Massive Attack am 05.07.2014 in Berlin

  • Heavy Metal macht Kopfweh und Ratz! Fatz! Mats!


    "Hast du noch eine Karte?"
    Da ist er wieder. Mein Feund, der Ticketschieber. Diesmal will nicht ICH IHM eine Karte abkaufen, sondern ER MIR. Um sie dann für mal mindestens das Doppelte weiter zu verkloppen. Ich schüttele den Kopf. Nee. Das einzige Deutschlandkonzert von Massive Attack ist restlos ausverkauft und für keinen Preis der Welt würde ich die Tickets wieder hergeben. Die Band fehlt mir nämlich noch in meiner Liveliste. Wollte ich immer mal sehen, leider hat es bisher noch nie geklappt.


    Die Stimmung ist bereits vor dem Tempodrom positiv geladen, greifbar euphorisch. Wir trinken vor dem Eingang noch ein kühles Bier und unterhalten uns dabei mit drei lustigen Gestalten, die extra aus London angereist sind. In der Halle ist es heiß, aber am untersten Unterrang stört uns das weniger. Toller Blick, bester Platz, immer voller wird es, immer wieder ertönt ein Gong. Soll heißen, es geht gleich los, reinkommen. Wie früher im Kino "Metropol". In meiner Jugend. ;)
    Als Herr rienchen mit Getränkenachschub kommt, erlischt das Saallicht. Schlagartig duster, alles. Und dann geht es los. Ohne Support, ohne Ankündigung stehen Massive Attack auf der noch schwarzen Bühne.


    Was in den folgenden neunzig Minuten passiert, ist nur schwer zu beschreiben. Vielleicht wird es kitschig, vorsicht!


    Es ist eine Perfektion aus Musik, Stimmen, Licht, Effekten, visuellen Reizen. Der Sound glasklar. Groove, der einen Trance- ähnlichen Sog verursacht. Musik, untermalt mit verstörenden Botschaften auf riesigen Videoleinwänden, die sich im Kopf festsetzen und weitergedacht werden MÜSSEN, es geht gar nicht anders. Politisch, abseits von plattem Pathos. Nüchtern und angsteinflößend. Kriegsszenarien, Verfolgungsjagden. Freiheit? Rotes Licht, giftgrüner Nebel, schreiende Gitarren, Schwarzlicht. Zwischenzeitlich tut es so weh in Augen und Ohren, dass es kaum zum Aushalten ist. Das soll auch so sein, davon handelt der Song. Sie legen Finger in Wunden. Gnadenlos dahin, wo es weh tut. Ich erinnere mich, auf irgendeinem Plakat eine Warnung bezüglich des Strobolichtes gelesen zu haben. "Haha", habe ich gedacht. Ich bin überwältigt von dem, was mir geboten wird. Und weiß wieder, weshalb ich Musik so liebe. Sie ist eine universelle Sprache und auf einem Konzert lernt man sie. Der Innenraum ist eine einzige, sich bewegende, groovende Masse. An diesem Abend sind auf der Bühne eine Million Rädchen ineinander verzahnt und alle laufen rund. Sänger wechseln sich ab, Musiker leben das, was sie wollen. Die Songauswahl finde ich grandios, viele alte Sachen a la "Teardrop" und "Save From Harm" sind dabei, einfach grandios "Girl I Love You", aber auch einige neuere Songs. Letzendlich ist es aber gar nicht wichtig. Es ist die perfekte Stimmigkeit zwischen Musikern, Sängern ( Deborah Miller ist dabei!) Effekten und Licht, die mich an diesem Abend atemlos und großäugig machen. Grandios die Idee, auf der Videoleinwand im Hintergrund einfach mal aktuelle Schlagzeilen aus verschiedenen Tageszeitungen ablaufen zu lassen, umwummert von dröhnenden Bässen, die mit Lust und voller Wucht in die Magengrube hämmern. Unerbittlich. Lustig. Absurd. Und ungeheuer beängstigend.


    Ratz! Fatz! Mats!


    Verkehrsminister Dobrint stellt Pläne zur Maut...


    Van mit radiokativem Material gestohlen....


