'Franziska Linkerhand' - Kapitel 05 - 06

  • Es fällt mir wirklich schwer, diesen Abschnitt zusammenzufassen.


    Franziska ist nun frei von ihren Ehefesseln und frei von Wolfgang. Sie fährt einem neuen Leben entgegen, von dem sie sich so viel erhofft. Sie hat Pläne, Hoffnungen, ja Visionen. Es ist anzunehmen, das sie schnell auf dem Boden der Tatsachen landen wird, denn beim Bau der neuen Stadt, Neustadt, geht es um schnelle und billige Wohnungen, nicht um Ästhetik.


    Man erfährt während der Zugfahrt nach Neustadt ungefähr, wo es liegt. Ich tippte ja auf Hoyerswerda. Die Stadt liegt im Sorbischen, Kohle rundherum, vom Örtchen durch massiven Neubau zur Stadt verbaut... :gruebel


    Ben wird immer wieder mal angesprochen. Die Erzählerin spricht mit ihm, weist auf spätere gemeinsame Erlebnisse hin, aber er bleibt immer noch der Ferne. Sie bezeichnet ihn als ihre einzige, wahre Liebe. Mal schauen, wann er sie kennen lernt...Zumindest hat die erzählte Franziska ihn schon mal gesehen.


    Was wie schon in anderen DDR-Romanen auffällt, ist der schon extreme Alkoholgenuss. Es wurde viel getrunken, im Bergbau noch mehr, denn da gab es zusätzlich Schnaps als Deputat.

  • Irgendwie geht es mir alles zu schnell.
    Der Ehemann Wolfgang wirkt eher wie ein romanmässiger Zombie. Er hat kaum Konturen und bewegt sich wie ein Statist durch das Buch. Er tritt auf und dann auch schon wieder ab.


    Brigitte Reimann springt mir ein wenig zu schnell. So langsam vermisse ich klare Strukturen. Und wie schon zu Beginn auch, habe ich manchmal Schwierigkeit mich in die Handlung reinzufinden, weil mir die Übergänge nicht sauber genug getrennt sind.


    Manchmal wäre zusätzliche Erläuterungen nicht schlecht. Aber vielleicht bin ich auch einfach zu doof für diesen Roman.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Irgendwie geht es mir alles zu schnell.
    Der Ehemann Wolfgang wirkt eher wie ein romanmässiger Zombie. Er hat kaum Konturen und bewegt sich wie ein Statist durch das Buch. Er tritt auf und dann auch schon wieder ab.


    Ein wirklich kurzes Intermezzo, allerdings mit weitgehenden Folgen für Franziska. Dank seiner netten Familie hat sie nun nichts mehr und zieht mit ein paar Koffern um. Außerdem ist sie jetzt geschieden, damals (vielleicht) ein Makel, obwohl sie selber es wohl nicht so sieht. Ich denke, dass sie das Gefühl des Scheiterns viel mehr belastet hat, auch wenn sie es nicht zugibt.


    Zitat

    Brigitte Reimann springt mir ein wenig zu schnell. So langsam vermisse ich klare Strukturen. Und wie schon zu Beginn auch, habe ich manchmal Schwierigkeit mich in die Handlung reinzufinden, weil mir die Übergänge nicht sauber genug getrennt sind.


    Da geht es mit wie dir, immer noch. Die Autorin reiht Nebensatz an Nebensatz, setzt mal ein Komma, dann wieder ein Semikolon, selten einen Punkt. Ich mag ja eigentlich Schachtelsätze ganz gerne, aber leider kann ich Franziska oft kaum folgen.


    Zitat

    Manchmal wäre zusätzliche Erläuterungen nicht schlecht. Aber vielleicht bin ich auch einfach zu doof für diesen Roman.


    Wir können ja unsere Fragen zusammentragen und versuchen sie gegenseitig zu beantworten.
    Ich habe auch schon an meinen Fähigkeiten des verstehenden Lesens gezweifelt. :grin
    Ich kämpfe aber noch weiter.

  • Zitat

    Original von Clare


    Wir können ja unsere Fragen zusammentragen und versuchen sie gegenseitig zu beantworten.
    Ich habe auch schon an meinen Fähigkeiten des verstehenden Lesens gezweifelt. :grin
    Ich kämpfe aber noch weiter.


    Das ist eine gute Idee. Und manchmal sind ja auch die Fragen wichtiger als die Antworten. ;-)


    Jetzt ist Franziska gerade in Neustadt angekommen, ihre Eltern scheinen "rübergemacht" zu haben - wenigstens wurde das irgendwie am Rande erwähnt.


