Ansichten eines Clowns - Heinrich Böll

  • Eine der Einschätzungen abzuschreiben, die sich auf den Buchrücken der vielen Ausgaben dieses kurzen Romans befinden, bringt wenig, denn jeder sieht in diesem Buch etwas anderes. Eine Kritik an der frühen BRD. Einen Polit - Roman. Eine Anprangerung des Katholizismus und des Rheinlands. Die Geschichte eines Aussteigers. Eine wunderbare Liebesgeschichte. Nur über eines sind sich alle einig: es ist ein Klassiker.
    Stimmt. Das macht die Lektüre nicht leicht. Tatsächlich handelt es sich hier um ein Buch, das sehr langsam und sorgfältig gelesen werden will. Wort für Wort. Dabei ist die Sprache schlicht, oft genug an die Umgangssprache angenähert.
    Worum geht's? Ein junger Mann, Hans Schnier, erzählt seine Geschichte. Es ist ein Monolog. Der Ort: hauptsächlich seine Wohnung in Bonn, nur während der kurzen Einführung und am Ende gibt es Ortswechsel. Die Zeit: vielleicht drei Stunden. De facto: ein Leben. Und die frühe BRD in einer Nußschale.
    Schnier ist der Sohn reicher Eltern, Abkömmling einer Braunkohlendynastie, protestantisch im katholischen Umfeld. Er ist von Kind auf klarsichtig, sensibel, sich der Spannungen und Brüche der Welt um ihn herum bewußt. Den vorgezeichneten Weg als Fabrikantensohn wollte er nie gehen, er hat schauspielerisches Talent. Er wird Clown. Kein Kinderclown, kein veträumter, poetischer Pierrot, sondern eine Art Hofnarr, der übertreibt, verzerrt, immer auf der Suche nach der Wahrheit. Clown ist nicht nur sein Beruf, sondern sein Dasein.
    Er eckt an, verliert die wenigen Freunde und Unterstützer, seine Geliebte, Marie, und schließlich sein Ansehen als Künstler. Er verliert es an eine Umwelt, die sich keiner Fehler und keiner Schuld bewußt ist, an ein Christentum ohne Menschlichkeit, an eine Politik, die sich bei weitem nicht vom Erbe des Nationalsozialismus gelöst hat, an Menschen, die aufgebläht sind von Selbstzufriedenheit und Selbstherrlichkeit.
    Es ist keine angenehme Lektüre. Der Mief der Fünfzier und Sechziger Jahre steigt förmlich aus den Seiten. Auch die frühe DDR wird übrigens nicht ausgespart. Es gibt keinen Trost.
    Magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Vielen Dank Magali, das macht richtig Lust darauf, es nochmal mit Böll zu probieren! :knuddel1


    Nachedm wir damals in der Schule "Die verlorene Ehre..." durchgenommen hatten, habe ich Böll nie wieder angerührt. :-(

  • Ach, Orlando, ich SAG'S ja.
    Schullektüre! Iss doch das LETZTE! Ich hab NIE die Lektüre im Deutschunterricht gelesen, (s. meinen Kommentar zu BJs 'Angst des Torwarts')
    Das verdirbt einem doch die Lust am Lesen bis ins Jahr 2205!
    Und grad Katharina Blum. Das ist doch nix für Kinners. Ist ein Super Buch, ein ganz, ganz wichtiges Thema, grad heute mit diesem verflixten Sensationsjournalismus.
    Vielleicht hast du irgendwann mal den Kopf wieder dafür.
    Und noch mal Achtung vor dem 'Clown'. Sperrig.
    Sage keiner, ich hätte nicht gewarnt :grin
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • mich hats genervt.
    kann aber sein, dass ich böll-vorgeschädigt aus der schule bin.
    oder dass - trotz der vorschädigung - die erwartungen zu hoch waren, weil verschiedene menschen mich über längere zeit "belatschert" hatten, ich MÜSSE es unbedingt lesen...
    und um den frust vollzumachen, entdeckte ich dann noch, dass ich es doppelt gekauft hatte, um ihren ansinnen endlich nachzukommen *g*.

    "Ein Buch ist wie ein Spiegel: Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Weiser herausschauen."(Lichtenberg)

  • mich hats zweimal nicht genervt.


