedeutendes Stöhnen an meinem Ohr, eine Wange ganz dicht an meiner. Wenn ich einen Gast nett finde, ist es okay, wenn nicht, bin ich woanders.
    Den schlimmsten Sex im Leben kann man nur einmal haben. Und ich habe ihn längst hinter mir. Damals … ”


    Die Geschichte einer gestohlenen Kindheit und eines im Innersten verletzten Mädchens.


    Rezension:


    Ich wollte “Splitterfasernackt” von Lilly Lindner schon längere Zeit unbedingt lesen, traute mich aber nie so recht, es mir zu kaufen – einfach aus Angst vor dem, was da auf mich zukommen würde. Worte können tief verletzten, vor allem wenn sie die richtige Stelle treffen… Letztendlich habe ich das Buch aber dann doch gekauft und sofort angefangen zu lesen und ich wollte es nicht mehr zur Seite legen.


    Lilly Lindners Schreibstil kann man nicht beschreiben. Man muss ihn gelesen haben, um zu verstehen, was genau daran so fesselt und fasziniert. Fakt ist, dass man vom Text regelrecht ins Geschehen gesogen wird. Man fühlt sich Lilly so nah, dass man sie in den Arm nehmen und beschützen möchte und gleichzeitig am liebsten an ihrer Schulter weinen würde.


    Ein kleines Mädchen, mit 6 Jahren vom Nachbarn regelmäßig vergewaltigt, schweigt. Später eine erneute Bedrohung und der Entschluss so dünn zu werden, dass sie einfach nicht mehr gesehen wird. ‘Ana’ (Anorexie – Magersucht) greift nach ihr, lässt sie nicht mehr los und Lilly geht noch einen Schritt weiter und steigt in die Prostitution ein. Sie leidet sehr… aber noch mehr kämpft sie und lebt.


    Ich habe selten ein Buch gelesen, das mir dermaßen nahe gegangen ist und außerdem habe ich selten von einem Menschen gelesen, der trotz aller Schwäche eine solche Stärke in sich trägt.


    Ich möchte allerdings unbedingt darauf hinweisen, dass “Splitterfasernackt” extrem triggern kann. Wenn man anfällig ist, was die Themen Magersucht, Bulimie, Missbrauch, etc. angeht, sollte das Buch lieber nicht lesen.


    Fazit:


    Emotional und berührend, mit einer Wortgewalt, die einerseits sanft streichelt und andererseits tief in die Seele schneidet.


    Bewertung:


    10 von 10 Sternen

  • Ich hatte bereits vor längerer Zeit schon einmal mit "Splitterfasernackt" von Lilly Lindner angefangen, habe es dann aber weg gelegt, weil ich nicht wusste, ob ich mit dieser wahren Geschichte klar komme.


    Gestern habe ich dann einen neuen Versuch gestartet und es eben beendet. Ich konnte es einfach nicht weglegen. Teils, weil ich wissen wollte, was aus Lilly geworden ist, teils aber auch weil ich es hinter mich bringen wollte. Kein Mensch kann sich vorstellen, was ein Kindesmissbrauch mit einer Seele anstellt, wie er ein Leben verkorkst und verstümmelt. Lilly gibt hierzu einen tiefen Einblick in ihre Seele, der stellenweise einfach nur weh tut. Am Ende des Buches habe ich erst einmal versucht herauszubekommen, wie es Lilly heute geht. Sie setzt sich weiter mit dem Missbrauch auseinander, aber sie nicht mehr unsichtbar. "Winterwassertief" ist der zweite Teil ihrer Autobiografie, den ich auf jeden Fall lesen möchte. Es erscheint am 14. Januar 2015


    Großen Respekt vor Lilly Lindner, die mit einer einzigartigen Sprache von Sachen erzählt, die mich fassungslos und betroffen gemacht haben. Keinem Kind sollte so etwas passieren.


    Auch ich fand einige Sachen verklärend und ungeklärt, aber vielleicht geht das in dieser Situation auch nicht anders.


    Für mich 8 von 10 Eulen.

    “Lesen ist das Trinken von Buchstaben mit den Augen.” H. Lahm


    :lesend Erik Axl Sund - Scherbenseele


    SuB 01.09.: 159
    SuB-Abbau-Wette: 5. Runde 3/5

  • Auch ich habe vor kurzem Lillys Geschichte gelesen. Was sie erlebt hat ist schrecklich und verstörend, niemandem sollte so etwas passieren. Doch nicht nur das Entsetzen und Mitgefühl lies mich die Geschichte in einem Rutsch lesen, es war auch die Wortgewalt, die sie mit sich brachte. Lilly hat ein unglaubliches Talent sich auszudrücken und zaubert Satzkombinationen, die einen berühren. Ihr Schreibstil ging mir wirklich unter die Haut. Den zweiten Teil, der im Januar erscheint, werde ich definitiv auch lesen, da es mich interessiert, was aus ihr geworden ist. Lilly Lindner hat auch ein paar Romane verfasst, die ich auch unbedingt lesen will. Einen davon, ''Bevor ich falle'', habe ich schon zuhause und wird bald gelesen. Ich bin mir sicher, dass es sich allein des Schreibstils wegen, lohnen wird.