Emma Healey - Elisabeth wird vermisst

  • Zur Autorin:


    Emma Healey ist 28 Jahre alt und stammt aus London. Nach der Ausbildung zur Buchbinderin machte sie ihren Master an der Uni für „Kreatives Schreiben“.
    „Elisabeth wird vermisst“ ist ihr erster Roman.


    Zur Sprecherin:


    Katharina Thalbach ist 1954 in Berlin geboren und ist eine bekannte deutsche Schauspielerin und Regisseurin.


    Zum Inhalt:


    Es dreht sich um die 82jährige demenzkranke Maud, die verzweifelt ihre Freundin Elisabeth sucht. Sie lebt noch allein in ihrem Haus, wird aber von einer Pflegekraft und ihrer Tochter Helen versorgt, was manchmal nicht ganz leicht ist, denn Maud vergisst viele Dinge, bringt Begebenheiten, Begriffe und Situationen durcheinander.
    Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive und aus Mauds Sicht erzählt. Man lernt Mauds Gedankenwelt in der Gegenwart und in ihrer Vergangenheit in der Nachkriegszeit kennen.


    Meine Meinung:


    Ich bin ehrlich gesagt etwas zwiegespalten. Die Geschichte und die Ausdrucksweise der Autorin an sich hat mir gut gefallen, wobei mir der Schluss absolut quer liegt. Wollte die Autorin einen Krimi oder ein Drama schreiben? Ich hätte gerne gewusst, wie es mit Maud weiter geht. Ich hätte gerne mehr erfahren, wie z.B. ihre Tochter Helen sich in Bezug auf die Krankheit ihrer Mutter fühlt.
    Auch fand ich manchmal den nahtlosen Übergang von der Gegenwart in die Vergangenheit etwas verwirrend. Aber da ja aus Mauds Sicht erzählt wird, ist das wohl beabsichtigt.
    Ich hatte auch manchmal das Gefühl, die Autorin hat den roten Faden irgendwie aus den Augen verloren. Hätte ich die Geschichte gelesen und nicht gehört, hätte ich das Buch wahrscheinlich abgebrochen..
    Die quäkende Stimme von Katharina Thalbach ist am Anfang sehr gewöhnungsbedürftig, aber man gewöhnt sich daran und irgendwie passt sie auch zu der alten Dame Maud.
    Ich fand die musikalische Einleitung und die musikalischen Pausen sehr schön.


    Ich finde, für das Erstlingswerk hat die Autorin schon einen guten Start hingelegt.


    Alles in allem gibt es für mich trotzdem 8 Punkte.

  • Ich fand das Hörbuch toll. Eine völlig andere Geschichte. Ich habe mir am Anfang nicht vorstellen können über 11 Stunden den Gedanken einer alzheimerkranken, alten Dame folgen zu wollen, aber Emma Healey hat es mit einer teilweise sehr poetischen Sprache geschafft, mich völlig zu fesseln und Katharina Thalbach ist für mich eine liebenswerte Maude geworden.


    Das die Geschichte nicht absolut zielgerichtet ist und Maude mehr in der Vergangenheit lebt, als in der Gegenwart, passt zu ihrer Erkrankung. Die Übergänge von der Gegenwart in Maudes Kindheit im Herbst 1946, als ihre Schwester Sukey spurlos verschwindet, sind nahtlos und wirken nie konstruiert. Gerüche, Gefühle, Geräusche, Gegenstände, alles ist dazu geeignet Maude in der Zeit zurück zu versetzen, in der sie verzweifelt ihre Schwester suchte.


    Sehr positiv werte ich die Tatsache, dass das keine Betroffenheitsgeschichte über das schwere Los von Alzheimerkranken und ihren Familienangehörigen geworden ist. Vielmehr rechne ich Emma Healey hoch an, dass ich mich jetzt vermutlich ein bisschen besser in die Welt einer dementen Person einfühlen und so mehr Verständnis aufbringen kann. Am liebsten würde ich es Peter, dem Sohn von Elisabeth zum Lesen geben ;-)


    Ich gebe 9 Punkte!

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • 6 CDs / 440 Minuten
    oder
    audible 11:16 Stunden


    Sprecherin: Katharina Thalbach
    Hörprobe bei audible *klick*


    Interview mit der Autorin beim Verlag *klick*



    "Ein kleines Stück von mir ist einfach nicht mehr da."