    Franziska hat sich nicht nur mit Kneipenwirtin Frau Hellwig angefreundet, sondern scheint auch der Sekretärin Gertrud näherzukommen. Wobei ich mich jetzt frage, ob da unterschwellig eine lesbische Beziehung begründet wird - wenigstens aus der Sicht dieser Gertrud.


    Und auch hier gilt: Alles bleibt im Ungefähren, klare Positionen und Situationsschilderungen scheinen nicht so das Ding von Brigitte Reimann zu sein. Drückt sie sich vor klaren Aussagen oder mag sie das Verschweigen, das leicht Rätselhafte?


    Das Buch ist nicht schlecht - aber das Lesen ist anstrengend. Man darf nicht den Fehler machen und denen oder anderen Absatz "quer lesen" - nein, hier muss ohne Wenn und Aber "Wort-für-Wort" gelesen werden.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Jetzt ist Franziska gerade in Neustadt angekommen, ihre Eltern scheinen "rübergemacht" zu haben - wenigstens wurde das irgendwie am Rande erwähnt.


    Sie sind in den Westen gegangen. Ich denke, dass die Autorin das nicht detailliert ausführen konnte, denn das wäre sonst wohl eh gestrichen worden. Republikflucht nannte man das später. Ich weiß nicht, wie man mit solchen Aussiedlungen in den Jahren des Romans umging. Vielleicht wurden die Fortgegangenen einfach nicht mehr erwähnt.


    Zitat

    Franziska hat sich nicht nur mit Kneipenwirtin Frau Hellwig angefreundet, sondern scheint auch der Sekretärin Gertrud näherzukommen. Wobei ich mich jetzt frage, ob da unterschwellig eine lesbische Beziehung begründet wird - wenigstens aus der Sicht dieser Gertrud.


    Das habe ich mich auch gefragt, denn es gibt immer wieder mal in den Erzählungen Franziskas recht bildliche Beschreibungen weiblicher Anatomie.


    Zitat

    Und auch hier gilt: Alles bleibt im Ungefähren, klare Positionen und Situationsschilderungen scheinen nicht so das Ding von Brigitte Reimann zu sein. Drückt sie sich vor klaren Aussagen oder mag sie das Verschweigen, das leicht Rätselhafte?


    Das Buch ist nicht schlecht - aber das Lesen ist anstrengend. Man darf nicht den Fehler machen und denen oder anderen Absatz "quer lesen" - nein, hier muss ohne Wenn und Aber "Wort-für-Wort" gelesen werden.


    Mag die Autorin das Rätselhafte? :gruebel
    Für mein Empfinden hat diese Unkonkretheit nichts mit dem "Zensor im Kopf" zu tun. Es war durchaus üblich Umschreibungen zu verwenden, um Streichungen durch das Lektorat zu entgehen, aber das trifft hier wohl meist nicht zu. Es geht bei diesen losen Strängen oft um persönliche Beziehungen, die nichts mit Politik zu tun haben.
    Das macht auch für mich das Lesen ungemein anstrengend.

  • Clare
    Danke für deine Erläuterungen. Ich stelle für mich fest, dass ich immer wieder vergesse/verdränge, dass es sich bei Brigitte Reimann um eine DDR-Autorin gehandelt hat - die natürlich sicher nicht alles das schreiben konnte was sie schreiben wollte.
    Ich kann mir auch vorstellen, dass sehr viele Autorinnen und Autoren in der DDR große Probleme mit ihren Lektoraten hatten.
    Gut, das du bei der LR dabei bist, Clare - denn durch deine Erklärungen und Einschübe sehe ich nun einiges klarer.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich stelle gerade bei Büchern, die in den 60er oder70er Jahren handeln oder geschrieben wurden auch überfordert bin, weil ich in den ersten noch nicht geboren war und in der zweiten zu jung. :grin
    Aber manches weiß ich doch.


    Aber wie gesagt, ich sehe nicht, dass die Auslassungen und Sprünge nur mit Zensur zu tun haben. Vielleicht ist das der Stil der Autorin. Ich würde etwas mehr Klarheit bevorzugen.

  • Zitat

    Original von Clare
    Vielleicht ist das der Stil der Autorin. Ich würde etwas mehr Klarheit bevorzugen.


