Schlaf der Vernunft - Tanja Kinkel

  • Gebundene Ausgabe: 448 Seiten
    Verlag: Droemer HC (2. November 2015)
    ISBN-13: 978-3426199671
    Preis Gebundene Ausgabe: Euro 19.99
    Preis Kindle E-Book: Euro 17.99


    Autorin


    Mit dem Schreiben fing Tanja Kinkel mit 13 Jahren an. Heute ist sie eine der erfolgreichsten deutschen Autorinnen. Obwohl sie neben historischen Romanen, die von der Gründung Roms bis zum 2. Weltkrieg spielen, auch Thriller, Jugendbücher, Fantasy, ja Gegenwartsliteratur und Essays geschrieben hat, tauchen fast alle ihre Bücher auf den großen Bestsellerlisten auf. Wie der Spiegel schon 1998 dazu schrieb: so selbstverständlich wie Ebbe und Flut. Das liegt zum einen sicher daran, dass die promovierte Germanistin etwas zu all diesem Themenmischmasch zu sagen hat, als auch daran, daß Reiselust, Humor, Romantik, Abenteuer und Informationhunger immer befriedigt werden wie auch die Überzeugung: ja, so kann es gewesen sein. Weitere Informationen unter: www.tanja-kinkel.de.


    Kurzbeschreibung / Klappentext


    Nach 20 Jahren Gefängnis wird Martina Müller zeitgleich mit der RAF-Auflösung begnadigt. Das „Mörder-Monster“, wie die Presse bei ihrer Verurteilung schrieb. Ihre Tochter Angelika, die ihre Entschlossenheit nie verstanden hat, soll ihrer Mutter nach der langen Haftzeit beistehen, obwohl jedwede Verbindung abgebrochen war. Martina, mit 48 noch jung, muss erkennen, dass nichts erreicht wurde, jeder Mord umsonst gewesen war. Um herauszufinden, ob sich ihre Mutter geändert hat, Reue in sich entdeckt, und Teil ihrer Familie werden kann, muss Angelika Martinas Spuren folgen. Von der Sympathisantin, über die Illegalität und dem Gängelband der Stasi, bis hin zum großen Attentat. Aber nicht nur sie. Durch die Begnadigungen gibt es zwar Ex-Terroristen, aber Ex-Opfer gibt es nicht, denn deren Leid verjährt nie. So taucht der Sohn eines RAF-Opfers auf, der wissen will, wer damals geschossen hat. Ehefrauen, Mütter und der einzig überlebende Leibwächter: Alle haben auch nach Jahrzehnten offene Fragen.


    Meine Meinung


    Die von mir geschätzte Schriftstellerin Tanja Kinkel beschreitet thematisch einen neuen Weg und beschäftigt sich mit einem dunklen Kapitel der jüngeren Deutschen Geschichte. Der Zeitraum Ende der 1960er und Beginn der 1970er Jahre in der sich die Studentenproteste häuften und die als aufrührerische Ära in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Ein kleiner Teil der jungen Leute aus dem politisch linksautonomen Spektrum radikalisierte sich und aus diesem immer zorniger werdenden Milieu erwuchs die militante Vereinigung der Roten Armee Fraktion. RAF - Drei Buchstaben die bis heute für hinterhältige Terroranschläge und kaltblütige Morde stehen. Wie aus friedlichen Demonstranten Menschen werden konnten, die "Das System" des Staates und seinen Einrichtungen zu hassen und zu bekämpfen begannen versucht die Autorin Tanja Kinkel zu ergründen. Dabei wählt sie eine literarische Stilrichtung die ihr liegt und in dem sie ihr erzählerisches Talent voll und ganz zur Geltung bringen kann: Familiengeschichten vor einem realen zeitgeschichtlichem Hintergrund.


    Ein Brief einer Justizvollzugsanstalt bringt das gutbürgerliche Leben von Angelika Limacher komplett aus dem Tritt. Ihre Mutter hat die lebenslange Haftstrafe verbüsst und wird nach vielen Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Martina Müller - ein aktives Mitglied der RAF das an Mordanschlägen beteiligt war und zu der Angelika während der Haftstrafe jeglichen Kontakt abgebrochen hat. Wie soll sie sich gegenüber der Mutter verhalten? Weiterhin auf Distanz gehen oder versuchen sich dem "Scheusal" zu nähern und sachten Kontakt zu knüpfen? Angelika wählt letzteres und muss sich mit einem Menschen beschäftigen, der feststellen muss, dass die "revolutionären" Taten der Vergangenheit sinnlos waren und zu jeder Zeit geächtet wurden. Ein schwieriger Brückenschlag und eine Annäherung zweier Menschen mit komplett unterschiedlichen Weltanschauungen.


