Ralf Rothmann - Messers Schneide

  • Ralf Rothmann – Messers Schneide
    Suhrkamp. 1986. 133 Seiten
    ISBN-13: 978-3518381335


    Kurzbeschreibung:


    Messers Schneide ist eine Liebesgeschichte, die nicht gut ausgeht. Es ist eine Geschichte über die Fühllosigkeit und den Ekel "vor der trotzigen Bekundung, nichts mehr zu fühlen", über den Bann des Weiblichen und der Sexualität, ihrer Nähe zur Gewalt. Und ist doch auch eine poetische Geschichte, in der eine - der Liebe entsprechende - fast pathetische Sprache in vielen Bildern tönt, die indes vom Autor immer wieder auf nüchternen Boden zurückgeführt wird, hinein in die Radikalität des Lebens...


    Über den Autor:


    Ralf Rothmann wurde am 10.05.1953 in Schleswig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach der Volksschule (und einem kurzen Besuch der Handelsschule) machte er eine Maurerlehre, arbeitete mehrere Jahre auf dem Bau und danach in verschiedenen Berufen (unter anderem als Drucker, Krankenpfleger und Koch). Er lebt seit 1976 in Berlin.


    Meine Meinung:


    Bei den Rothmann-Büchern ist es eigentlich nie so sehr das Thema, das mich fesselt, sondern wie er schreibt. Das geht durch bei mir, trifft irgendetwas in meinem Inneren, dass dann zu schwingen anfängt. Das hört sich kitschig an. Ich weiß aber auch nicht, wie ich es besser beschreiben könnte.


    Zum Buch:
    Der Protagonist ist ein unsympathischer Mann. Ein Egoist von der Sorte "wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass".
    Er begegnet Iris, einer sehr gut aussehenden Frau. Sie lässt sich auf ihn ein, sucht Nähe und Gefühle. Für ihn ist sie eine Eroberung, er genießt den Sex mit ihr, behandelt sie ansonsten mit Gleichgültigkeit.


    Als sie sich jedoch von ihm abwendet, bzw. ihm nicht mehr dauernd hinterher hechelt, fällt er in tiefen Liebeskummer.
    Ganz los kommen die beiden nicht voneinander, auch wenn es für beide irgendwie unbefriedigend ist.


    Iris wird schließlich schwanger von ihm. Sie will das Kind, er will, dass sie abtreibt. Sie lässt sich nicht überreden, versucht ihn zu überzeugen. Ein unappetitliches Gezerre entsteht.


    Der Text hat etwas sehr Eindringliches. Viele Stellen habe ich mir markiert. Hier ein paar Beispiele:


    Daß sie dieses Kind gegen seinen Willen austragen wollte, ließ sich nicht verachten. Bisher war ihm "austragen" nur in Bezug auf Streit oder Kampf vorgekommen; jetzt trug sie eine Liebe aus, ihre Gefühle hatten Gestalt angenommen.


    Sprechend blühte er auf, wenn auch nur grau. Mit dem feinen Wurzelwerk der Wörter hielt er sich am Leben, schweigend bekam er sofort müde Züge. Dabei schien ihm Sprache kaum mehr zu bedeuten als laute Luft, ein Zischen zwischen den Zähnen. Daß sie eine Kraft darstellte, daß Wörter ein Gewicht hatten, daß sie folgenschwer sein konnten, erschien ihm abwegig. Alles konnte doch genausogut anders klingen.


    Und er ärgerte sich über seine ängstliche Hellhörigkeit und daß man ihn immer noch weniger mit einem Wort als mit dem Ton, in dem es gesagt wurde, einschüchtern konnte, daß er kopflos zu machen war mit der Schnittkante einer Stimme.


    Als sie zur Seite trat, schossen die Sonnenstrahlen wie gläserne Klingen ins Wasser.


    Hingabe? Ein Wort wie ein Absatz im Nacken.


    Er wäre jetzt gern starr vor Entsetzen gewesen, fühlte sich aber nur windelweich vor Angst.