    :write :write :write


    Im Moment quäle ich mich ein wenig durch das Buch. Bin auf Seite 200 und muss noch bis Seite 604 durchhalten.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire


    :write :write :write


    Im Moment quäle ich mich ein wenig durch das Buch. Bin auf Seite 200 und muss noch bis Seite 604 durchhalten.


    Lass mich hier nicht allein! Du liebst doch Herausforderungen, oder? :grin


    Vielleicht liegen meine Schwierigkeiten mit dem Buch bzw. mit dem Schreibstil der Autorin zum Teil auch darin begründet, dass ich vielleicht mit falschen Erwartungen an den Roman gegangen bin. Diese Sprachgewalt, die mich, wie ich leider sagen muss, zuweilen fast erschlägt, habe ich genau so wenig erwartet wie das Sprunghafte und Verworrene von Franziskas Gedanken.

  • Ich halte durch! :bruell


    Zitat

    ......wie das Sprunghafte und Verworrene von Franziskas Gedanken


    Damit habe ich auch so meine Schwierigkeiten und ich stelle fest, das sich auch kein Gewöhnungseffekt eingestellt hat.
    Die Sprache/der Stil ist eher ungewöhnlich.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire



    Damit habe ich auch so meine Schwierigkeiten und ich stelle fest, das sich auch kein Gewöhnungseffekt eingestellt hat.
    Die Sprache/der Stil ist eher ungewöhnlich.


    Wenn ich euch so lese, trau ich es mich kaum zu sagen, aber ich habe immer mehr Vergnügen an diesem Stil. Im ersten Teil habe ich versucht zu erklären, wie ich mir dieses "Sprechen" vorstelle, es ist für mich eine Art Duett zweier Stimmen, die eine so sprunghaft, wie Franziska nun mal ist, die andere versucht wenigstens ansatzweise mit Erklärungen hinterher zu kommen.



    Zum zweiten Teil:
    Franziska mit ihrem schönen Lebensmotto („lieber dreißig wilde Jahre...“ - Seite 119), mit ihren schönen Plänen vom Häuserbauen, mit all ihrer offen gezeigten Lebensfreude … dann kommen diese kleinen Details wie das Wiedertreffen mit Django, sie bekommt den einen oder anderen Nasenstüber, aber ich habe nicht wirklich den Eindruck, dass sie in ihrem tiefsten Kern zu treffen war (bisher), auch nicht die desolate Wolfgang-Geschichte, auch wenn die natürlich tiefe Wunden gerissen hat; sie bleibt sich in gewisser Weise treu. Die Bewunderung für ihren Bruder, bei der mich hin und wieder eine leichte Irritation streift, der gnadenlose Blick auf die Eltern, das sind auch so Markierungen, die ihr bleiben, sie wird sie hin und wieder aus den Augen verlieren, aber wissen, dass sie da sind. Sie scheint so überaus offen zu sein, und doch ist da immer auch ein Stück Distanz, vielleicht auch zu sich selber, vielleicht muss sie sich hin und wieder selbst betrügen, um der Welt eine schöne Maske zeigen zu können.


    Nun ist sie also in Neustadt. Eine furchtbare Stadt, „so billig wie möglich“ (Seite 144) gebaut, muss sie doch eine buchstäblich unglaubliche Wohnqualität ausstrahlen, vor allen Dingen, wenn alles so gleich ist und aussieht, dass man sich glatt verlaufen kann, dazu dann diese wie überall und immer wieder stattfindende Konzentration gewisser „Elemente“ in einem Block, man könnte es vielleicht sogar Ghetto nennen, dort wie überall ein Fehler, der Auswirkungen hat, die sich nicht nur nach Tagen bemessen lassen. Hoyerswerda wurde genannt, dort spürt(e) man es bis in unsere Tage. „Wir gründen unsere Städte nicht mehr für Generationen“ (Seite 154), eine Bankrotterklärung der besonderen Art. Ist den Planern und Machern eigentlich nie aufgegangen, was sie da eigentlich angerichtet haben, spätestens, als die Probleme immer mehr und größer wurden? Brauchte der „neue Mensch“ nichts fürs Auge? Nichts mehr zum Wohlfühlen, Geborgensein, weil er ja doch nur werkeln tut, für Andere, für die Gesellschaft, immer parat, immer einsatzbereit und Geheimnisse haben wir schon gar nicht voreinander? Funktional die Menschen, funktional die Wohnungen? Reimann beschreibt sie ja teils ironisch genug (beispielsweise als Franziska ihr Zimmer in Augenschein nimmt).


