Die Judenbuche - Annette von Droste-Hülshoff

  • Fragt man die SchriftstellerInnen, so handelt es sich um eine Offenbarung. Manches Werk der deutschen Literatur ab der Wende zum 20. Jahrhundert wäre ohne diese Erzählung nie entstanden. Ein Knüller?
    Fragt man Schülerinnen und Schüler der (west)deutschen Gymnasien seit ca. Mitte der 50 Jahre, dann hat die Erzählung gute Chancen auf der Liste der meistgehaßten Bücher einen der vordersten Plätze einzunehmen. Ein Knüller, wahrhaftig.
    Warum 'Die Judenbuche' lesen, nach inzwischen 163 Jahren?
    Die Handlung ist schnell erzählt. In einem kleinen, abgelegenen Dorf im bergig-waldreichen Westfalen des 18. Jahrhunderts wächst die Hauptfigur, Friedrich Mergel, in sehr armseligen Verhältnissen auf. Sein Vater, ein Trinker, stirbt unter ungeklärten Umständen, als Friedrich knapp zehn ist. Seine Mutter bringt ihn mithilfe der kleinen Landwirtschaft mühsam durch, unterstützt von ihrem Bruder, Simon, der, wie die anderen Dorfbewohner auch, im 'Nebenberuf' Wilddieb und Holzdieb ist. Der untergründige stete Kampf gegen die Obrigkeit, die Förster wie den örtlichen Gutsherrn, bestimmt das Leben ebenso wie die wachsende Armut und der ländliche Katholizismus. Friedrich paßt sich im Verlauf der Geschichte an dieses Wertsystem an und wird in ihm selbst, vor allem unter dem Einfluß seines Onkels, zum Verbrecher; zuerst zum Mitwisser an einem Mord und schließlich selbst zum Mörder an dem jüdischen Geldverleiher der Gegend. Er flieht mit seinem 'Jugendfreund' Johannes. Die Familie des Ermordeten schwört Rache und verflucht den Tatort wie den Mörder. Jahrzehnte später kehrt Friedrich in sein Dorf zurück. Zunächst für Johannes gehalten, versucht er unter diesem Deckmantel ein 'normales' Leben zu führen. Doch die alte Schuld holt ihn ein. Friedrich erhängt sich an dem Baum, unter dem er Aaron ermordet hat. Der Fluch hat seine Wirkung getan.
    Der Titel der Geschichte, Die Judenbuche, stammt nicht von Droste selbst, sondern vom Redakteur der Zeitschrift, in der die Erzählung 1842 erschien.
    Droste nannte die Geschichte: Ein Sittengemälde aus dem gebirgigten Westfalen, heute der Untertitel. Ihn sollte man bei der Lektüre unbedingt berücksichtigen, denn wir bekommen hier 'Sitten' gemalt.
    Irritierend für LeserInnen von heute ist diese Welt ganz bestimmt. Hier herrschen andere Konventionen, andere Gesetze. Katholische Kirchlichkeit prägt das Milieu, die Spannung zwischen Heil und Sünde. Schutzgebete und Legenden gehören zum Alltag ebenso wie Geisterglaube und der Glaube an die Wirksamkeit von Flüchen. Das Ganze ist durchzogen vom Bann des Bösen, das als etwas Eigenständiges, von Menschen nicht beherrschbares, regiert. Ein magisches Weltbild kommt hier zum Tragen, ganz prominent in der Magie des Ortes, dem Standort der Buche. Ganz ungehemmt setzt uns Droste einer vormodernen Welt aus, voraufklärerisch, deren Gesetze selbst die Natur unterworfen ist. Der Wald, die steilen Pfade, die Felsblöcke, der Lehm der Hauswände, das Feuer im Herd, sogar Himmel und Wetter. Alles Motive übigens, die wir in einem landläufigen Fantasy-Roman schlucken, ohne auch nur einmal darüber nachzudenken.
    Hier tun wir es nicht. Warum? Weil alles so echt ist, so authentisch. Dieses Drama spielt sich unter Menschen ab, vor langer Zeit zwar, aber in einer durchaus vertrauten Umgebung, nicht in einem Phantasiereich. Kopfüber werden wir in eine andere Realität gestürzt, die doch die unsere ist. Unsere Ängste, unsere Sorgen, unsere Fragen nach Schuld und Sühne.
    Daß die Sprache großartig ist, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.
    Ob die Geschichte wirklich für jugendliche LeserInnen geeigent ist, kann ich nicht sagen. Wozu sie sich aber auf keinen Fall eignet, ist, rücksichtslos nach Naturbeschreibung - Doppelgängermotiv - Handlungsablauf seziert und kleingehackt zu werden, um ihren zerfledderten Leichnam nach exakt 10 Unterrichtseinheiten à 45 Min. zufrieden an den Ast neben Friedrich zu hängen.
    Zum Lesen geeignet, einfach so, ist sie entschieden.
    Vor ein paar Tagen habe ich eine Bekannte gefragt, was sie denn von der 'Judenbuche' hielte. "Grandios", antwortete sie. "Verrückt eigentlich. Jedesmal, wenn man die Geschichte wieder liest, wird sie dunkler."
    Ja.
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • na toll, voll erwischt.
    auf meinem vorurteilsfüsschen, meine ich, die doch so vorurteilsfreie*g*.
    in der schule hab ich ADH irgendwie verpasst, ich war wohl zu einem mehrwöchigen lungenkräftigungsaufenthalt an der nordsee oder so. begegnet ist sie mir dann im programm eines kabarettisten, der schilderte, wie in einem pensionistenwohnheim eine lesung aus ihren werken gehalten wird. man assoziierte zahnlos, dürres laub und ähnlich neckisches.
    deine interessante schilderung hat mich neugierig gemacht.
    dankeschön! :anbet :wave