    10 Punkte

  • Zitat

    Original von Rosha



    Bei den Rothmann-Büchern ist es eigentlich nie so sehr das Thema, das mich fesselt, sondern wie er schreibt. Das geht durch bei mir, trifft irgendetwas in meinem Inneren, dass dann zu schwingen anfängt. Das hört sich kitschig an. Ich weiß aber auch nicht, wie ich es besser beschreiben könnte.


    Das hast du sehr schön beschrieben. Mir geht es bei den Rothmann-Büchern ähnlich. Herzlichen Dank für deine sehr schöne und interessante Rezi.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ah, Voltaire, wie schön, noch ein Rothmann-Fan. Ich war erst etwas skeptisch, denn Messers Schneide war seine erste Erzählung. Ich hatte Bammel, dass er damals vielleicht noch nicht sein volles schreiberisches Potential gehabt haben könnte. Und ich bin ja schon verwöhnt durch einige seiner aktuelleren Bücher.


    Aber meine Bedenken waren völlig unnötig. Es ist ein Lesegenuss und kein "Warmschreiben" des Autors. Er hats einfach drauf. :chen

  • Ich lese Ralf Rothmann auch sehr gerne. "Milch und Kohle" fand ich besonders gut. Und ich finde auch, dass die neueren Bücher die besseren sind. Aber "Messers Schneide" kenne ich nicht.


    Besonders interessant finde ich seinen Werdegang mit Volksschule und Maurerlehre. Ungewöhnlich für einen Mann, der so intelligent ist und so schreiben kann!

  • Zitat

    Original von Waldfee
    Besonders interessant finde ich seinen Werdegang mit Volksschule und Maurerlehre. Ungewöhnlich für einen Mann, der so intelligent ist und so schreiben kann!


    Vermutlich hat er von seinen Eltern zu hören bekommen"lern erst mal was Gescheites". :grin Ewig schade, wenn er die Maurerkelle nicht beiseite gelegt hätte.


    Dann habe ich ja noch einen richtigen Leckerbissen vor mir, Waldfee. "Milch und Kohle" habe ich nämlich noch nicht gelesen. Mein erster Rothmann war übrigens "Feuer brennt nicht". Eine Bekannte hat aus dem Buch einen Satz zitiert und aufgrund dessen habe ich das Buch gelesen. Ohne zu wissen, um was es geht. Es war ein blindes Eintauchen und es war ein berauschendes Erlebnis.

  • Warum sollte es nicht auch intelligente Maurer geben? :gruebel

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Warum sollte es nicht auch intelligente Maurer geben? :gruebel


    Geben tut es alles, aber die Häufigkeit ist der Gradmesser der Wahrnehmung. Ein biertrinkender Maurer sticht nicht so aus der Masse hervor wie ein schreibender... ;-)


    Und wenn ich hier schon mal am Schwärmen bin: Rothmann sieht auch noch richtig gut aus! :chen

  • Zitat

    Original von Rosha


    Geben tut es alles, aber die Häufigkeit ist der Gradmesser der Wahrnehmung. Ein biertrinkender Maurer sticht nicht so aus der Masse hervor wie ein schreibender... ;-)


    Es ging hier um intelligente Maurer - nicht aber um biertrinkende Maurer. Auch ein biertrinkender Maurer kann durchaus intelligent sein und es zudem eine Ammenmärchen anzunehmen, dass auf dem Bau viel Bier getrunken wird. Ich habe früher mal auf dem Bau gearbeitet und da ist Akkord angesagt, nicht aber Biertrinken. Und die Arbeit ist knochenhart - da kann man sich keine müdemachendes Bier erlauben.


    Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass hier Handwerker ein wenig von oben herab angesehen werden. Es gibt nämlich auch "schreibende" Handwerker. Man denke beispielsweise an Max von der Grün.


    Und ist es wirklich so selten intelligente Handwerker zu treffen?

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Und ist es wirklich so selten intelligente Handwerker zu treffen?


    Wer schaut denn schon so genau hin? Ist es nicht bequemer, sich an Klischees zu halten? Selberdenken macht doch Mühe... :wow


    Da gibt es doch den passenden Spruch:
    Verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen, ich habe bereits meine Meinung! :bonk


    Grundsätzlich:
    Ich habe große Hochachtung vor Handwerkern.
    Ich lese Bücher ohne mich vorher über die Vita des Autors zu informieren.
    Ich schätze grundsätzlich Intelligenz und es ist für mich zweitrangig, welcher gesellschaftlichen Schicht diese entspringt.