    Der Genosse Schafheutlin ist von bemerkenswerter Direktheit, aber natürlich wird auch sein Beschützerinstinkt geweckt, sehr wahrscheinlich lässt die junge Dame ihn keineswegs kalt. Wie überzeugt er doch von seinem Beruf, seiner Mission ist, aber es muss es wohl auch sein, Zweifel sind nicht erlaubt, können nicht geduldet werden. Eine Teufelsmaske hat er in seinem Büro. Interessant, dass immer wieder Masken ins Spiel kommen, Masken, die fallen, zum Beispiel wenn Franziska von Schafheutlin durch den Türspion beobachtet wird oder der Playboy vom Dienst von ihr selbst. Gesellschaftliches Leben … ohne Maskierung nicht zu leben? (Warum setze ich eigentlich das Fragezeichen dahinter?)


    Eine der interessantesten Figuren ist für mich Gertrud. Eine von denen, die vom oder ums Leben betrogen wurden. Die Andeutungen, sie betreffend, zeigen die Konturen sehr, sehr hässlicher Geschichten. Andeutungen über eine Art von Selbstmord wirft sie wie einen Köder aus. Franziska fällt darauf herein und streitet natürlich ab. In einem halben Zimmer muss Gertrud hausen, das stelle ich mir grausig vor. Lesbisch? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Eine ungeheure Verletzung, ja, das auf jeden Fall.


    Frau Hellwig, eine andere Geschichte, in gewisser Weise doch gradlinig, sie hat ihren Weg gefunden.


    Und Jazwauk, was für ein feinfühliger Mensch, und ach, wie er doch die Frauen durchschaut. Die Frau als Objekt sexueller Begierde, ist das nicht auch einer dieser Punkte, von denen man doch träumte, sie im real existierenden Sozialismus (oder erst im Kommunismus?) überwunden sehen zu können.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Wenn ich euch so lese, trau ich es mich kaum zu sagen, aber ich habe immer mehr Vergnügen an diesem Stil. Im ersten Teil habe ich versucht zu erklären, wie ich mir dieses "Sprechen" vorstelle, es ist für mich eine Art Duett zweier Stimmen, die eine so sprunghaft, wie Franziska nun mal ist, die andere versucht wenigstens ansatzweise mit Erklärungen hinterher zu kommen.


    Das freut mich sehr für dich, Lipperin. Und ich gönne dir den Lesegenuss wirklich.


    Zitat

    ...Ist den Planern und Machern eigentlich nie aufgegangen, was sie da eigentlich angerichtet haben, spätestens, als die Probleme immer mehr und größer wurden? Brauchte der „neue Mensch“ nichts fürs Auge? Nichts mehr zum Wohlfühlen, Geborgensein, weil er ja doch nur werkeln tut, für Andere, für die Gesellschaft, immer parat, immer einsatzbereit und Geheimnisse haben wir schon gar nicht voreinander? Funktional die Menschen, funktional die Wohnungen? ...


    Diese Neubaugebiete wurden aus dem Boden gestampft, überall, um die Arbeiter in den entstehenden Industriegebieten unterzubringen. Die DDR brauchte die Rohstoffe, die Industrie und schnellen, billigen Wohnraum in der Nähe für die Arbeiter. Funktionalität war Trumpf und gewollt. Von jedem Schnörkel und Ästhetik ohne eigentliche Funktion wollte man sich absetzen.
    Schau dir mal die Kunst der DDR an, die von der Staatsführung gerne gesehen war... :rolleyes


    Zitat

    Eine der interessantesten Figuren ist für mich Gertrud. Eine von denen, die vom oder ums Leben betrogen wurden. Die Andeutungen, sie betreffend, zeigen die Konturen sehr, sehr hässlicher Geschichten. Andeutungen über eine Art von Selbstmord wirft sie wie einen Köder aus. Franziska fällt darauf herein und streitet natürlich ab. In einem halben Zimmer muss Gertrud hausen, das stelle ich mir grausig vor. Lesbisch? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Eine ungeheure Verletzung, ja, das auf jeden Fall.


    Ich bin mir sicher, dass Gertrud in ihrer Vergangenheit vom Leben nicht verschont wurde. Ich werfe ihr ihren Alkoholismus nicht vor. Sie ist allein, einsam, verfolgt von den Gespenstern der Vergangenheit und hat sicher das gefühl vom Leben benachteiligt worden zu sein. Ob sie lesbisch ist, weiß ich auch nicht. Vielleicht ist es auch einfach dei Sehnsucht nach Nähe, die sie nehmen lässt, was sie kriegen kann.