    Heavy Metal macht Kopfweh...


    Gänsehautmoment bei "Unfinished Symphony", der letzten Nummer, dann ist es vorbei. Ohne Zugabe, aber mit Umarmungen auf der Bühne und einem beseelten Publikum.


    Ich war wirklich schon auf vielen Konzerten, aber Massive Attack... das ist eine Welt für sich. Ach was, ein Planet, ein Universum. An so einem Abend kann man noch tagelang um die Häuser ziehen oder einfach nur nach Hause schweben.


    Großartig. Eins der besten! :anbet

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

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  • Ich war auch da, hatte mich extra auf dem Rückweg aus dem Urlaub beeilt, und ich muss sagen, dass sich meine Begeisterung eher in Grenzen hielt. Zunächst einmal glich die Show fast exakt derjenigen von vor vier Jahren am gleichen Ort. Setlist, Licht und Besetzung stimmten nahezu komplett überein, nur einige der eingeblendeten Texte waren aktualisiert. Gleichzeitig aber war es ganz anders, noch einige Nuancen zurückhaltender, und ich meinte, eine gewisse Lustlosigkeit zu spüren. Die Interaktion mit dem Publikum fällt bei Massive Attack-Konzerten ohnehin gering aus, aber dieses Mal fehlte sie völlig. Der Sound war zwar okay, aber die erste Hälfte des Konzerts war viel zu leise. Und auch stimmlich/gesanglich hat mich das nicht überzeugt. Mag sein, dass es für jemanden, der die - fraglos großartige - Formation noch nie live gesehen hat, eine gute Show war, aber für mich war es ein eher fader Aufguss, ein Arbeitsabend, der die gute Erinnerung an das "Original" leider sogar ein wenig aufweicht hat. Außerdem habe ich gelernt, dass das eigentlich gut klimatisierte Tempodrom in dieser Hinsicht auch seine Grenzen hat.

  • Hm. Okay, wenn man die Show schon mal fast genauso geshen hat, fehlt natürlich das Überraschungsmoment... aber wie es dann vor vier Jahren?


    Ich muss sagen, dass ich immer noch ein bisschen weggetreten bin. Das, was mich bei Arcade Fire richtig sauer gemacht hat, nämlich die mangelnde Ansprache an das Publikum, hätte ich hier als völligen Fehlgriff empfunden. Irgendetwas Anderes als das doch charmante "Thanks for having us tonight", hätte mMn auch nicht in das düster tiefe, fast depressive Konzept gepasst. Es war ein Gesamtkunstwerk, welches ganz für sich gesprochen hat. Reduziert und spröde, mit uneindeutigen Frontleuten, weil die eben auch nur ein Teil vom Ganzen sind. Dazu passend der fehlende Support und die fehlende Zugabe. Dass einem sowas ( als einziges Deutschlandkonzert) für 40 Euro bei freier Platzwahl im schönen Tempodrom geboten wird, ist eine Ehre. In Zeiten, in denen der bescheuerte Artistsymbolprince für das einzige Konzert in der gleichen Location satte 332 Euro verlangt. ( Oder - okay, in dem Falle der Veranstalter, aber ich bleibe dabei, dass der Künstler das letzte Wort hat.)


    Ich habe also nichts, aber auch rein gar nichts als lustlos empfunden, nur genossen. Und die Stimmung fand ich auch fantastisch. Vielleicht lag es auch an mir und ich war weniger misantroph als sonst, aber ständig von fremden Menschen angelächelt werden (sogar von Frauen auf dem Klo), spricht nicht grade gegen die Qualität eines Konzertes. :-)

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Zitat

    aber wie es dann vor vier Jahren?


    Exzellent.


