Reise ans Licht - Christa Parrish

  • War das Richtige nicht manchmal genau das Falsche? Nichts war absolut. Wer konnte mit Sicherheit sagen, was richtig und was falsch war? (Seite 298)


    335 Seiten, gebunden
    Originaltitel: Watch Over Me
    Aus dem Amerikanischen von Evelyn Reuter
    Verlag: Brunnen Verlag, Gießen 2012
    ISBN-10: 3-7655-1182-X
    ISBN-13: 978-3-7655-1182-0



    Zum Inhalt (Quelle: eigene Angabe)


    Ben arbeitet seit seiner Rückkehr nach einer Verwundung im Afghanistan-Krieg Dienst als Hilfssheriff. Seine Ehe mit Abbi ist in einer tiefen Krise. Als er im Dienst ein ausgesetztes Baby findet, erhalten sie es zur Pflege, bis die Eltern gefunden sind. Durch das Baby sind sie gezwungen, wieder aufeinander zuzugehen. Ihre Beziehung scheint sich zu bessern.
    Dazu kommt die Bekanntschaft mit Matthew, einem tauben Jungen, der aus schwierigen Verhältnissen kommt und beim Rasenmähen oder auch mal im Haushalt hilft.
    Doch über den sich langsam bessernden Verhältnissen schwebt das Damoklesschwert, daß die Mutter des Babys gefunden werden könnte und das fragile Gleichgewicht wieder zusammenbricht. Oder vermag das Pflegekind Ben und Abby soweit zusammenzubringen, daß die Gräben überwunden werden können?
    Aber da ist noch Matthew, der drei Mal die Woche zur Dialyse muß, dringend auf eine Spenderniere wartet und seine eigenen Dämonen besiegen muß.



    Über die Autorin (Quelle: Website der Autorin)


    Christa Parrish hat einige Preise für ihre Arbeit gewonnen. Sie ist verheiratet, Mutter von drei Kindern und neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit in der Gemeinde ihres Mannes tätig.


    - < Klick > - die Website der Autorin (in englischer Sprache)



    Vorbemerkung


    Um Mißverständnisse zu vermeiden: Das ist ein christliches Buch. Wenn ich Formulierungen wie „wir“ verwende, beziehen sich diese meist nicht auf die Gesamtgesellschaft, sondern auf den christlich geprägten Teil, dem ich mich zugehörig fühle. Ferner ist Denken und Handeln eines großen Teils der Protagonisten stark von ihrem aktiv gelebten Glauben geprägt. Handlungsweisen wie Beten oder Hinwendung zu Gott werden als normal und notwendig angesehen.



    Meine Meinung


    „Ungewöhnlich“ wäre ein Begriff, der auf dieses Buch ist in mancherlei Hinsicht zutrifft. Ungewöhnlich im Hinblick auf die Hauptpersonen, die so gar nicht dem Mainstream-Schema entsprechen.


    Denn da ist Abbi, die ehemalige Hippie-Braut, verheiratet mit Benjamin Patil, der in Afghanistan verwundet wurde, aus dem aktiven Dienst ausscheiden mußte und nun als Hilfssheriff Dienst tut. Daß er überlebte, während sein Freund bei einem Überfall in Afghanistan ums Leben kam, hat er nie verwunden. Abbi hingegen, die Pazifistin, trägt Tattoos, hat gegen den Krieg demonstriert (während ihr Mann im Einsatz war) und kämpft gegen ihre Fettsucht. Ihre Ehe befindet sich in einer schweren Krise.


    Dann ist da noch Matthew, der etwa siebzehnjährige taube Junge aus schwierigen Verhältnissen, der bald eine Nierentransplantation braucht, will er weiterleben.


    Ungewöhnlich ist das Buch im Hinblick darauf, daß es eben nicht darum geht, daß „sie sich kriegen“, sondern um das, was nach der Hochzeit kommt: die Bewährung im täglichen Leben, dann, wenn die Probleme kommen. Knüppeldick.