    "Ich habe das Gefühl, ich würde mich von innen heraus auflösen."


    "Die Fragen haben ihre Eindeutigkeit verloren, sich in den Spinnweben in meinem Kopf verfangen."


    Diese drei Zitate der Ich-Erzählerin Maud beschreiben sehr anschaulich ihre Situation und ihre Gefühle. Die 82-jährige Maud leidet an Alzheimer und sie verliert durch die Krankheit nicht "nur" ihre Erinnerungen, sondern auch ihr Zeitgefühl und einen gewissen Teil ihrer Selbstsicherheit, denn sie merkt immer wieder sehr deutlich, wie die Krankheit fortschreitet und sie immer mehr einschränkt.


    Anfangs will sie sich mit Notizzetteln behelfen, die jedoch zunehmend mehr Verwirrung stiften als ihr Ruhe und Sicherheit zu geben. Ihre wichtigsten Fixpunkte sind ihre Tochter Helen und ihre verschwundene Freundin Elizabeth, sowie die Erinnerung an ihre vor beinah 70 Jahren ebenfalls verschollene Schwester Sukey. Anfangs ist es nicht leicht, ihren verworrenen Schilderungen zu folgen, bei denen Maud immer wieder von der Gegenwart in die Vergangenheit gleitet und plötzlich zurück.


    Die erst 28-jährige Autorin Emma Healey hat diese Übergänge sehr fließend und glaubwürdig gestaltet, sowie auch überhaupt die Darstellung von Mauds Innenleben auf mich sehr authentisch wirkt. Wie Maud spürt, dass etwas nicht stimmt, nach Erinnerungen sucht, nicht weiß, warum sie irgendwo ist, wer vor ihr steht, wie sie sich dafür schämt und gleichzeitig trotzdem meist eher positiv bleibt. Auf sehr berührende Weise ohne je auf die Tränendrüse zu drücken, gibt Emma Healey Einblick in das Innerste einer Alzheimer-Erkrankten.


    Mauds Tochter Helen und ihre Enkelin Katie sind zwei ganz besondere Figuren, die zeigen, wie schwierig der Umgang mit Alzheimer-Patienten ist und welch hohes Maß an Geduld benötigt wird. Zugleich verlieren weder die beiden noch Maud ihren trockenen Humor, der die Atmosphäre immer wieder auflockert.


    Der Handlungsstrang in der Gegenwart zeigt das Fortschreiten von Mauds Erkrankung, sowie ihre Suche nach der vermissten Elizabeth, jener in der Vergangenheit das Zusammenleben und später die Suche nach ihrer Schwester Sukey. So lernen die Leser bzw. Zuhörer Maud von zwei sehr unterschiedlichen Seiten kennen.


    Katharina Thalbach ist eine meiner Lieblingssprecherinnen und meiner Meinung nach die perfekte Besetzung für Maud, verstand es perfekt, deren Gefühle und Gedanken zu vermitteln.


    Fazit
    "Elizabeth wird vermisst" ist kein einfaches Buch, denn es zeigt den Lesern deutlich, welche Folgen eine fortgeschrittene Alzheimer-Erkrankung hat und lässt sie teilhaben an den innersten Gefühlen der (hier fiktiven jedoch nicht minder authentisch wirkenden) Patientin Maud.


    Emma Healey hat mich mit ihrem Erstlingswerk so sehr beeindruckt wie auch erschüttert, über die möglichen Folgen des Älterwerdens. In dem oben verlinkten Interview schildert sie ausführlich, wie sie durch erkrankte Verwandte auf die Idee zu diesem Buch kam. Katharina Thalbach gab mir das Gefühl, wirklich Maud zu lauschen, wie sie über ihr Leben jetzt und kurz nach dem 2. Weltkrieg nachdenkt - soweit ihr das möglich ist, einen scheinbar echten Einblick in der Innenleben einer demenzkranken Person.


    Absolute Hörempfehlung von mir.


    PS Es gibt auch eine Hörrunde zu diesem Buch: *klick*

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von ottifanta ()


  • Dem kann ich mich voll und ganz anschliessen. :write
    Und ich vergebe sowohl für die Geschichte als auch für die herausragende Sprecherleistung 10 Punkte. :anbet