Oliver Harris: London Killing
Karl Blessing Verlag 27. Februar 2012. 480 Seiten
ISBN-13: 978-3896674388. 19,95€
Originaltitel: The Hollow Man
Übersetzer: Wolfgang Müller
Der Autor
Oliver Harris, geboren 1978 in London. Er hat am University College of London Englische Literatur studiert und an der University of East Anglia Creative Writing. Momentan schreibt er an seiner Doktorarbeit über Psychoanalyse und Griechische Mythologie. Bisher hat er verschiedene wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht, unter anderem über Obszönität und Verschwörungstheorien. Er reist sehr gerne, vor allem an kalte Orte. "London Killing" ist sein erster Roman.
Verlagstext
Eine tödliche Spirale aus Lügen und Korruption, aus Identitätsschwindel und Finanzbetrug und ein punktgenaues Porträt Londons ---
Es sieht nicht gut aus für Detective Nick Belsey: Er hat einen Haufen Schulden – verursacht durch zwei hartnäckige Exfrauen und einen ausschweifenden Lebenswandel –, kein Dach mehr über dem Kopf und ein Disziplinarverfahren am Hals. Fieberhaft überlegt er, wie er sich aus dem Staub machen könnte.
Da landet ein Fall auf seinem Schreibtisch: Ein russischer Oligarch aus dem reichsten Stadtteil Londons, Hampstead Heath, ist spurlos verschwunden. Belsey fängt an, auf eigene Faust zu ermitteln, denn in ihm reift ein Plan – die Identität des Vermissten könnte ihm dabei helfen, sich heimlich abzusetzen und ein neues Leben anzufangen. Als er bemerkt, dass jemand vor ihm bereits dieselbe Idee gehabt hat, hält ein zielsicherer Auftragskiller bereits die ganze Stadt in Atem. Belsey steckt mittendrin in einem Strudel aus Korruption und Finanzbetrug und versucht abzutauchen, bevor er untergeht… Ein raffinierter, schneller und wendungsreicher Thriller mit einem erfrischend anderen Detective, der selbst ständig hart an der Grenze zur Illegalität ermittelt, in der Hoffnung, damit seine eigene Haut zu retten, und mit einem atemberaubenden Finale.
Inhalt
"Belsey nahm die Black Friars Bridge über den Fluss. Die Sonne ging unter. Nach der Hälfte der Old Kent Road hatte er das Gefühl zu fallen. Das elastische Band der Zeit schnalzte zurück und katapultierte ihn durch seine einst vielversprechende Karriere, durch Southwark zurück in Richtung Elephant und Castle." (S. 97)
Detective Constable Nick Belsey von der Londoner Metropolitan Police hat einen Black Out. Widerwillig tastet er sich in die Realität zurück, erinnert sich wie er bäuchlings in den Hampstead Heath Park gelangt ist und was er mit dem Streifenwagen eines fremden Polizeibezirks angestellt hat. Nick ist am Ende, pleite, wohnungslos. Angehörige oder Freunde, die Nicks Selbstzerstörung durch Suff und Spielsucht aufhalten könnten, scheint es nicht zu geben. Auch im Dienst hat Nick sich nicht mit Ruhm bekleckert; die Dienstaufsicht sitzt ihm im Nacken. Wer so weit unten ist wie Nick, träumt vom ganz großen Abgang. Das Chaos in Nicks Leben verschlägt mir die Sprache. Als Nick die Villa des vermisst gemeldeten Oligarchen Alexei Devereux betritt, schien es mir sicher, dass Nick sein bürgerliches Leben nun an die Wand fahren würde. In dem zunächst unbedeutend wirkenden Vermisstenfall interessiert sich offenbar niemand für die Abriegelung der Villa Devereux zur Spurensicherung. DC Belsey nistet sich im Haus ein, bedient sich aus dem Kleiderschrank des russischen Geschäftsmannes. Das Leben des vermissten Russen ist für Belsey wie ein glitzernder Spielplatz. Geradezu obszön wirkt der Kontrast zwischen dem heruntergekommenen Ermittler und der nüchternen Luxus-Villa. Nick zieht es wiederholt in die Villa, er beginnt auf eigene Faust Devereux geschäftlichen Hintergrund zu recherchieren und findet schließlich - versteckt - den Toten. Als organisatorisches Multitalent muss der öffentlichkeitsscheue Devereux Anlageobjekte in geradezu märchenhaftem Buchwert vermittelt haben. Belsey handelt als geisterhafter Ermittler ohne dienstlichen Auftrag, der sich durch die Realität treiben lässt und offenbar in keinem Dienstplan auftaucht. In Belseys moralischem Vakuum gibt es keine Seite, auf die er sich stellen könnte.
Nicks geplante Suspendierung gerät in Vergessenheit, als er in einem Café direkter Augenzeuge eines Mordes wird, dessen Opfer im Zusammenhang mit Devereux und dessen Geschäften steht. Nick agiert nun in einer Zwischenwelt; denn es ist nicht geklärt zu welchem Polizeirevier er gerade gehört. Er verlässt sich bei seinen Alleingängen auf die Trägheit des Polizeiapparats. Schließlich ist Nick mit gestohlener Identität unterwegs zwischen Wirtschaftskriminalität in höchsten politischen Kreisen, Polizisten, die nicht nur auf einer Gehaltsliste stehen, der Journalistin Charlotte auf der Spur der Wirtschaftskriminellen und einem weiteren privaten Ermittler. In einer Gesellschaft, in der niemand mehr weiß, auf wessen Seite die Polizei steht, ist Nick Belsey mit einem Fuß aus seinem alten Leben getreten - sein nächster Schritt könnte auch sein letzter sein. Ein verborgener Beobachter weiß, dass Nick Spieler ist. Er könnte den Detective Constable mit dessen eigenen Mitteln schlagen - auch der Beobachter nur eine Marionette im Spiel?
Fazit
Die atemberaubend spannenden Ereignisse, die sich innerhalb weniger Tage abspielen, lassen bis zum Ende offen, wer Freund und wer Feind ist. Das Aufeinanderprallen zwischen protzigem Reichtum und dem Alltag der kleinen Leute inszeniert Oliver Harris vor der mit großer Liebe zum Detail gezeichneten Kulisse Londons. Die Atmosphäre der Parks, ein Straßenzug am Regents Canal; der Atem der Stadt war für mich auf jeder Seite zu spüren und hat mich an diesem überraschenden Thriller-Debüt am stärksten begeistert. Ob verwesende Leiche oder die Figur eines kleinen Altmetalldiebs - Harris beschreibt seine Figuren liebevoll und genau. Die Person Nick Belseys stellt der Autor über eine weite Strecke stark in den Vordergrund, ohne ihm das Klischee des gesundheitlich angeschlagenen Ermittlers als einsamer Wolf überzustülpen. Ein ungewöhnlicher, mitreißender Thriller mit turbulentem Ende, der vermutlich so manchem während Belseys extravaganter Alleingänge die Haare zu Berge stehen lassen wird.
9 von 10 Punkten