    Erzählt wird die Geschichte auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen. Einmal im Jahre 1998 als Martina Müller aus der Haftanstalt entlassen wird und die Zeit dreissig Jahre früher, als die linken Studentenproteste begannen und Martina in den verhängnisvollen Fänge der fanatischen Aufrührer gerät. In ihrem verblendeten Denken sieht sie sich in der Rolle von Robin Hood und merkt nicht, dass sie wie der Sheriff von Nottingham handelt. Aus Rebellion gegen den Staat wird übler linksextremer Terrorismus.


    Dieses Buch wird von der Leserschaft unterschiedlich gelesen werden. Die Generation von Lesern, die die aktive Zeit der RAF mit ihren hässlichen Attentaten selbst miterlebt und mit kaltem Schrecken im Gesicht in Presse und Fernsehen mitverfolgt hat wird es unter anderen Voraussetzungen lesen als jemand wie ich es bin, der dafür altersmässig zu jung ist und nur davon gehört hat. Kein Sachbuch sondern in der Form eines für jedermann verständlichen Romans versuchen zu begreifen, wie es zu dieser verqueren Ideologie kommen konnte aus der die tödlichen Anschläge hervorgingen.


    Wer dieses Buch primär als Familiengeschichte liest verkennt die tiefgreifende Bedeutung die in ihm steckt. Ein schwieriges Thema literarisch so zu gestalten und zu (be-) schreiben, dass es beim Leser plausibel und fassbar ankommt ist eine Kunst der längst nicht alle Schriftsteller gewachsen sind. Tanja Kinkel beherrscht dieses Metier hingegen tadellos und legt einen sehr lesenswerten Roman vor. Wertung: 9 Eulenpunkte

  • Angelika lebt mit ihrem Mann und ihren 2 Söhnen ein ruhiges, beschauliches Leben. Bis eines Tages ein Brief sie erreicht: ihre Mutter Martina, ein ehemaliges Mitglied der RAF, soll begnadigt werden. Angelika weiß nicht, was sie tun soll. Sie hatte jahrelang keinen Kontakt zu ihrer Mutter und will dies auch eigentlich nicht mehr. Und doch wünscht sich ihr inneres Kind die Versöhnung. Was soll sie tun?


    "Schlaf der Vernunft" war mein erster Roman von Tanja Kinkel und er hat mich restlos überzeugt. Die Autorin arbeitet in ihrem neusten Werk die Geschichte der RAF auf, zeigt, wie aus einer jungen Frau eine Radikale werden kann und beleuchtet zudem auch die Opfer neben den großen Namen.


    Die Geschichte wird in 2 Zeitsträngen erzählt. Zum Einen folgt man der jungen Martina in den 70er Jahren. Dabei erfährt man, wie sie als Schülerin zwischen die Fronten der Anti-Schah-Demo geriet, den Tod Benno Ohnesorgs erlebt hat und immer tiefer in die Überzeugungen der Linken eintaucht. Zum Anderen begleitet man Angelika im Jahr 1998, als ihre Mutter begnadigt wird. Doch nicht nur die Tochter der Täterin hat mit der Freilassung zu kämpfen, sondern auch der Sohn eines der Opfer der RAF und sogar ein ehemaliger Leibwächter eines Politikers gewähren Einblicke in ihre Lebensgeschichten und Gedankengänge. Diese Mischung hat mich von Beginn an gefesselt.


    Tanja Kinkel hält sich nicht an den großen Namen der Organisation wie Ensslin, Baader oder Meinhof auf, sondern blickt tiefer in die Gruppe. Das hat mich positiv überrascht und gleichzeitig auch berührt. Denn durch ihre geradlinige und sehr nachvollziehbare Schilderung von Martinas Werdegang konnte ich die Entscheidungen der späteren Täterin sehr gut verstehen, nachvollziehen und habe mich öfter beim Lesen gefragt "Wie hättest du gehandelt?" Grandios!


    Ich empfand öfter Sympathie für die Studentin Martina, was mich verwirrt hat. Sollte ich sie nicht unsympathisch finden, hassen, ihr mit Antipathie begegnen? Das konnte ich nicht. Die Autorin hat mir diese Frau so unbeschreiblich nahe gebracht, ohne ihre Taten und Gedanken zu beschönigen.