    Ungewöhnlich im Hinblick auf die Vielzahl der Themen, die angesprochen werden: Kriegstraumata, Ehekrise, Familienprobleme, zerrüttete Familien, was ist richtig - was ist falsch. Ganz zu schweigen von der Frage, wo denn Gott bei all dem Leid ist (Stichwort Theodizee, s. u.). Um nur die Wesentlichen zu nennen.


    Ungewöhnlich auch dergestalt, daß trotz der scheinbaren Themenfülle das Buch nicht überladen wirkt, sondern sich alles logisch und folgerichtig entwickelt. Daß selbst dann, wenn es knüppeldick kommt, es nicht gekünstelt wirkt, sondern sehr realitätsnah. An manchen Stellen habe ich mich gefragt, ob die Autorin recherchiert hat - oder aus eigener Erfahrung schrieb. Denn die sind so nah am Leben, daß ich mir kaum vorstellen kann, daß sich jemand solches vorstellen kann.


    Und ungewöhnlich schließlich dahingehend, daß die Autorin diese schwierigen Themen und Situationen mit einer bewundernswerten Leichtigkeit meistert und für mein Empfinden zu jeder Zeit die richtige Balance zwischen Ernst und Unterhaltung, für jede Situation den richtigen Ton findet.


    Hatte ich zu Beginn etwas Schwierigkeiten mit dem teilweise recht zahlreichen Personal, so gab sich das nach geraumer Zeit. Das Buch entwickelte einen Sog, dem ich mich kaum entziehen konnte. Ein „Pageturner“, bei dem es mir schwer fiel, für so unwichtige Dinge wie Essen, Schlafen oder gar Arbeiten Lesepausen einzulegen.


    Die Figuren erwachten in meinem Kopf zum Leben, ich konnte sie mir gut vorstellen und nachfühlen, weshalb sie so handelten, wie sie es denn taten. Überraschend war vielleicht, wie (innerlich) stark Matthew ist und welch guten Einfluß er auf seine direkte Umgebung ausüben kann. Andererseits gibt es in seiner Situation wohl nur zwei Möglichkeiten: entweder man zerbricht oder man wächst. Er ist zum Glück gewachsen.


    Und schließlich ist ungewöhnlich, daß Benjamin einer eingewanderten indischen Familie entstammt. Während seine Eltern ihren Traditionen verhaftet sind, ist er voll amerikanisiert. Das taucht zwar nur am Rande auf, wirft jedoch ein weiteres interessantes Licht auf das Geschehen.


    Nicht ungewöhnlich hingegen ist, daß die Autorin aktuelle zeitgeschichtliche Themen mit verarbeitet, Stichwort Afghanistankrieg. Solches ist mir inzwischen - im Gegensatz zu deutschen Autoren - öfters begegnet, nämlich daß solche Ereignisse der jüngsten Geschichte Eingang in Filme (bis hin zu Weihnachtsfilmen, siehe „The Christmas Card“) und Bücher finden. Fast zwangsläufig tauchen dann auch Fragen nach (möglicher) Schuld, Umgang damit und Vergebung auf.


    Schließlich sind (fast) alle offenen Fragen geklärt und Handlungsstränge zu einem Ende geführt. Und erst hier, auf den letzten Seiten, haben mir ein paar solcher gefehlt, lies das hätte etwas ausführlicher sein dürfen. Zwar ist die verstrichene Zeit passend zu den Entwicklungen, aber es wird denn doch etwas zu schnell erzählt, wodurch an manchen Stellen zu deutlich hervortritt, was besser in die Geschichte hineinverwoben wäre. Das allerdings ist mein einziger wirklicher Kritikpunkt.


    Denn Christa Parrish hat ungemein viel inhaltliche Tiefe in einen wirklich lesenswerten Roman verpackt. Das ist ihr mit einer bewundernswerten Leichtigkeit gelungen, ohne daß ich je das Gefühl gehabt hätte, das Buch ist „abgehoben“ oder „unrealistisch“. Nein, genau so könnte es sich zutragen. Jetzt. Irgendwo.



