Friedhof der Unschuldigen - Andrew Miller

  • zum Inhalt:
    Von einem Minister des Königs Louis XVI. erhält der Ingenieur Jean-Baptiste Baratte den Auftrag, Paris von den Ausdünstungen des Friedhofs der Unschuldigen zu befreien. Etwas überrascht von dieser Bitte begibt er sich an Ort und Stelle. Als er die dortige Kirche betritt, trifft er den Organisten Armand. Dieser bringt ihm die Menschen rund um den Gottesacker des ärmlichen Bezirks von Les Halles näher. Während die einen begeistert sind, dass die Quelle des Verderbens nun beseitigt werden soll, hängen die anderen an den Traditionen fest.


    über den Autor:
    Andrew Miller wurde 1960 in Bath geboren, lebt in Somerset. Für seinen ersten Roman Die Gabe des Schmerzes (Zsolnay, 1998) erhielt er 1998 den Impac Dublin Literary Award. Der Roman wurde in 16 Sprachen übersetzt. Außerdem bei Zsolnay erschienen: Eine kleine Geschichte, die meist von der Liebe handelt (2000), Zehn oder fünfzehn der glücklichsten Momente des Lebens (2003), Die Optimisten (2007), Nach dem großen Beben (2010) und Friedhof der Unschuldigen (2013), für den er den Costa Award (früher Whitbread Award) sowohl für den besten Roman als auch für das beste Buch des Jahres 2011 erhielt. (Quelle: Hanser-Verlage)


    meine Meinung:
    Andrew Miller hat mit seinem Roman zurecht den Preis für das beste Buch des Jahres 2011 erhalten. Schon das Betrachten des Coverbilds mit seiner hübschen Federzeichnung nimmt den Leser gefangen und stimmt auf die historische Zeit ein. Wortgewaltig beschreibt er die Stimmung des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Paris mit seinen engen Straßen, lauten Tavernen und dunklen Häusern. Das aufgewühlte Volk soll bald schon die Revolution beginnen. Nicht nur im übertragenden Sinn gärt es an allen Ecken. Der Gestank, die Armut und das Verrottende sind in jeder Zeile zu spüren und bereiten schon nach wenigen Seiten ein intensives Leseerlebnis. Die Wortwahl ist anspruchsvoll und beinhaltet immer wieder versteckte Hinweise auf die damaligen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Äußerst sorgfältig hat der Autor dafür die Figuren zusammengestellt, um die Fülle der Unterschiede zu verdeutlichen, ohne den Leser mit zu vielen Details zu überfrachten. Auch die Umstände wurden exakt recherchiert, sodass die dargestellte Handlung glaubwürdig scheint.


    Das in vier Teile gegliederte Buch lässt seine Leser zudem an Barattes Gefühlsschwankungen teilhaben. Der junge Ingenieur lernt im Verlauf der Geschichte, dass ein Ziel nicht immer auf direktem Weg zu erreichen ist und muss teilweise seine eigenen Prinzipien hinterfragen. Er muss lernen, Arbeiter zu führen, Entscheidungen auch gegen eine Mehrheit zu treffen und auch emotional die richtige Wahl zu treffen. Die österreichische Hure Héloïse, der an Traditionen hängende Armand und der wie ein Orakel fungierende Lecoeur sind ebenso detailreich gezeichnete Nebenfiguren. Alles zusammen genommen ergibt ein leuchtendes Abbild im Fackelschein des historischen Paris am Vorabend der Revolution. Für die Lektüre sollte man sich Zeit nehmen, damit es angemessen wirken kann. (10 Eulenpunkte)

  • Ich habe es auch gelesen und kann Dir nur zustimmen. Ich habe vor Jahren "Die Gabe des Schmerzes" von ihm gelesen, dass mir auch sehr gut gefallen hat.

  • Friedhof der Unschuldigen - Andrew Miller


    Verlag: Zsolnay, 2013
    ISBN-10: 3552056440


    Originaltitel: Pure
    übersetzt von Nikolaus Stingl


    Kurzbeschreibung:
    Frankreich, Ende des 18. Jahrhunderts: Im Schloss von Versailles wird dem jungen Ingenieur Jean-Baptiste Baratte von höchster Stelle ein Auftrag erteilt. Er soll den Friedhof der Unschuldigen demolieren, der, mitten in Paris gelegen, Hunderttausende von Toten beherbergt und dessen Ausdünstungen die Stadt langsam vergiften, so dass der Wein in den Kellern zu Essig wird, Fleisch binnen Minuten verfault. Aber es soll möglichst unauffällig geschehen, der Pöbel ist abergläubisch und will die Totenruhe nicht gestört sehen. Miller erzählt diese Geschichte vom Vorabend der Revolution und den widerstreitenden Kräften des Alten und des Neuen in einer kühnen, eleganten Prosa.


    Über den Autor:
    Andrew Miller wurde 1960 in Bath geboren. Er arbeitete als Kellner, Reiseführer und Kampfsportlehrer. Miller studierte Creative Writing an der University of East Anglia in Norwich und an der Lancaster University.
    Inzwischen hat er eine ganze Reihe von Romanen geschrieben: Die Gabe des Schmerzes, Eine kleine Geschichte, die meist von der Liebe handelt, Zehn oder fünfzehn der glücklichsten Momente des Lebens, Die Optimisten, Nach dem großen Beben und Friedhof der Unschuldigen.


    Über den Übersetzer:
    Nikolaus Stingl übersetzte u.a. Henry James, William Gass. Eric Ambler und Thomas Pynchon. Er bekam u.a. den Ledig-Rowohlt-Preis und den Paul-Celan-Preis.


