Schneetage - Jan Christophersen

  • Umschlagtext
    Vor der Kulisse der großen norddeutschen Schneekatastrophe um die Jahreswende 1978/79 erzählt Jan Christophersen eine packende Familiengeschichte. Darin schafft er unvergessliche Figuren und entwirft das beeindruckende Bild einer rauen Gegend voller Wasser, Sand und Schnee. Er erzählt von der Suche nach Identität in einer Familie, in der das Schweigen den Weg zueinander zu einer langen Reise werden lässt - atmosphärisch dicht, mit leisem Witz und einer kraftvollen, suggestiven Sprache.


    Autor
    Jan Christophersen, 1974 in Flensburg geboren, erhielt mehrere Stipendien, u. a. eines der Akademie der Künste zu Berlin. "Schneetage" ist sein erster Roman, der mit dem Debütpreis des Buddenbrookhauses ausgezeichnet wurde.


    Meine Meinung
    Geschickt aufgebaute Story, in vielen Spiegelungen wunderbar ruhig erzählt und dennoch einem packenden Spannungsbogen konsequent folgend. Auch für Menschen, die die Schneekatastrophe nicht (wie ich) hautnah miterlebt haben, ist sie eine genial gewählte Parabel, die Christoffersen geschickt nutzt. Ein feines Buch!

  • Das hört sich ja wirklich interessant an. Sowas lese ich gerne. Dann wandert das Buch gleich auch auf meine Wunschliste. :grin

    Zündet man eine Kerze an,erhält man Licht.Vertieft man sich in Bücher,wird einem Weisheit zuteil.Die Kerze erhellt die Stube, das Buch erleuchtet das Herz.


    (Sprichwort aus China)

  • Die Familie Tamm betreibt in Nordfriesland direkt an der Grenze zu Dänemark den Grenzkrug, einen Gasthof mit Festsaal. Die Chefin hat ihren Mann Paul während des zweiten Weltkriegs kennengelernt, jahrelang haben die beiden sich nur Briefe schreiben können. Bei seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft ist Paul plötzlich Gastwirt, Vater eines kleinen Sohnes und kurze Zeit später Pflegevater eines zweiten Sohnes, dessen alleinerziehende Mutter gestorben ist. Später wird als Nachkömmling noch eine Tochter geboren. Pflegesohn Jannis erzählt die Geschichte der Tamms in der Ichperspektive und in Mosaiksteinchen, die sich erst im Laufe der Handlung zu einer Geschichte fügen. Jannis teilt mit Paul das Interesse an Heimatgeschichte und Hobbyarchäologie. Ihre Ausflüge ins Watt auf der Suche nach Überresten des legendären Rungholt sind natürlich auch willkommene Gelegenheiten zu ungestörten Gesprächen, fern vom Trubel im Gasthof. Paul und Jannis sind beide im Ort Gestrandete. Paul spielt in der Familie eine Sonderrolle, er ist nicht etwa Chef oder der Wirt, sondern Paul und scheint im Gasthof wenig zum Familienunterhalt beizutragen.


    Die Rahmenhandlung spielt zur Jahreswende 1978/79 als durch den ungewöhnlich starken Schneefall Norddeutschland vom Rest der Welt getrennt wird und für Tage Elektrizität und Telefon ausfallen. Der Gasthof hat hier oben zu jeder Zeit Gestrandete aufgenommen und tut das auch während der Schneekatastrophe wieder. In dieser Notsituation wartet Paul dringend auf die Antwort einer Behörde, an die er sich wegen einer im Watt gefunden Metallscherbe gewendet hat. In Rückblicken lassen sich die ersten Nachkriegsjahre verfolgen, als Paul die ungeliebte Aufgabe übernahm, für ankommende Flüchtlinge Zimmer zu finden und zu beschlagnahmen. Nahrungsmittel sind selbst auf dem Land noch knapp, so wird im Dorf selbst Schnaps gebrannt (illegal) und Tabak angebaut (offiziell und versteuert). Heikles Thema kurz nach einer Volksabstimmung über die Zugehörigkeit der Region zu Dänemark sind die Überläufer, die die dänische Staatsangehörigkeit annehmen, ihre Namen in der dänischen Version schreiben und sich damit Fresspakete dänischer Hilfsorganisationen verdienen. Einen wichtigen symbolischen Angelpunkt im Roman spielt eine Okarina, die auch im Watt gefunden wurde, aber nicht älter sein kann als aus dem 19. Jahrhundert.


    Die Schneekatastrophe liefert die Rahmenhandlung für eine Spurensuche im Watt und in der Familie. Jannis erzählt in Rückblicken über die Nachkriegszeit und die erste Entwicklung des Tourismus in der Gegend als Einnahmequelle für den Gasthof. Die brennende Frage, wer sein leiblicher Vater ist und warum er zu den Tamms kam, stellt der junge Mann noch nicht von sich aus; Paul dagegen wartet lange ab, dass Jannis ihn danach fragen wird. Jan Christophersen erzählt die ungewöhnliche Nachkriegsgeschichte sehr ruhig, nutzt jedoch nicht alle Möglichkeiten, die sich aus der Familienkonstellation und Jannis' Erzählerrolle ergeben könnten. So bleibt der Erzählton gleichförmig, auch wenn sich einmal ein Kind erinnert, das damals noch nicht zur Schule ging, und in anderen Szenen der erwachsene Jannis Paul mit den Augen eines Erwachsenen betrachtet.


    8 von 10 Punkten