  • Zu Kapitel 5 (ohne eure Posts gelesen zu haben, die lese ich, wenn ich den Abschnitt durch habe):


    Ich habe mich eingegroovt. :grin Zunehmend finde ich Gefallen an Reimanns Schreibstil.


    Das Kapitel beginnt mit einer wunderschönen Legende, die Franziska von ihrem Vater erzählt bekommen hat. Der Vater, der seinen Verlag und seine Bücher liebt und gar nicht mitbekommt, wie die Mutter den Lebensunterhalt verdient.
    Franziskas Verhältnis zu den Eltern wird in diesem Kapitel immer deutlicher. Sehr sinnbildlich das Bild der Eltern am Esstisch, der Vater fast durchsichtig, kaum vorhanden, die Mutter hält nur mit Mühe ihren Jähzorn im Zaum.


    Zitat

    "Mit siebzehn nahm sie ihren Vater nicht zur Kenntnis und haßte ihre Mutter, wild und besinnungslos und noch ehe ihr bewußt geworden war, daß starrer Drill, heuchlerische Erziehung und die beständige nörgelnde Kritik dieser Bigotten, ihr, Franziskas, natürliches Selbstbewußtsein gebrochen [...] hatte..." S. 128/129


    Der Weggang der Eltern in den Westen lässt Franziska fast unberührt. Der Vater schenkt ihr sein liebstes Buch, anders kann er seine Liebe zur Tochter wohl nicht zeigen. Später erfährt der Leser, dass Franziska mit Päckchen aus dem Westen versorgt wird.
    Ich kann mich auch noch erinnern, dass wir in meiner Kindheit Päckchen an die Verwandten im Osten geschickt haben. Immer mit Gardinenwaschmittel und Strumpfhosen, das weiß ich noch.



    Die Begegnung mit Django hat mich bewegt. Die beiden Lebenswege kreuzen sich noch einmal für einen kurzen Momnet. Er ist liebevoller Vater, bürgerlich geworden, ein Leben, das sich Franziska nicht mehr vorstellen kann, ja, was sie fast verabscheut.


    Sonst hat mich die BEschreibung der Neustädtschen Architektur sehr begeistert.


    "An die Stelle des Architekten ist der Ingenieur getreten. [....] 'Das Volk. Verzeihen Sie, lieber Kollege, das ist Lyrik' " S. 155
    Die Entwicklung der Stadt zu einer uniformen Siedlung ist sehr gelungen, der Name "Neustadt" Programm.


    Ein kurze Stelle, die ich lyrisch finde, ist z.B. diese:

    Zitat

    "Eine noble Fassade, aber morsch und mürbe, und Igel wohnen in ihren Säulenknäufen und Rohrdommeln singen in ihren Fenstern..."

    S. 155
    Es gibt noch schönere, aber diese ist mir gerade ins Auge gesprungen.


    Franziska begegnet Ben, der ein Abbild ihres Bruders ist. Außerdem erfahren wir in diesem Zusammenhang, dass sie von ihrem ersten Mann vergewaltigt wurde.


    Franziska bezieht ihr erstes Zuhause, das sie ganz für sich hat. Ein Zimmer von "aufdringlichem Zweckbewußtsein" und hüpft Leben in ihr Bett. Das war sehr schön zu lesen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Franziskas Verhältnis zu den Eltern wird in diesem Kapitel immer deutlicher. Sehr sinnbildlich das Bild der Eltern am Esstisch, der Vater fast durchsichtig, kaum vorhanden, die Mutter hält nur mit Mühe ihren Jähzorn im Zaum.


    Es muss seltsam gewesen sein, in so einem Klima aufzuwachsen. Sie wurde ja nicht misshandelt oder geschlagen, aber die Bedingungen für sie sich zu entwickeln waren trotzdem nicht optimal. Besonders der Vater lebte in seiner eigenen Welt. Was hat ihn dazu getrieben, sich nach dem Ende des Krieges nicht um weitere Verlegerarbeit im neuen System zu bemühen? Diese Arbeit war ja sein Leben.
    Dass die Eltern in den Westen gegengen sind, war ein Schritt, den ich ihnen fast nicht zugetraut hätte, eine Aktivität - oder vielleicht doch nur Flucht und nicht ein Schritt auf einem neuen Weg.


