Eine kurze Geschichte vom Sterben - Lisa Benedikt

  • • Gebundene Ausgabe: 125 Seiten
    • Verlag: Arche Verlag
    • Sprache: Deutsch
    • ISBN-10: 3716027049
    • ISBN-13: 978-3716027042


    Kurzbeschreibung (Amazon)
    Ein zartes, intensives Stück Literatur über eine zutiefst menschliche Erfahrung. Eine Tochter begleitet ihre Mutter beim Sterben. Was beiden bleibt, ist eine letzte kurze Woche. Auf engstem Raum, in einem Krankenhauszimmer. Aufrichtig und schonungslos gegen sich selbst durchlebt die Tochter Trauer und Glück, Verzweiflung und Wut und sie versucht, mit dem nicht immer leichten Verhältnis zur Mutter fertigzuwerden, mit den Erinnerungen und dem als sinnlos empfundenen Tod. Linda Benedikts Prosadebüt Eine kurze Geschichte vom Sterben ist ein ergreifender Monolog über das Abschiednehmen und eine schmerzhafte Liebeserklärung zugleich. Es geschieht kaum etwas in diesen sieben Tagen, quälend langsam und eintönig vergeht die Zeit und doch verändert sich alles.


    Über die Autorin
    Linda Benedikt wurde 1972 in München geboren. Sie studierte Politik in England und Israel und arbeitete viele Jahre als freie Journalistin. Seit 2010 steht sie mit dem politischen Musikkabarett Reality Check auf der Bühne, das sie zusammen mit Nirit Sommerfeld geschrieben hat. Zuletzt veröffentlichte sie ihren Essay Israel – a Love that was. Die Geschichte einer Entzauberung (Berlin 2012). Sie lebt zur Zeit in München.


    Meine Eindrücke
    Ein kleines Buch – wenige Seiten nur – und wiegt doch schwer.


    Sieben Tage lebt eine Tochter hautnah bei ihrer krebskranken, vom Tod gezeichneten Mutter, sieben Tage des Abschieds und der Erinnerung. Herausgerissen aus ihrem ausgefüllten Leben in London ist sie plötzlich ohne jegliche Ablenkung, unmittelbar und ausschließlich konfrontiert mit dem Sterben der Mutter. Die Zeit wird ihr lang, zieht sich, will nicht verstreichen. Fasziniert habe ich gelesen, wie sich dieses Gefangensein in der nicht verstreichen wollenden Zeit für sie anfühlt z.B. an dieser Stelle: „ Es ist Viertel vor zehn, als ich das Krankenhaus wieder betrete. Noch eine Ewigkeit bis zum Mittagessen. Wohin die Zeit auch läuft, sie läuft gegen mich. Ich stoße mich an ihr, ich haue mich grün und blau, ich ertrinke schier inmitten der bleiernen Minutenewigkeit, der zähen Stundenträgheit. ….“


    Sie erträgt es kaum bei der Mutter zu sein, fühlt sich eingesperrt, abgeschnitten von der Welt und dem Leben - aber fern von ihr hält sie es erst recht nicht aus. Als sie kurz „abgelöst“ wird, zieht es sie mit aller Kraft zurück. Und irgendwann, unmerklich, wird ihr die Zeit nicht mehr lang, es fällt das Wort „schon“.


    Vorwiegend im Präsens und insgesamt recht prosaisch geschrieben, hat mich die Erzählung manchmal an eine Reportage erinnert. Schonungslos und ohne Beschönigung offenbart die Tochter ihre Fassungslosigkeit angesichts der dramatischen Veränderungen ihrer Mutter – die Hilflosigkeit und Unsicherheit, mit der sie sie nun füttert, anzieht, badet…
    Aus den Erinnerungen der Tochter entsteht für den Leser das Bild einer schönen, lebenslustigen Frau, für die die eigene Attraktivität einen großen Stellenwert hatte. Stark, eigenwillig, lebenshungrig und ja, auch ein wenig egozentrisch scheint sie in ihrem Leben nicht viel ausgelassen zu haben, ist aber auch eine fürsorgliche Mutter für ihre beiden Töchter gewesen.


    Sprachlich und emotional war das ein ganz besonderes Buch für mich. Traurig, aufwühlend, faszinierend und fesselnd, mit einem für diese Thematik erstaunlichen Lesesog. Das Zusammenspiel von nüchterner Offenheit und tiefem Gefühl machte diese Erzählung so unglaublich intensiv.

  • Vielen Dank Lumos für die schöne Rezi. ... Das klingt sehr interessant und es landet auf jeden Fall auf meiner Amazon-WL. :-)

    Zündet man eine Kerze an,erhält man Licht.Vertieft man sich in Bücher,wird einem Weisheit zuteil.Die Kerze erhellt die Stube, das Buch erleuchtet das Herz.


    (Sprichwort aus China)

  • „Du wirst einfach weg sein“
    (Seite 116)


    Linda Benedikt hat ein Buch über das Sterben eines geliebten Menschen, ihrer Mutter, geschrieben, wobei das „geliebte“ keineswegs bedeutet, ihr Leben ohne jede Kritik zu würdigen. Mich hat es zutiefst beeindruckt, vor allem wegen seiner mir unerschütterlich und schonungslos vorkommenden Ehrlichkeit. Ihre Auseinandersetzung mit diesem einen Tod, den sie „unnütz“ und „boshaft“ (Seite 116) nennt, kann ich in vielen Dingen – nicht allen, natürlich nicht, dazu ist unsere Vorstellung und Erwartung von Sterben und Tod vielleicht doch zu unterschiedlich – nur allzu gut nachvollziehen. Mir erscheint das, was Benedikt schreibt, mehr als „nur“ erdacht, sondern vielmehr er- und durchlebt, er- und durchlitten. Das „einfach weg sein“ akzeptieren zu lernen, den nahe stehenden Menschen in seinem Leiden und Sterben zu begleiten, all die ambivalenten Gefühle zuzulassen, sich ihrer klarzuwerden und sich mit ihnen auseinanderzusetzen – das alles ist beschrieben ohne jedes Pathos, ohne allzu große Sentimentalität, beobachtend und, indem aus der Ich-Perspektive erzählt, den Leser noch deutlicher in das Geschehen einbeziehend.


    Für mich steht die Erzählung (so steht es unter dem Titel) gleichberechtigt neben Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“. Beide Bücher setzen sich mit Themen auseinander, mit denen man doch lieber nicht allzu viel zu tun haben möchte, denen sich aber nicht ausweichen läst. „Eine kurze Geschichte vom Sterben“ ist aus meiner Sicht ein sehr empfehlenswertes Buch, auch wenn es Leser geben wird, denen so viel Ehrlichkeit ein wenig zu viel sein kann.


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