    "Ein Buch ist wie ein Spiegel: Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Weiser herausschauen."(Lichtenberg)

  • frosch,
    danke deinen Lungen. Sie haben Dich vor Schlimmem bewahrt. Und dir die echte Chance gegeben, eine Schriftstellerin zu entdecken.
    :-)
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • genau -

    Zitat

    frosch,danke deinen Lungen. Sie haben Dich vor Schlimmem bewahrt. Und dir die echte Chance gegeben, eine Schriftstellerin zu entdecken.


    denn so ist Dir Schlimmes erspart geblieben. Vielleicht wirkt das Stückchen Literatur ja doch auf derart unbelastete Wesen.


    Ich gehöre zu den HASSERN dieses Buches (hinzu gesellen sich aus denselben Gründen, Michael Kohlhaas und Maria Stuart)

    Binchen
    :write
    Kein Lesen ist der Mühe wert, wenn es nicht unterhält. (William Somerset Maugham) ;-)

  • Zitat

    Original von binchen
    Ich gehöre zu den HASSERN dieses Buches


    Ich würds nicht ganz so krass formulieren, aber für mich war das auch so ziemlich das schlimmste, was ich in meiner Schulzeit vorgesetzt bekommen hab, dicht gefolgt von Der Untertan.... *örghs*

  • Manchmal denke ich mir, man sollte in der Schule vielleicht gar nicht mehr lesen, wenn das immer so schief läuft ;-)


    Ich mag ADH, wir haben sie aber auch *nicht* in der Schule gelesen. Mir geht es halt so mit Böll & Brecht *würg*, totgequatscht halt.

  • Zitat

    Original von binchen
    genau -


    denn so ist Dir Schlimmes erspart geblieben. Vielleicht wirkt das Stückchen Literatur ja doch auf derart unbelastete Wesen.


    Ich gehöre zu den HASSERN dieses Buches (hinzu gesellen sich aus denselben Gründen, Michael Kohlhaas und Maria Stuart)


    Hi, binchen.
    Kleist und Schiller? Wenn das nicht typisch Deutschunterricht ist. Vergiß einfach, was du gehört hast.
    Beides lohnt sich, ungeheuer
    Gilt auch für alle anderen Betroffenen. Orlando: Brecht LESEN. Irre!!
    Ich schwör's!!! :-)
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Magili, ich kann mich noch nicht mal dem Clown widmen, obwohl ich es nach deiner Vorstellung wirklich vorhatte.


    Manche Lehrer haben es einfach drauf :-(


    Den Kohlhaas habe ich jenseits der Schule gelesen und fand ihn ganz toll!


    Aber Brecht/Böll ... wir hatten so eine richtig linke Socke als Deutschlehrer - war ein hartes Brot :lache

  • Zitat

    Original von Orlando


    Aber Brecht/Böll ... wir hatten so eine richtig linke Socke als Deutschlehrer - war ein hartes Brot :lache


    Also, eine linke Socke bringt gar nichts! Und Socke sowieso nicht. Links muß man im Herzen sein und im Kopf. Dann wirkt's.
    Schon mal Gisela May gehört?
    ;-)
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Er war es vor allem mit dem Mund :grin


    Ach ja, was hab ich den geärgert...


    Wenn der gewusst hätte, was später mal aus mir geworden ist :wow



    Gisela May - google sagt Brecht-Interpretin ;-), habe keine persönlichen Erfahrungen gemacht.