    Auch die Opfer der RAF kommen nicht zu kurz. Und wie bei den Tätern, so blickt Tanja Kinkel auch bei den Opfern nicht auf große Namen wie Ponto oder Buback, sondern widmet sich denjenigen, die die Terroristen gern als Kollateralschäden bzeichnet haben: Leibwächter, Fahrer, Staatssekretäre. Die Autorin verleiht den Hinterbliebenen und sogar einem Überlebenden eine Stimme, ein Gesicht und machte sie dadurch für mich greifbar. Toll!


    Die Story selbst wirkt zu Beginn ruhig, hat aber einen spannenden Unterton. Seite für Seite wurde ich in den Bann der RAF gezogen, sympathisierte mit Ideen, verstand ihre Beweggründe und war dennoch über ihr Vorgehen geschockt. Tanja Kinkel hat die Emotionen, Gedankengänge und auch Überzeugungen so gut eingefangen, dass ich bis zum Schluss gebannt über dem Buch hockte und mich nicht losreißen konnte. Zum Ende bleibt mir zu sagen: der Roman hält länger als die letzte Seite. Die Thematik der Radikalisierung ist aktueller denn je und dieses Werk hat sich tief bei mir eingebrannt.


    Der Stil der Autorin ist sehr gut und flüssig zu lesen. Ihre Erzählweise ist geradeaus, detailreich, wo sie es sein muss und historisch korrekt.


    Fazit: wer sich für jüngere deutsche Geschichte interessiert, MUSS das Buch lesen!

  • Schlaf der Vernunft - Tanja Kinkel


    Mein Eindruck:
    Tanja Kinkel schafft es in ihrem Roman Schlaf der Vernunft auf genaue, aber auch sensible Art, zu zeigen, was RAF-Terror bei Opfern und Tätern bewirkte. Zu diesen gehören, neben denen die überlebt haben, auch die Angehörigen, Kinder und Verwandte der Toten und der Mörder. Die Auswirkungen zeigen sich auch noch Jahrzehnte später.


    Es ist überzeugend, wie Tanja Kinkel ihren Roman mit ständigen Wechsel der Zeiten (1998 und die siebziger Jahre) aufbaut und die Perspektive der Personen rotieren lässt. So entsteht ein Gesamtbild.


    Es ist kein bequemes Thema, aber wichtig und die Autorin weiß durch ihre Schreiberfahrung das Buch gut lesbar und mit realistischen, glaubhaften Figuren zu gestalten.


    Es ist ein lesenswertes und empfehlenswertes Buch.

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Mehr als nur ein Buch über die RAF...


    Ich war lange unentschlossen, ob ich dieses Buch lesen soll oder nicht. Ich liebe die Bücher von Tanja Kinkel, die mich bisher noch nie enttäuscht haben, andererseits wusste ich vor Lektürestart nichts über die RAF und ob mich das Thema überhaupt interessieren würde. Letztendlich begann ich dann doch mit der Lektüre, einfach weil Tanja zu meinen Lieblingsautorinnen zählt und ich bin froh, dass ich dieses Experiment gewagt habe.


    In der Geschichte geht es um Martina Müller, die nach 20 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird. Ihre Haftstrafe hat sie als RAF- Terroristin bekommen. Tochter Angelika hatte lange keinen Kontakt zu ihrer Mutter, aber kann sie sie jetzt wirklich hängen lassen? Vielleicht hat sie sich verändert und kann ein Mitglied von Angelikas Familie werden...


    Die Handlung wird uns über zwei Handlungsstränge näher gebracht. Der eine Strang beleuchtet die fernere Vergangenheit von 1967 bis 1977. Der zweite Erzählstrang spielt 1998, der näheren Vergangenheit.


    Tanja Kinkel gelingt es sehr gut zu erläutern wie Martina überhaupt zu einer Kriminellen und Terroristin werden konnte, denn genau das interessiert einen als Leser. Die Autorin schafft es einfach die dargestellte Zeit authentisch widerzugeben und das auf immens spannende Weise.


    Zudem kommt sehr gut rüber wie sich Mutter und Tochter langsam aber sicher wieder annähern. Beide bringen Verständnis für die jeweils andere auf und versuchen das Band, was sie einst verbunden hat, wieder zu vereinen. Mich hat sehr gerührt wie viel Sorgen sich Angelika anfänglich um ihre Mutter macht. Letztendlich ist Blut doch dicker als Wasser, egal was einen einst getrennt hat.


    Je mehr ich las, desto mehr wuchs mein Interesse. Immer wieder musste ich die Lektüre unterbrechen, um zu recherchieren, Dokumentationen zu sichten und Artikel aus der Zeit zu lesen und siehe da meine Recherchen deckten sich eins zu eins mit dem, was uns die Autorin schildert, was für ihre gelungene Recherchearbeit spricht. Sie lässt Geschichte lebendig und greifbar werden.