    Einfach stärker. Präsenter. Persönlicher. Weniger filmisch. Natürlich auch überraschender - damals hat mir die minimalistische, aber sehr intelligent eingesetzte Videokulisse gut gefallen, das Spiel mit Retro-Elementen, politischen Anspielungen, dem immerwährenden Licht von hinten, das die eigentlichen Darsteller zu Schatten machte. Weil man dennoch das Gefühl hatte, das die eigentliche Stärke von dort kam, und dieses Gefühl habe ich am vergangenen Samstag vermisst. Stattdessen habe ich einen gewissen Unwillen verspürt, etwas wie "Jesus, jetzt muss ich schon wieder Teardrops singen. Hört das denn nie auf?" Murmeltiertag-Feeling. Und auch die Begeisterung im Publikum habe zumindest ich erst während der zweiten Hälfte zur Kenntnis genommen, aber auch dann lediglich partiell, weil die Menschen unter einsachtzig um mich herum (ich war im Innenraum) schlicht überhaupt nichts gesehen haben. Die verblüffend gute Laune etwa an den Bierständen habe ich aufs Wetter geschoben. ;-)


    Vermutlich hat meine gelinde Enttäuschung aber überwiegend damit zu tun, dass mir nach so langer Wartezeit noch einmal exakt dasselbe geboten wurde. Allerdings war einer meiner Begleiter, der damals mitkommen wollte und sich seither jahrelang geärgert hat, weil er am Tag des Konzerts krank geworden ist, nicht weniger enttäuscht. Er fand's etwas langweilig und irgendwie ... leer.

  • Gut, Teardrops hätte nicht sein müssen. Ich gebe Dir recht. Aber es wurde eben gespielt und es war auch schön. Nicht weltbewegend, aber schön. Und dafür hat es "Safe From Harm" oder "Angel" tausendfach wieder rausgerissen. Selbst, wenn das nur ein Fünftel so gut war wie das, was Du vor vier Jahren erleben durftest - Himmel, das war zum Niederknien. Phänomenal.


    Naja, so ist das eben mit Empfindungen. Der Musiker an meiner Seite hat jedenfalls stetig mit dem Fuß gewippt. :lache


    Auf Innenraum habe ich bis auf wenige Ausnahmen keine Lust mehr. Zu nervig und geruchsintensiv. Und doch- Ihr habt alle getanzt, da unten. ;)


    Und jetzt will ich dieses Erlebnis nicht mehr zerreden, sondern mich noch ein Wenig darin herumsuhlen. :-]

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

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  • Zitat

    Original von Tom
    Ich war auch da, hatte mich extra auf dem Rückweg aus dem Urlaub beeilt, und ich muss sagen, dass sich meine Begeisterung eher in Grenzen hielt. Zunächst einmal glich die Show fast exakt derjenigen von vor vier Jahren am gleichen Ort. Setlist, Licht und Besetzung stimmten nahezu komplett überein, nur einige der eingeblendeten Texte waren aktualisiert. Gleichzeitig aber war es ganz anders, noch einige Nuancen zurückhaltender, und ich meinte, eine gewisse Lustlosigkeit zu spüren. Die Interaktion mit dem Publikum fällt bei Massive Attack-Konzerten ohnehin gering aus, aber dieses Mal fehlte sie völlig. Der Sound war zwar okay, aber die erste Hälfte des Konzerts war viel zu leise. Und auch stimmlich/gesanglich hat mich das nicht überzeugt. Mag sein, dass es für jemanden, der die - fraglos großartige - Formation noch nie live gesehen hat, eine gute Show war, aber für mich war es ein eher fader Aufguss, ein Arbeitsabend, der die gute Erinnerung an das "Original" leider sogar ein wenig aufweicht hat. Außerdem habe ich gelernt, dass das eigentlich gut klimatisierte Tempodrom in dieser Hinsicht auch seine Grenzen hat.


    Okay. Nach dem gestrigen Konzert verstehe ich das nun. Es geht mir jetzt auch so, wenn ich das auch nur widerwillig zugebe. Es war trotzdem noch großartig, die politischen Botschaften haben mir nicht nur einmal Schläge in die Magengrube und Gänsehäute bereitet, "Angel" und "Safe From Harm" haben nichts an Intensität eingebüßt, aber... das wars auch schon. Vor eineinhalb Jahren hat mich die Show umgehauen, jetzt gehts mir wie Deinem Kumpel.


    Zitat

    Er fand's etwas langweilig und irgendwie ... leer.


    Wobei "langweilig" nicht das richtige Wort ist.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)