  • Glaub ich. Das mit dem Mund, meine ich.
    Linkes Geschwätz ist das Letzte.
    Mach ich nie. ;-)
    Ja, May ist Sängerin und Schauspielerin. Tolle Brecht-Interpretin. Wenn sie 'Surabya -Johnny' singt, sinke ich immer dahin. Fast so toll wie Lotte Lenya. Live ist sie am besten, aber sie tritt kaum noch auf. Vielleicht siehst Du sie ja mal im Fernshen.
    Und nun möchte ich dich nicht weiter davon abhalten, festzustellen, ob du nun mit Sarah und Patience vor hundertfuffzig Jahren auskommst oder nicht
    :lache
    Lektüre ist Geschmackssache, so isses halt.
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Ich habe gestern bei meinen Eltern auf dem Dachboden eine gebundene Version mit Umschlag gefunden von der Judenbuche. Ich würde gern mal wissen von wann die ist, aber leider steht kein Erscheinungsjahr drin.
    Ist allerdings in Fraktur geschrieben.

  • Oh mann habn sie letzens in der schule lesen müssen.....ich kanns euch sagen freiwillig hätt ich mir das niemals angetan...unser lehrer fands so gut das wir fast 2 monate drauf rumkauten....das buch ist soooo...komisch echt man kanns nicht anderes beschreiben nicht spannend ,tifgründing oder so nur komisch....hab die arbeit darüber zwar 1 geschrieben*angeb*aber das ging mal echt nicht klar ..verstah nicht warum man sowas in deiner freizeit lesen sollte...... :cry

    Am anderen Ende der Stadt steht ein Mädchen auf dem Balkon das Asche über das Geländer schnippt und in den Wolkenlosen Himmel schaut und dabei kaut ohne einen Bissen im Mund.

  • caramel-kaffee


    in der Schule früher hat mir die Geschichte auch nicht gefallen.
    Inzwischen durfte ich sie freiwillig lesen und da sieht die Sache schon anders aus.


    Immerhin hat sie sich für eine Eins rentiert ;-)


    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Also, auch wenn ich mich jetzt oute... ich fand das Buch gut.


    *hüstel*


    Das war so belangloses Dahingeplätscher... und für diese Epoche eben Gang und Gäbe... Wir hatten es in der Oberstufe gelesen. Bei uns gab es auch viele "Judenbuche-Hasser". Das was mir nicht so gefallen hat, war das Ende, aber okay... auch eine Frau, die mal auf dem 20-Mark-Schein drauf war, kann Fehler machen.


    ;-)


    Bott

  • Du findest das Buch gut, weil es belangloses Dahingeplätscher war?
    :gruebel


    Und Dein Blick auf die Epoche, ich meine, was da so 'Gang und Gäbe' war, hat mich, nun, verblüfft?
    Verwechselst Du jetzt nicht die Oberstufe mit der Mitte des 19. Jahrhunderts?
    :grin

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat


    Original von magali
    Du findest das Buch gut, weil es belangloses Dahingeplätscher war?


    Naja nicht unbedingt so formuliert... ich fand es einfach von der Stimmung her ruhig, gesetzt... und sehr zurückgezogen..


    Zitat


    Original von magali
    Und Dein Blick auf die Epoche, ich meine, was da so 'Gang und Gäbe' war, hat mich, nun, verblüfft?


    Hmm? Ich kann ja auch nichts dafür, dass zu der Zeit gleich zwei Epochen existieren...
    die Novelle gehört doch in den Biedermeier... und diese ist doch gekennzeichnet von Zurückgezogenheit und so weiter... auf alle Fälle steht bei mir Biedermeier höher im Kurs als Vormärz... gruseliges Zeug... (bis auf Woyzeck - das war so abgedreht, dass es wirklich gut war ;-) )


    Naja und Mitte des 19. Jahrhunderts... da war ja schon alles vorbei... die beiden Epochen dauerten ja nicht so lange... (1830-1850) Danach kam ja echt gräßliches Zeugs: poetischer Realismus... *örks*


    Oder hab ich das jetzt irgendwie falsch verstanden?

  • Ja, doch, am 'örks' gemessen, hast Du was in den falschen Hals gekriegt. ;-)


    Aber macht nichts, lies einfach weiter. Irgendwann bekommt auch das 'örks' seine Sinn.


    :wave



    Ich weiß nicht, was ich tun würde den lieben langen Tag, wenn ich keine Schreibfehler ausbessern könnte. :bonk


    Ich SAG'S ja :bonk :bonk

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Ich habe die Judenbuche in der 8. Klasse in der Schule gelesen. Damals fand ich sie nicht so prickelnd, was aber eindeutig an unserem Deutschlehrer lag, der seine am Fenstergriff aufgehängte Jacke mit einem Schüler verwechselte und die Jacke dann bat, sich doch endlich hinzusetzen. Der war echt eine Hammer Schlaftablette.


    Werde das Buch demnächst noch einmal durchlesen. Mal schauen, wie ich es dann finde.


    LG,
    ImmI!