Mutter, wann stirbst du endlich - Martina Rosenberg

  • Wahrscheinlich, weil das Thema Tod und Sterben in meinem Leben immer näher rückt, sprang mir dieses Buch ins Auge und dann auch recht schnell in den Einkaufskorb. Der recht provokante Titel tat sein Übriges.


    Martina Rosenberg schildert in diesem Buch die Geschichte des langsamen Todes ihrer dementen Mutter und vor allem die Belastung, die damit für die Autorin verbunden war.
    Was mit verbummelten Haustürschlüsseln begann, endete in einer vollständigen Auslöschung der Persönlichkeit der Mutter. Aus der fürsorglichen und bescheidenen Mutter wird eine fordernde, egozentrische, alles in allem nicht sehr liebenswürdige Fremde. Aber auch der Vater, der trotz der leichten Einschränkungen durch einen Schlaganfall eigentlich körperlich noch recht fit ist, wird durch die anhaltende Belastungen immer verbitterter und griesgrämiger.
    Rosenberg erzählt im Präsens und in schlichten Worten aus dieser Zeit, dadurch bekommt der Text einen tagebuchmäßigen und somit auch authentischen Charakter. Und tatsächlich wird in jeder Zeile klar, was für eine psychische Belastung die Pflege für die Autorin war, wie besonders die zunehmende Bösartigkeit und persönlichen Angriffe ihres Vaters sie belasten. Ich konnte mitfühlen.


    Allerdings war ich ich im weiteren Verlauf des Buches mehr und mehr irritiert. Denn eine ganze Armada an Pflegepersonal marschiert hier auf, die Eltern werden bis zum Schluss von eigens engagierten Pflegerinnen und Pflegedienst liebevoll betreut. Die Autorin, der das Leben in einem Haus mit den Eltern irgendwann zu viel wird, baut sich mal kurz ein Eigenheim und beschränkt sich im Folgenden auf sporadische Besuche und die Erledigung des Papierkrams. Selbst die Berichte der Pflegerin über den Zustand der Eltern waren ihr zu viel, empfindet sie als Zumutung und beschwert sich gleichzeitig über mangelnde Anerkennung ihrer eigenen Leistung. Die Pflegerin allerdings mit einem „das will ich gar nicht wissen“ abzubügeln, spricht auch nicht gerade für eine ausgeprägte Wertschätzung der Arbeit der anderen.
    Und auch gegen Ende des Lebens der Mutter wirkt die Autorin seltsam Ich-bezogen, so als sei sie das eigentlich Opfer. Einen Menschen Sterben zu zu sehen ist wahrlich nicht schön. Ihm im Todeskampf allerdings die Menschenwürde abzusprechen und quasi für ein rechtzeitiges „Einschläfern“ zu plädieren (was so nicht explizit ausgesprochen, aber doch durch den Vergleich mit dem Einschläfern des Hundes nahegelegt wird) halte ich für falsch und sogar eine Missachtung eben jener eingeforderten Würde. Sterben ist grausam und, ja, unappetitlich. Und Sterben dauert auch seine Zeit. Den Sterbenden selbst diese Zumutungen für die Angehörigen nicht mehr zuzugestehen und das Ganze durch einen vermeintlichen „schönen Tod“ rechtzeitig zu beenden, mag dem Zeitgeist, in dem alles gesund, sauber und hygienisch zu sein hat, geschuldet sein, oder auch der Tatsache, dass der Tod, wenn er denn sein muss, für die Überlebenden möglichst glatt und und reibungslos verlaufen soll. Mit Menschenwürde hat das allerdings nix zu tun.


    Im Rückblick betrachtet ist dieses Buch also gar kein Plädoyer für eine bessere Pflege, für weniger Bürokratie und mehr Menschlichkeit im Umgang mit alten und dementen Menschen, sondern unterschwellig, auch wenn das nie explizit ausgesprochen wird (höchstens durch den Titel), ein Plädoyer für Sterbehilfe. Und zwar nicht nur für Menschen, die nur noch dank Hightech-Medizin überleben, sondern auch für solche, die auf den ersten Blick nur noch „Ärger“ machen, aber einfach nicht sterben wollen.


    Ich kann es durchaus nachvollziehen, dass eine solche Erfahrung zermürbt, und ich verstehe auch die Gedanken der Autorin, dass sie sich irgendwann den Tod der Mutter wünscht. Allerdings stört mich die Rechtfertigung, dass ein schneller Tod eigentlich nur im Sinne der Mutter wäre und es deshalb ein Fehler im System der Grund sei (das direkte Sterbehilfe, also das Töten eines Menschen, der von alleine einfach nicht stirbt, verbietet), dass die Autorin all dies mitmachen musste, gewaltig.


    Meine Freundin hat fürchterlich gelitten in ihren letzten Lebenswochen, auch von Sterbehilfe gesprochen, und doch hat sie mit dem Sterben gewartet, bis zu ihrem Geburtstag die gesamte Familie am Bett versammelt war. Mittlerweile bin ich der festen Überzeugung, dass das kein gemeiner Zug des Schicksals war, sondern die, wenn auch nicht bewusste, Entscheidung meiner Freundin. Und da wäre es nahezu vermessen gewesen, aus vermeintlichem Mitleid dieses Sterben abzukürzen, ihr die Chance zu nehmen, diese eine, letzte Entscheidung selbst zu treffen. Dass diese Autonomie sterbenskranken Menschen so einfach abgesprochen wird, ist das Ärgerliche an diesem Buch.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Danke DraperDoyle für die Buchvorstellung, ja das Thema ist recht gefährlich. Wer, wie ich gerade auch mit seinen immer weniger werdenden Eltern zu tun hat, wird vielleicht gerne zu diesem Buch greifen.


    Dass es aber diese Tendenz nimmt ist weniger schön, eigentlich stellt sich die Autorin ein sehr schlechtes Zeugnis aus.

  • danke für den Hinweis, oemchenli. Ich habe mir das angeguckt, sehr unter Till Schweiger gelitten, fand Frau Rosenberg aber, zumindest gegen Ende, gar nicht forsch.
    Eher schien sie mir ziemlich, wenn nicht traurig, so doch nachdenklich, als die einhellige Meinung, sowohl beim Arzt, als auch beim betroffenen Ehepaar, war, dass liebevolle Zuwendung für Demenzkranke das Wichtigste sei. Und genau das es war, was weder sie, noch erst recht nicht ihr Vater, ihrer Mutter gegeben haben.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)