Ansichten eines Clowns - Heinrich Böll

  • Nach fast zehn Jahren Pause belebe ich wieder diesen Thread mit einer Besprechung zu dem bei uns gerade in der Leserunde befindlichen Roman


    Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ erschien erstmalig 1963 bei Kiepenheuer&Witsch in Köln.


    Der Roman schildert einen halben Tag im Leben des Hans Schnier, Abkömmling einer Braunkohledynastie und von Beruf Clown mit dem Schwerpunkt gesellschaftliche und politische Pantomime.

    Der Ich-Erzähler kommt nach einer katastrophal verlaufenen Tournee nach Bonn, wo er eine Wohnung besitzt. Seine langjährige Geliebte Marie hat ihn vor einem Jahr verlassen, und seitdem sackt er immer mehr ab, betrinkt sich und kann die Standards für seine Auftritte nicht mehr einhalten. Sein Agent ist nur noch bereit, ihn wieder zu vertreten, wenn er einen Neuanfang versucht und dafür zunächst mindestens ein halbes Jahr intensiv trainiert.

    In seiner Wohnung angekommen versucht er, bei allerlei Bekannten und Familienmitgliedern an Geld und Informationen über Marie zu kommen, macht sich dabei aber auch Luft und kritisiert die Einstellungen und das Verhalten der Gesprächsteilnehmer. Dabei werden in Rückblenden seine Familienverhältnisse und seine Liebesbeziehung zu Marie geschildert.

    Hans‘ Schwester Henriette wird in den letzten Kriegstagen mehr oder weniger von seiner Mutter als Flakhelferin an die Heimatfront geschickt, um den „heiligen deutschen Boden“ zu verteidigen und kommt dabei um. Die gefühlskalte und extrem sparsame Mutter hält ihre Kinder an der kurzen Leine, ist während des Dritten Reiches leidenschaftlich nationalistisch, tritt danach aber sofort einem „Zentralkomitee der Gesellschaft zur Versöhnung rassischer Gegensätze“ (sic!) bei und reist für dieses umher. Der Vater, Braunkohlemillionär und nach dem Krieg eine Art Fernsehstar als Wirtschaftsweiser, lässt seine Frau machen und erholt sich bei einer Geliebten. Seinen Sohn Hans will er nur unterstützen, wenn dieser seine Kunst richtig studiert, was Hans aber nicht will, denn er hat seine Themen gelernt und trainiert. Sein Bruder Leo ist zum Katholizismus konvertiert und lebt in einem Konvikt.

    Schließlich gibt es noch einen großen Kreis von Bekannten aus Maries Zirkel, die ebenfalls überzeugte Katholikin ist. Ihre Beziehung zu Hans leidet von Anfang an darunter, dass sie beide „in Sünde“ leben. Zu Beginn distanziert sich Marie zwar von der Kirche und ihren Moralvorstellungen, wird dann aber immer mehr wieder in den Zirkel hineingezogen, vielleicht auch, weil zwei Fehlgeburten ihr die Vorstellung von göttlicher Bestrafung nahelegen. Schließlich zerbricht die Beziehung daran, dass Marie bei Hans nicht genügend Aufrichtigkeit hinter seinem Bekenntnis zu einer katholischen Erziehung möglicher weiterer Kinder vermutet. Sie wendet sich dem aufrichtigen, schon seit langem in sie verliebten Katholiken Heribert Züpfner zu und heiratet ihn.

    Hans jedoch findet in den Gesprächen dieses Nachmittags und Abends keinen Halt, durchschaut die Abgründe dieser nur scheinbar konsolidierten Nachkriegsgesellschaft und beschließt, auf den Stufen des Bonner Hauptbahnhofs durch Gitarre spielen und Betteln sein Lebensnotwendigstes zu verdienen und dabei auf die Rückkunft Maries aus deren Flitterwochenreise nach Rom zu warten.

    Ich habe den Roman schon einmal am Ende der Siebziger Jahre gelesen, konnte mich aber während der Lektüre an nichts erinnern. Die satirischen Elemente, die die Fassade der Nachkriegsgesellschaft zerlegen, sind leider auch heute noch aktuell, denn sowohl der nur dünne bürgerliche Anstrich über nationalen und rassistischen Vorstellungen ist auch heute noch oder leider wieder erkennbar als auch in den Skandalen der katholischen Kirche und ihrer Haltung zur Homosexualität und Stellung der Frau in der Kirche, deren Verharren auf inhumanen und undemokratischen Positionen.

    Schwierig sind einige Stellen, die denn doch auch zeigen, dass Böll ein Kind seiner Zeit war und hinsichtlich seines Frauenbildes und seiner Haltung z.B. zur Homosexualität sicherlich heute Probleme hätte, aber über welche Schriftsteller vergangener Generationen kann man das nicht sagen?

    Der Roman ist nicht unbedingt der beste Bölls, aber er hat uns auch heute noch eine Menge zu sagen. Und er ist sehr rheinisch: Wer wie ich viele Jahre dort gelebt hat, wird seinen Spaß haben an den vielen rheinischen Eigenheiten und der geschilderten Umgebung.