    Und um die Sache abzurunden:
    Eulen, lest Ralf Rothmann! ;-) :wave

  • Zitat

    Original von Rosha
    Und um die Sache abzurunden:
    Eulen, lest Ralf Rothmann! ;-) :wave


    Aber gerne. Mich hat gerade in "Hitze" das Maurerthema erwischt. Es geht am Rande auch um die Berliner Bausubstanz und ums Renovieren. Wenn solche Themen handwerklich Substanz haben, macht das gleich doppelt so viel Lesespaß.




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    Berlin, wenige Jahre nach der Wende, eine Großküche in Kreuzberg, die ihre Kunden in West und Ost mit abgepackter Kost versorgt. Hier, zwischen riesigen Töpfen und Pfannen, begegnen wir dem Hilfskoch Simon DeLoo, einem ehemaligen Kameramann, den der Tod seiner Lebensgefährtin aus allen Zusammenhängen gerissen hat und der nun Essen ausfährt im "gewendeten Berlin". Auf seinen Touren trifft er Lucilla, eine junge Stadtstreicherin aus Polen, und glaubt, die Silhouette seiner früheren Frau wiederzusehen. Er versorgt sie mit deren Kleidung, überläßt ihr die leerstehende Wohnung - doch sie zerreißt sein Illusions-Gespinst, sie entzieht sich ihm, und erst in ihrer Heimat, in der vor Hitze flirrenden Landschaft der Pommerschen Seenplatte, sieht er sie wirklich: ihr Gesicht, in dem es "etwas Helleres gibt als Intelligenz", ihren Körper, der ihn verwirrt. "Plötzlich empfand er deutlich, was das ganze Leben in ihm vorbereitet hatte, so wie ein ferner Ton, seine Schwingung, die Moleküle stimmt, bis sie Jahrhunderte später eine Form annehmen, den Hauch einer Maserung im Kork, eine grüne Spitze zwischen Steinen." Aber auch Lucilla hatte Gründe, vor ihrem Leben zu fliehen... Und so finden wir DeLoo am Ende des Romans im winterlichen Berlin wieder, ohne Hoffnung, aber auch ohne Verzweiflung: frei.
    Mit Hitze ist Ralf Rothmann ein Großstadtroman aus unseren Tagen geglückt, in dem er nicht nur die unterschiedlichsten sozialen Existenzen und Milieus zu beschreiben versteht; gleichzeitig - und über allem - erzählt er eine wunderbar melancholische Liebesgeschichte.

  • :freude Oh wie fein, das freut mich!


    "Hitze" mochte ich auch sehr gern. Besonders eindringlich fand ich die Stelle, als DeLoo der Künstlerin zugeschaut hat, ohne dass sie es merkte. Wie diese ältere, körperlich nicht mehr so fitte Frau sich abmühte (mit gefährlichem Gestühle), ganz nach oben auf ihr Bild zu kommen, um ein klitzekleines Farbfleckchen anzubringen.


    Ich habe diese Szene mit angehaltenem Atem gelesen. Ich dachte, jeden Moment fällt sie runter und bricht sich den Oberschenkelhals. :yikes Und ich habe die Hingabe dieser Frau bewundert, ihre Sicherheit, ihre Überzeugung. Dass genau dort, an diese schwer zugängliche Stelle noch unbedingt ein Farbtupfer hinmusste. Grandios.


    Kringelig gelacht habe ich mich bei der Stelle, als die Frau (sorry, Namen sind nicht mehr präsent) den Boden mit der Scheuermilch geputzt hat.


    Und die Liebesgeschichte, ja *seufz*, die war schön gemacht. Und Rothmann hat Schneid genug, sich auch Sexszenen zu stellen. Die ich übrigens sehr gelungen, weil realistisch empfinde.


    Ich merke grade, ich kriege Appetit auf einen weiteren Roman aus Rothmanns Feder... ;-)