'Doktor Schiwago' - 1. Buch - Unterwegs

  • Nun ist die ganze Familie Schiwago nebst Schwiegervater unterwegs, auf der Flucht aus dem Hunger Moskaus in eine ungewisse Zukunft, auf dem Weg zu einem Erbe, das es wahrscheinlich nicht mehr gibt, einem Besitz, der jetzt dem Volk gehört, in der Hoffnung auf ein erträgliches Leben.


    In welcher Art Warykino seine Verheißungen halten und den Hoffnungen gerecht werden wird, wird sich im nächsten Abschnitt zeigen.


    Ich fand diesen Abschnitt nicht so interessant.
    Ich denke, Schiwago wird noch Schwierigkeiten bekommen, politischer Art. Angedeutet hat sich das schon auf der Zugfahrt. So zugetan er der Idee der Freiheit des Volkes und des Eigentums auch ist, er entstammt eindeutig eher der ehemals herrschende Klasse, und dieses Erbe dringt ihm aus jeder Pore.

  • Zitat

    Original von Clare
    Ich fand diesen Abschnitt nicht so interessant.


    Das ging mir nun nicht so. Bin hier zwar durch, komme aber jetzt nicht dazu, meine Gedanken zu notieren.


    Zitat

    Original von Clare
    Ich denke, Schiwago wird noch Schwierigkeiten bekommen, politischer Art. Angedeutet hat sich das schon auf der Zugfahrt.


    Das denke ich allerdings auch.


    Und wieder - am Ende des Abschnitts - begegnen sich zwei, ohne sich zu erkennen. Mehr später.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Auf nach Warykino heißt es in diesem Abschnitt. Ich dachte ja zu Beginn von "Unterwegs", die Reise findet nicht statt, schien es doch so, als hätte sich die Not etwas gelindert. Schiwago behandelte ein schwerkrankes Regierungsmitglied und der Schwiegervater war beim Obersten Sowjet als Berater tätig.


    Die Not kann doch aber für die Zurückgebliebenen nur noch schlimmer geworden sein. Die Schiwagos nebst Anhang sind ja nicht die einzigen, die fliehen. Und vom stillen Don her wissen wir, die Lage auf dem Land war auch alles andere als rosig. In Moskau hätten sie vielleicht ja noch Beziehungen, was im Sozialismus ein nicht zu unterschätzender Vorteil war. Aber auf dem Land? Die Schiwagos bei der Landarbeit, um sich autark durchzuschlagen? Aber letzten Endes hatten sie wohl nur die Wahl zwischen Not und Elend.


    Ich glaube auch, Schiwago wird noch Schwierigkeiten bekommen. In der UdSSR war man deutlich rigoroser, was die ehemalige herrschende Klasse anbelangt. Wenn er ganz ruhig und zurückgezogen leben würde, wäre das vielleicht noch etwas anders, aber Schiwago ist dafür nicht geschaffen.


    Diesen Abschnitt habe ich auch mit viel Freude gelesen. Er ar stimmungsvoll und ohne viel Pathos. Vielleicht geht es jetzt so weiter.

  • Zitat

    Original von Karthause
    ...
    Die Not kann doch aber für die Zurückgebliebenen nur noch schlimmer geworden sein. Die Schiwagos nebst Anhang sind ja nicht die einzigen, die fliehen. Und vom stillen Don her wissen wir, die Lage auf dem Land war auch alles andere als rosig. In Moskau hätten sie vielleicht ja noch Beziehungen, was im Sozialismus ein nicht zu unterschätzender Vorteil war. Aber auf dem Land? Die Schiwagos bei der Landarbeit, um sich autark durchzuschlagen? Aber letzten Endes hatten sie wohl nur die Wahl zwischen Not und Elend.


    Ich denke auch, dass der Weg aus Moskau raus so etwas wie eine Hoffnung auf eine Zukunft, ein Überleben war. Es muss ihnen klar gewesen sein, dass auch auf dem Land kein Schlaraffenleben herrschen wird.
    Vielleicht dachte aber die Stadtbevölkerung wirklich, dass auf dem Land wenigstens nicht absoluter Hunger herrschen würde und man schon irgendwie seine Niesche finden würde.


    Zitat

    Ich glaube auch, Schiwago wird noch Schwierigkeiten bekommen. In der UdSSR war man deutlich rigoroser, was die ehemalige herrschende Klasse anbelangt. Wenn er ganz ruhig und zurückgezogen leben würde, wäre das vielleicht noch etwas anders, aber Schiwago ist dafür nicht geschaffen.
    ...