    Mit diesem Buch ist es Frau Kinkel gelungen mir eine unbekannte Zeit deutscher Geschichte näher zu bringen, die es bisher nicht in mein Bewusstsein geschafft hatte. Gerade in der aktuellen Zeit, wo Terrorismus omnipräsent ist, zeigt dieses Buch sehr gut wie eine völlig normale, bürgerliche Mutter radikal werden kann. Unter bestimmten Bedingungen kann es jeden von uns treffen.


    Für mich eines der besten Bücher des Jahres 2015, die ich gelesen habe. Selten hat mich ein Buch so sehr beschäftigt wie dieses. Immer wieder musste ich Freunden und Bekannten davon berichten und meine Erkenntnisse teilen.


    Fazit: Ein unheimlich toller historischer Roman, der seinesgleichen sucht. Ich kann nur eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen. Genial! Must Read 2015...


    Bewertung: 10/ 10 Eulenpunkten

  • Ich gehöre zu denjenigen, für die das Thema nicht "Geschichte" ist :grin, aber da ich damals noch recht jung war, erschlossen sich mir manche Zusammenhänge nicht.
    Das Buch hat mich, wie auch nicigirl85 berichtete, dazu animiert, die Vorkommnisse aufzuarbeiten und mein Hintergrundwissen dadurch zu erweitern.


    Ein spannendes Stück Wissen, verpackt in eine interessant und fesselnd geschriebene Geschichte. Tolles Buch!


    Von mir ebenfalls 10/10

  • Blut ist dicker als Wasser


    Ganz so "einfach" ist es natürlich nicht in dem aktuellen Buch von Tanja Kinkel.
    Die ehemalige RAF-Terroristin Martina Müller wird nach 20 Jahren im Gefängnis 1998 begnadigt.
    Ihre Tochter Angelika ( der Kontakt zwischen den beiden wurde bereits vor vielen Jahren von Martina beendet ) gerät in einen schweren Gewissenskonflikt.
    Soll sie Kontakt zu ihrer Mutter aufnehmen?
    Versuchen, wieder eine Verbindung aufzubauen?
    Will sie das überhaupt?
    Angelika trifft sich tatsächlich gleich nach der Entlassung mit ihrer Mutter und verbringt einige Tage mit ihr allein auf Sylt.
    Nun beginnt eine langsame und vorsichtige Annäherung.
    Dies ist der eine Teil des Buches.
    Im anderen wird in Rückblenden die Geschichte von Martina erzählt.
    Wie es dazu kam, dass sie in RAF-Kreisen gelandet ist, sie schliesslich sogar zu einer überzeugten Mörderin wurde.
    Dies alles wird von Tanja Kinkel absolut nachvollziehbar und authentisch geschildert.
    Als Leser taucht man ein in diese Zeit, erfährt sehr viele historische Daten die in diese fiktve Geschichte ( aber genau so könnte es gewesen sein ) mit eingebaut sind.
    Weiter sind die Gefühle der beiden Frauen überzeugend dargestellt.
    Zudem gibt es noch eine Reihe von weiteren Personen, die wichtige Rollen spielen. Seien es die Opfer selbst oder ihre Angehörigen oder Mitarbeiter.
    Es werden wichtige Fragen nach Vergebung und Verzeihen gestellt und auch beantwortet.
    Tanja Kinkel ist meiner Meinung nach hier ein großer Roman gelungen.
    Sie hat es geschafft, dieses schwierige Thema angemessen und überzeugend dazustellen.
    Dafür gibt es von mir 10 Punkte.

  • Nach 20 Jahren Gefängnis wird die ehemalige RAF-Terroristin Martina Müller begnadigt. Ihre Tochter Angelika, die seit ihrer Kindheit keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter hat, soll Ihr jetzt nach der langen Haftzeit helfen. Plötzlich tauchen mehrere Personen auf, die endlich eine Antwort auf Ihre Fragen haben möchten wie z.B. der Sohn eines RAF-Opfers, dessen Mutter, ein Leibwächter u. v. m.



    Der Roman war von Anfang an spannend geschrieben. Zum einen durch den Wechsel der Erzählung zwischen der Vergangenheit und der Haftentlassung der Mutter. Zum anderen erfahren wir viel über die Sichtweisen der verschiedenen involvierten Personen.


    Tanja Kinkel hat mir die Geschichte der RAF nähergebracht.


    Ich vergebe 10 Punkte.