Nach fast zehn Jahren Pause belebe ich wieder diesen Thread mit einer Besprechung zu dem bei uns gerade in der Leserunde befindlichen Roman
Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ erschien erstmalig 1963 bei Kiepenheuer&Witsch in Köln.
Der Roman schildert einen halben Tag im Leben des Hans Schnier, Abkömmling einer Braunkohledynastie und von Beruf Clown mit dem Schwerpunkt gesellschaftliche und politische Pantomime.
Der Ich-Erzähler kommt nach einer katastrophal verlaufenen Tournee nach Bonn, wo er eine Wohnung besitzt. Seine langjährige Geliebte Marie hat ihn vor einem Jahr verlassen, und seitdem sackt er immer mehr ab, betrinkt sich und kann die Standards für seine Auftritte nicht mehr einhalten. Sein Agent ist nur noch bereit, ihn wieder zu vertreten, wenn er einen Neuanfang versucht und dafür zunächst mindestens ein halbes Jahr intensiv trainiert.
In seiner Wohnung angekommen versucht er, bei allerlei Bekannten und Familienmitgliedern an Geld und Informationen über Marie zu kommen, macht sich dabei aber auch Luft und kritisiert die Einstellungen und das Verhalten der Gesprächsteilnehmer. Dabei werden in Rückblenden seine Familienverhältnisse und seine Liebesbeziehung zu Marie geschildert.
Hans‘ Schwester Henriette wird in den letzten Kriegstagen mehr oder weniger von seiner Mutter als Flakhelferin an die Heimatfront geschickt, um den „heiligen deutschen Boden“ zu verteidigen und kommt dabei um. Die gefühlskalte und extrem sparsame Mutter hält ihre Kinder an der kurzen Leine, ist während des Dritten Reiches leidenschaftlich nationalistisch, tritt danach aber sofort einem „Zentralkomitee der Gesellschaft zur Versöhnung rassischer Gegensätze“ (sic!) bei und reist für dieses umher. Der Vater, Braunkohlemillionär und nach dem Krieg eine Art Fernsehstar als Wirtschaftsweiser, lässt seine Frau machen und erholt sich bei einer Geliebten. Seinen Sohn Hans will er nur unterstützen, wenn dieser seine Kunst richtig studiert, was Hans aber nicht will, denn er hat seine Themen gelernt und trainiert. Sein Bruder Leo ist zum Katholizismus konvertiert und lebt in einem Konvikt.
Schließlich gibt es noch einen großen Kreis von Bekannten aus Maries Zirkel, die ebenfalls überzeugte Katholikin ist. Ihre Beziehung zu Hans leidet von Anfang an darunter, dass sie beide „in Sünde“ leben. Zu Beginn distanziert sich Marie zwar von der Kirche und ihren Moralvorstellungen, wird dann aber immer mehr wieder in den Zirkel hineingezogen, vielleicht auch, weil zwei Fehlgeburten ihr die Vorstellung von göttlicher Bestrafung nahelegen. Schließlich zerbricht die Beziehung daran, dass Marie bei Hans nicht genügend Aufrichtigkeit hinter seinem Bekenntnis zu einer katholischen Erziehung möglicher weiterer Kinder vermutet. Sie wendet sich dem aufrichtigen, schon seit langem in sie verliebten Katholiken Heribert Züpfner zu und heiratet ihn.
Hans jedoch findet in den Gesprächen dieses Nachmittags und Abends keinen Halt, durchschaut die Abgründe dieser nur scheinbar konsolidierten Nachkriegsgesellschaft und beschließt, auf den Stufen des Bonner Hauptbahnhofs durch Gitarre spielen und Betteln sein Lebensnotwendigstes zu verdienen und dabei auf die Rückkunft Maries aus deren Flitterwochenreise nach Rom zu warten.
Ich habe den Roman schon einmal am Ende der Siebziger Jahre gelesen, konnte mich aber während der Lektüre an nichts erinnern. Die satirischen Elemente, die die Fassade der Nachkriegsgesellschaft zerlegen, sind leider auch heute noch aktuell, denn sowohl der nur dünne bürgerliche Anstrich über nationalen und rassistischen Vorstellungen ist auch heute noch oder leider wieder erkennbar als auch in den Skandalen der katholischen Kirche und ihrer Haltung zur Homosexualität und Stellung der Frau in der Kirche, deren Verharren auf inhumanen und undemokratischen Positionen.
Schwierig sind einige Stellen, die denn doch auch zeigen, dass Böll ein Kind seiner Zeit war und hinsichtlich seines Frauenbildes und seiner Haltung z.B. zur Homosexualität sicherlich heute Probleme hätte, aber über welche Schriftsteller vergangener Generationen kann man das nicht sagen?
Der Roman ist nicht unbedingt der beste Bölls, aber er hat uns auch heute noch eine Menge zu sagen. Und er ist sehr rheinisch: Wer wie ich viele Jahre dort gelebt hat, wird seinen Spaß haben an den vielen rheinischen Eigenheiten und der geschilderten Umgebung.