    Interessant finde ich, dass Jurij seine Herkunft und die seiner Frau nicht unbedingt als Problem zu sehen scheint. Von den Ideen ist er begeistert. Das scheint ihm zu genügen, um ihn in den Kreis der Fortschrittlichen einzureihen. Allerdings war man, wie du auch geschrieben hast, in der UdSSR wirklich misstrauisch solchen aus der falschen Klasse kommenden, die automatisch mehr beobachtet wurden und denen man immer etwas misstraute.

  • Zitat

    Original von Karthause


    Diesen Abschnitt habe ich auch mit viel Freude gelesen. Er ar stimmungsvoll und ohne viel Pathos.


    :write




    Man reist in den Ural, nach Warykino; eine Reise mit Hindernissen und Beschwernissen.


    Auf Seite 242 gibt es mal einen kleinen Moment zum Schmunzeln: Schlitzohr Markel beschwert sich darüber, dass man ihm „nicht ohne Grund verheimlicht“ habe, „dass der Mensch vom Affen abstammt“. Der arme Kerl, hätte er das früher gewusst … Seinen Glauben, seine Religion hätte er vermutlich schon beizeiten abgelegt, ihn sozusagen auf seinen ganz persönlichen Abfallhaufen der Geschichte geworfen. Abgesehen natürlich davon, dass es nicht stimmt. Aber für derartige Feinheiten oder Details war ja selten Zeit, ganz besonders wohl in denen dieser Umwälzungen.


    Seite 245, 246 wird beschrieben, wie gefährlich es für Leute „der besitzenden Klasse“ war, schlicht in einer Warteschlange zu stehen oder in einer größeren Menschenmenge. Bei der aufgeheizten Stimmung, bei der Neigung, das vermeintliche Recht in die eigene Hand nehmen zu wollen, ist die Situation … sagen wir: ziemlich eskalationsfähig. Ich habe mich leise gefragt, ob Pasternak wohl solches schon selbst erlebt hat.


    Eine Erwähnung, die mir aufgefallen ist, eben schlicht aus dem Grund, weil sie da steht: Der alte „Revoluzzer“ Kostojed-Amurskij hat unter dem Zaren in verschiedenen Lagern gesessen; man denkt, das sollte ihn doch eher empfehlen, aber nein: Er wird „nun die Reihe der Zwangslager des neuen Regimes … eröffnen“. Hätte es, wäre der Roman in der UdSSR erschienen, als Warnung dienen sollen, sich nicht zu sicher zu sein? Es ist ja nun nicht gerade so, dass diese Lager vollkommen unbekannt waren. Auch sehr interessant in diesem Zusammenhang das Gespräch Jurij/Kostojed. Letzerer erweist sich quasi als „Augenöffner“. Ersterer mag, so mein Eindruck, sich seine Vorstellungen nun partout nicht zerreden lassen, er möchte seine Vorstellungen von Bauern, von der Revolution, von den Zuständen, von der Wirklichkeit behalten. Letztlich schöne Träume, in ihnen lebt es sich besser als in der Realität, wie sie sich damals darstellte. Das zerstörte Dorf, das Seite 260, 261 beschrieben wird, hätte ihn ja mit der Wirklichkeit konfrontieren können, aber: Will er es wissen (Seite 255 unten)? Jedenfalls fällt hier ein Name, der einen eigenen Klang hat: Strelnikov. Er begegnet uns wieder … und wieder.


    Das Gespräch Jurijs mit seinem Schwiegervater: Interessant, aufschlussreich. Man kann sich doch leicht vorstellen, dass diese Gedanken nicht gut ankamen bei … sagen wir: maßgeblichen Stellen. Egal, ob nun im Roman oder in der Realität.
    Im Weiteren, Seite 283: „Er wollte den Jungen und allen Menschen im Wagen verkünden, das Heil liege nicht in der Treue zur Uniform, sondern in der Befreiung von ihr.“ Nun ja. Da hätte er sich aber ganz schön den Mund verbrannt...


    Namen werden genannt, die dem Leser bekannt vorkommen: Galiullin, Tiversín … und Strelnikov? Doch, ja, ich glaube, ihn schon kennengelernt zu haben. Wenn auch unter einem anderen Namen. Andeutungen genug gibt es ja.