    Mein Eindruck:
    Friedhof der Unschuldigen handelt zwar im 18.Jahrhundert, ist aber keineswegs ein konventioneller historischer Unterhaltungsroman. Wer Andrew Miller (übrigens nicht zu verwechseln mit A.D.Miller, dem Autor von Die eiskalte Jahreszeit der Liebe) kennt, ist nicht überrascht, dass der Roman ein wenig sperrig ist. Das war „Die Gabe des Schmerzes“ von 1998 auch schon.


    Die Grundidee mit dem Friedhof mitten in Paris und dessen Beseitigung durch einen Ingenieur ist originell, immerhin gab es aber wirklich einen Friedhof. Die Verarbeitung ungewöhnlicher Ideen erinnert mich leicht an Peter Careys Romane, z.B. “Die Chemie der Tränen“, weil dessen Bücher zudem auch immer in der Vergangenheit angesiedelt sind.
    Jetzt hat Andrew Miller keineswegs die Leichtigkeit eines Peter Carey, aber einen feinen Wortwitz kann ich auch in “Friedhof der Unschuldigen” immer wieder identifizieren.


    Mit den Figuren hingegen tat ich mich schwer. Der aus der Normandie stammende Protagonist fühlt sich nicht so ganz wohl in Paris und bleibt ein Fremder. Er ist sensibel und zurückhaltend. Er wirkt ein wenig zu blass. Für meinen Geschmack ist er anfangs eine relativ schwache Hauptfigur, die erst zum Ende hin konsequenter wird..


    Eigentlich ist der Friedhof nur der Aufhänger, um die Atmosphäre einer Zeit wiederzugeben, die vor einer historisch bedeutsamen Wende steht.


    Diese Atmosphäre ist wirklich sehr dicht gewebt, dazu tragen auch die Dialoge bei, die ich passend und glaubwürdig finde, ohne dass die Sprache künstlich auf alt getrimmt wurde.
    Das die Sprache auch im Deutschen gut funktioniert ist möglicherweise auch der Verdienst des Übersetzers Nikolaus Stingl, der alle Bücher von Andrew Miller übersetzt hat.


    Das gediegen gestaltete Cover soll auch erwähnt werden. Ich halte es für großartig.


    Trotzdem muss ich abschließend sagen, das die Geschichte zwar interessant war, bei mir der Funke aber nie so richtig übersprang.
    Irgendwann fing die Handlung an, sich hinzuziehen. Vorblättern und überfliegen verträgt der Roman aber schlecht. So erlaubte sich nur ein zähes Lesen in Teil 2 und 3 des Romans, am Ende ging es wieder besser.
    Daher von mir nur eine eingeschränkte Empfehlung!

  • Danke für eure schönen Rezis. Interessant, wie unterschiedlich ihr das Buch empfunden habt. :wave Ich hatte das Buch schon öfter in meinem Lieblingsbuchladen in der Hand, weil das Cover so schön ist. Ich glaube, ich warte auf das Taschenbuch und packe es solange auf die Wunschliste.

  • Meine Meinung: Lange habe ich dem wunderschönen Cover nicht widerstehen können und ich habe es nicht bereut, dieses Buch gelesen zu haben, das zwischen allen Neuheiten auf den Büchertischen der Händler irgendwie wirkte, als habe man es dort vergessen – seit mehr als 200 Jahren.


    Es ist kein spektakuläres Buch, man wird es wohl nicht auf der Bestsellerliste finden und doch ist es ein Buch, das ich sehr gern gelesen habe, weil es ein sehr reales Bild von einer Stadt zeigt, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu einer der dreckigsten Städte in Europa zählte. Paris war überbevölkert, voller Schmutz und Gestank und nicht nur die vielen Menschen und ihre Gewerbe, wie die Gerbereien verpesteten die Luft, sondern auch der große Friedhof der Unschuldigen, der mitten in der Stadt mit seinen Ausdünstungen alles um ihn herum zu vergiften schien.


    Jean-Baptiste Baratte, ein junger Ingenieur erhält im Schloss Versailles den Auftrag, eigentlich eher ein Befehl, diesen Friedhof zu beseitigen. Natürlich muss das möglichst unauffällig geschehen, denn man fürchtet die Angehörigen, die nicht wollen, dass ihre Verstorbenen in ihrer letzten Ruhe gestört werden. Mitten in einer Zeit der Unruhen und des Aufbruchs ist das eine schwere Aufgabe, die es zu bewältigen gilt.


    Die Stärken in dieser Geschichte liegen meiner Meinung nach eindeutig in der Schilderung des Lebens und der Verhältnisse in der Stadt. Alle Personen könnten meiner Meinung nach ein wenig intensiver geschildert werden. So erfährt man zwar viel über Baratte, doch kommt man ihm und auch den anderen Figuren nicht wirklich nahe. Man wird durch die Art der Erzählung in die Rolle eines interessierten Beobachters abgeschoben und wäre doch gern noch mehr mittendrin, obwohl man die abscheulichen Bilder der exhumierten Leichen und der Arbeit in den Gräbern dafür in Kauf nehmen müsste.


    Die Stimmung und die Atmosphäre entstehen nicht durch Empathie mit den einzelnen Figuren, sondern durch die gut vorstellbaren Lebensumstände in der Stadt. Ein wenig mehr Spannung hätten dem Ganzen gut getan, doch insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, auch weil es sich in kein Schema pressen lässt.
    Von mir 7 Eulenpünktchen dafür.