    Das erste Mal hab ich es freiwillig während der Schulzeit gelesen. Vor allem, dass es einer mal mit der katholischen Kirche nicht so gut meinte, kam bei mir sehr gut an. (Kath. Elternhaus mit noch schlimmeren Bekannten)


    Aber dann entdeckte ich dazu noch das Hörbuch. Herr Böll liest selber. Das war erst gewöhnungsbedürftig - aber nach einer Zeit schon faszinierend.


    lest selbst, Ansichten eines Clowns als Hörbuch

    Binchen
    :write
    Kein Lesen ist der Mühe wert, wenn es nicht unterhält. (William Somerset Maugham) ;-)

  • Ich hab dieses Buch im Sommer freiwillig gelesen :-] und es ist auch eines meiner Bücher für mein Spezialgebiet:
    Ich liebe dieses Buch :hop
    Ich finde, es ist soooo schön geschrieben und es stehen so viele schöne Sachen drinnen...


    Zitat

    Nachedm wir damals in der Schule "Die verlorene Ehre..." durchgenommen hatten, habe ich Böll nie wieder angerührt.


    Ich versteh das nicht :gruebel Das sagen nämlich so viele, und derweil hat mich dieses Buch erst zum Böllfan werden lassen... komisch

  • ich glaube, es geht da nicht unbedingt gegen kathis ehre*g*, sondern darüber, WANN und WIE das buch besprochen wurde. es ist da wie bei der klassischen musik. sind die jungen leute noch nicht soweit oder wollen sie noch nicht soweit sein, was auch immer, wenn man etwas lesen (besprechen) MUSS - wird einem - oft leider für lange, manchmal für immer - der spass daran verdorben. :wave

    "Ein Buch ist wie ein Spiegel: Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Weiser herausschauen."(Lichtenberg)

  • Es ist mir so gründlich verdorben, dass ich das Buch damals sogar weggeworfen habe. Ich weiss nicht, ob ich es mir nochmal kaufen soll, nur um vielleicht festzustellen, dass es mir immer noch nicht gefällt :gruebel

  • Also wir haben damals "Die Ehre der Katharina Blum" ungefähr zeitgleich mit diesem Buch von Walraff gelesen (das ich übrigens in meiner Schullektüre vergessen habe, aufzuzählen).
    Dieser Walraff hatte damals ein Buch darüber geschrieben, wie er sich als Reporter verdeckt in die Redaktion der BILD-Zeitung einschleuste.


    In Zusammenhang mit diesem Buch war "Die Ehre der......" wirklich sehr interessant zu lesen. Obwohl ich damals auch erst 15 oder 16 war.
    Allerdings hatten wir zu der Zeit auch eine gute Deutschlehrerin, die die Bücher nicht "zu Tode" interpretiert hat ;-)

  • wallraffs aufmacher haben wir damals auch gelesen.
    fand ich auch sehr aufschlussreich.
    wir lasen ihn allerdings nicht in zusammenhang mit böll.
    irgendwie wurde uns (und deutsch und geschichte gehörten eigentlich zu meinen lieblingsfächern!) geradezu eine abneigung gegen grass und böll eingeimpft (sowohl von lehrer- als auch von schülerseite sicher ungewollt eingeimpft).
    :wave

  • Die verlorene Ehre.... haben wir auch als Schullektüre gelesen, im Zusammenhang mit Medien einfach!
    Kann mich gar nicht dran erinnern, dass wir das großartig durchbesprochen hätten? :wow Ich glaub, das Schuljahr war vorher aus!? Na ja...
    Fakt: Seit dem Buch bin ich Böll Fan :hop

  • Zitat

    Original von Orlando
    Nachedm wir damals in der Schule "Die verlorene Ehre..." durchgenommen hatten, habe ich Böll nie wieder angerührt. :-(


    Hatte ich zwar nicht als Schullektüre, aber das war auch mein erstes und wahrscheinlich letztes Buch von Böll.
    ...obwohl Magalis Vorstellung ja schon wieder neugierig macht.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Eigentlich bin ich ja schon Ironie versprochen, aber vielleicht überlegt sie es sich ja noch anders...ich geb' Dir dann Bescheid. ;-)


    was muss ich (nachträglich) lesen???


    ja, glaubst du denn da kommst du so einfach raus? glaubst du du könntest dich aus diesem verprechen winden?