  • Wie vergiftet und mißtrauisch die Gesamtsituation ist, sieht man sehr „schön“ im Kap. 6 (S. 255) in dem Absatz, der endet mit:
    „Da entsichert der Matrose einfach seinen Nagantrevolver und knallt ihn nieder wie eine Fliege.“
    Da könnte man natürlich zynisch fragen, was sie machen, wenn sie alle Doktoren erschossen haben und jemand krank wird?! So weit reicht das Denkvermögen vermutlich denn doch nicht ...


    Kap 12 (S. 265): „Die Zeit rechnet nicht mit meiner Person, aber sie bürdet mir alles auf, was sie mir aufbürden will.“
    Eine wahrlich zeitlose Aussage.


    Anfang Kap. 15 (S. 271), als es hieß: „(...) die den Umgang mit den Reisenden vermieden und aus Angst vor Denunziation sogar untereinander kaum sprachen.“
    Da wird in wenigen Worten die Stimmungslage beschrieben, was sicher etwas war, das den Zensoren nicht gefallen haben dürfte.


    Kap. 23 (S. 280): „Du bist wirklich ein erstaunlicher Mensch, Jura! Du bist aus lauter Widersprüchen zusammengesetzt.“
    Na, wenn sogar seine Frau Mühe hat, ihn zu verstehen, wie sollte das uns dann gelingen! ;-)


    Sehr beeindruckend fand ich den Schluß des Kapitels 26 (S. 286f), und zwar die Worte von Alexander Alexandritsch, Schiwagos Schwiegervaters.
    „Wir wollen überleben und weitervegetieren, wie es alle in unserer Epoche tun, (...)“


    Insgesamt hat mir dieser Reiseabschnitt gut gefallen. Und am Ende treffen dann Strelnikov und Schiwago aufeinander - ohne zu wissen, wer der jeweils andere ist. Wieder die Verknüpfung der Schicksale, wie sie schon mehrfach vorkam.



    Zitat

    Original von Clare
    Ich denke auch, dass der Weg aus Moskau raus so etwas wie eine Hoffnung auf eine Zukunft, ein Überleben war.


    Ich habe das so verstanden, als ob genau dies das Motiv für die Reise war. Das Pflaster war in Moskau zu heiß geworden, also entfloh man in die Provinz.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Das Gespräch Jurijs mit seinem Schwiegervater: Interessant, aufschlussreich. Man kann sich doch leicht vorstellen, dass diese Gedanken nicht gut ankamen bei … sagen wir: maßgeblichen Stellen. Egal, ob nun im Roman oder in der Realität.


    Ja, in zwischen sind mir auch etliche Stellen aufgefallen, die bei den Verantwortlichen vermutlich mehr als Stirnrunzeln hervorgerufen haben durften. Und das eine oder andere Mal habe auch ich mich gefragt, inwieweit etwas fiktiv oder biographisch bedingt ist.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ein ganzes Kapitel, das sich nur der Reise ins Hinterland widmet. Irgendwie dachte ich die ganze Zeit, da müsste noch mehr passieren, noch ein Ereignis stattfinden, welches die Reisegesellschaft im Guten oder Schlechten betrifft. Das geschieht aber nicht, worüber man fast froh ist, denn die Chancen, dass etwas Ungutes geschieht, sind ja doch recht groß...


    Die riesigen Entfernungen sind für deutsche Verhältnisse nur schwer vorstellbar. Vor Jahren bin ich mehrmals mit dem Zug nach Bulgarien gefahren, das dauerte auch drei Tage. Endloses Rattern und endlose Landschaften, die am Fenster vorbeiziehen. Auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.


    Strelnikov wird zum Schluss sehr ausführlich beschrieben, der wird wohl noch eine Rolle spielen, oder? Ich habe es auch so herausgelesen, dass der schon mal vorkam am Anfang, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, in welchem Zusammenhang das gewesen war.

  • Zitat

    Original von Hallorin
    Die riesigen Entfernungen sind für deutsche Verhältnisse nur schwer vorstellbar. Vor Jahren bin ich mehrmals mit dem Zug nach Bulgarien gefahren, das dauerte auch drei Tage. Endloses Rattern und endlose Landschaften, die am Fenster vorbeiziehen. Auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.


    Stimmt. Wobei man natürlich im Hinterkopf behalten muß, daß der Zug vermutlich mit vielleicht 50 km/h, wenn nicht sogar langsamer, gefahren ist.


    Eine richtig lange Zugreise wäre mal mein Traum. Wenn ich mal im Lotto gewinne oder sonst zu Geld komme, würde ich gerne von Moskau nach Wladiwostok fahren - mit der Transsib.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")