  • Heinrich Böll: Ansichten eines Clowns


    Autor

    (Quelle: Amazon)

    Heinrich Böll, geboren am 21. Dezember 1917 in Köln, nahm nach dem Abitur eine Lehre im Buchhandel auf, die er bald abbrach. Nach einem gerade begonnenen Studium der Germanistik und klassischen Philosophie wurde Böll 1939 zur Wehrmacht eingezogen.1945 kehrte er aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Köln zurück, wo er sein Studium wieder aufnahm und in der Schreinerei seines Bruders arbeitete. Ab 1947 publizierte er in Zeitschriften und wurde 1951 für die Satire ›Die schwarzen Schafe‹ mit dem Preis der Gruppe 47 ausgezeichnet. Fortan war er als freier Schriftsteller tätig und veröffentlichte Romane, Erzählungen, Hör- und Fernsehspiele sowie Theaterstücke. Außerdem übersetzte er, gemeinsam mit seiner Frau Annemarie, englische und amerikanische Literatur (u. a. George Bernard Shaw und Jerome D. Salinger). Als Publizist und Autor führte Heinrich Böll Klage gegen die Grauen des Krieges und seine Folgen, polemisierte gegen die Restauration der Nachkriegszeit und wandte sich gegen den Klerikalismus der katholischen Kirche, aus der er 1976 austrat. In den sechziger und siebziger Jahren unterstützte er die Außerparlamentarische Opposition. 1983 protestierte er gegen die atomare Nachrüstung. Insbesondere engagierte sich Böll für verfolgte Schriftsteller im Ostblock. Der 1974 aus der UdSSR ausgewiesene Alexander Solschenizyn war zunächst Bölls Gast. Ab 1976 gab er, gemeinsam mit Günter Grass und Carola Stern, die Zeitschrift ›L’76. Demokratie und Sozialismus‹ heraus. Der Verband deutscher Schriftsteller wurde 1969 von ihm mitbegründet, und er war Präsident des Internationalen PEN-Clubs (1971 bis 1974). Böll erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Georg-Büchner-Preis (1967), den Nobelpreis für Literatur (1972) und die Carl-von-Ossietzky-Medaille (1974). Heinrich Böll starb am 16. Juli 1985 in Langenbroich/Eifel. Sein gesamtes Werk liegt im Taschenbuch bei dtv vor.


    Inhalt

    Der Roman enthält die Reflexion des gescheiterten Künstlers Hans, der als Alleinunterhalter im Clowns-Kostüm eine kurze Karriere hatte und sich bisher anscheinend nie Gedanken um Geld machen musste. Erst kam er aus reichem Haus, dann hatte er Erfolg mit seinen Pantomimen und wurde gut gemanagt.

    Jetzt hat ihn mit seiner langjährigen Geliebten Marie auch sein berufliches Glück verlassen und er sieht sich mit dem Problem seines Überlebens konfrontiert.

    Seine einzige Idee dazu, ist, sich von Freunden, Bekannten oder Familienmitgliedern über Wasser halten zu lassen - bis er wieder neue Engagements bekommen kann. So telefoniert er von seiner Eigentumswohnung aus die möglichen Geldgeber ab - kommt aber meist gar nicht dazu das Notwendige zur Sprache zu bringen, weil ihm im Gespräch klar wird, dass er sich von diesen Charakteren gar nicht unterstützen lassen will oder dass er selbst auf Bitten hin keine Geldzuwendung erwarten kann.

    Hans hat es sich im Laufe der Jahre mit fast allen mit seiner Kritik an deren Einstellung oder Lebensstil verdorben. Einigen wirft er laut oder nur gedacht vor, an der Beeinflussung von Marie zu ihrem Weggang von ihm beigetragen zu haben.

    Dabei spielt die Durchdringung der katholischen Weltdeutung ins Private eine entscheidende Rolle. Hans durchschaut die moralische Fassade des Katholizismus allzu deutlich, dringt aber nicht bis zum Kern des Christentums durch.

    Nachdem er ohne Hoffnung auf lebenssichernde Einkünfte geblieben ist, sieht er nur noch die Möglichkeit als Bettler mit Guitarre vor dem Bonner Bahnhof.


    Meine Meinung

    Dieser Roman ist in klarer Sprache geschrieben und rechnet mit der deutschen Gesellschaft, vertreten durch einige hervorgehobenen Gestalten, und der moralischen Einflussnahme durch die katholische Kirche ab.

    Die Erinnerungen von Hans an persönliche Erlebnisse - besonders der im Dritten Reich gemachten - lassen seine Entwicklungsgeschichte und bleibende Einstellung zu den Beteiligten deutlich werden.

    Im Grunde macht er alle anderen für seinen desolaten Zustand verantwortlich und sieht sich selber als gerechtfertigt und unschuldig.

    Seine Liebe zu Marie hat von Anfang an etwas rücksichtsloses und vereinnahmendes. Wie es ihr wirklich mit ihm geht, interessiert ihn kaum. Er braucht sie, also muss sie bei ihm bleiben. Alles andere ist Verrat.

    So empfindet er alle, die sich nach der Trennung noch mit ihr oder ihrem neu Angetrauten abgeben als Verräter.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Diana Wynne Jones: Howl's Moving Castle