    Kurzfassung:


    „Durch Nacht zum Licht“. Schwierige aktuelle Themen in einen gut lesbaren Roman umgesetzt. Absolut lesenswert.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Watch Over Me - Christa Parrish


    Hier noch die amerikanische Originalausgabe.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Ich habe mir das Buch dann mal bestellt! :-)


    Oh je, dann hoffe ich mal auf gnädige Aufnahme. ;-)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier


    Oh je


    Das mein Interesse an einem Buch zu einem Oh je führt macht mich ein wenig traurig,
    aber das Buch ist angekommen und ich habe bereits hineingesehen.
    Schon der Anfang zeigt eine erfreuliche Komplexität und vielschichtige Figuren.

  • Na ja, ich hatte ja extra einen " ;-) " - Smilie verwendet. :wave


    Auch im Nachhinein hat mir das Buch gefallen und ist mir in guter Erinnerung geblieben, ich werde sicherlich weitere Bücher der Autorin lesen. Unsicher bin ich mir halt immer, wie andere das sehen; obwohl, da Du ja öfters aus dem Genre liest, auch Gefallen an dem Buch finden dürftest. Allerdings hatte ich zu Beginn etwas Schwierigkeiten mit dem Personal, dafür gab es etliche Assoziationen zu anderen Büchern Filmen, ich zitiere mich jetzt einfach von anderweitig:


    "Seltsamerweise hat das Buch Assoziationen bei mir geweckt. In Bezug auf die Ehe von Abby und Ben an den Film „Fireproof - Gib deinen Partner nicht auf“. Und im Hinblick auf Ben seltsamerweise „Und über uns die Wolken“ von Karen Harter, obwohl die einzige Gemeinsamkeit mit dem Buch ist, daß beide im Polizeidienst sind."


    Ich bin jedenfalls auf Deine Meinung gespannt. :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Reise ans Licht – Christa Parrish


    Den Vergleich mit Karen Harter finde ich nicht schlecht, denn beide Autorinnen haben in ihren Romanen eine gute Art, reale Probleme und glaubwürdige Figuren zu beschreiben.
    Dabei zeigt sich, dass die Beziehungen der Figuren untereinander der Schlüssel sind.


    Das Personal des Romans wächst einen schnell ans Herz. Der Polizist und Ex-Soldat Benjamin Patil, seine Frau Abby, Elly, die kleine Lena und besonders Matthew.


    Dabei haben diese alle ihre Schwierigkeiten und Schwächen.
    Matthew stammt aus einer zerrütteten Familie und ist aufgrund des Alport-Syndroms Gehörlos und Nierenkrank. Seine körperlichen Beeinträchtigungen sind lebensgefährlich, er braucht eine neue Niere.


    Benjamin leidet unter seinen schlimmen Kriegserfahrungen. Darunter leidet auch seine Ehe mit Abby, die eine Antikriegs-Einstellung vertritt. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Thema für amerikanische Leser noch immer ein sehr heißes und unbequemes ist.


    Christa Parrish trivialisiert also keine Probleme, dennoch scheinen ihre Figuren daran eher zu wachsen. Eine große Stärke ist, dass sie den Menschen Schwächen zugesteht ohne zu verurteilen.


    Die Autorin erschafft eine große Komplexität an Themen, der Roman lässt sich aufgrund eines wirklich sorgfältigen und leichten Stil dennoch sehr gut lesen, es fällt schwer, ihn auch nur kurz aus der Hand zu legen.


    Christa Parrish hat sich mit diesem Buch für mich in eine Reihe katapultiert mit den bedeutenden des amerikanischen, zeitgenössischen christlichen Genres, wie Karen Kingsbury (Cody Gunner Series), Susan Meissner und eben Karen Harter. (Selbstverständlich gibt es noch viele andere wichtige, die sich aber hauptsächlich in den historischen Bereichen aufhalten).