    Zitat

    Der Weggang der Eltern in den Westen lässt Franziska fast unberührt. Der Vater schenkt ihr sein liebstes Buch, anders kann er seine Liebe zur Tochter wohl nicht zeigen. Später erfährt der Leser, dass Franziska mit Päckchen aus dem Westen versorgt wird.
    Ich kann mich auch noch erinnern, dass wir in meiner Kindheit Päckchen an die Verwandten im Osten geschickt haben. Immer mit Gardinenwaschmittel und Strumpfhosen, das weiß ich noch.


    Was mich ein Bisschen erstaunt hat, war die Tatsache, dass Franziska so einfach ihre Westkontakte pflegen durfte, aber vielleicht war das in den Jahren auch so. Wenn man eine Position innehatte, dann vertrug sich das nicht mit engen West-Beziehungen. Vielleicht stellt F. hier auch schon die ersten Schritte für eine nicht stattfindende Karriere.
    Westpäckchen habe wir auch bekommen, manchmal. Beliebt waren auch Puddingpulver, Schokolade, Kakao etc. und natürlich die Second-Hand-Klamotten, mit denen man immernoch angesagt angezogen war. :grin


    Zitat

    Sonst hat mich die BEschreibung der Neustädtschen Architektur sehr begeistert.


    Ehrlich??? Ich habe bei diesen Beschreibungen immer die entstandene Realität vor Augen, und die hatte nicht viel zum Begeistern.
    Oder begeistert dich, wie B. Reimann sie beschreibt?


    Franziska begegnet Ben, der ein Abbild ihres Bruders ist. Außerdem erfahren wir in diesem Zusammenhang, dass sie von ihrem ersten Mann vergewaltigt wurde.[/quote]


    Das war so eine Information, bei der ich mir nicht sicher war, ob ich vorher nicht etwas verpasst hatte. Vielleicht habe ich das Buch wirklich zur falschen Zeit gelesen. Ganz frei war mein Kopf nicht.

  • Zitat

    Original von Clare
    Was hat ihn dazu getrieben, sich nach dem Ende des Krieges nicht um weitere Verlegerarbeit im neuen System zu bemühen? Diese Arbeit war ja sein Leben.


    Irgendwo spricht Franziska davon, dass das Heute nicht mehr seine Welt war. Im Grunde nicht einmal das 19. Jahrhundert. Und dann sind ja noch irgendwelche Druckmaterialien eingeschmolzen worden, das war wohl der ausschlaggebende Punkt.

  • Zitat

    Original von Clare


    Ehrlich??? Ich habe bei diesen Beschreibungen immer die entstandene Realität vor Augen, und die hatte nicht viel zum Begeistern.
    Oder begeistert dich, wie B. Reimann sie beschreibt?
    ...


    Letzteres natürlich. :-) Die Vergleiche, die sie gezogen hat, fand ich sehr passend.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Die Begegnung mit Django hat mich bewegt. Die beiden Lebenswege kreuzen sich noch einmal für einen kurzen Momnet. Er ist liebevoller Vater, bürgerlich geworden, ein Leben, das sich Franziska nicht mehr vorstellen kann, ja, was sie fast verabscheut.


    Aus meiner Sicht war es gut, dass sie ihn noch einmal getroffen hat, so hatte diese Geschichte für sie einen Abschluss und es blieb sozusagen kein offener Traum mehr.
    Ihr erinnert euch sicherlich an Seite 42 - "Django hat sich eingerichtet, er ist tot" -, diese Worte haben jetzt einen ganz eigenen "Geschmack".

  • Zitat

    Original von Lipperin


    Irgendwo spricht Franziska davon, dass das Heute nicht mehr seine Welt war. Im Grunde nicht einmal das 19. Jahrhundert. Und dann sind ja noch irgendwelche Druckmaterialien eingeschmolzen worden, das war wohl der ausschlaggebende Punkt.


    Daran kann ich mich erinnern, und das meinte ich gar nicht. Ich meinte seinen völlig fehlende Drang, seiner geliebten Tätigkeit, seinem Leben sozusagen, weiter nachzugehen.

  • Zitat

    Original von Clare


    Daran kann ich mich erinnern, und das meinte ich gar nicht. Ich meinte seinen völlig fehlende Drang, seiner geliebten Tätigkeit, seinem Leben sozusagen, weiter nachzugehen.


    Ich denke mir, dass das ineinandergriff, diese Welt war nicht mehr die seine, in keiner Beziehung. Ich glaube auch nicht, dass er nur ansatzweise verstanden hat (oder verstehen wollte, so genau durchschaue ich ihn nicht), was da im Grunde vor sich ging.